Eine Psychotherapeutin erzählt:
Als ich den 21-jährigen Patienten zum erstenmal zu Gesicht bekomme, habe
ich den Eindruck, daß er die Talsohle der Schwermut bereits hinter
sich hat. Er schaut mich mit klaren Augen an, lächelt und sagt:
"Mir scheint, ich bin wieder an Land,"
Ich erwidere:
"Wenn man so weit unten war, ist das ein tolles Gefühl, nicht
wahr?"
"Ja", sagt er, "wissen Sie, ich war wie ein Stein, den
man ins Wasser geworfen hat, wo ich fiel und fiel. Es war so ähnlich,
als wenn ich in ein riesiges Ungeheuermaul eingezogen würde und als
wenn es ausgeschlossen sei, aus dieser Lage je gerettet zu werden.
Irgendwann wurde es dann besser. Ich träumte von zu Haus, von
unserem Betrieb, davon, daß ich das Unternehmen leite - und als
ich aufwachte, wußte ich auf einmal, daß alles falsch gewesen
war, wie es gelaufen war, daß ich einfach Quatsch gemacht hatte.
Ich hatte mich gedrückt, ich war feige gewesen, war einfach
davongelaufen vor dem, was für mich zu tun nötig gewesen
wäre - und ich hatte mich noch als Held gefühlt.
Na ja, Sie wollen natürlich wissen, was ich damit meine: Mein
Vater hat einen ziemlich großen Verlag, in den habe ich schon
viel hereingerochen. Mich hat der Laden immer interessiert. Mein Vater
ist überhaupt nicht autoritär. Natürlich hat er gesagt,
es würde ihn freuen, wenn ich sein Nachfolger würde - aber
ich könnte mir auch aussuchen, was ich studieren wolle. Es ginge
auch ohne mich. Eigentlich hatte ich das Gefühl, daß das
nicht stimmte. Mir paßte eine ganze Menge nicht an der Art, wie
der Vater das auswählte, was er drucken wollte. Da ging es ganz
einfach oft nur um das Geschäft. Eigentlich müßte
ich mich da reinhängen, merkte ich - aber dann dachte ich wieder
wütend, daß sie doch alles besser wüßten und mich
gar nicht so recht haben wollten. Auf einmal hatte ich das Gefühl:
wenn ich hier nicht zu gebrauchen bin, bin ich überhaupt unbrauchbar.
Da bin ich abgehauen - weg von zu Hause, weg von der Schule.
Nach einer Weile, als mein Geld alle war, bin ich in die Kommune
gegangen. Die Leute da hatten auch ihr bürgerliches Leben
aufgegeben und machten Gelegenheitsarbeiten; das Schlimme war,
daß ich immer bedrückter wurde, morgens einfach nicht
aufstand, nicht arbeitete und mich von den anderen mit durchziehen
ließ. In unserer Wohngemeinschaft gab es deswegen immer
häufiger Krach. Da waren eine ganze Menge dabei, die längst
ausgeflippt waren und nur noch herumlagen. Ein paar nur zogen den Karren.
Einmal kam es zu einem Riesenkrach, Windstärke 12, alle schrien,
einige kloppten sich. Stühle gingen zu Bruch. Und dann sagten
sie, ich sei an allem schuld, ich vermiefte ihnen den Laden, ich
wäre ihr Ruin. Und dann schmissen sie mich raus. Das war eine
verdammte Pleite, mit der bin ich nicht fertig geworden. Da hab ich
mich mit dem Stoff, den ich noch mir hatte, selbst auf die Reise
geschickt. Das hatte ich sonst nur für die andern organisiert.
Ja, und dann fand ich mich hier im Krankenhaus wieder."
Es war nicht mehr viel ärztliche Arbeit nötig. Der junge
Mann hatte selbst erkannt, welchen Weg er nun gehen mußte.
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