Reichskanzler Hermann Müller - Biografie


Andrea Hoffend
"Mut zur Verantwortung"

  Hermann Müller. Parteivorsitzender und Reichskanzler aus Mannheim. 96 Seiten, mit 48 Abbildungen. Broschur mit Fadenheftung. 21 x 19,8 cm. Kleine Schriften des Stadtarchivs Mannheim Nr. 17. Verlagsbüro v. Brandt, Mannheim 2001. ISBN 3-926260-49-1. 15,- €

Nach und neben Friedrich Ebert und Gustav Stresemann kann Hermann Müller als eine der wichtigsten politischen Persönlichkeiten der Weimarer Demokratie gelten. An seiner Biographie lassen sich wie an kaum einer anderen die Handlungsspielräume, Möglichkeiten und Versäumnisse sowie das tragische Scheitern der von beiden politischen Rändern herausgehöhlten ersten deutschen Republik aufzeigen. Um so erstaunlicher ist es, dass diesem vom jahrzehntelangen Kampf um die Demokratie geprägten und letztlich auch davon aufgezehrten Leben bislang nur sehr wenig Augenmerk gewidmet wurde.

Die aus Anlass von Müllers 125. Geburtstag vom Stadtarchiv Mannheim vorgelegte Publikation beansprucht nicht, die klaffende Forschungslücke zu schließen. Wohl aber soll die "Kleine Schrift" einen Anstoß geben, den langjährigen Vorsitzenden der Reichs-SPD auch und gerade in seiner Geburtsstadt in der kollektiven Erinnerung zu verankern.

1876 als Sohn eines Kaufmanns in Mannheim geboren, verbrachte Hermann Müller seine Kindheit in der Quadratestadt - er wuchs auf in N 4,6 und K4,21/2 - und besuchte bis zum Wegzug der Familie im Jahr 1888 das örtliche humanistische Gymnasium

(heutiges Karl-Friedrich-Gymnasium). Wie er später mehrfach bekundete, hat ihn das freie politische Klima im deutschen Südwesten für sein weiteres Leben nachhaltig geprägt. Im Jahr 1906 sollte die Geburtsstadt noch einmal eine wichtige Rolle in Müllers Leben spielen: Auf dem Mannheimer SPD-Parteitag wurde er in den Parteivorstand gewählt. In den folgenden Jahren bildete er dort zusammen mit Friedrich Ebert die "junge Garde" und füngierte zugleich mehr und mehr als der "informelle Außenminister der deutschen Sozialdemokratie".

Als Mitglied des Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte, als einer von drei Vorsitzenden des Vollzugsrats, als Fraktions- und Ausschussvorsitzender in der Nationalversammlung und bald auch als Parteivorsitzender hat Müller die demokratische Umbruchphase unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg in vorderster Reihe mitgestaltet. Die ihm im Juni 1919 auferlegte schwere Pflicht, als Außenminister der neu gebildeten Regierung Bauer den Versailler Vertrag zu unterzeichnen, machte ihn bereits am Beginn der Weimarer Republik zu einem der Hauptangriffsziele nationalistischer Hetze gegen die vermeintlichen "Novemberverbrecher", gegen "Erfüllungspolitik" und Versailler "Schand-

diktat". Nach der Niederschlagung des Kapp-Lüttwitz-Putschs im März 1920 übernahm Müller die undankbare Aufgabe, als Kanzler eines nur drei Monate währenden Übergangskabinetts die unmittelbaren Folgen des Putschs zu bewältigen und zu verantworten; die Neuwahlen im Juni desselben Jahres fegten die SPD aus dem Kanzleramt.

Nach Jahren konstruktiver Opposition als Führer nicht nur seiner Partei, sondern auch der SPD-Reichstagsfraktion trat Müller im Frühsommer 1928 für knapp zwei Jahre erneut an die Spitze einer Koalitionsregierung - der letzten parlamentarisch legitimierten Regierung der Weimarer Republik, wie sich erweisen sollte. Zusammen mit Reichsaußenminister Stresemann konnte er noch im selben Jahr eine Revision des Reparationsplans und eine vorzeitige Räumung des Rheinlands durchsetzen. Ungeachtet dieses außenpolitischen Erfolgs geriet der Reichskanzler freilich schon bald in einen letztlich nicht zu bewältigenden Spagat zwischen dem nach Strese-mannsTod 1929 weiter nach rechts abdriftenden Koalitionspartner DVP einerseits und seiner zunehmend an die Grenzen ihrer Kompromissfähigkeit geratenden eigenen Partei. Hinzu gesellten sich Intrigen aus dem ultrarechten Lager um Reichspräsident v. Hindenburg, das zielgerichtet auf eine Regierung unter Ausschluss der SPD hinarbeitete - und damit auf ein Präsidialkabinett.

In historischer Perspektive betrachtet, stellt das zweite Kabinett Müller die "letzte Chance" der Weimarer Republik dar, ihr Scheitern im März 1930 markiert den Anfang vom Ende der ersten deutschen Demokratie. Die "Machtergreifung" des Nationalsozialismus freilich sollte Müller nicht mehr erleben: Er starb im März 1931 im Alter von nur 54 Jahren, verschlissen im Kampf für eine gerechte Sache - auch hier liegt eine Parallele zu Ebert und Stresemann.

Zur Autorin: Andrea Hoffend, geb. 1962 in Mannheim, 1981-1987 Studium der Politischen Wissenschaft und Zeitgeschichte, der Germanistik und Ostslawistik. 1987-1989 wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Forschungsprojekt zur deutschen Gewerkschaftsgeschichte, 1990-1994 Assistentin am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte der Universität Mannheim (Professor Dr. Hermann Weber), 1996 Promotion zum Dr. phil. mit einer Studie über die Kulturbeziehungen zwischen "Drittem Reich" und faschistischem Italien, seit 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Stadtarchivs Mannheim. Veröffentlichungen u.a. zum NS-Sprachge-brauch, zu Konrad Adenauer, zur sozialdemokratischen und zur christlichen Arbeiterbewegung sowie zur Mannheimer Lokalgeschichte.

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