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Erzählungen der Bibel als fiktionale Texte- Kanonisierung und Inspiration(Johann Betz) |
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"Les mythes sont faits pour que l'imagination les anime." (Albert Camus: Le mythe de Sisyphe)Dass Bibeltexte keine historischen Berichte sein wollen, hat seit einiger Zeit auch in die Schulbucher für den RU Eingang gefunden. So schreibt z.B. Hübertus Halbfas in seinem "Religionsbuch für das 9./10. Schuljahr" (1991) im Kapitel "Exodusgeschichten": "Die Exodus-Tradition wurde in Israel weitergegeben und immer neu aktualisiert. (...) Erinnerung und eigener Glaube vermischen sich hier. Es sollte nichts erzählt werden, was "früher" geschah, ohne dass es immer noch geschieht." (S. 87) Halbfas - und noch stärker Trutwin (in "Zeit der Freude") - hält hier in älterer Vorstellung noch an der Historizität der erzählten "Fakten" fest, eine Überzeugung, die von jüngeren Autoren weitgehend aufgegeben wurde. Nach Jan Assmann geht es geradezu um "die Erfindung einer normativen Vergangenheit". (Assmann, S. 83) Vom "Christentum als große Erzählung" handelt Willibald Sandlers Aufsatz, der in "DER INNSBRUCKER THEOLOGISCHE LESERAUM theol.uibk.ac.at/itl" zu finden ist. Auch bei ihm geht es darum, dass die Erzählungen der Bibel nicht abgeschlossen sind, sondern "in neuen Kontexten, angesichts neuer Erfahrungen und Herausforderungen" weiter entwickelt werden. Der Bamberger Homiletiker Heinz-Gunther Schöttler vergleicht den biblischen Menschen mit einem "Ruderer, der sich rückwärts in die Zukunft bewegt": Geschichten aus der Vergangenheit werden so gestaltet, dass sie in der Gegenwart Orientierung vermitteln. Voraussetzung dafür ist, dass der ursprüngliche Text genügend "Leerstellen" enthält, die von den Bearbeitern/Redaktoren mit Kommentaren gefüllt und so für ihre Zeitgenossen bedeutsam gemacht werden können. Das Interesse des heutigen Bearbeiters wird dabei umgedreht: Während die ältere Forschung (philologische Textarbeit) sich "um die Erschließung der ältesten und ursprünglichsten Fassung" bemüht und die "Quelle des Sinns" in der "Intention des Autors" sieht, arbeitet die Kanonkritik "umgekehrt die Tendenzen heraus, die das Werden, Wachsen, Zusammenwachsen und Heiligwerden des Textes vorantreiben. Hier interessieren nicht die ursprünglichen Autoren und ihre Intentionen, sondern die Redaktoren und insbesondere die Letztredaktion, die das Ganze zum Kanon zusammenschließt." (Assmann, S. 83) Konsequenterweise versteht Assmann dann auch nicht die Entstehung des ursprünglichen Textes, sondern die "Kanonisierung als einen inspirierten Prozess" (S. 83). Von H.-G. Schöttler habe ich das Beispiel "Ein portatives Heiligtum und der mitziehende Gott" (Ex 25, 8-9; 29,43-46;40,34-38), das er bei einer Fortbildungsveranstaltung für Religionslehrerinnen und Religionslehrer an Gymnasien im Saarland (Lebach, 25. Febr. 2002) entfaltet hat. Einen ähnlichen Prozess beschreibt die
amerikanische Religionswissenschaftlerin Elaine Pagels
in ihrem Buch "Satans Ursprung". Sie
beschreibt, wie in den Evangelien die gegnerische Seite von der
Gemeinde, in der und für die der jeweilige Evangelist
schreibt, mit dem Satan identifiziert wird. An vielen Beispielen
macht sie deutlich, wie ein "Jesuswort" nur aus der
Entstehungszeit der Evangelien verstanden werden kann. Die Verklärung auf dem Berg (Mk 9,2-8) lässt sich auch nach diesem Schema erklären. Allgemeiner lässt sich der Sachverhalt so darstellen: |
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