Das Konzept dieses neuen Reiseführers im handlichen Format
ist es nicht, Altbekanntes aufzuwärmen, sondern weniger
Bekanntes, Neues, selbst für Kenner der beiden französischen
Regionen Überraschendes zu präsentieren. Dies erfolgt
nach den drei Rubriken »Kurioses«, »Kulinarisches« und »Historisches« (also
in etwas anderer Reihenfolge als auf dem Titelblatt angegeben,
wobei die Grenzen zwischen den Teilbereichen nicht so eng gezogen
sind. Es geht auch nicht um systematisches Aufzählen, sondern
um neugieriges Herauspicken. Man steht sozusagen vor einem großen
Büffet voller Leckereien, aus dem man sich die Dinge herausgreift,
die man noch nie gegessen hat, wobei uns der Autor, der hauptberuflich
Journalist ist, die Mühe der Auswahl schon abgenommen hat.
Die von Nr. 1 bis Nr. 50 durchnummerierten 52 Einzelziele (die
Unstimmigkeit ergibt sich daraus, dass nach Nr. 46 noch die Ziele
46a und 46b eingeschoben wurden) werden nach bewährter zeitungsjournalistischer
Art mit Titel und Untertitel vorgestellt, beispielsweise »Mega-Badewanne
für Freizeitkähne« und darunter »In Lothringen
steht eines der ungewöhnlichsten Schiffshebewerke Europas/
Schrägaufzug ersetzt 17 Schleusen«. Der folgende Text
beginnt dann in der Regel mit der Nennung einer Person, die beruflich
mit der jeweiligen Kuriosität zu tun hat und in direkter
Rede für die Authentizität der Darstellung bürgt.
In vielen Fällen verdankt das zu entdeckende Ziel (Museen,
Gärten, Werkstätten, Geschäfte usw.) diesen »ungewöhnlichen
Menschen« überhaupt ihre Existenz.
Um die vorgeschlagenen Reiseziele zu lokalisieren oder auch
unterwegs aufzufinden, erscheinen Nummern und Namen (die letzteren
etwas klein) in den ausklappbaren Umschlagdeckeln, wo sie übrigens
kartographisch genauestens platziert sind. Allerdings endet der
am Beispiel des Schiffshebewerks von St-Louis / Arzviller erwähnte
Rhein-Marne-Kanal leider schon östlich von Nancy an der
Meurthe, ohne seinen Weg zur Marne fortzusetzen.
Wie bei den meisten neueren Publikationen über den Nordosten
Frankreichs inzwischen üblich, werden Ortsnamen konsequent
(oder fast) in offizieller französischer Version wiedergegeben.
Die Zeiten, in denen man noch von Hagenau oder Schlettstadt sprechen
und schreiben durfte, sind anscheinend vorbei. Fast unvermeidlich
sind dann allerdings formale (»Haguenauer Forst«)
oder inhaltliche Zwitter (»Der bekannte Humanist [Beatus
Rhenanus] vermachte Selestat kurz vor seinem Tod seine gesamte
Bibliothek«). Straßburg erscheint fast immer als »Strasbourg«,
einige Male als »Straßburg« und einmal als »Straßbourg«.
Manchmal entdeckt man auch Rätselhaftes, das aus französischsprachigen
Vorlagen stammen könnte, wie beispielsweise eine »Sandmasse« (frz.
sable oder päte sablee), aus der in einer als Reiseziel
empfohlenen Patisserie ein Backwerk hergestellt wird.
Da der Rezensent nicht nur Romanist, sondern auch Geograph ist,
vermisst er eine einheitliche Linie bei den Lageerläuterungen.
Da liegen die Orte mal allgemein im Eisass, mal etwas genauer
im Nordelsass, mal sehr genau im Krummen Eisass, mal in den Vogesen,
mal in den Nordvogesen, mal im Departement Vosges, wobei bisweilen
der Eindruck entsteht, dass die Dinge auch verwechselt werden.
Es ist nicht klar, welches der Unterschied zwischen »Moselland« und »französischem
Moselland« ist, ob damit das Departement Moselle gemeint
ist oder das hydrographische Becken der Mosel. Da hilft auch
die Ausklappkarte nicht weiter, denn die bietet, um die Ziele
in den landschaftlichen Kontext einzuordnen, nur die drei Namen »Frankreich«, »Lothringen« und »Vogesen« an.
Das letzte Kapitel (Nr. 50) ist nicht einem Reiseziel gewidmet,
sondern dem elsässischen Dialekt, seiner abnehmenden Präsenz
in den Tageszeitungen sowie einigen Personen und Gruppierungen,
die sich bemühen, den fortschreitenden Niedergang des Elsässischen
aufzuhalten. Ist es Zufall oder Absicht, dass auf dem beigefügten
Foto gut lesbar die hier zwar fußballbezogene, aber doppeldeutige
Zeitungsschlagzeile »Le coup de Graz« auftaucht?
Die dem Wortspiel zugrunde liegende Wendung »le coup de
gräce« bedeutet »der Gnadenstoß«.
Wie dem auch sei: Man merkt bei der Lektüre auf Schritt
und Tritt, dass es dem von den unterschiedlichsten verborgenen
Facetten der Reisländer Lothringen und Eisass erfüllten
Autor ein Bedürfnis ist, seine Mitmenschen an diesen Entdeckungen
teilhaben zu lassen. Man bekommt Lust hinzufahren und mitzuentdecken.
Freunde des Internets finden am Ende jedes Kapitels hilfreiche
und weiterführende Angaben. Ulrich Raabe |