Sonderfall italienische Militärinternierte - Anselmo Mazzi
Tagebuch von Anselmo Mazzi (Download): Italienische Gesamtversion (PDF,
ca. 6 MB) Verbringung der Gefangenen nach Gersthofen Die ersten italienischen Militärinternierten wurden ab 6. Oktober 1943 vom Stalag Memmingen nach Gersthofen zur Arbeit bei der Firma Transehe verbracht. Bedingungen im Lager "Das Leben in der Baracke am Weiherweg 13 B war grauenvoll". Jeden Morgen mussten die Gefangenen um 5 Uhr aufstehen, der Chef der Wachtposten brachte die Italiener kurz danach zur Arbeit. Es gab kein Papier zum Schreiben, bis Ende November konnten die Internierten den Angehörigen keine Nachricht zukommen lassen, wie es eigentlich nach der Genfer Konvention für Kriegsgefangenen vorgesehen war. Aber Hitler und die Nazis erkannten den Italienern diesen Status nicht zu. Das Wachpersonal war ausgesprochen primitiv und grob. Den beiden Wachen Rudi und Hans, gefiel es, die Gefangenen zu traktieren und zu quälen. Bis Anfang Dezember 1943 gab es nicht einmal ein Stückchen Seife. Auf den Feldern, auf denen die Internierten arbeiteten, konnten sie manchmal rote Rüben ergattern und verstecken. Dann kochten sie heimlich die roten Rüben im gleichen Eimer, in der sie auch nachts ihre Notdurft verrichteten. Strafen Wenn etwas nicht nach den Vorstellungen des Wachpersonals verlief oder auch nur aus einer Laune heraus setzte es Strafen: entweder Reinigung der Schlafräume oder Aushebung der Fundamente des Luftschutzbunkers im Lager am Sonntag mit Schaufel und Pickel. Verhaftung eines Italieners und Verbringung ins KZ, wo er stirbt Als Antonio Manzin aus Dignano wegen der schlimmen Beschimpfungen des Wachpersonals wütend wurde und dem Aufseher mit : "Scheiss Hitler" antwortete, wurde der Italiener ins KZ Dachau gebracht, wo er nachweislich verstarb. (Gefangenennr. 70558; nach Dachau am 15.6.1944, gestorben am 19.01.1945, ohne Angabe der Todesursache). Arbeit Die Arbeit war sehr hart und dauerte täglich 12 Stunden. Anfangs bestand sie im Aushub des Fundamentes für einen Luftschutzbunker im Lager, später im Bau des zweiten Betriebsgebäudes neben dem bereits bestehenden. Schon einen Tag nach der Ankunft in Gersthofen mussten die Internierten unterirdisch ein schweres Elektrokabel verlegen. Zur Arbeit wurden sie von der SS abgeholt und am Abend zur Baracke zurückgebracht. Der Vorgesetzte prüfte jeden einzelnen der Internierten auf ihre Muskelkraft. Jeden Tag kontrollierte der Assistent der Firma Transehe die Baufortschritte. Während seiner Anwesenheit, so Mazzi, "wurde uns wegen seiner zugleich präpotenten und drohenden Art keine Minute der Erholung geboten. Wir haben ihn mit dem Namen "Veleno" = Gift bezeichnet. Einen anderen, alten Chef der Truppe, schlimmer als "Veleno", nannte ich 'Satana'" = Satan. (Vielleicht Prokurist Holler?) Essenszubereitung Das Essen für die Italiener wurde im Strasser von der 40-jährigen Witwe Anna Gollong vorbereitet, die dick wie ein Nilpferd war. Mit Ankunft der IMIs in Gersthofen musste sie die Wirtschaft schließen und war ausschließlich für deren Verpflegung zuständig, sehr zu ihrem Unwillen. Das führte dazu, dass sie Essensrationen unterschlug, wie erst nach ihrem Wegzug nach München festgestellt wurde. Wegen weiterer Unterschlagungen im Stammlager VII soll sie aber dort verhaftet worden sein. Mazzi schrieb über die Verpflegung für die IMIs, sie sei "geeigneter für Schweine als für Menschen gewesen, ein Wunder dass der Magen das ausgehalten hat". Von November 1943 bis Ende März 1944 wurden an die Internierten rohe rote Rüben verteilt. Als Suppe gab es in kochendem Wasser aufgelöste Rüben und eine Prise zerstoßener Gerste und Hirse. In den anderen Monaten erhielten sie gekochte Kartoffeln zum Schälen. Die Brotration wurde von 2 oder 3 Internierten zur Baracke mit einem Handkarren gebracht. Jeder erhielt 350g, das Brot war schwer verdaulich und war mit Mehl aus Stroh gebacken. Es gab zwar einen Schwarzmarkt, aber den IMIs war es unmöglich, außerhalb des Lagers etwas zu erwerben. Tabak als Zahlungsmittel Die Lage verbesserte sich, als die IMIs ab Februar 1944 eine Ration von 60 Zigaretten erhielten, mit denen sie bei deutschen Arbeitern oder französischen Internierten Brot und Kartoffeln kaufen konnten: "Mit den Zigaretten konnte man alles erwerben. Wer Zigaretten besaß, war ein glücklicher Mensch". Brand in der Gefangenenbaracke Am 13. November 1943 brach gegen 22.00 Uhr
nachts in der Baracke ein Brand aus. Die Soldaten waren, nachdem sie
die Türen der vier Schlafräume, die von den Kriegsgefangenen
belegt waren, abgesperrt hatten, in die nahegelegene Gastwirtschaft
Mohr gegangen. Offensichtlich war die Baracke noch von anderen
Arbeitern belegt, vermutlich von Franzosen, die bei IG Farben
arbeiteten (Aussage Franz Specht). Das Feuer entstand im Zimmer der
Wachtposten, das überheizt war. Die vom Wind genährten
Flammen breiteten sich schnell in der ganzen Baracke aus. Die
Gefangenen konnten die Tür nicht öffnen, auch die Fenster
waren mit starkem Gitter gesichert, sodass ein Entkommen nicht
möglich war. Der nächste Schlafraum, der in Flammen stand,
war von Neapolitanern belegt, die fast alle internierte Zivilpersonen
waren. Diese brachten die Türe zum Einsturz und öffneten dann
mit Spitzhacken die Türe zu Mazzis Zimmer. Wintermantel, Schuhe,
Hosen, Flanellhemd, Socken, Taschentücher, Handtücher,
Rasierapparat, der Essnapf und die Feldflasche Mazzis gingen in den
Flammen auf. Mitgefangene Militärinternierte Anselmo Mazzi erinnert sich an folgende Mitinternierte: Tea Bianco aus Rosa (Vicenza) Geistliche Seelsorge Am 31. Dezember 1943 besuchte erstmals ein Priester das Lager am Weiherweg 13B, die Hälfte der IMIs beichtete, die anderen waren auf Arbeitsschicht. Am 1. Januar zelebrierte der gleiche Priester dann eine Hl. Messe in einer sehr kleinen aber schönen Kirche in Gersthofen, die reich an wunderbaren Fresken war (St. Emmeran?) |
Ankunft weiterer italienischer Militärinternierter Ab 2. Juni 1944 kamen weitere italienische Soldaten nach Gersthofen, die in Albanien, Griechenland und in Montenegro von den Deutschen gefangen genommen worden waren. Viele von ihnen waren zwischen vielen Konzentrationslager hin und her geschickt worden. Sie waren alle aus den Provinzen Mailand und Como und hatten am 8. und 9. September 1943 die Schweizer Grenze überschritten und sich in Sicherheit gewähnt. Als sie dann hörten, sie könnten ungehindert und frei nach Italien zurückkehren, machten sie davon Gebrauch und wurden unverzüglich von den Deutschen gefangen genommen und verschleppt. Die IMIs werden aus der Internierung entlassen Am 28. August 1944 erhielten die Internierten
infolge einer Vereinbarung Hitlers mit Mussolini die Freiheit.
Künftig wurden die Italiener nicht mehr als Internierte, sondern
als zivile Arbeiter betrachtet. Allerdings mussten sie einen
Arbeitsvertrag bis zum Ende des Krieges unterschreiben. Von nun an
wurden die Italiener nicht mehr bewacht und durften am Abend für
einige Stunden das Lager verlassen. Auch die Ernährungslage
verbesserte sich leicht. Allerdings bedurfte es einer speziellen
Erlaubnis der Polizei, um nach Augsburg fahren zu dürfen. Gedanken an Flucht Anselmo denkt an Flucht, ist aber zu geschwächt, als dass diese Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die Gefahr gefasst zu werden hält er für zu groß. Aber er weiß, dass der Kriegsverlauf sich gewendet hat zuungunsten der Deutschen. Viele sexuelle Beziehungen zwischen deutschen Frauen und Italienern am Ende des Krieges Anselmo findet, dass die deutschen Frauen unglaublich schamlos seien, sich nicht scheuten, mit Italienern und Franzosen am Arm spazieren zu gehen, ohne an die Ehemänner zu denken: "Sie leben ohne Skrupel, ohne Scham, sie geben sich der idiotischen Freude hin, wie wenn der Frühling ihnen eine schöne Hoffnung verheissen müsse. Ich habe in diesen Tagen Gruppen von jungen Mädchen gesehen, die verrückterweise mit Ex-Internierten am Ufer des Lechs im Badeanzug tanzten. Am Abend jedoch statt in ihre eigenen Häuser zurück zukehren, bleiben sie in den Baracken der Internierten." Mazzi, S. 132 Entlassung aus der Firma Transehe Am Karfreitag den 30. März 1945 wird Anselmo entlassen, er muss seine Freunde in der Baracke zurücklassen. Mit Haß denkt er an seine Peiniger in der Fabrik zurück, am schlimmsten verhielt sich ein Ingenieur namens Schnaubert, eine schwarze Bestie, welcher in Anselmos Augen der Urheber aller Pein der Italiener war, ihnen nicht einmal Holzschuhe gewährte. Nach der Befreiung wird er von den Amerikanern aber verhaftet. Arbeitsaufnahme in Augsburg Am 3. April darf Anselmo mit 30 weiteren
Italienern Gersthofen verlassen, alle erhalten eine Arbeitserlaubnis in
der Stadt. Weil es kaum noch Unterkünfte gibt, wohnen sie in der
Flakkaserne, seine "traurigsten und ungeduldigsten Tage der ganzen
Gefangenschaft". Es gibt nur ein Strohlager, Decken und Feldbetten
waren keine vorhanden. Die Befreiung 28. April. Für die Internierten ist es ein Tag der Auferstehung, das Ende der Sklaverei. Im September 1944 waren sie zwar nominell frei geworden, aber an den Zuständen hatte sich nichts geändert. Sie waren weiterhin zur Arbeit verpflichtet gewesen. Tausende von weißen Fahnen wehten aus den Fenstern, in der Ulmerstrasse begegnet er deutschen Kriegsgefangenen, von wenigen amerikanischen Soldaten bewacht. Aber selbst in ihren Gesichtern spiegelt sich Zufriedenheit. Rückkehr in die Heimat Alle im Landkreis Augsburg und in München
und Dachau gefangengehaltenen Italiener werden in die Hindenburgkaserne
gebracht. Viele Gefährten der 84. Infanterie sieht er wieder, die
im Stalag Memmingen seit ihrer Gefangennahme am 6. Oktober 1943
gefangengehalten worden waren. Viele Italiener waren aber auch nach
Dachau und Buchenwald gekommen, wo sie an Entbehrungen und Folter
gestorben waren. Über die Deutschen In den Monaten seiner Gefangenschaft von Oktober 1943 bis April 1945 lernt er keine Deutschen kennen, der Respekt vor den Italienern hatte. Eine einzige Frau, Rosa näherte sich fast täglich dem Gefangenenlager und überreichte ihnen einen warmen Brotlaib. Drei Monate bot Frau Rosa den Italienern 50 Laib Brot, viel Obst und auch Fleisch an. Sie wurde bei der Polizei denunziert und "erlitt viele Unannehmlichkeiten, aber sie fuhr fort mit ihrem Werk der Nächstenliebe". Auch der junge Deutsche Leonhard Kroll, der noch lebt, war Anselmo einmal behilflich. Er arbeitete mit Anselmo beim Bau der Baracke und kam eines Tages, und holte ihn mit der Erlaubnis der Wachtposten zur Fertigstellung eines Luftschutzbunkers hinter dem Haus der Krolls. "Vor Beginn der Arbeit am Bunker gab uns Frau Kroll vier oder fünf Teller Suppe. Dann arbeiteten wir eineinhalb Stunden und kamen wieder in die Baracke zurück." Schlimm aber waren die Aufseher, welche die
Italiener täglich mit verletzenden Ausdrücken beleidigten.
Satana (so nannte ihn Mazzi) begann am Morgen mit Schimpfkanonaden:
"Dummkopf" = Scemo; "Lump" = Furbo; "Schwein" = Porco;
"Schlawiner/Verräter" = Traditore; "du kaputter Jude" = du ebreo,
a morti! Quelle: Mazzi, Anselmo: Memorie di un internato militare italiano, Arezzo 1978 Übersetzt von: OStR Peter Hafner |
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