Kunstwerk des Monats
April 2006
- Sammlungsblatt -

Toilettegarnitur, Paris 1806 Kristallglas, brillantiert und gekugelt

Die Verarbeitung von natürlichen Mineralien wurde schon in der Antike gepflegt. Gefäße aus Edelsteinen oder Bergkristall galten bis in die Barockzeit hinein als die erstrebenswertesten Kunstwerke einer fürstlichen Schatzkammer. Seit der Erfindung des Glases bemühte man sich um die Reinheit der grüngrauen Masse, die dem Bergkristall gleichkommen sollte

. Schon im 1. Jahrhundert nach Christus wurde in Alexandria ein Verfahren entdeckt, durch Beigabe von Mangan das Glas zu entfärben. Die nun klare Masse hatte aber eine leicht mauvefarbene Tönung, durch die sie sofort als Glas zu identifizieren war. In den Wirren der Völkerwanderungszeit ging das Geheimnis des klaren Glases wieder verloren, bis es am Ende des 15. Jahrhunderts in Venedig wiederentdeckt wurde. Auf der Insel Murano lebten die Geheimnisträger quasi als Gefangene. Jedem, der die Insel verließ oder das Arkanum verriet, drohte die Todesstrafe.
Das Cristallo genannte Glas trat von Venedig aus seinen Siegeszug durch Europa an. Feine dünnwandige Gläser durften von nun an auf keiner fürstlichen oder patrizischen Tafel mehr fehlen. Trotz aller Bemühungen jedoch wurde das Geheimnis verraten und im italienischen Altare, in England, den Niederlanden, in Deutschland und Frankreich entstanden "Venedische Glashütten". Die sogenannten "Muranesen" oder "Altaristen" gründeten in Frankreich in Nantes, Orléans und Lyon Glashütten, die erst im 18. Jahrhundert durch die bedeutenderen Hütten von Baccarat (1764) und St. Louis (1767) übertroffen wurden.
Ein reines kristallklares Glas wurde am Ende des 17. Jahrhunderts in Potsdam von Johann Kunkel erfunden. 150 Pfd. Sand wurden 100 Pfd. Pottasche, 20 Pfd. Kreide und 10 Lot Braunstein zugesetzt. Dieses sogenannte Kreideglas war gut zu schneiden und zu gravieren, so dass die Techniken der Bergkristallveredelung angewendet werden konnten.
Die Bestrebungen nach noch mehr Klarheit und Brillanz veranlassten den Engländer George Ravenscroft im Jahre 1673, Versuche anzustellen, durch Beifügung von Feuerstein ein brillanteres Glas zu erreichen (Flintglas). 1676 gelang es ihm, durch Zusatz von Blei (bis zu 36 %) eine Glasware zu schaffen, die von strahlendem Glanz und guter, weicher Beschaffenheit war.
Dieses Bleikristall wurde jedoch erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingesetzt, als das Brillantieren der Glasflächen als Schmuck Mode wurde. Die Arbeit des Brillantierens wird am vertikal laufenden sog. Schlägelrad ausgeführt.
Die Arbeitsvorgänge:
1) Rauhschleifen mit einer Eisenscheibe unter Zuhilfenahme von nassem Quarzsand
2) Klarschleifen mit der Steinscheibe unter Verwendung v (Pappel, Linde, Weide) oder einer Filz-, Leder- oder Korkscheibe unter Zuhilfenahme von Zinnasche
Das Brillantieren erledigten im 18. Jahrhundert die sogenannten Eckigreiber oder Kugler, aus denen sich dann um die Jahrhundertwende der Beruf des Glasschleifers entwickelte, als das Steineln des Kristalls zu einem regelrechten "Chrystallstyl" führte.Als sogenannter Steinelschliff wird das Brillantieren des Glases schon am Anfang des 18. Jahrhunderts bei Potsdamer Pokalmundreifen sichtbar.
Gegen 1751 verzierte die Glasmanufaktur von Cadix ganze Gefäße mit dieser Dekoration. Richtig gebräuchlich aber wird die Schleifart erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts in England bei dem stark lichtbrechenden Bleikristall.
Im Jahre 1782 gelingt es dem Chemiker Lambert von der Porzellanmanufaktur Sèvres, ein gutes Bleikristall herzustellen, das in Konkurrenz mit englischen Produkten treten kann. Die Pariser Händler und Glasschleifer beziehen jedoch weiterhin ihr Glas aus allen Teilen des Landes, oft auch aus dem Ausland. Das Geschäft " l'escalier de christal" der Familie Charpentier bezog die Rohware, ein gut zu schleifendes Kreideglas, aus der belgischen Hütte des Aimé Gabriel d'Artigue. Ob die Veredelung durch Schliff und Vergoldung durch Mitglieder der Familie Charpentier selbst oder durch Angestellte vorgenommen wurde, ist nicht mehr festzustellen. Die Ergebnisse sind jedoch immer aufwändige und kostbare Luxusartikel.
Während vor 1800 das englische Kristall auf dem Kontinent vorherrschte, gewinnen die festländischen Manufakturen in der Zeit der Kontinentalsperre einen festen Käuferkreis. Dieser Markt konnte auch nach dem Sturz Napoléons nicht wieder von England erobert werden.
Unsere luxuriöse Toilettegarnitur lehnt sich in ihrer Form ganz eng an gleichzeitige Stücke aus Sèvresporzellan an. Die kostbaren Materialien Kristall und Porzellan wurden für Prunkgarnituren verwendet, die in den Paradeschlafzimmern Aufstellung fanden. Sie dienten beim morgendlichen oder abendlichen Empfang zum Abschminken und dem zeremoniellen Händewaschen. Erworben wurde die Garnitur im Jahre 1806 von dem Bevollmächtigten Minister der kleinen Thüringischen Staaten, Friedrich Wilhelm Ludwig von Beulwitz aus Rudolstadt, anlässlich seiner Mission zur Rettung der Eigenständigkeit der Kleinstaaten am Hof Napoléons.
In der Folgezeit veränderte sich die Etikette, das feudale Leben nahm biedermeierlich-gemütliche Züge an und die Waschgarnitur wurde ab 1830 zum Taufgeschirr der neugeborenen Mitglieder der Familie von Beulwitz.

Text: Carl Ludwig Fuchs

 

 

Toilettegarnitur
Kristallglas gekugelt und gesteinelt, teilvergoldet und radiert
Paris 1806
Charpentier à l’escalier de christal
Inv. Nr. Gl 133 a-b

Foto: Museum

 
 
siehe auch: Sammlungsblatt
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