Primaerliteratur |
Deutschland
| Imperialismus | [P|S|M] |
Wilhelm II. an das erste Expeditionskorps für China (Wilhelmshaven, 2. Juli 1900)
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(S. 86) Am 2. Juli 1900 bestätigte sich die Nachricht, daß der deutsche
Gesandte in Peking ermordet worden war. Das Kaiserpaar traf noch an diesem Tage
in Wilhelmshaven ein; es begab sich sofort auf den Torpedo-Exerzierplatz, wo das
Expeditionskorps - schon in Khakianzügen - in Parade aufgestellt war. Wilhelm
II. richtete folgende Ansprache an die Truppen:
"(S. 87) Mitten in den tiefsten Frieden hinein, für Mich leider nicht
unerwartet, ist die Brandfackel des Krieges geschleudert worden. Ein Verbrechen,
unerhört in seiner Frechheit, schaudererregend durch seine Grausamkeit, hat
Meinen bewährten Vertreter getroffen und dahingerafft. Die Gesandten anderer
Mächte schweben in Lebensgefahr, mit ihnen die Kameraden, die zu ihrem Schutze
entsandt waren. Vielleicht haben sie schon heute ihren letzten Kampf gekämpft.
Die deutsche Fahne ist beleidigt und dem Deutschen Reiche Hohe gesprochen
worden. Das verlangt exemplarische Bestrafung und Rache(1).
Die Verhältnisse haben sich mit einer furchtbaren Geschwindigkeit zu tiefem
Ernste gestaltet und, seitdem Ich euch unter die Waffen zur Mobilmachung
berufen, noch ernster. Was Ich hoffen konnte, mit Hilfe der Marine-Infanterie
wiederherzustellen wird jetzt eine schwere Aufgabe, die nur durch geschlossene
Truppenkörper aller zivilisierten Staaten gelöst werden kann. Schon heute hat
der Chef des Kreuzergeschwaders Mich gebeten, die Entsendung einer Division in
Erwägung zu nehmen.
Ihr werdet einem Feinde gegenüberstehen, der nicht minder todesmutig ist,
wie ihr. Von europäischen Offizieren ausgebildet, haben die Chinesen die
europäischen Waffen brauchen gelernt. Gott sei Dank haben eure Kameraden von
der Marine-Infanterie und Meiner Marine, wo sie mit ihnen zusammengekommen sind,
den alten deutschen Waffenruf bekräftigt und bewährt und mit Ruhm und Sieg
sich verteidigt und ihre Aufgaben gelöst.
So sende Ich euch nun hinaus, um das Unrecht zu rächen, und Ich werde nicht
eher ruhen, als bis die deutschen Fahnen vereint mit denen der anderen Mächte
siegreich über den chinesischen wehen und, auf den Mauern Pekings aufgepflanzt,
den Chinesen den Frieden diktieren.
Ihr habt gute Kameradschaft zu halten mit allen Truppen, mit denen ihr dort
zusammenkommt. Russen, Engländer, Franzosen, wer es auch sei, sie fechten alle
für die eine Sache, für die Zivilisation.
Wir denken auch noch an etwas Höheres, an unsere Religion und die
Verteidigung und den Schutz unserer Brüder da draußen, welche zum Teil mit
ihrem Leben für ihren Heiland eingetreten sind.
Denkt auch an unsere Waffenehre, denkt an diejenigen, die vor euch gefochten
haben, und zieht hinaus mit dem alten brandenburgischen Fahnenspruch: »Vertrau
auf Gott, dich tapfer wehr', daraus besteht dein' ganze Ehr'! Denn wer's auf
Gott herzhaftig wagt, wird nimmer aus der Welt gejagt.«
Die Fahnen, die hier über euch wehen, gehen zum erstenmal ins Feuer; daß
ihr Mir dieselben rein und fleckenlos und ohne Makel zurückbringt!
Mein Dank und Mein Interesse, Meine Gebete und Meine Fürsorge werden euch
nicht verlassen, mit ihnen werde Ich euch begleiten."
(1) Nach nicht-offizieller Version soll der
Kaiser gesagt haben: "Ich hoffe ... Rache zu nehmen, wie sie die Welt noch
nicht gesehen hat."
| zit. nach: Johann, Ernst (Hrsg.), Ansprachen, Predigten und Trinksprüche
Wilhelms II. München 1966, S. 86ff
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