5. Reise in die Ukraine im August 2008

Auf meiner diesjährigen Reise besuchte ich 14 Personen und konnte an sie symbolische Summen überreichen. Es war meine 9.Versöhnungsreise, die 5. in die Ukraine (4 Reisen gingen nach Italien zu Militärinternierten). Zum ersten Mal übernahm die Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" die Reisekosten.

Insgesamt kam ein Betrag von ¤ 8000 zur Auszahlung, welcher dank der Benefizveranstaltungen mit Hannes Wader, Sing Your Soul und Susanne Ortner-Roberts und Tom Roberts zusammenkam. Überdies spendete - wie schon seit Jahren - der Privatmann Gottfried Morath einen stattlichen Betrag. Allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön, auch an meine Schüler, die mir bei den Benefizveranstaltungen immer wieder zur Seite stehen, und natürlich auch an Martin Thoma, meinen zuverlässigen Webmaster.

Besucht wurden die folgenden Personen:

In Pawlowgrad bei Dnjepropetrowsk

Iwan Sirenko, geb. 4.4.1926
Alexandra Bespatja geb. 14.1.1926
Warwara Altanez 2. 8. 1924
Nina Roschtschina 19.12.1926

In Chmelnitzkij bzw. Masiwzi:

Dascha Hmysenko, geb.2.06.1922
Bronislawa Kopatsch geb. 23.7.1923
Tochter von Bronislawa erhält ebenfalls eine Entschädigung, wurde in Augsburg geboren

In Kiew:

Galina Wassiliewska geb. 4.11.1930
Galina Karawajewa 11.3.1928
Pjotr Nikolajewitsch Sitko geb. 15.5.1925
Iwan Dwirko (Geld an Tochter übergeben) geb. 24.1. 1924
2 russische Kriegsgefangene (Geld an Lubov Sochka übergeben)

Saporoshjie

Olga Jemelina geb. 3.1. 1923 (Geld an Lubov Sochka übergeben)

Reise in die Ukraine im August 2008

Um die ehemaligen Zwangsarbeiter in Dnjepropetrowsk, Masiwzi, Chmelnitzkjy und Kiew zu besuchen, war ich gemeinsam mit Lubov Sochka bei tropischen Temperaturen eine Woche unterwegs. Dabei waren die Strapazen von 3 Nachtfahrten mit dem Zug unvermeidlich.

10 dieser Personen hatte ich bereits auf meinen früheren Reisen in die Ukraine besucht. Iwan Dwirko, der in Gersthofen vor über 63 Jahren bei der Firma Hery arbeiten musste, kam beispielsweise bereits zum vierten Male in den Genuss einer finanziellen Zuwendung.

Unserer Initiative geht es um nachhaltige Unterstützung dieses Opferkreises. Die Menschen sollen das Gefühl haben, dass wir langfristig Anteil nehmen an ihrem Schicksal und uns auch um ihren Gesundheitszustand und ihre materielle Notlage kümmern. Eine einmalige Geste der Versöhnung reicht nicht aus, denn damit würde gleichzeitig der Eindruck entstehen, die Beschäftigung mit diesem dunklen Kapitel schließen zu wollen. Diese Menschen benötigen unsere kontinuierliche Unterstützung. Durch ihre Deportation nach Deutschland haben sie ihre Jugend verloren, ihre Chancen auf eine solide Ausbildung, haben gesundheitliche Schäden erlitten und wurden in ihrer Heimat häufig nochmals bestraft und jahrzehntelang diskriminiert.

Bedeutung des Besuches für die Zwangsarbeiter

2 Frauen aus Pawlowgrad, Alexandra Bespatjia, und Nina Roschtschina waren vor fast genau 66 Jahren, im Alter von jeweils 16 nach Bobingen deportiert worden, gemeinsam mit Maria Lawrenko, die leider im Juni 2008 verstorben ist.

Frau Alexandra Bespatja empfängt mich schon an der Türe, sie ist ungemein aufgeregt. Als sie mich sieht, eilt sie auf mich zu und küsst mir die Hände, das macht mich sehr verlegen. Aber ihre erste Äußerung gibt mir noch mehr zu denken: "Niemand wollte die letzten Jahrzehnte von uns etwas wissen, danke, dass Sie sich für unser Schicksal interessieren!"

Es ist nicht das Geld, das sie bitter nötig haben bei einer Rente von knapp 100 Euro, es ist die Tatsache, dass die Menschen in Deutschland und in der Ukraine endlich das unsägliche Leid, die Diskriminierung der Zwangsarbeiter nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat, die verpassten beruflichen Bildungschancen, die Tatsache ihrer geraubten Jugend zur Kenntnis nehmen.

Und dann kommen die Erinnerungen spontan aus ihr heraus, ich komme kaum noch mit dem Schreiben mit.

Zwangsarbeit in Bobingen

Der Transport nach Deutschland dauerte zwei Wochen, die Mädchen wurden unterwegs zur Hopfenernte eingesetzt. In Bobingen muss Alexandra mit Maria Lawrenko und Nina in einer Textilfabrik arbeiten. Sie erhält die Häftlingsnummer 293 und schläft mit 14-16 weiteren Mädchen aus Pawlowgrad in einem Raum. Alexandra erinnert sich an die Namen weiterer 7-8 Frauen aus Pawlowgrad, die ebenfalls nach Bobingen verbracht worden sind. Das Lager war in Nationen unterteilt, Russen, Holländer, Franzosen usw. waren alle getrennt untergebracht. Als Aufsicht waren kriegsversehrte deutsche Soldaten eingeteilt, die Mädchen hatten stetige Angst vor Schlägen, aber die männlichen Zwangsarbeiter wurden weitaus schlimmer bestraft. Nach der Befreiung verprügelten diese den Lageraufseher Kugelmann mit der Peitsche, aber Alexandra verspürte Mitleid mit ihm.

Diskriminierung in der Heimat nach Rückkehr aus Deutschland

Wegen ihrer Deportation nach Deutschland wird Alexandra in der Ukraine noch lange diskriminiert. Sie gilt als Prostituierte, weil sie in Deutschland war, sie wird bei jeder Arbeitssuche abgewiesen und muss sich rechtfertigen. Lange Jahre bleibt ihr keine andere Arbeit als die auf der Kolchose, sie hat keine Ausbildung und zudem die schönsten Jahre ihrer Jugend verloren und ist sozial diskriminiert. Als ihr Mann sie nach ihrer Heirat 1954 von der Kolchose loseisen will und ihr die Arbeit als Putzfrau in einer Schule besorgt, bekommt sie die Stelle nur, weil sie verschweigt, dass sie während des Krieges in Deutschland arbeiten musste.

Sippenhaftung

Es ist erschütternd, was ihre Tochter Svetlana erzählt. Sie wurde 1961 geboren, lange nach der Rückkehr ihrer Mutter. Als sie sich als Krankenschwester während des Afghanistankrieges 1983 darum bewirbt, dort helfen zu können, wird ihr Antrag abgelehnt mit der Begründung: ?nicht berechtigt für Auslandsaufenthalt, da beide Eltern nicht zuverlässig sind?. Der Vater Anatoli hatte sich im Krieg geweigert, Kriegsgefangene ins Genick zu schießen und desertierte. Als der Vater schließlich 1951 gefasst wird, wird er in Russland zu 13 Jahren Zwangsarbeit am Belomorkanal verurteilt, erst durch eine Amnestie nach Stalins Tod kommt er frei. Aber er bleibt gebrandmarkt für sein ganzes Leben, es bleiben ihm kaum Möglichkeiten, einen guten bezahlten Beruf zu ergreifen. Die Ironie des Schicksals will es, dass er 1 Monat nach seinem Tod rehabilitiert wird

Alexandra lebt heute gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in einem winzigen Häuschen. Letztes Jahr installierte die Familie dank des mitgebrachten Geldes neue Fenster im Haus, es gab einen Fernseher, dieses Jahr nun soll es eine Wasserleitung geben, vielleicht wird ja auch eine Toilette im Haus installiert.

Weitere Informationen zu Nina Roschtschina, Iwan Sirenko, Iwan Dwirko, Bronislawa Kopatsch, Galina Wassiliewskaja und Olga Jemelina finden sich auf der Homepage www.zwangsarbeit-gersthofen.de unter 1. - 4. Ukrainereise

Diesen Reisebericht können Sie als PDF-Datei downloaden.


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