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Kapitel 34: Neurogenetik | ![]() |
34.3.4.6 Kontaktinhibitoren stoppen axonales Wachstum Bei der Beobachtung von Wachstumskegeln in Zellkultur hat der anthropomorph eingestellte Beobachter nicht selten den Eindruck, daß ein Wachstumskegel sich regelrecht angeekelt von einer bestimmten Kontaktfläche zurückzieht. Axonale Wegwahl ist nicht nur vor die Alternative gut oder noch besser gestellt, sondern es gibt auch ausgesprochen negative Signale. Kapfhammer und Raper (1987) z.B. fanden heraus, daß sich sympathische und visuelle Axone aktiv vermeiden. Bei Kontakt kollabieren die Wachstumskegel, das Axon zieht sich zurück. Die schlechte Regenerationsfähigkeit von Axonen im ZNS von Säugetieren ist ein bedrückender Befund der Unfallmedizin, z.B. bei Querschnittslähmungen. Caroni und Schwab (1988) konnten aus dem ZNS der Ratte zwei potente Inhibitoren der Neuritenbildung in der Myelinfraktion des zentralen Nervensystems isolieren. Die im ZNS das Myelin produzierenden Oligodendrocyten sind ein entsprechend schlechtes Substrat für das Auswachsen von Axonen. Die funktionelle Bedeutung für die Produktion dieser Inhibitoren liegt möglicherweise darin zu verhindern, daß sich verirrte Axone schon etablierten Axonbündeln im ZNS anschließen. Diese Stabilisierung etablierter Traktsysteme durch Kontaktinhibitoren wird allerdings durch den Verlust der Fähigkeit zur Regeneration im ZNS der höheren Vertebraten erkauft. Im PNS und im gesamten Nervensystem niederer Vertebraten werden die aus der Ratte isolierten Inhibitoren nicht gefunden. Entsprechend gut ist hier die Regenerationsfähigkeit ausgebildet. Vielleicht eröffnet das Studium der Inhibitoren bei Säugern langfristig für die Medizin die Chance, Regenerationsprozesse bei Verletzungen des ZNS (z.B. bei Querschnittslähmung) in Gang setzen zu können. Ausgehend von Antikörpern gegen embryonales Nervensystem wurde von der Goodman-Arbeitsgruppe bei der Heuschrecke mit dem Semaphorin I (früher in der Literatur als Fasciclin IV bezeichnet), der Vertreter einer Proteinfamilie isoliert, zu der inzwischen sowohl transmembranständige als auch sezernierte Mitglieder u.a. bei Drosophila (Sema I und Sema II), dem Huhn (Collapsin) und dem Menschen (Sema III) gehören. Die Semaphorine sind durch eine extrazelluläre, etwa 500 AS lange Domäne charakterisiert, in der 14 - 16 Cysteine vorkommen. Ihre Wirkung auf Wachstumskegel ist in zelltypspezifischer Weise abstoßend, d.h. einige Zellen sind betroffen, andere nicht. Sema III z.B. wird vom sich entwickelnden ventralen Rückenmark sezerniert und stößt NGF-sensitive Axone ab, nicht jedoch NT3-sensitive (NGF = Nervenwachstumsfaktor; NT3 = Neurotropher Faktor 3). Die Semaphorine zeigen, daß die Grenze zwischen transmembranständigen und diffundiblen Stoffen fließend ist. Für viele Zelladhäsionsmoleküle ist inzwischen gezeigt, daß ihre extrazelluläre Domäne oder ein Teil hiervon abgespalten werden und als diffundibler Faktor wirken kann. |
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