Eugenik

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Zwei Texte zur Eugenik: a) Vasold, b) Krischke


Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens. Die Quelle des Wahnsinns trockenlegen

Autor: Manfred Vasold

  • Quelle: FAZ Nr. 130 v. 7.6.95

  • Ausgabe: Nr. 130 v. 7.6.95

  • Inhalt: Eugenik Sozialismus SPD


Vor hundert Jahren prägte Alfred Ploetz den Begriff "Rassenhygiene". In den folgenden fünfzig Jahren war diese neue Form des Denkens weit verbreitet. Über die eugenischen Ideen der politischen Rechten wurde seither viel geschrieben, da sie nach 1933 in Deutschland ihre Vorstellungen durchsetzte. Über die eugenischen Ansätze der Linken berichtet Michael Schwartz ("Proletarier und Lumpen, Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens", Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 42. Jg., Heft 4, R. Oldenbourg Verlag, München 1994; siehe F.A.Z. vom 21. Dezember 1994).

Der Anstieg der Geisteskrankheiten und der Selbstmorde seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war für viele beunruhigend. "Das unnatürliche und zunehmend schnellere Anwachsen der geistesschwachen und wahnsinnigen Bevölkerungsschichten, das mit stetem Rückgang bei den tüchtigen, starken und überlegenen Schichten einhergeht, ist eine Gefahr für Nation und Rasse, die gar nicht überbewertet werden kann", schrieb 19 1 0 der - damals liberale - englische Innenminister Winston Churchill. "Ich finde, daß die Quelle, aus der der Strom des Wahnsinns gespeist wird, ausgetrocknet und versiegelt werden sollte, bevor noch ein weiteres Jahr ins Land geht." Churchills Äußerung wurde 1992 zum ersten Mal veröffentlicht.

Zur gleichen Zeit erklärten sich SPD-Reichstagsabgeordnete mit eugenischen Maßnahmen einverstanden. In der Zeitschrift "Die Neue Zeit" drückte Oda 0lberg ihre Furcht vor einer "rapide" erfolgenden erblichen Entartung aus und sprach von einem "Mangel an Zuchtwahl" und einem ",Aufpäppeln der Minderwertigen". In den zwanziger Jahren setzte sich auch Theodor Geiger, SPD-Mitglied und Hochschullehrer, für die Eugenik ein: Es genüge nicht, "die Menschenmassen, die uns mit jedem neuen Zeitalter beschert werden, hinzunehmen, wie sie sind", sie sollten durch Auslese verbessert werden.

Auch die bayerische SPD-Reichstagsabgeordnete Antonie Pfülf war für eugenisehe Maßnahmen. Sie trat im Strafrechtsausschuß des Reichstages für die Sterilisationsinitiativen ihrer Partei ein. Den häufig zitierten SPD-Reichstagsabgeordneten und Mediziner Professor Alfred Grotjahn beunruhigte, daß die "Höherwertigen" weniger Kinder hatten als die Lumpenproletarier: "Man braucht sich ja auch nur in seinem Bekanntenkreis umzusehen, um feststellen zu können, daß die sich besonders auszeichnenden Parteigenossen, Sekretäre, Redakteure und Abgeordnete nur ausnahmsweise eine Kinderzahl von drei oder mehr erreichend."

Sozialistische Eugenik blieb zwar innerhalb der SPD eine Randerscheinung, aber gerade intellektuelle Kreise pflegten sie. Geschätzt wurde sie auch von sozialistischen Theoretikern in England - wie H. G. Wells - und sowjetischen Linken, wie schon Diane Paul hervorgehoben hat ("Eugenics and the Left", in: Journal of the History of Ideas, Bd. 65, 1984). In einigen Ländern wurde bereits in der Zwischenkriegszeit sterilisiert, und zwar auch gegen den Willen der Betroffenen, sogar in den Vereinigten Staaten und in Deutschland vor 1933. Schon in den zwanziger Jahren habe sich, befördert durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der wirtschaftlichen Krisen, ein Einstellungswandel abgezeichnet, stellte Norbert Frei in dem von ihm herausgegebenen Buch "Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit" fest (Oldenbourg Verlag, München 1991). Gegen Ende der Weimarer Republik sei auf kommunaler Ebene bereits "ein fortgeschrittenes Stadium auf dem Weg zur totalen Gesundheitsverwaltung" erreicht worden, schreibt Gräfin von Castell in demselben Band. Und Hans-Walther Schmuhl berichtet, daß man schon vor 1933 in den Heil- und Pflegeanstalten dazu überging, Psychiatriepatienten auch ohne deren Einwilligung zu sterilisieren (in: Michael Prinz und Rainer Zitelmann, Hrsg., "Nationalsozialismus und Modernisierung", Darmstadt 1991).

Während aber die SPD in den zwanziger Jahren nicht über die freiwillige Sterilisation hinausgehen wollte, befürworteten einzelne ihrer prominenten Mitglieder durchaus die zwangsweise Sterilisation. Der SPD-Gesundheitsexperte in der preußischen Landtagsfraktion hielt sie in einigen Fällen für erforderlich. "Mit dem Entwurf des Preußischen Landesgesundheitsrates für ein Sterilisationsgesetz von 1932 war der Weg für das 'Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses' geebnet", befindet demgemäß Peter Weingart (in: "Rasse, Blut und Gene", Suhrkamp, Frankfurt 1987). Daß die Sterilisationen nach Hitlers Machtübernahme so rasch anliefen, hing auch mit den gesetzgeberischen Vorbereitungen und den breiten Überzeugungen in der deutschen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit zusammen. Kommunale Krankenhäuser im Deutschen Reich teilten nach 1933 die Zahl der in ihnen vorgenommenen Sterilisationen ganz offen mit.

Im Januar 1933 verkündete das Verbandsorgan der sozialdemokratischen Lebensreformer, es sei für die menschliche Gesellschaft "wirklich höchste Zeit", der "Überwucherung der minderwertigen Elemente" endlich mit rassenhygienischen Mitteln Einhalt zu gebieten. "Das Recht des Menschen auf sein Leben ist ein bedingtes", hieß es. Zur Verhinderung erblich "Minderwertiger" wurden eugenische Maßnahmen bis hin zur Zwangssterilisation empfohlen. Mit dem in Hitlers Deutschland verabschiedeten NS-Ehegesundheitsgesetz vom 18. Oktober 1935 war sogar die Auslands-SPD noch einverstanden. "Die allgemeine Tendenz des Gesetzes ist nicht zu beanstanden", hieß es in ihrem "Deutschland-Bericht" 1938, obwohl dieses Gesetz gegen "Minderwertige" Eheverbote verhängte.

Manfred Vasold, Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens. Die Quelle des Wahnsinns trockenlegen, in: FAZ Nr. 130 v. 7.6.95


Humanität auf Sparkurs. Zustimmung auch in kirchlichen Kreisen: Eugenik zur Zeit der Weimarer Republik

Autor: Wolfgang Krischke

Quelle: FAZ

Ausgabe: Nr. 50 v. 28.2.96

Inhalt: Eugenik, evangelische Kirche, katholische Kirche, SPD, Zentrum

Die Eugenik hatte seit der Jahrhundertwende viele Anhänger in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Die "Lehre von der Erbgesundheit" gehörte zum ideologischen Bestand bildungsbürgerlicher Zirkel. Ihr lag die sozialdarwinistische Vorstellung zugrunde, daß die moderne Zivilisation die natürliche Auslese außer Kraft gesetzt habe und "minderwertigen" Bevölkerungsteilen zur Ausbreitung auf Kosten der "Höherwertigen" verhelfe. Man machte defekte Erbanlagen für körperliche und psychische Erkrankungen ebenso verantwortlich wie für soziale Mißstände wie Alkoholismus, Prostitution oder Kriminalität.

Die Eugenik galt als naturwissenschaftlich fundiertes Gegenmittel, mit dem sich darüber hinaus die Sozialausgaben senken ließen. Da die Idee einer "vorgeburtlichen Auslese von Keimzellen" medizinisch nicht umzusetzen war, diskutierte man über eugenische Eheberatungen, die Ausstellung von Gesundheitszeugnissen oder die Steigerung der Geburtenraten bei den "Höherwertigen" durch Propaganda und finanzielle Förderung. Zu dieser "positiven" kam die "negative Eugenik": Durch Eheverbote, Unterbringung in Anstalten oder Sterilisation sollten "Erbkranke" an der Fortpflanzung gehindert werden.

"Erbkranke Verbrecher"

Nachdem Kulturpessimismus und Wissenschaftsgläubigkeit der biologistischen Umdeutung sozialer Sachverhalte zu internationalem Erfolg verholfen hatten, erhielt die Eugenik in Deutschland einen zusätzlichen Schub durch den Zusammenbruch von 1918, der vor allem bürgerliche Schichten mit dem Abstieg konfrontierte, und durch die Weltwirtschaftskrise, die Anfang der dreißiger Jahre die Sozialpolitik an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Durch eugenische Maßnahmen Kosten zu sparen, galt jetzt vielfach als Gebot der Stunde.

Eugenische Theorien waren nicht nur in völkischen oder nationalsozialistischen Gruppierungen im Schwange, sondern fanden auch in Teilen des demokratischen Spektrums Zustimmung. Manche Sozialdemokraten zeigten sich gegenüber der Eugenik aufgeschlossen, die sie als Instrument im Kampf gegen das "Lumpenproletariat" betrachteten (siehe "Geisteswissenschaften" vom 7. Juni 1995). Doch auch kirchliche Kreise sowie die ihnen verbundenen Parteien und Verbände bildeten kein anti-eugenisches Bollwerk (Michael Schwartz, "Konfessionelle Milieus und Weimarer Eugenik", in: Historische Zeitschrift, Bd. 261, Heft 2, 1995).

Die Weimarer Eugenik war erfolgreich, weil sie sich in den demokratischen Rahmen einpaßte. Die rabiaten Töne der "Rassenhygiene" aus der Vorkriegszeit wurden gedämpft, ihre völkischen Vertreter mäßigten sich oder verloren an Einfluß, der Begriff selbst geriet zugunsten der internationalen Bezeichnung "Eugenik" in den Hintergrund. Es waren modern eingestellte Ärzte, Funktionäre der Wohlfahrtsverbände und Gesundheits- und Sozialpolitiker, die die Eugenik als seriöse Sozialtechnologie darstellten und sie durch eine medizinische, sachlich klingende Rhetorik in die Politikberatung integrierten. Geldmangel und politische Widerstände begrenzten freilich die Wirkung dieser Politik. Einig war man sich in der Ablehnung eugenisch indizierter Abtreibungen und der "Vernichtung lebensunwerten Lebens". Ein Streitpunkt blieb bis zum Ende der Weimarer Republik die Sterilisation, während die Geburtenförderung "erbgesunder Schichten" durch "Volksaufklärung" Zustimmung fand. Sie ließ sich auch mit den Zielen der kirchlichen Eheberatung vereinbaren.

Zu denen, die eugenisches Denken in das protestantische Milieu trugen, gehörte der Mediziner Carl von Behr-Pinnow. Er nutzte seine Kontakte zur preußischen Gesundheitsbürokratie und seinen Vorsitz im "Bund für Volksaufartung und Erbkunde", um Lehrer, Theologen und kirchliche Wohlfahrtsverbände für eugenische Maßnahmen, eingeschlossen die Sterilisation, zu gewinnen. Eine andere Spielart protestantischer Eugenik entstand auch in der "Inneren Mission". Hans Harmsen, Arzt und Leiter des Referats für Gesundheitsfürsorge - auf ihn geht die Einführung des "Muttertages" in Deutschland zurück - , konnte Eugenik bis hin zur Forderung nach Zulassung der freiwilligen Sterilisation in der offiziellen Verbandspolitik verankern. Eine Art Brain-Trust war die "Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung", die vom Reichsinnenministerium gefördert wurde und deren Geschäftsführer Harmsen war.

In ihrem Vorstand saßen Ärzte, Abgeordnete und Repräsentanten der evangelischen Kirche und ihrer Verbände. Das Thema Sterilisation war hier zunächst umstritten: Während Wilhelm Kahl, DVP-Mitglied, Vorsitzender des Rechtsausschusses im Reichstag und Mitglied des evangelischen Kirchenausschusses, zunächst als entschiedener Gegner auftrat, trat Heinrich Wichern, der Enkel des Gründers der Inneren Mission, für die Sterilisation ein. 1932 wurde der Lehrer und Physiker Bernhard Bavink zum Berater der Inneren Mission. Er setzte sich auch für die zwangsweise Sterilisierung der Nachkommen von "erbkranken Verbrechern" ein. Zwar folgte man ihm nicht, aber der Trend zu eugenischen Positionen verstärkte sich gegen Ende der Weimarer Republik.

"Menschenzüchtungsrummel"

Wortführer im katholischen Spektrum war der Jesuit Hermann Muckermann, Anthropologe am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Als Vorstandsmitglied der Berliner Ortsgruppe der "Gesellschaft für Rassenhygiene" propagierte er die Eugenik als "familienfreundliche Wissenschaft", die die "Erbgesunden" im Rahmen staatlicher Eheberatung fördern und für die Verwahrung der "Erbkranken" in Anstalten sorgen sollte. Auch Muckermann, der von anderen Eugenikern wegen seiner "Halbheiten" kritisiert wurde, radikalisierte Ende der zwanziger Jahre seine Forderungen und trat für die Zulassung der Sterilisation ein. Ähnlich äußerte sich der Freiburger Theologe Joseph Mayer, der die eugenische Sterilisation im Falle eines "gesetzlichen Notstandes" rechtfertigte. Das lag freilich nicht mehr auf der offiziellen Linie der katholischen Kirche, die die Sterilisation verurteilte. Während sich die Eugeniker in ihr als Vertreter eines aufgeklärten Katholizismus sahen, kam entschiedener Widerstand gegen den "Menschenzüchtungsrummel" von rechts-katholischen Kreisen.

Durch pro-eugenische Funktionseliten gelangte die Eugenik in den Reichstag und die Länderparlamente. Treibende Kraft war hier die SPD. Mit ihren Vorstellungen zur eugenischen Eheberatung und zur Anstaltsverwahrung fand sie bei den konfessionell orientierten Parteien Zustimmung. Aber ihre Forderung nach der Zulassung freiwilliger Sterilisationen rief ein gespaltenes Echo hervor. Während die Parteien des protestantischen Spektrums in ihrer Haltung schwankten, lehnte das Zentrum Sterilisationsgesetze lange Zeit entschieden ab. 1932 allerdings machte das preußische Zentrum unter dem Eindruck der Krise in dieser Frage eine Kehrtwendung. Daraufhin erarbeitete man unter Mitwirkung von Hermann Muckermann und Joseph Mayer einen entsprechenden Regierungsentwurf. Neben den hohen Kosten entdeckte man jetzt als Argument für die Sterilisation auch die "Unmenschlichkeit" einer lebenslangen Anstaltsunterbringung von "Erbkranken".

Die wissenschaftliche Haltbarkeit eugenischer Theorien war damals von der medizinischen und biologischen Forschung bereits stark in Frage gestellt worden. Zu den Skeptikern in Deutschland gehörte Otmar Freiherr von Verschuer, Genetiker am Kaiser Wilhelm-Institut. Auf die Politiker und Funktionäre, die die Eugenik befürworteten, machte das wenig Eindruck. Verschuer wiederum wurde nach 1933 zu einem führenden Vertreter der nationalsozialistischen Rassendoktrin.

Wolfgang Krischke, Humanität auf Sparkurs. Zustimmung auch in kirchlichen Kreisen: Eugenik zur Zeit der Weimarer Republik, in: FAZ Nr. 50 v. 28.2.96

 


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Letztes Update dieser Seite: Samstag, 14. Oktober 2000


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