Kunstwerk des Monats
Dezember 2005
- Sammlungsblatt -

"Märchenthron" von Igor von Jakimow

 

"Märchenthron" (Heidelberg 1940, Fichtenholz, weiß, rostrot und Gold gestrichen) von Igor von Jakimow (Polotjobnoje/Russland 17. 3.1885 - Heidelberg 25. 3.1962)

Der von Igor Jakimow als Weihnachtsgeschenk für seine Tochter Tatjana im Kriegsjahr 1940 aus zweckentfremdeten Möbelteilen gebaute Kinderstuhl hat einen konstruktivistischen Aufbau aus Vierkanthölzern mit teilweise goldgestrichenen Profilleisten und Planken. Sein quadratischer Sitz wird thronartig überhöht von einer hohen Rückenlehne, in die ein rechteckiges Bildfeld mit der naiven Darstellung eines Häuschens eingepasst ist: Auf seine Eingangstür läuft in kindlicher Perspektive ein Weg durch einen mit Blumen besetzten Vorgarten; die gesichtsähnliche Vorderfront mit roten Fensterläden und spitzgiebligem Dach wird von einem himmelhoch aufragenden Tannenbaum überragt. Lehne und Sitzzarge des „Märchenthrones“ tragen auf der Rückseite ein silbergraues geometrisches Rechteckmuster und die Beschriftungen: „Heidelberg. Baden“ und „Tatjana von Papa 19 25/XII 40“.
Jakimow wuchs auf dem väterlichen Gut in Russland auf, studierte seit 1906 an der Akademie Colarossi in Paris, dann bei Hollósy in München. Nach Studienaufenthalten in London, Russland und Italien kehrte er nach Paris zurück, wo er bei Matisse und Bourdelle arbeitete. 1914/18 hielt er sich in Russland auf, anschließend in Berlin. Von 1931 bis zu seinem Tod 1962 lebte der Exilrusse in Heidelberg.
Als Maler und Graphiker widmete er sich den Sujets Landschaft, Genre und Bildnis. Als Bildhauer schuf er Porträtbüsten und Genregruppen in Terrakotta, Bronze, Holz und Fayence. Als Restaurator führte er die ersten Zusammensetzungen, Abformungen und Vervollständigungen des Baudekors vom berühmten Westpalast des Tell Halaf in Nordsyrien durch. Auch mit der kindlichen Sphäre war Jakimow künstlerisch vertraut. So schuf er als Schwiegersohn der Puppenkünstlerin Käthe Kruse mit Porträtbüsten Vorlagen für Puppenköpfe, z.B. den Kopf ihres Sohnes Friedebald als Modell für das sog. „Deutsche Kind“ und den Kopf des „Hampelchen“.
Spielzeug hatte in früheren Zeiten als Nachbildung der Erwachsenenwelt vornehmlich die pädagogische Funktion, Kinder geschlechtsspezifisch auf das spätere Leben vorzubereiten. Seit der Biedermeierzeit, als Kinder von kleinen Erwachsenen zur eigenständigen sozialen Gruppe avancierten, nahm die Produktion von Spielzeug zu und es entstanden eigene Spielwelten in Kinderzimmern mit spezifisch auf die kindlichen Bedürfnisse abgestimmten Möbeln. Sie waren zunächst nur der Oberschicht vorbehalten. So schuf 1902 Joseph Maria Olbrich ein Prinzessinnenhaus für Elisabeth von Hessen im Park von Schloss Wolfsgarten bei Langen, bei dem die Inneneinrichtung auf die Größe der 11jährigen abgestimmt wurde.
Benedikt - Kunstwerk des Monats im Kurpfälzishcen Museum HeidelbergAls zu Beginn des 20. Jahrhunderts Künstler wie Matisse, bei dem Jakimow studierte, oder Picasso, Klee und Dubuffet forderten, die Welt mit den Augen von Kindern zu sehen, um aus diesem Perspektivwechsel die eigene Kreativität zu erweitern, entdeckte man zugleich die kindliche Kreativität selbst, würdigte beispielsweise erstmalig Kinderzeichnungen. Im Zusammenhang der Lebensreformbewegung kam der Wunsch auf, Spielzeug und Möbel von namhaften Künstlern gestalten zu lassen. Dabei schufen im Rückgriff auf alte Handwerks-traditionen Vertreter der Wiener Secession oft „Märchenhaftes“ für Kinder. Im Interesse einer modernen künstlerischen Gestaltung aller Lebensbereiche versuchten Mitglieder des Bauhauses, Kunst und Handwerk im Sinne von industrienahem gutem Design zu verbinden. In Serie gingen schlichte geometrische und multifunktionale Kindermöbel in reinen Farben beispielsweise von Alma Siedhoff-Buscher, Ludwig Hirschfeld-Mack oder Marcel Breuer. In der Künstlergruppe „De Stijl“, die enge Verbindungen zum Bauhaus unterhielt und stilistisch dem Konstruktivismus nahe stand, wurden Gegenstände der Erwachsenenwelt häufig en miniature nachgebildet, so Gerrit Rietvelds Kinderschubkarre oder Bollerwagen. Für die eigenen sechs Kinder fertigte er 1919 Kinderhochstühle an. 1931/32 entwarf der Architekt Alvar Aalto einen farbig lackierten Kinderstuhl aus Birkenholz und Sperrholz, später entwickelte das amerikanische Designerehepaar Charles und Ray Eames Möbel für Kinder. Eine größere industrielle Fertigung setzte aus sozialpolitischen Gründen erst nach dem zweiten Weltkrieg ein. Und nach dem Tode Jakimows brachten die 1960-70er Jahre mit dem wachsenden Interesse an Kinderpsychologie und den damit verbundenen Veränderungen und Experimenten in der Kindererziehung Bewegung in die Gestaltung von Kindermöbeln. Nun sollte das moderne, oft mitwachsende Kindermöbel den natürlichen Bewegungsdrang der Kinder unterstützen und zu Spiel und Kreativität anregen.
Arbeiten von Künstlern für Kinder, die häufig ein außergewöhnlich hohes Maß an Phantasie, Originalität und Kreativität besitzen, jedoch als wenig ernst zu nehmende Gelegenheitsarbeiten abgetan und im Privatbesitz aufbewahrt werden, gelangen selten in den Kunsthandel. Aus ihm konnte als Neuerwerbung Jakimows anrührender „Märchenthron“ erworben werden.
Aus erkennbar persönlichen Motiven entstanden, vereinigt er in sich die unterschiedlichen künstlerischen Intentionen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: den konstruktivistischen Aufbau der de Stijl-Gruppe, auch mit der weißen Farbigkeit die Ästhetik des Bauhauses und mit dem Märchenhaften des Dekors Intentionen der Wiener Secession.

Annette Frese

 

Literatur:
Kinder als Auftraggeber. Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin 2001
Kunst – ein Kinderspiel. Hrsg. v. Max Hollein und Gunda Luyken. Ausstellungskatalog, Schirn Kunsthalle Frankfurt Frankfurt a.M. 2004

 

Igor von Jakimow
( Polotjobnoje/Russland 17. 3.1885 – Heidelberg 25. 3.1962)
Heidelberg 1940, Fichtenholz, weiß, rostrot und gold gestrichen
119,5 (H) x 45,5 (B ) x 47,5 (T),
Inv. Nr. SG 255

Bild: Museum

 
 
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