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12 Thesen, eine Vorgeschichte und eine Wirkung

Antje Vollmers „12 Thesen zum Denkmalschutz..."

Das Hoffmann-Axthelm-Gutachten

Vorangegangen war diesen „12 Thesen zum Thema Denkmalschutz, Reformbedarf, Veränderungsmöglichkeiten" der Grünen-Politikerin ein Gutachten, das der Berliner Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen erstellt und Ende März in Berlin in der ersten Anhörung über Denkmalpflegefragen in der Geschichte des deutschen Bundestags vorgelegt hatte. Ziel war, die machtpolitische Rolle der staatlichen Denkmalpflege zu untersuchen und Lösungen zu ihrer Verankerung in breiten Schichten zu finden.

Hoffmann-Axthelm trennt zunächst zwischen zwei Arten der Denkmalpflege: Einerseits „eine Denkmalpflege, die unermüdlich gegen kühl rechnende Investoren und kulturlose Stadtparlamente unsere alten Städte erhält" - die gute -, andererseits „eine autoritär organisierte, rechthaberische, diskussionsunfähige Denkmalpflege, die mehr Porzellan zerschlägt als sie kittet", die man „lieber heute als morgen verschwinden sehen" würde. Die eine sei aber ohne die andere nicht zu haben.

Er sieht weiterhin eine Polarität zwischen der selbstbestimmten Bürgergesellschaft und der „staatsbasierten, daher auf Rechthaben, Verordnen, Prinzipialismus und Methodenrigorismus beruhenden", also bürgerfeindlich arbeitenden Denkmalpflege. Diese verletze grundlegende Rechte des besitzenden Individuums, indem sie Vorschriften „beim Anstrich, an Fenstern, Klingelknöpfen, Briefkästen usw." mache. „Allzu oft stehen nicht die Denkmäler oder ihre Nutzer, sondern steht die Kompetenz der Behörde im Vordergrund, was oft auch den Denkmälern nicht bekommt." Damit aber habe sich der Denkmalschutz von den „wahren" Interessen des Bürgers entfernt und müsse durch seine „Entstaatlichung" wieder näher an den Bürger herangebracht werden.

Die Denkmalpflege habe ihre Verantwortung missbraucht und ihren Sinn verloren. Die meisten Denkmalschützer seien Prinzipienreiter, unwissend und rechthaberisch. Die „Lumpensammler" hätten die Fähigkeit verloren, das Kostbare vom Alltagsschmuddel zu unterscheiden. Immer weiter dehnten sie ihren Machtbereich aus und erklärten selbst Fabriken, Krankenhäuser, Siedlungen der zwanziger, gar der fünfziger Jahre zum öffentlichen Erbe. Die ZEIT und die Süddeutsche Zeitung zitieren übereinstimmend Hoffmann-Axthelm: „Eine Perversion".

Der Staat sollte sich, so das Gutachten, aus dem Denkmalschutz zurückziehen und künftig nur noch Bauten betreuen, die der öffentlichen Hand selbst gehören. An die Stelle des unkontrollierten Denkmalschutzes müsse, wie im 19. Jahrhundert üblich, die „Kultur der Nationalmonumente" treten. „Private Baufreiheit" müsse sich darin zeigen, dass jeder künftig verändern oder abreißen dürfen, wie er möchte. Denkmalschutz in diesem privaten Bereich solle sich künftig am formulierten Interesse der Allgemeinheit zeigen: „Und was keine Herzen bewegt - wozu sollte es gerettet werden? Es genügt zu wissen, und dokumentiert zu sehen, daß es das gab."

Die unisono vorgetragene Forderung von Antje Vollmer und Dieter Hoffmann-Axthelm: Die zivile Bürgergesellschaft müsse endlich aufwachen und sich selbst um ihr kulturelles Erbe kümmern, statt sich von der „Gesinnungsdenkmalpflege" gängeln zu lassen.

In der Tat hält zwar die große Mehrheit den Denkmalschutz im Prinzip für sinnvoll, aber die Bereitschaft zur Unterstützung schwindet, sobald an das eigene Gebäude Maßstäbe der Denkmalpflege angelegt werden. Die ZEIT konstatiert in der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Gutachten: „Mit ihrer Initiative hat Antje Vollmer also insofern Recht, als die Begeisterung für die Denkmalpflege ein stärkeres Fundament braucht. Die allgemeine Verantwortung muss wachsen." Wenn der Staat sich allerdings aus der Denkmalpflege zurückziehen sollte, bedeute dies „einen Rückschritt ins 19. Jahrhundert".

Was in dem Gutachten als Übergriff der öffentlichen Hand auf das private Eigentum beschrieben wird, ist allerdings eher der Übergang des Geschichtsbewusstseins auf das Volk. In der Geschichte des Denkmalschutzes spielt der fürstliche Gedanke eine große Rolle - man denke nur an die Auseinandersetzungen um den Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses, wo die Ruine angeblich nur durch eine komplette Rekonstruktion gesichert werden konnte. In der Wilhelminischen Ära hatte die „Reparatur der Geschichte" Vorrang, Denkmal war, was die eigene Vergangenheit verherrlichte. Moderner Denkmalschutz dagegen drückt „das Recht aller Bürger an ihrer Geschichte" aus (Die ZEIT).

Das Gutachten setzt sich über diese Sozialbindung des Eigentums hinweg. Die Verantwortung des Individuums für die Geschichte soll als Kraft mobilisiert werden. Eine Zerstörungswelle, die daraufhin über den Denkmälerbestand hereinbrechen würde, brächte aber auch die Chance auf eine Neubesinnung. „Die Wirtschaft müsse erst den Verlust spüren, um einen eigenen Willen zum historischen Erbe zu entwickeln" (Die ZEIT) .

Was hier als Neuauflage liberaler Prinzipien klingt, trägt allerdings die Gefahr in sich, nicht als obskur, weltverbesserisch oder einfach naiv abgetan werden zu können. Auch wen das Gutachten kaum zur Gesetzesvorlage werden wird, ist seine Wirkung dennoch nicht gering zu schätzen. Es dürfte einige Gegner der gegenwärtigen Situation der Denkmalpflege in den Ländern bestärken, und von seiten des Bundes könnte es durchaus den Anlass für eine neuerliche Diskussion der Abschreibungsmöglichkeiten für denkmalpflegerische Aufwendungen geben.

Das Gutachten gibt aber auch - und das ist das Schlimme an ihm - neue Kriterien für die Bewertung von schützenswerten Denkmälern vor. Danach steht künftig nicht mehr die historische Aussage eines Gebäudes im Vordergrund, sondern seine Schönheit. „Es gibt kein unmittelbareres Maß für Denkmalwert als Schönheit", heißt es im Gutachten unter der Überschrift „Schönheit als Denkmalkern". Die ZEIT zu diesem Problem: „Schönheit ist ein problematisches Kriterium, das allerdings einen Vorteil hat, auf den wohl auch Hoffmann-Axthelm in seinem Gutachten setzt: Es eignet sich wie kein anderes als Konsensformel. Alle wollen Schönheit, es ist eine Sehnsucht, gegen die es keine Argumente gibt. Es geht darum, die Beziehungen zur gebauten Geschichte zu emotionalisieren: Affekte statt Analyse. Daraus erklärt sich auch die antiakademische Haltung, mit der sich Frau Vollmer gern über die komplexen Kriterien der Denkmalpflege hinwegsetzt. Das Urteil der Fachleute interessiert sie nur an zweiter Stelle, „weil es auf den Kopf und nicht auf den Bauch zielt." In der Tat gleitet das Gutachten mit dem Wunsch, „daß man das, was man schön findet, solange erhält, wie es sinnvoll und vertretbar ist" ins Beliebige ab.

Neben dem Begriff des Schönen schickte Antje Vollmer auch den Begriff des Unmittelbaren und Eingängigen ins Rennen. Sie griff auch die Bauexperten an, weil sie Gebäude der Moderne als schützenswert erklären, die sich der Allgemeinverständlichkeit entzögen. Hoffmann-Axthelm empfiehlt, künftig nur noch Bauten zu schützen, die vor der Industrialisierung entstanden, denn „je älter, desto unmittelbarer, weniger intellektuell vermittelt, die Wirkung", und „vorindustrielle Denkmäler sind nicht nur älter, sondern sie sind vor allem intensiver". Es ist abzusehen, dass mit dieser Festlegung die Liste der Denkmäler drastisch schrumpfen wird.

Die Negierung der Alltagskultur mit ihren gebauten Zeugnissen wird dann aber die so genannten Nationalmonumente in einer ganz anders gelagerten Wichtigkeit und Vordringlichkeit erscheinen lassen. Der Staat mit seinem letztendlichen Denkmalmonopol („seine Denkmäler sind die wahren" - Die ZEIT) erhält damit eine Rolle, die der geplanten „Entstaatlichung" der Denkmalpflege gerade zuwiderläuft. Was ein Denkmal ist, definiert das Gutachten so: „touristisch attraktiv, Brennpunkte historischer Selbstverständigung, Maßstäbe des Schönheitsempfindens, Meilensteine der Kultur, erlebbar, fassbar, brauchbar." Die Berliner Mauer, die Industrieruinen des Ruhrgebiets, die Arbeiterwohnungen der 20er Jahre, kurz, alles Hässliche, Unbegreifbare und Politische fällt durch die Maschen.

Diesem Begriff des „Schönen" steht ein im Prinzip repektabler Begriff des „Demokratischen" zur Seite. Hoffmann-Axthelm nennt das einen „mehrheitlich begreifbaren und damit auch belastbaren Denkmalbegriff" und verweist Denkmalschutz damit, zusammen mit der Forderung, Denkmalwürdigkeit nur auf Zeit zuzuerkennen (Vollmer), auf eine mehrheitlich durchsetzbare Geschmacksfrage. Konsequent zu Ende gedacht hieße das, den Spielplan öffentlicher Bühnen auf das Niveau von Unterhaltungssendungen à la MDR herunter zu schrauben.

Der Widerspruch zwischen dem „Fegefeuer der Moderne", das den zwanghaften Denkmalbestand lichten soll, und der staatlichen Hinwendung zum „Schönen", das einen an den Staatszielen gemessenen positiven Sinn ausdrückt, ist das eigentlich Gefährliche an dem Gutachten Dieter Hoffmann-Axthelms. Hier wird nicht nur der Denkmalschutz demontiert, sondern auch dem Staat eine neue Funktion, die Gesellschaft zu normieren, zugeschrieben. „Rückwendung in die Geschichte und Reanimation der Schönheit und der Werte" sieht die ZEIT als Bedingungen für die nötige ethische Wertschöpfung und die kulturelle Aufrüstung, mit der der Staat den Sturm der vermeintlich unabwendbaren Globalisierung noch überstehen könne.

Die Konsequenz daraus hieße, im Denkmal nicht mehr das historische Zeugnis zu sehen, sondern das Vehikel einer Gesellschaftsreform.

Ein Objekt sei nur dann ein Denkmal, „wenn es zum Bürgerkitt taugt oder zum nationalen Pathosspender" (Die ZEIT). Geschichte ist dann nicht mehr Mittel der Rückbesinnung auf die Grundlagen der eigenen Existenz, sondern Sache der emotionalen Zustimmung. Die Konsequenz wäre aber auch die Löschung der Überreste unserer eigenen Geschichte aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis, die Löschung von Fabrikanlagen, Wohnbauten, Verkehrswegen, die unsere unmittelbare kollektive und individuelle Vergangenheit geprägt haben. Weniger ist mehr, sagen Vollmer und Hoffmann-Axthelm. Weniger aber ist der Weg zum Gar nichts.

Aus didaktischer Sicht ist Hoffmann-Axthelms Position eine Katastrophe. „An Sankt Maria im Kapitol oder Vierzehnheiligen, an Kolosseum oder Louvre sehen wir heute nicht mehr die Blutigkeit der Macht und den Opfercharakter der Religion, sondern nur noch die überwältigende Architektur, den großen Atem der Räume, die Qualität der handwerklichen Arbeit, die Aura des Alten und Überlieferten", so sein Statement in der ZEIT, das in dieser Formulierung ein Denkmal der Geschichtslosigkeit ist. Historisch fundierte Stadtführungen werden damit ebenso bedeutungslos wie die didaktische Position der Objektpädagogik, die Bestrebung also, historische Phänomene an den Objekten der Geschichte selbst erkennbar zu machen. Geschichtslosigkeit - „warum auch nicht?"

Badische Heimat e.V.
Bezirksgruppe Bergstraße - Neckartal (Heidelberg)


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