Kunstwerk des Monats
November 2007

- Sammlungsblatt -


Sigrid Kopfermann (* Berlin 1923)
"Strömungen", 1969

 

"Die Farben sind für mich das Wichtigste." (S.K.,1970)

"Ich komme ganz und gar von der Farbe, habe mir in vielen Jahren Malerei meinen eigenen Umgang mit der Farbe erarbeitet. Bei der Farbe ist man auf die Kraft des Augenblicks angewiesen." (S.K., 1988)

"Alles wird durch die Farbe erklärt." (S.K., 1996)

Auf Sigrid Kopfermanns 1969 gemaltem Bild strömt dem Betrachter diese Farbe in unzähli­gen Pinselschlägen entgegen, kleine und größe­re Farbflecken überziehen die fast quadratische Leinwand. Die "Kraft des Augenblicks" ist in den Pinselspuren, der Steigerung vom stumpfen Pinselwischer zur gesättigten, stofflichen Paste sichtbar geworden Der Bildgrund leuchtet im Dreiklang der Grundfarben, einleuchtendes Rot, vom Zinnober ins Karminrot changierend, ein helles Kadmiumgelb, ins Orangefarbene und ­Weißliche variierend, helles Ultramarinblau. Pure Augenlust, sinnliches Vergnügen an der Farbe teilt sich dem Betrachter mit, war der Malerin selbst Stimulanz: Das Aufleuchten der reinen Farbe im getrübten Umfeld kleiner und kleinster Farbflecken von bräunlichem Weiß und Spuren der Komplementärfarben Grün und Blauviolett. Nicht recht lokalisierbar ist die Quelle dieser Farbströme, aus der Bildmitte, vom rechten oberen Bildrand nach unten, über die Bildränder Sigrid Kopfermann besetzt ihr Format gleichhinweg, springen große und kleine Farbgruppen. sam mehrstimmig, in dem die Grundfarben als "Solisten" hervortreten.

Den Prozesscharakter des Malens kann der Betrachter über die Bildränder hinaus fort­setzen: Wie im schichtenden Überlagern von Farben und Formen, im fleckhaften Ausbrei­ten, im Verschmelzen der Spuren und Ebenen ein eigengesetzlicher Bildraum und Rhythmus entsteht; wie aus räumlichen und rhythmischen Bewegungmomenten auch die Zeit als Dimension des Bildes Konturen gewinnt. Diese Methode prozesshafter Bildentwicklung bei S. Kopfermann schafft erst die Voraussetzung dafür, dass sich die Wechselwirkungen der Farbe so reich entfalten können.

Die Malerin bearbeitet ihre Themen als Serien. Zwischen 1956 und 1986 entstanden Bildserien wie Wald - Kreise - Strömungen - Flechtungen - Berge/Berge - Rosenbilder - Raumandeutung Barock. Auch "Strömungen", gemalt 1969, ist innerhalb einer Bildreihe entstanden, kein Bild nimmt dabei einen festen Platz in der Serie ein, sie arbeitet an mehreren Formaten gleichzeitig. Anstelle des Bestimmten, Abgeschlossenen zielt sie ab auf Ambivalenz, offene Struktur, formatübergreifende Bewegung, entwicklungs­offene Formzustände. Die Geduld, abzuwarten, und die Substanz des Augenblicks, im "Unter­bewusstsein alles, was ich über die Malerei zu wissen glaube", prägen den Malvorgang, ein "vom Grund her kommendes, sich ausbreitendes Farbwissen." (S.K.)

Die Impressionisten hatten entdeckt, wie Far­be als Erscheinungsweise des Lichts mit Hilfe divisionistischer Farbsetzung und optischer Farbmischung malerisch umzusetzen war und im Bezug zum Gegenstand eine nie zuvor da­gewesene Selbständigkeit gewinnen konnte. Die Künstler forschten nach neuen Grundprin­zipien und Gesetzmäßigkeiten. Bereits 1798 mutmaßte Goethe: "Vielleicht bestätigt sich die Vermutung, daß die farbigen Natureinwirkungen so gut als die magnetischen und elektrischen auf einer Dualität, einer Polarität,oder wie man Erscheinungen dieser Art nennen mag, beruhen." Dieses Wissen äußert sich bei der zeitgenössischen Malerin in der Erkenntnis, daß es keine Definition von Farbe an sich gibt, Farbmischungen entstehen aus vielfältigen Formen der Interaktion, Farbe lebt, gewinnt Ausdruck auch aus dem jeweiligen Umfeld. Sigrid Kopfermann will die Farbe so setzen, dass "sie stimmt, dass sie funktioniert wie ein lebendiges Gefüge." (S.K.1983)

Die "Natureinwirkung" auf die Arbeit Sigrid Kopfermanns ist verhalten sichtbar. Sie hat sich als Malerin abstrakter Landschaften einen Namen gemacht, sie kann als wagemutige Koloristin bezeichnet werden. Dennoch spricht sie vom "Malen nach der Natur". Sie hält den Bezug zum sinnlich Wahrnehmbaren, zerstört nicht Wirklichkeit, sondern wandelt sie imaginativ. Sind aus früheren Arbeiten noch Landschaften, Stilleben zu sehen, verdichtet sie die Farbe, ihre visuellen Erfahrungen auf der Leinwand zu "Be­wegungsbildern": groß und klein, schnell und langsam, hell und dunkel, Blätter und Blüten, Wolken und Wasser, Tag und Nacht. Die Fülle der Farbe bringt die Prozesse des Wachsens, Welkens, Vergehens in Form. Bei S.K. scheint Form etwas Flüchtiges, Schwebendes zu sein.

Auf dem Gemälde, das 1972 im Kabinett Hanna Grisebach vom Freundeskreis des Museums für das Kurpfälzische Museum erworben wurde, ist die Form sichtbar als Farbbewegung, die Male­rin hat sich befreit vom Zwang, die Natur direkt abzubilden. Der Betrachter wiederum formt mit eigenschöpferischem, nicht nur registrierendem Sehen für sich das Bild. Die Naturassoziationen sind nahezu getilgt, nicht Wasser oder Luft, sondern: Gleiten, Schweben, Fließen. Sigrid Kopfermann bändigt die Kräfte, die alles hervor­bringen, was in der Natur ist, bannt sie auf ihre Leinwände. "Alles wird durch die Farbe erklärt", sagt sie, zu einem farbigen Fest der "Interaction of Colour" (J. Albers). Expressive und informelle Einflüsse hat sie integriert und zu einer ganz eigenen, unverwechselbaren Bildsprache geformt, sie geht ihre eigenen Farbwege.

"Mich faszinieren in der Malerei die Möglichkeiten, ganz subjektive Dinge - Erfahrungen - Ord­nungen - Risiken - zu objektivieren. Ich genieße es, in einen Arbeitsprozess eingebunden zu sein, der mich festhält, der mich führt, und den ich manchmal führe. Ich habe das Gefühl, dass das Malen für mich eine lebenslange, konstante, oft schwierige und mich manchmal beglückende Partnerschaft ist." (S.K.1983)

Angelika Dirscherl

Literatur:
Sigrid Kopfermann, Ein Arbeitsbericht, In: Kunstreport 1/81, S.22 f.
Sigrid Kopfermann, Tagesläufe, in: Kunstreport 1/82, S. 14
Katalog "Sigrid Kopfermann - Bilder aus vierzig Jahren", Hannover 1983
Katalog "Sigrid Kopfermann - Neue Bilder", Frankfurt/M. 1989
Werkbiographie Sigrid Kopfermann, Düsseldorf 1991
M. Bleyl, Essentielle Malerei in Deutschland, Wege zur Kunst nach 1945, Nürnberg 1988, insbes. S. 19 - 63
W. Schmied (Hrsg.) Sigrid Kopfermann, Bilder 1990 - 1998, Köln 1998
M. Fehr (Hrsg.), Die Farbe hat mich, Essen 2000

 

Sigrid Kopfermann (* Berlin 1923)
"Strömungen", 1969
Öl auf Leinwand, 100 x 110 cm,
sign. unten links: S. Kopfermann

 
 
siehe auch:

Bild im Großformat

zurück zur Übersicht

weiter:  Dezember 2007


Hauptmenü | Heidelberg | Kurpfälzisches Museum | Service | Aktuelles | ZUM |
© Text und Abbildung Kurpfälzisches Museum 2007
© Gestaltung Badische Heimat 2007

-

Impressum · Datenschutz