Virtuelle Identitäten

6/98

sind Identitäten, die es in der Wirklichkeit gar nicht gibt. Geheimdienstagenten im Auftrag irgendeiner Majestät haben eine solche, berühmte Persönlichkeiten, die sich hinter falschem Namen verstecken auch. Neuerdings baut auch der Südwestrundfunk virtuelle Identitäten auf: Wilhelm Faller, der Senior der Fallers am Sonntagabend in SWR 3 war der erste, Johanna Faller, die vielsorgende Mutter, ist die zweite. Nein, es ist nicht die Rede von der Welt des Fernsehens, die schon zu Zeiten der Familie Hesselbach ihre Unschuld verloren hatte (als „Frau Hesselbach" auf der Straße erkannt und empört darauf hingewiesen wurde, dass das nicht „ihr Mann" sei, mit dem sie da gehe), es ist die Rede von der perfekten Vermarktung der Familie in den Begleitprodukten.
Wilhelm Faller - eifrige Faller-Fans erinnern sich - hatte ein Buch geschrieben über sein Leben, sogar der Verleger trat mit im Fernsehen auf, und eines Tages war das Buch da - real, aus Papier, gebunden, und der Sender wurde nicht müde, nach jeder Sendung darauf hinzuweisen.

Wilhelm Fallers Lebenserinnerungen hatte Vorgänger: Kochen mit den Fallers, Backen mit den Fallers, sie haben dann auch schnell Nachfolger gefunden praktische Tips „Aus Haus und Hof der Fallers".

Gibt es denn die Fallers wirklich? Natürlich nicht. Sie feiern nur jeden Sonntag abend um viertel acht (das ist viertel nach sieben für die, die kein süddeutsch verstehen) in SWR 3 fröhliche Urständ und schlagen sich mit allen möglichen Problemen herum, die man zum Teil auch aus anderen Serien schon kennt. Aber eben nur zum Teil, den die Fallers sind eine bodenständige Familie, und ebenso bodenständig sind die Probleme.

Aber nicht darum soll es hier gehen, sondern um die Bücher, die sich um die Fallers als Hintergrund für regionales Kolorit ranken.

Wilhelm Fallers „Memoiren" sind hier der erste Titel, den der Verlag vorlegte. Es ist keineswegs der Lebenbericht des Altbauern, es ist ein rein fiktives Werk, und das sollte man beim Lesen stets bedenken. Diese fiktive Autobiografie ist aber perfekt gemacht, das muss man zugeben. Der Autor Roland Lang (der erst im Innern genant wird) erzählt Lebensumstände und Lebenserfahrungen in der einfachen Sprache, die man einem Schwarzwaldbauern auch zutraut. Die Lebensumstände stimmen, und auch die Zeitumstände sind durchaus realitisch gezeichnet. Insofern stimmt der Untertitel „Ein Leben im Schwarzwald", das von der Kindheit als Hitenbub, der Jugend als Hoferbe („Hofengel") und der Zeit als Jungbauer bis zu den Erlebnissen als „Soldat" und den Nachkriegsjahren reicht, in denen die Personen heranwachsen, die die Fernsehserie prägen. Natürlich kann es für eine literarische Rolle keinen festen Bezugspunkt als Örtlichkeit geben, weswegen alle Ortsangaben sich nur auf die entferntere Nachbarschaft beziehen. Und auch die Bilder, mit denen das Buch bestückt ist, verraten die Handschrift eines perfekten „Fälschers": Überall da, wo konkreter Bezug zu Personen und Örtlichkeiten gefordert ist, werden geschickt Originalbilder von Schauplätzen (dem „Fallerhof" zum Beispiel) oder Personen (den Schauspielern also) eingeflochten. So erscheint Christiane Bachschmidt auf einem eigenen Kinderbild von sich eben als „Puppenmutti Kati".

Noch einen Schritt weiter ging der Verlag mit dem nächsten Band „Aus Haus und Hof der Fallers" mit dem Untertitel „Altes Wissen aus dem Schwarzwald für Haushalt, Garten und Natur". Hier wird die Illusion aufgebaut, die Fallers persönlich würden in alten Traditionen des Wirtschaftens leben; und die Illusion wird durch zahlreiche Bilder („Monique hilft gern im Stall", „Käse nach einem alten Hausrezept stellt Johanna in großen Kupferkesseln her") unterstützt und gepflegt.

Auch hier muss man diese Illusion abziehen. Ursula Cantieni wird genausowenig nach Drehschluss Kraut hobeln wie sie selbst Hausmacher Wurst in Dosen füllt. Was bleibt, ist eine Sammlung von Haushaltswissen in zwei Schichten: Die eine Schicht, das ist die Erzählung vom Leben und Vorraten in früherer Zeit im Schwarzwald, als es weder Tiefkühltruhe noch Supermärkte gab. Doch diese Vorratshaltung ist die der reichen Schwarzwaldbauern, die über ein eigenes Vorratshaus und eine eigene Mühle mit Mahl-, Reib- und Stampfgang verfügen. Die Hofanlage aus dem Freilichtmuseum Vogtsbauernhof stand hier wohl Pate.

Die andere Schicht sind die Hausmittel, Ratschläge und Rezepte, die - so wollen wir hoffen - tatsächlich aus dem Schwarzwälder Bereich überliefert sind. Einige von ihnen dürften für den Großteil der Leser nur dokumentarischen Wert haben und nicht direkt zum Nachahmen gedacht sein, denn in welcher Wohnung und welchem Neubaukeller lassen sich schon 10 Liter Himbeerwein ansetzen. Andere allerdings, und das sind gerade die kleinen Hausmittel, sind im Alltag durchaus anwendbar - aber sie sind wiederum nicht unbedingt schwarzwaldtypisch.

Nur das Kirschkernsäckchen, das ist wirklich eine feine Sache. Man muss allerdings nicht unbedingt einen Kachelofen zum Erwärmen haben, ein Mikrowellenofen tuts auch. Aber das Kräuterkissen, ebenfalls eine Schwarzwälder Annehmlichkeit für kalte Gelenke, das fehlt.

Muss man beckmessern? Muss man rumkrittle, muss man überall nachfragen, ob denn jedes einzelne Gericht, das in den beiden anderen Bänden - „Kochen mit den Fallers" / „Backen mit den Fallers" wirklich und ehrlich und überhaupt „typisch schwarzwäldisch" ist? Die Schwarzwälder Kirschtorte ist es jedenfalls, wenn auch die Erzeugnisse der modernen Tiefkühl-Konditorei kaum diesen Namen verdienen. Und nur Landfremde glauben noch, dass sie so heißt, weil obendrauf Kirschen sind. Der Rezensent hat jedenfalls gleich nachgeschaut, ob die schwarzwälderischste aller Zutaten, das Chriesewässerli (Kirschwasser auf hochdeutsch) auch im Gugelhupf vertreten ist. Sie ist.

Es ist typisch badische Küche, die hier angeboten wird, mit einem kleinen Blick ins Schwabenland hinüber, das ja auch einen Anteil am Schwarzwald hat - von Vorspeisen über Suppen (unverzichtbar!), Fisch- und Fleischgerichte bis zu Nachspeisen im Kochbuch, Blechkuchen, Strudel, Napf-, Kranz, Zopf- und Hefekuchen bis zu Obstkuchen und Torten, Fasentküchli und Schmalzgebackenem im Backbuch. Die „Lieferanten" der Rezepte, renommierte Restaurants und Cafes aus dem Schwarzwald, bürgen jedenfalls für Höhepunkte der Gastronomie, die auch zu Hause nachvollziehbar sind. Dass hier auch wieder die Serien-Schauspieler gezeigt werden, als ob sie selbst in der Küche stünden, sollte nicht stören. Es ist eben eine virtuelle Identität - aber eine liebenswerte. Eine virtuelle Identität, die der Sehnsucht des Fernsehzuschauers nach Tradition entspricht. Und wenn damit der Schwarzwald bekannt wird und Leute kommen, ists ja auch nicht schlecht.


Lang, Roland: Wilhelm Faller - ein Leben im Schwarzwald. Ein Begleitbuch zur Südwestfunk-Fernsehserie „Die Fallers", erzählt von Roland Lang. Karlsruhe: G. Braun, 1998

Dorothea Kallenberg: Aus Haus und Hof der Fallers. Altes Wissen aus dem Schwarzwald für Haushalt, Garten und Natur. Karlsruhe: G Braun und Südwestrundfunk, 1998

Stechl, Hans-Albert: Backen mit den Fallers: das Backbuch zur Südwestfunk-Fernsehserie. Traditionelle Lieblingsrezepte aus dem Schwarzwald. Karlsruhe: G. Braun, 1997

Stechl, Hans-Albert: Kochen mit den Fallers: das Kochbuch zur Südwestfunk-Fernsehserie. Traditionelle Gerichte und Lieblingsrezepte aus dem Schwarzwald. Karlsruhe: G. Braun, 1996


Badische Heimat e.V.
Bezirksgruppe Bergstraße - Neckartal (Heidelberg)
 


Zurück: Schwarzwald

Impressum · Datenschutz