Sonderfall
italienische Militärinternierte - Espedito Neve
Erinnerungsbericht
von
Espedito Neve wurde am 17.8.1924 in
Castelforte
(Latina/Italien) in ärmlichen Verhältnissen geboren. Sein
Vater, Emilio Neve,
starb jung, und seine Mutter, Maria D’Arpino zog zu ihrer Schwester
nach
Galluccio (Caserta). Nachdem er dort eine bewegte Jugend verbracht
hatte, wurde
am 9.10.1943 von deutschen Truppen gefangengenommen. Mehrmals gelang es
ihm zu
fliehen, aber dann stellte er sich, dem Ratschlag eines alten Mannes
aus
Galluccio folgend, freiwillig. So nahm seine Reise nach Deutschland ihren
Anfang. Er und
seine Gefährten standen dichtgedrängt (in einem Wagon),
sodass sie laufend
gegeneinander stießen. Die Reise dauerte, abgesehen von einigen
kurzen
Unterbrechungen, mehrere Tage. Um der Hitze zu entkommen, waren sie
gezwungen
ihre Jacken und Hemden auszuziehen und den Oberkörper nackt zu
lassen, da sich
im Wagon1, in
dem sie untergebracht waren, nur zwei kleine
Lüftungsöffnungen befanden. In Deutschland angekommen, wurden sie in
extra für sie
aufgestellte große Zelte untergebracht. In diesem
Konzentrationslager2 waren
die Langeweile und die Verzweifelung unerträglich. Nach einigen
Tagen wurden
den Gefangenen die Namen der Orte mitgeteilt, in die sie
überführt werden
sollten. Espedito erfuhr von einem Unteroffizier, dass er in ein
Konzentrationslager3 nach Gersthofen gebracht würde. Dort angekommen wurden sie in einem
umzäunten Gelände
untergebracht, in dessen Mitte eine große Baracke stand. Diese
Baracke war, wie
alle in Deutschland errichteten Unterkünfte für
Kriegsgefangene und
Militärinternierte, aus Holz gebaut und in fünf oder mehr
Zimmer bzw.
Gemeinschaftsräume unterteilt. Im ersten Raum, der dem Eingangstor
zum
umzäunten Gelände am nächsten lag, waren zwei Wachen
untergebracht (die Hans
und Rudi hießen), im zweiten Raum Militärinternierte,
hauptsächlich
Napolitaner, im dritten Raum zumeist aus der Toskana stammende
Militärinternierte. Im vierten Raum befand sich eine gemischte
Gruppe, die aus
Napolitanern, Römern, Toskanern, Emilianern und Venetern bestand.
Der fünfte
Gemeinschaftsraum stand, auf zukünftige Bewohner wartend, leer. Da Leben in der Gersthofener Baracke war
beschwerlich. Um
5 Uhr wurde man geweckt, um rechtzeitig zur Arbeit zu gelangen. Es war
den
Gefangenen nicht einmal erlaubt, ihren Familienangehörigen zu
schreiben. So zu
leben war unerträglich, zumal noch ein zwölfstündiger
Arbeitstag hinzukam. Die
Gefangenschaft wurde auch noch durch das Verhalten der Wachen
erschwert, die
von morgens bis abends herumschrieen und Drohungen ausstießen.
Nur selten wurde
den Gefangenen ein Stück Seife zugestanden. Die klägliche
Existenz in der
Baracke wurde zur wahren Qual. Diese wurde dann am 13. September durch
einem
Brand zerstört. An jenem Abend wehte ein starker Westwind und die
Wachen waren
zu einem Abendessen in einem in der Nähe gelegenen Gasthof
eingeladen worden.
Wie an jedem Abend hatten sie die Gemeinschaftsräume und das
Eingangstor des
umzäunten Geländes abgeschlossen, und waren zu ihrem
vergnüglichen Stelldichein
gegangen. Im Zimmer der Wachen entwickelte sich ein Brand, der auf ein
Bett
übergriff, auf dem Bretter und Teerpappe lagen. Die Gefangenen
versuchten
vergeblich, die Holzwand ihrer Baracke zu durchbrechen, riefen um
Hilfe, aber
niemand eilte herbei, um sie herauszulassen.
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Die Tage waren lang und traurig, das Leben
in der Fremde
unerträglich. Kaum einer konnte diese Situation, in der es
unmöglich war, die
Luft der Heimat zu atmen, ertragen. Espedito hat immer wieder erzählt,
dass für ihn und alle
anderen der schönste Augenblick der gewesen sei, in dem sie
befreit wurden und
endlich nach Hause zurückkehren konnten. Diesen Tag zu vergessen,
sei
unmöglich. Es war im Frühling des Jahres 1945, am 28. April.
Ein Tag der Freude
und der Heiterkeit. Der 28. April wurde für die Gefangenen von
Augsburg zum Tag
ihrer Wiederauferstehung, des Endes ihrer Sklaverei. Seit den
frühen
Morgenstunden hingen aus allen Fenstern weiße, von der Sonne
dieses wolkenlosen
Tages hell erleuchtete Fahnen. Die Amerikaner hatten den bereits
schwachen
Widerstand der Deutschen gebrochen und machten sich daran, die Gefangen
zu
befreien. Von diesem Tag an ergab sich eine
völlig neue Situation.
Vorbei war die Qual, stundenlang Schlange stehen zu müssen, um die
übliche, aus
Rüben und Möhren bestehende Suppe zu erhalten. Die
Verpflegungslager waren
geöffnet worden, und jeder konnte sich nach Belieben bedienen.
Aber das
Schönste war die völlige Freiheit, das Ende der vormals von
morgens bis abends
dauernden Tortur. Es gab nicht mehr die endlosen Reihen verrosteter
Eimer mit
gekochten Kartoffeln, sondern neue Aluminiumtöpfe in denen bis zum
Überquellen
Fleisch und Nudeln mit Butter zubereitet wurden, die die Gefangenen in
den
Verpflegungslagern gefunden hatten, die die Amerikaner ihnen
geöffnet hatten. Die Gefangenen wurden nach
Nationalitäten getrennt. Es
gab Ukrainer, Polen, Italiener, Russen. Am 1. Juli 1943 wurde den
Italiener
mitgeteilt, dass sie zum Brenner begleitet würden. Endlich konnten
sie nach
Hause zurückkehren. P.S. Ich habe diesen kurzen Bericht auf
der Grundlage der
Erzählungen meines geliebten Mannes Esposito schreiben
können, der sein ganzes
Leben den anderen gewidmet hat. Die Ehefrau Filomena Di Lorenzo „Die Retter der ungefähr zweihundert
Gefangenen waren Giovanni
di Zeno Branco - Treviso, und Neve Espedito di Sipicciano di Galluccio
–
Caserta, an die meine unvergängliche Zuneigung und meine stetige
Erinnerung
gehen.“ 1 Im Original “camion”, d.h. Lastwagen. Der Transport nach Deutschland ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Lastwagen, sondern in einem geschlossen Eisenbahnwagon erfolgt. 2 Im Original “campo di concentramento”. Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass es sich nicht bei dem Lager, in dem die Italiener untergebracht wurden, nicht um ein Konzentrationslager gehandelt hat, sondern um ein sog. Stalag (Stammlager für ausländische Kriegsgefangene). 3 s. Fußnote 1.
Espedito Neve kommt aus Galluccio, Kreis Caserta unweit von Neapel. Das Photo wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Gersthofen im Sommer 1945 gemacht. Wie 14 andere Italiener wurde er im September als Zivilist von SS-Verbänden nach Deutschland verschleppt und kam in Gersthofen zum Zwangsarbeitseinsatz bei der Firma Transehe. |
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