Kunstwerk des Monats
August 2007
Sammlungsblatt

Steinzeit in Neuenheim - Die "Große Grube" der Rössener Kultur

 

Die Aufgabe zahlreicher, zuvor 200 Jahre und länger besiedelter Wohnplätze zu Beginn des 5. vorchristlichen Jahrtausends markiert das Ende des Altneolithikums. Es bilden sich nun neue Kulturen, die in direkter Fortsetzung altneolithischer Traditionen stehen, doch in Siedlungsraum, Hausbau, Keramik und Bestattungssitten ganz neue Wege gehen. Nach der Hinkelstein- und der Großgartacher Kultur ist die Rössener Kultur die jüngste dieser mittelneolithischen Kulturen und datiert 4600 - 4400 v. Chr.. Benannt nach dem Gräberfeld von Rossen (heute Leuna-Rössen) im Kreis Merseburg-Querfurt (Sachsen-Anhalt) charakterisiert sie einen wichtigen Kulturkomplex, der das Jüngere Mittelneolithikum Südwestdeutschlands, des Elsaß, Westdeutschlands und des südlichen Mitteldeutschlands prägt. Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr. erlischt die Rössener Kultur in weniger als einem Jahrhundert. Damit enden die alten, das bisherige Neolithikum kennzeichnenden Kulturtraditionen. Die Auflösung ist durch das Entstehen zahlreicher kleinräumig verbreiteter Kulturgruppen gekennzeichnet, die den Beginn einer neuen vorgeschichtlichen Epoche, des Jungneolithikums, markieren.

Keine weitere Epoche der Jungsteinzeit zeichnet sich durch derart vielfältige und abwechslungsreiche Keramikdekors aus. Auf den stilistisch-typologischen Eigenarten der Zierweisen und Gefäßformen basiert denn auch die innere Gliederung des Mittelneolithikums, umso mehr, als nur wenige Siedlungen und kleine Gräberfelder aus Südwestdeutschland bekannt sind. Da die Töpferscheibe noch unbekannt war, wurden die Gefäße aus einem gemagerten Tonklumpen oder durch Aufbau mehrerer Tonwülste mit den Händen frei geformt. Der Brand erfolgte als offener Feldbrand, wobei über den Gefäßen mit aufgeschichtetem Stroh oder Holz eine Art Meiler gebaut wurde. Durch die wechselnde Luftzufuhr erhielten die Gefäße eine unterschiedliche Färbung, die von hellgelb bis schwarz reichen kann. Die Gefäße sind charakterisiert durch teppichartige, oft die gesamte Oberfläche bedeckende Einstichverzierungen. Markant ist die Gefäßdekoration mit Doppelstichen ("Geißfußstich"), die mit weißer Paste ausgelegt waren (Inkrustationen), furchenartigen Einstichen und Stempeleindrücken. Typische Gefäßformen sind hohe Schüsseln mit Standfuß, Kugelbecher, Zipfelschalen und Schiffchengefäße. Die Oberfläche der Gefäße ist meistens braun, rotbraun, dunkelbraun oder grauschwarz und geglättet.

Im Januar des Jahres 1902 konnte Karl Pfaff, Professor am damaligen Großen Gymnasium der Stadt Heidelberg, bei der Anlage des Neuen Friedhofes zwei Gruben der Rössener Kultur ausgraben, von denen die größere als "Pfaff's Große Grube" weit über die Region hinaus zu Berühmtheit gelangte. Die Fundstelle liegt in Neuenheim, wo während der gesamten Jungsteinzeit die Menschen die fruchtbaren Löß- und Schwarzerdeböden des Neckarmündungsgebietes als Ackerflächen nutzten. Auf dem Gelände des damaligen Neuen Friedhofes befindet sich heute der Heidelberger Zoo und auf der Fundstelle der Pfaff'schen Grube steht nun die Zookasse.

Die "Große Grube" hatte einen Durchmesser von 12x14 Meter und war noch 3,8 Meter tief. Angelegt wurde sie ursprünglich als Lehmentnahmegrube. Der Lehm diente beim Bau mehrerer der charakteristischen Langhäuser zum Verfugen der Wände und zur Anlage der Fußböden. Später wurde die Grube als zentrale Mülldeponie des Dorfes genutzt. Es fanden sich hier die Reste von über 900 Gefäßen, zahlreiche Tierknochen, Gerätschaften aus Bein und Geweih, Feuersteine und Muschelschalen. Der überdurchschnittlich hohe Anteil an verzierten und unverzierten Scherben veranlasste den Ausgräber, den Fundkomplex fälschlicherweise als Magazin eines neolithischen Töpfers anzusehen. Die jeweilige gemeinschaftliche Nutzung der Grube ist ein Indiz für die entwickelte Sozialstruktur der Dorfbewohner.

Das starke Überwiegen der Haustierknochen in der Grube verdeutlicht eindrucksvoll die Sess-haftigkeit der Menschen. Die Jagd, über mehrere 100 000 Jahre die Haupttätigkeit und Ernährungsgrundlage der Menschen, spielte für sie nur noch eine untergeordnete Rolle.

Sowohl die verzierte als auch die unverzierte Keramik der "Großen Grube" zeichnet sich -typisch für die "Rössener Kultur"- durch eine außerordentlich gute Tonbehandlung aus. Der Ton ist durchweg, auch bei der gröberen, unverzierten Ware, feinsandig gemagert und gut gebrannt. Die Oberfläche ist geglättet und erscheint häufig leicht glänzend. Die Farbe der verzierten Gefäße ist dunkelgraubraun, z.T. mittelbraun gefleckt. Die unverzierten Gefäße sind meistens etwas heller, manchmal sogar rötlichbraun. Die Scherben von etwa 700 verzierten Gefäßen, von denen 55 Exemplare ergänzt werden konnten, vermitteln einen umfassenden Eindruck von Gefäßformen, Zierelementen und der Vielfalt der Verzierungsmotive der Rössener Kultur im Unteren Neckarland. Verziert wurden besonders Kugelbecher und -topfe. Die Dekore setzten sich aus einer Vielfalt von verschieden kombinierten Ritz- oder Fur-chenstichlinien, vertikalen Zickzackverzierungen, Gittermustern oder Winkelbändern, hängenden Winkeln, Dreiecken oder Bögen, Reihen von Doppel- oder Einfacheinstichen und von Me-topen, bestehend aus Gruppen von Ritz- oder Furchenstichlinien, zusammen.

Einmalig dagegen ist das "Sonnenmotiv", gebildet aus einzelnen langen Einstichen.

Renate Ludwig

 

Literatur:
Armin Stroh: Die Rössener Kultur in Südwestdeutschland. 28. Ber. RGK 1939, S. 8-179.
Sigrid Alföldy-Thomas, Helmut Spatz: Die "Große Grube" der Rössener Kultur in Heidelberg-Neuenheim, Materialhefte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 2 (Stuttgart 1988). Helmut Spatz:
Beiträge zum Kulturkomplex Hinkelstein - Großgartach -Rossen. Der keramische Fundstoff des Mittelneolithikums aus dem mittleren Neckarland und seine zeitliche Gliederung. Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 37 (Stuttgart 1996).

 

Kugelbecher und -töpfe mit flächendeckenden, weiß inkrustierten Dekoren
Ton mit weißer Farbpaste
5. Jahrtausend v. Chr.

 
 
siehe auch:

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