Bertolt Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder

Anstatt eines Vorwortes

"Über das grüne und freundliche Fünen fiel schon ein großer Schatten. Vom Sand her gab es Geschützdonner zu hören. Im Radio kündeten Geräusche, die menschlichen Stimmen entfernt ähnelten, dass die Vorbereitungen zu einem großen Raubzug in Deutschland vor dem Abschluß standen. Zwischen Koffern schrieb ich noch ein Stück." So erinnert sich Brecht an sein Theaterstück "Mutter Courage und ihre Kinder". (Bertolt Brecht, Die Courage lernt nichts. In: Klaus Detlef Müller (Hrsg.): Brechts Courage und ihre Kinder, Frankfurt (M), S. 246ff.)

Ende der 60er Jahre, anfangs der 70er Jahre wurde Brecht für die Schule entdeckt, nachdem die Berührungsängste zur Tabuzone "DDR" und zu sozialistischen Autoren sich aufzulösen begannen. Brecht war auf einmal "in". Sein Episches Theater wurde für Schülergenerationen zur Pflicht.

Am 10. Februar 1998 jährt sich Brechts Geburtstag zum 100. Mal. Und in Jubiläumsjahren werden Autoren stärker gespielt. Brechts Bedeutung würde dieser Umstand allein schon gerecht.

Leider liefert das Weltgeschehen genügend Beispiele, weshalb Brechts Stück über Krieg und Mitmachen im Krieg aktuell ist. Der Golfkrieg und das Grauen in Bosnien wurden uns live via Satellit ins Wohnzimmer geschickt. Das Ende des Kalten Krieges, so glaubten viele von uns, habe die Welt sicherer und friedlicher gemacht. Ein Trugschluss. Krieg und Bürgerkrieg in Ländern der ehemaligen Sowjetunion, der Bosnien-Konflikt, auch Europa ist eine Region, in dem Ideologie und Machtstreben militärisch durchgesetzt werden sollen.

Die militärischen Konflikte, vor allem in der Dritten Welt, nehmen zu und hinterlassen millionenfachen Tod, Flüchtlingselend und soziale Katastrofen. Brechts Ansicht von 1948, sein Stück sei zu spät gekommen, könne aber aus Furcht vor einem neuen Krieg wieder gespielt werden, gilt heute noch.

Als die Autoren sich an die Bearbeitung dieser Handreichungen machten, hatten sie ein klares Bild der Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg im Kopf. Und eine große Sorge, Brechts Figur Courage, so Brecht, darf unser Mitgefühl nicht bekommen. Sie müsse verurteilt werden. Zudem: Episches Theater gilt in vielen Köpfen als "sprödes" Theater. Wie kann dieses Stück Jugendlichen nahe gebracht werden?

Über eine Schauspielerin erfuhren wir, dass das Stück in Wuppertal gespielt wird. Dort nahm der Dramaturg, Gerold Theobalt, unsere Bitte, mit ihm und einigen Darstellern der Inszenierung des Schillertheaters Wuppertal ins Gespräch zu kommen, sehr entgegenkommend auf. Dafür möchten wir unseren herzlichen Dank aussprechen. Die Gespräche mit ihm und Gerhard Palder (Feldprediger) über Brecht, dessen Theaterkonzeption und wie man Brecht heute spielen solle, haben uns nicht nur geholfen, sie haben uns auch Mut gemacht.

Theobalt hob im Gespräch die Wichtigkeit der Figur Kattrin hervor und weist der Frage nach der "Schuld der Courage" eine in der Brechtrezeption überbewertete Dominanz zu: "Der Widerstand Kattrins kommt ganz einfach aus dem Mitleid einer Kreatur mit der anderen." So Theobalt. Und weiter: "Der Akzent des Ganzen ist natürlich der Appell an die Humanität gewesen, Kattrin ist die einzige Figur im Stück, die etwas erstrebt, über den Zustand (Krieg) hinweg zu kommen." Denn: "Aus dem Ding (Krieg) kann man nicht einfach davonlaufen."

Unvergesslich die Aufführung, die uns zeigte, dass Brechts Chronik nicht spröde ist. Beeindruckend das Publikum, das gebannt der Handlung folgte, darunter viele Jugendliche. Mechthild Großmann (Titeldarstellerin) nahm sich viel Zeit nach der Aufführung, aus ihrer Sicht einer modernen, engagierten Frau über die Rolle der Mutter Courage zu sprechen. Sie betonte den Mut dieser Frau in schwerster Zeit. "Welche Wahl hatte sie denn?" gab sie uns mit auf den Weg. Frau Großmanns Interpretation der Courage ließen auch Sympathie und Mitleid mit ihr zu.

Schon Harald Engberg fragte in seinem Aufsatz "Mutter Courage - die Schrift an der Wand" (In: Klaus-Detlef Müller [Hrsg.]: Brechts Mutter Courage und ihre Kinder, Frankfurt (M), ". 259ff.), warum Brecht es uns so schwer machte, die unbezwingbare Courage zu verdammen. Seine Antwort: Der sehr wohl mitleidende und mitfühlende Dichter Brecht habe den Pädagogen besiegt. Daran ändern Methoden des Epischen Theaters und Verfremdungsmittel nicht.

Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist, zu Brechts Drama eine umfassende Lehrerhilfe zu erstellen. Diese wird ergänzt durch ein eigenes Schülerheft, das den Unterricht begleiten kann und eine Fülle an Materialien und Gestaltungs- und Verständnisanregungen beinhaltet.

Im Mittelpunkt stehen großformatige Fotos aus der Inszenierung des Schillertheaters. Die Zusammenarbeit mit dem Schillertheater bot uns auch die Möglichkeit, das Buch mit Szenenfotos dieser brillianten und zeigemäßen Aufführung zu versehen. Dem Fotografen Uwe Stratmann, Wuppertal, verdanken wir die Möglichkeit, das Stück zu visualisieren und so das Schulproblem "Theater ohne Aufführung" zu mildern.

Mögen Buch und Schülerheft zum Verständnis von Brechts nicht leicht zu verstehendem Anliegen beitragen. Wir Lehrer sollten mit unseren Schülern versuchen ein wenig über den Zustand Krieg in unserer Welt hinwegzukommen. Und dazu kann Brecht, der Humanist wie der Pädagoge, beitragen. Mitleid ist eine menschliche Tugend, die Augen und das Herz zu öffnen, damit unsere Gedanken nach Wegen suchen, Kriege nicht entstehen zu lassen.

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