Kunstwerk des Monats

im Kurpfälzischen Museum Heidelberg

 

August 2000
  - Sammlungsblatt -

Das Laufrad des Freihern von Drais

"Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben Sich gnädigst bewegen gefunden, dem Kammerjunker Freiherrn Karl von Drais von Mannheim ein ErfindungsPatent auf 10 Jahre lang für die von ihm erfundene Laufmaschine dergestalt zu bewilligen, dass Niemand dieselbe in den diesseitigen großherzoglichen Landen nachmachen, oder nachmachen lassen, oder auf öffentlichen Straßen und Plätzen gebrauchen soll, ohne sich zuerst mit dem Erfinder darüber abgefunden und ein Zeichen von ihm dafür gelöst zu haben. Die dagegen Handelnden sollen in eine Strafe von 10 Reichstalern und in die Konfiskation der nachgemachten Laufmaschine verfällt werden."


Freiherr Karl von Drais auf seiner Laufmaschine
Lithografie, um 1820

Mit dieser Mitteilung im "Staats- und Regierungsblatt für das Großherzogtum Baden" vom 10. Februar 1818 wurde die Erteilung des Zweiradpatents am 30. Januar 1818 an Karl von Drais, den Sohn des Mannheimer Oberhofgerichtspräsidenten und späteren Polizeidirektors von Rastatt, publik gemacht. Aus einer Gebrauchsanweisung, die Drais bereits 1817 veröffentlicht hatte, geht hervor, dass mit dem Laufrad unter günstigen Bedingungen die vierfache Geschwindigkeit eines Pferdes im Galopp erzielt werden konnte. Eine Revolution in der individuellen Fortbewegung des Menschen war geschehen:

1. Berg auf geht die Maschine, auf guten Landstrassen, so schnell, als ein Mensch in starkem Schritt.
2. Auf der Ebene, selbst sogleich nach einem starken Gewitterregen; wie die Staffelten der Posten, in einer Stunde 2 [Stunden Wegs].
3. Auf der Ebene, bei trockenen Fußwegen, wie ein Pferd im Galopp, in einer Stunde gegen 4 [Stunden Wegs].
4. Berg ab, schneller als ein Pferd in Carriere [= Rennbahn].


Laufrad des Freiherrn Karl von Drais, um 1818
Esche, Pappel und Kirschbaum, H ca. 80 cm, L 1,68 m. Inv.Nr. GH 46

Auf einer Probefahrt am 12. Juli 1817 hatte Drais mit seinem Zweirad "Loda" die Strecke von Mannheim bis zum Relaishaus an der Straße nach Schwetzingen und zurück, immerhin 15 Kilometer, damals etwa vier Poststunden, vor den Augen des staunenden Publikums in nur einer Stunde zurückgelegt. Der Name "Loda" war eine Zusammensetzung aus "locomotion" (= Selbstbewegung) und "dada" (= Steckenpferd) und wohl mit Blick auf die französischen Journalisten gewählt. In einer Werbeschrift aus dem gleichen Jahr nannte Drais sein Zweirad "Laufmaschine", in der Presse bürgerte sich jedoch bald die Bezeichnung "Draisine" oder in Frankreich "Draisienne" ein.

Karl von Drais war zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Jahre bei vollen Bezügen vom staatlichen Forstdienst beurlaubt. Mit fünfzehn hatte er nach seinem Realschulabschluss das Karlsruher Lyzeum verlassen, um bei seinem Onkel in dessen privater Forstlehranstalt in Pforzheim das Forstfach zu erlernen, damals für die Technik die wichtigste Staatslaufbahn, denn Holz war das Konstruktionsmaterial der Maschinen schlechthin.1803 begann er das Studium der Landwirtschaft, Physik und Baukunst an der Staatswirtschaftlichen Fakultät der im Neuaufbau begriffenen Universität in Heidelberg. Der Onkel sollte dort ein Forststudium einrichten, da es aber nicht dazu kam, brach auch Karl das Studium in Heidelberg ab und assistierte seinem Onkel, mittlerweile in Schwetzingen ansässig, an dessen Schule als Hilfslehrer für Mathematik, Naturwissenschaften, Deutsche Sprache und Stilübungen. Er bestand das Forstexamen und kam als großherzoglich badischer Forstmeister in den Schwarzwald, bis den Fünfundzwanzigjährigen der Vater an den Hof des Großherzogs nach Karlsruhe holte und seine Freistellung vom Forstdienst bewirkte.

Drais, seit 1810 aufgrund der Verlegung des Oberhofgerichtes nach Mannheim in der Nähe des alten kurpfälzischen Residenzschlosses wohnhaft, nutzte die Zeit und erfand u.a. eine Notenschriftmaschine zum Aufzeichnen von Klavierstücken. Ferner machte er einen ergonomischen Verbesserungsvorschlag, beim Feuerlöschen Wasserbütten statt Eimer zu benutzen, der sehr rasch und kostengünstig in die Tat umgesetzt werden konnte. Während die Truppen Europas zur Völkerschlacht bei Leipzig aufmarschierten - Drais hatte sich in Mannheim zur Landwehr gemeldet, - erreichte den Großherzog 1813 das Draisfsche Privileggesuch für die Erfindung einer vierrädrigen Fahrmaschine ohne Pferd, die der russische Zar Alexander l. "bien ingenieux" fand. Anders urteilten die eher im Baufach beschlagenen Gutachter Weinbrenner und von Tulla, sie lehnten eine badische Privilegierung des vierrädrigen Gefährts ab. Tatsächlich hat vierzig Jahre später der Tischler Willard Sawyer in Dover eine schwunghafte Manufaktur solcher Vierräder betrieben und, geschützt durch englische Patente, u.a. auch Michael Faraday mit einem solchen Fahrzeug beliefert.

Das Ende der Napoleonischen Kriege fiel mit einer globalen Umweltkatastrophe zusammen, die eine gewaltige Hungersnot in Mitteleuropa nach sich zog. 1816 war im indonesischen Archipel der Vulkan Tambora ausgebrochen und schleuderte eine unvorstellbare Menge an Vulkanasche in die Atmosphäre, die sich im Laufe des Jahres auch in der nördlichen Halbkugel verteilte. Während man in London außerordentlich schöne Sonnenuntergänge beobachten konnte, führte die Staubwolke auf dem Kontinent zu einem "vulkanischen Winter" mit Dauerregen und Schneefällen mitten im Sommer. Die daraus folgende Missernte traf die Bevölkerung im Südwesten Deutschlands besonders hart, zumal die Vorräte von den durchziehenden Truppen aus den Freiheitskriegen bereits aufgebraucht waren. Die Hungersnot war verheerend, in manchen Regionen begingen die Ärmsten der Armen in ihrer Verzweiflung Selbstmord. Mehr als 40.000 Einwohner Badens und Württembergs wanderten allein im Jahr 1817 aus. Vor dem Hintergrund, dass man Pferde und Zugtiere durchfütterte, während man die Menschen reihenweise verhungern ließ, wie Adam Smith kritisierte, erhielt die Suche nach pferdelosen Transport- und Fortbewegungsmöglichkeiten sowohl eine volkswirtschaftliche als auch eine soziale Dimension.

Was Drais letztlich auf den Gedanken eines einspurigen Fahrzeuges brachte, ist nicht bekannt. Vermutlich inspirierte ihn die auch von Goethe und Klopstock überlieferte Schlittschuheuphorie der jungen Männer seiner Zeit. Drais selbst war begeisterter Schlittschuhläufer, und in den ersten Berichten wurde seine Laufmaschine oftmals mit dem Schlittschuhfahren verglichen. Darüber hinaus konstruierte er auch drei- und vierrädrige Varianten der Laufmaschine mit einem Damensitz vorne, analog "den Stuhlschlitten, auf welchen man die Mädchen damals aufs Glatteis schob, da sie anders am Eislaufen nicht teilnehmen durften.

Das Wesentliche an der Erfindung der Laufmaschine, dass nämlich der Fahrwiderstand im Prinzip soweit zu reduzieren war, dass sich der Mensch auf diese Weise mit weniger Energieaufwand pro zurückgelegter Strecke vorwärts bewegen könnte als selbst die Taube (bezogen auf die Körpermasse), hat Drais nicht ausformuliert. Vordergründig sah man nur das Problem, dass die Laufmaschine ständig ausbalanciert werden musste. Ebenso wenig erkannte man damals die Minimierung des Fahrreibungswiderstands durch die Verringerung der Anzahl der Räder, die Drais empirisch gefunden und sogleich praktisch umgesetzt hatte. Dadurch, dass ferner der Mensch die Probleme der Fahr- technik fortan am eigenen Leibe erfuhr und nicht nur irgendein stummes Zugtier, wurden auch Verbesserungen wie Kugellager und Luftreifen überhaupt erst als sinnvolle und notwendige Verbesserungen erwogen.

Die Laufmaschine erfreute sich allseits großer Beliebtheit. Studenten und junge Adlige fuhren die Draisischen Laufmaschinen, Goethe notierte es sich in Jena gar im Winter in sein Tagebuch. Schon 1817, im Jahr seiner Erfindung, hieß es: "Eine der wichtigsten Erscheinungen in dem Gebiete der mechanischen Wissenschaften ist die v. Drais'sche Fahr-Maschine, und beinahe halb Deutschland beschäftigt sich in diesem Augenblick mit der Entscheidung über deren Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit." Man benutzte die Draisine für Spazierfahrten, Wettrennen und selbst für Reisen, wofür sogar als Gepäckstück eine speziell gefertigte Satteltasche verwendet werden konnte.

1818 ließ Drais seine Erfindung im Jardin du Luxembourg in Paris vorstellen und erntete auch im Ausland großen Erfolg. Aber nicht zuletzt wegen des fehlenden Patentschutzes in der deutschen Kleinstaaterei konnte Drais mit seinem Lizenzmarkensystem nicht allzu viel verdienen. Außer in Baden und Frankreich wimmelte es nur so von Raubkopien, ganz besonders in England und den USA. Immerhin wurde Drais in wissenschaftliche Gesellschaften aufgenommen und vom Großherzog mit dem Titel eines Professors der Mechanik dekoriert als der "Mann, welcher die Körper schnell bewegen lehrte".

Das Laufrad des Kurpfälzischen Museums ist wohl ein nicht lizensierter, immerhin aber zeitgleicher Nachbau der Drais'schen Erfindung. Das Museum erhielt es als Geschenk des Heidelberger Radlerclubs im Jahr 1896. Es handelt sich um ein zweirädriges hölzernes Laufrad mit Vorderradlenkung. Der Rahmen fällt nach vorne ab und hat einen rechteckigen Querschnitt. Abweichend vom Original ist der rückwärtige Teil als Kasten ausgebildet und über dem zehn-speichigen Rad durch zwei Leisten zur Radaufhängung verlängert. Schwarz-gelbe-Farbspuren der ursprünglichen Bemalung sind noch deutlich erkennbar. Als Nabe dient eine große eiserne Schraube. Am unteren Rand ist ein eiserner Schmutzabstreicher montiert. Zwei gleichfalls eiserne Klammern mit je zwei Ösen dürften zur Befestigung der Satteltaschen gedient haben. Die Sitzfläche ist nach unten geschwungen, Lenker und Sitz sind ergänzt, ebenso das Balancierbrett, von dem aus man die Lenkstange bewegen konnte.

Mit der Ermordung Kotzebues durch den Burschenschafter Karl Sand im Jahre 1819 in Mannheim kam die Wende für Drais und seine Erfindung. Die Karlsbader Beschlüsse Met-ternichs untersagten jeden Freiluftsport, die Draisinen verschwanden von den Straßen und den Parkwegen. Die Vorliebe des Adels für das Laufrad hatte ein Ende, denn das Lager der Sand-Anhänger war mit dem der Draisinenfahrer weitgehend identisch. So blieb dem Erfinder Ende des Jahres 1820 nur die Auswanderung nach Brasilien, mit einer neuen Erfindung im Gepäck, einer Schnellschreibmaschine, die leider verschollen ist. 1827 kehrte Drais nach Deutschland zurück, zunächst nach Mannheim, wo er auf den Stras-sen angepöbelt und misshandelt wurde, später nach Karlsruhe, wo er in Untermiete lebte und als Sechsundsechzigjähriger verarmt und verspottet 1851 verstarb.

Frieder Hepp

Literatur:

Gesellschaft im Umbruch, in: , Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Band 1,2, Stuttgart 1987, S. 1069- 1072.
Hans-Erhard Lessing, Karl Friedrich von Drais, in: Baden-Württembergische Portraits. Gestalten aus dem 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Hans Schumann, Stuttgart 1988, S. 163-168.
175 Jahre Zweiradpatent 1993. Drais-Faksimileedition, hg. vom Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim

 

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