Sekundaerliteratur |
20. Jahrh. | Deutschland | Drittes Reich | [P|S|M] |
Thomas Breuer: Gehorsam, pflichtbewußt und opferwillig - Deutsche Katholiken und ihr Kriegsdienst in der Wehrmacht
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Am 26. April 1933 bemerkte Reichskanzler Adolf
Hitler in einem Gespräch mit dem Osnabrücker Bischof Berning: "Es
droht eine schwarze Wolke mit Polen. Wir haben Soldaten notwendig,
gläubige Soldaten. Gläubige Soldaten sind die wertvollsten. Sie
setzen alles ein"[1].
Sechs Jahre später wurde die Prophezeiung des "Führers" grausige
Wirklichkeit. Mit dem deutschen Angriff auf Polen begann am 1.
September 1939 der Zweite Weltkrieg, der insgesamt etwa 53 Millionen
Menschen das Leben kostete. Die deutschen Katholiken waren wie
selbstverständlich daran beteiligt. Hitler konnte sich auf sie
verlassen. Warum? Was führte dazu, daß Bischöfe und Gläubige ohne
große Diskussion ihren Beitrag zum Blutvergießen im Krieg
leisteten?
Begeisterung für den Nationalsozialismus, für seine
Führer und seine Ideologie war es jedenfalls nicht, was die
Katholiken zur Waffe greifen ließ. Im Gegenteil: Man folgte dem
Aufruf zum Krieg, nicht weil, sondern obwohl die
Nationalsozialisten die Regierung stellten. Denn seit 1933 hatte man
allerhand negative Erfahrungen mit dem NS-Regime gemacht. Partei und
Regierung waren immer härter gegen die katholische Kirche
vorgegangen und hatten sie aus vielen Bereichen der Gesellschaft
zurückgedrängt. Katholische Vereine waren verboten worden,
Konfessionsschulen abgeschafft, die Kirchenpresse geknebelt, der
christliche Glaube lächerlich gemacht; sowohl mutige Priester als
auch engagierte Laien hatten staatliche Willkürmaßnahmen zu erdulden
gehabt. An der Kirchenfeindschaft der Nationalsozialisten konnte im
Jahre 1939 kein Zweifel mehr bestehen. Manch einer war sogar
hellsichtig genug zu erwarten, daß Hitler nach dem "Endsieg" zur
Endabrechnung mit der verhaßten Kirche schreiten würde.
Trotzdem machten die Katholiken mit bei Hitlers
Kriegszügen - zwar nicht begeistert, aber auch nicht widerwillig.
Ihre kirchlichen Führer, die Bischöfe, unterstützten sie bei diesem
Tun – wenn auch nicht mit flammenden Appellen[2],
so doch mit eindringlichen Mahnungen, die an der Legitimität des
Krieges keinen Zweifel aufkommen ließen. Die Frage stellt sich
mithin um so schärfer: Welche Dispositionen, welche
Wertvorstellungen und Mentalitäten ermöglichten es den Katholiken,
für die der nationalsozialistische Führerstaat alles andere als die
Erfüllung ihrer Träume war, bereitwillig und ohne größere Skrupel in
den nazistischen Krieg zu ziehen?[3]
Patriotismus oder: Katholiken sind auch gute
Deutsche
Die deutschen Katholiken hatten seit der Kaiserzeit
als Minderheit mit dem insbesondere von Bismarck geschürten Verdacht
zu leben gehabt, national unzuverlässig zu sein. Als soziale
Großgruppe, die ihre Befehlszentrale "jenseits der Berge" im fernen
Rom hatte, schien die katholische Kirche ein Fremdkörper in der
"verspäteten Nation" zu sein. Die Katholiken versuchten sich von
diesem Odium zu befreien, indem sie immer wieder beteuerten, sich in
der Liebe zum Vaterland von niemandem übertreffen zu lassen. Der
Erste Weltkrieg schien ihnen die Stunde der Bewährung zu sein, mit
der die nationale Außenseiterrolle endgültig überwunden werden
sollte. Doch trotz des bedingungslosen Einsatzes im Krieg und trotz
(oder wegen?) der staatstragenden Rolle der Katholiken in der
Weimarer Republik ließ sich das Stigma des national unzuverlässigen
Kantonisten nicht abschütteln. Der nationalsozialistischen
Propaganda gelang es, alte Vorurteile gegen die "fremdgesteuerten"
Katholiken erneut zu beleben.
Katholischerseits bemühte man sich, allen
Verdächtigungen den Boden zu entziehen. Hitlers Außenpolitik wurde
von den deutschen Bischöfen vorbehaltlos unterstützt. Ob es sich nun
um die Rückgliederung des Saargebietes im Jahr 1935 oder um den
"Anschluß" Österreichs drei Jahre später handelte - die Zustimmung
von Kirchenführern und Kirchenvolk war der Regierung gewiß. Zu
Unstimmigkeiten kam es nur, wenn bei den angesetzten Plebisziten
gleichzeitig eine Akklamation zur NS-Politik im allgemeinen verlangt
wurde. Auch nach Kriegsbeginn im September 1939 gab es kaum ein
Hirtenwort, in dem nicht der Gedanke der Vaterlandsliebe beschworen
wurde. So äußerte der Rottenburger Bischof Sproll die Bitte, Gott
möge den Soldaten Kraft geben, "für das teure Vaterland siegreich zu
kämpfen oder mutig zu sterben", während der Münsteraner Bischof von
Galen den Krieg gar als Konsequenz des Versailler Vertrages
begriff:
"Der Krieg, der 1919 durch einen
erzwungenen Gewaltfrieden äußerlich beendet wurde, ist aufs neue
ausgebrochen und hat unser Volk und Vaterland in seinen Bann
gezogen. Wiederum sind unsere Männer und Jungmänner zum großen
Teil zu den Waffen gerufen und stehen im blutigen Kampf oder in
ernster Entschlossenheit an den Grenzen auf der Wacht, um das
Vaterland zu schirmen und unter Einsatz des Lebens einen Frieden
der Freiheit und Gerechtigkeit für unser Volk zu
erkämpfen".[4] Die Diktion läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß solche
Aufrufe nicht allein aus taktischen Gesichtspunkten erfolgten,
sondern der inneren Überzeugung ihrer Verfasser entsprachen. Auch
bei den Geistlichen und den einfachen Gläubigen war Patriotismus ein
echtes Leitmotiv. Wiederholt wurde der Verdacht zurückgewiesen, die
kirchentreuen Katholiken kämpften in diesem Krieg nur mit halbem
Einsatz. Gute Christen seien nicht feig, sondern "verteidigen das
Vaterland genauso wie andere", erklärten die Bauern in der
Fränkischen Schweiz. Zur Bekräftigung dieser Ansicht erzählten sie
sich gerne eine Geschichte. Danach habe ein Kreisleiter in Nürnberg
in einer politischen Versammlung über das staatsfeindliche Verhalten
der katholischen Kirche geschimpft. Daraufhin habe sich ein in
Urlaub befindlicher älterer Major erhoben und erklärt, er müsse
diese Angriffe zurückweisen, da in seinem Bataillon schon 14 Pfarrer
gefallen seien, aber noch kein Kreisleiter.[5]
Demselben Bedürfnis nach Demonstration des
katholischen Heldentums kam der anfangs 1942 verbreitete
Mölders-Brief entgegen. Der am 22. November 1941 tödlich
verunglückte Oberst Werner Mölders, einer der "erfolgreichsten"
Jagdflieger der deutschen Luftwaffe und erster Träger der höchsten
Tapferkeitsauszeichnungen, hatte in seiner Jugend dem Bund
Neudeutschland angehört und galt als praktizierender Katholik. Der
englische Geheimdienst machte sich die um Mölders' Tod rankenden
Gerüchte, von denen eines besagte, der Oberst sei von der SS
ermordet worden, zunutze und formulierte einen angeblichen Brief des
Jagdfliegers an einen imaginären Propst von Stettin, in dem Werner
Mölders sich nicht nur nachdrücklich zur katholischen Kirche
bekannte, sondern darüber hinaus auch behauptete, durch das Beispiel
der tapferen katholischen Soldaten seien viele der sog.
"Lebensbejahenden", d.h. der Nationalsozialisten, eines Besseren
belehrt worden und hätten wieder zum Glauben gefunden.
Der gefälschte Brief [6],
den die Royal Air Force über Deutschland abwarf, erlebte eine
ungeheuere Resonanz. Die deutschen Katholiken schienen förmlich auf
ein solches Bekenntnis gewartet zu haben. Der Mölders-Brief wanderte
von Hand zu Hand, wurde immer wieder abgeschrieben und
vervielfältigt, in Gottesdiensten verlesen und im
Religionsunterricht verwendet. Der Staat reagierte rasch. Die
Gestapo beschlagnahmte Schreibmaschinen und
Vervielfältigungsapparate, verwarnte die überführten Geistlichen und
machte ihnen zur Auflage, einen im Wortlaut festgelegten Widerruf
über die Fälschung des Briefes öffentlich zu verlesen. Viele
Personen, Kleriker wie Laien, wurden staatspolizeilich verwarnt. Für
manche aber schien der Eifer der Gestapo geradezu ein Beweis dafür
zu sein, daß der Brief doch echt war. Mit dem Mölders-Brief in der
Hand konnten die Katholiken einer feindseligen Umgebung zeigen: "Wir
sind auch Deutsche, wir sind auch national". Das angebliche
Bekenntnisschreiben des tapferen Jagdfliegers diente so als
psychologische Stärkung im Selbstbehauptungskampf gegen den
Nationalsozialismus auf der einen und im opferbereiten Kampf fürs
Vaterland auf der anderen Seite.[7]
Bis zum Schluß glaubte man, für Deutschland, für
das Vaterland zu kämpfen. Daß sie mit ihrem pflichtbewußtem Einsatz
in Hitlers Wehrmacht de facto für die Erhaltung und Ausbreitung des
NS-Regimes kämpften, wurde von den Katholiken durchweg nicht erkannt
und rückte auch nach 1945 kaum ins Bewußtsein.
Autoritätsgläubigkeit
Es war - unter Berufung auf Kapitel 13 des
Römerbriefs - alte katholische Lehre, daß der Christ der
rechtmäßigen Obrigkeit Gehorsam schulde. Dies hatten die Bischöfe
den Gläubigen auch gleich im Jahre 1933 nochmals eingeschärft und
zugleich die starke Betonung des Autoritätsgedankens im neuen Staat
freudig begrüßt [8].
Gehorsam zu leisten, das war für den Katholiken eine schlichte
Selbstverständlichkeit; Gehorsam war gleichsam die katholische
Basistugend. "Ein gutes Kind gehorcht geschwind", hieß es im
Katechismusunterricht. "Keiner kann in Gemeinschaft mit Christus
stehen, der sich nicht dem kirchlichen Lehramt unterwirft", war in
einer Kleinen Laiendogmatik aus dem Jahre 1935 [9]
zu erfahren. Ein damals wie heute bekanntes Kirchenlied lautet:
"Fest soll mein Taufbund immer stehn, ich will die Kirche hören. Sie
soll mich allzeit gläubig sehn und folgsam ihren Lehren. Dank sei
dem Herrn, der mich aus Gnad in seine Kirch berufen hat. Nie will
ich von ihr weichen". Im Katholischen Feldgesangbuch aus dem Jahre
1939 erhielt das Lied eine weitere Strophe: "Will halten, was in
heilgem Eid ich Gott geschworen habe, dem Volke und der Obrigkeit
treu dienen bis zum Grabe! Will wanken und verzagen nicht, die Ehre
lieben und die Pflicht. So wahr mein Gott mir helfe!" [10]
Gehorsam also auch in Kriegszeiten! Der Pazifismus
war keine offizielle katholische Option. Allerdings war es
traditionelle katholische Lehre, daß ein Krieg nur unter bestimmten
Bedingungen gerechtfertigt sei [11].
Doch fatalerweise dispensierte man sich von der Frage, ob es sich um
einen gerechten Krieg handle, mit dem Hinweis, daß darüber allein
die Obrigkeit entscheiden könne [12].
Ganz in diesem Sinne stellte der Bamberger Erzbischof Kolb klar, es
genüge "für den Christen das Unrecht, das seinem Vaterland angetan
wird, der Gehorsam, den er der weltlichen Obrigkeit schuldet, um das
Schwert zu zücken und seinem Fahneneid getreu zu kämpfen" [13].
Auch ohne expliziten Bezug auf die Theorie des "gerechten Krieges"
bedeuteten diese und ähnliche Stellungnahmen zweifellos eine
theologische Legitimation des NS-Krieges, durch die das Gewissen der
Gläubigen gebunden werden sollte.
Bezeichnenderweise konnten die wenigen katholischen
Kriegsdienstverweigerer nicht mit einer Unterstützung durch ihre
Oberhirten rechnen. Es ist aufschlußreich, wie der Linzer Bischof
Fließer, der dem nachdenklichen Katholiken Franz Jägerstätter
während des Krieges die Verweigerung hatte ausreden wollen, noch
1946 argumentierte:
"Ich halte jene idealen katholischen
Jungen und Theologen und Priester und Väter für die größeren
Helden, die in heroischer Pflichterfüllung und in der
tiefgläubigen Auffassung, den Willen Gottes auf ihrem Platz zu
erfüllen, wie einst die christlichen Soldaten im Heer des
heidnischen Imperators, gekämpft haben und gefallen sind. Oder
sind die Bibelforscher und Adventisten, die ‘konsequent’ lieber im
Konzentrationslager starben als zur Waffe griffen, die größeren
Helden?" [14] Mit dem Gedanken, daß eine konsequente Verweigerung
gegenüber dem nationalsozialistischen Krieg das deutlichere
christliche Zeugnis gewesen sein könnte, mochte man sich
offensichtlich nicht beunruhigen. Wer gehorchte und seine (Kriegs-)
Pflicht tat, war nach katholischer Auffassung moralisch auf der
richtigen Seite. Ein gehorsamer Soldat konnte demnach mit sauberem
Gewissen aus einem unsauberen Krieg herauskommen. Eine
Gewissensentscheidung zu treffen, die die Aufkündigung des
staatsbürgerlichen Gehorsams beinhaltete, wurde hingegen dem
katholischen Gläubigen nicht zugestanden.
Der soldatische Dienst als Gottesdienst
Was der Linzer Bischof 1946 nur indirekt ansprach,
wurde in der NS-Zeit selbst oft klar und ohne Umschweife zum
Ausdruck gebracht: die Auffassung, der katholische Soldat erfülle
mit seinem Waffendienst den Willen Gottes. Im Werkblatt für die
katholische Soldatenseelsorge "Die Kasernenstunde" erschien im Juli
1936 ein Artikel, in dem - nach Wiedereinführung der allgemeinen
Wehrpflicht - das soldatische Dienst-Ethos religiös begründet wurde.
Der junge Mensch, so hieß es, solle "das Bewußtsein bekommen, daß
wahrer soldatischer Dienst zuletzt immer Gehorsam gegen fremden
Willen ist, der seinerseits trotz aller menschlichen
Unzulänglichkeit im Einzelfalle im Willen Gottes begründet ist und
daß jeder dienende Gehorsam schließlich im Gehorsam gegen die
unbedingte Person gründet, d.h. im Gehorsam gegen Gott" [15].
Zwar blieb es Feldbischof Rarkowski vorbehalten,
die Befehle Hitlers unmittelbar mit göttlichem Glanz zu versehen,
wenn er in einem Hirtenwort aus dem Jahre 1942 meinte:
"Was diese Zeit fordert an Mühen,
Blut und Tränen, was der Führer und Oberste Befehlshaber der
Wehrmacht euch Soldaten befiehlt und die Heimat erwartet: hinter
all dem steht Gott selbst mit seinem Willen und seinem Gebot."
[16] Doch auch der Gesamtepiskopat glaubte den katholischen
Soldaten die "trostvolle Gewißheit" mit auf ihren strapaziösen Weg
geben zu müssen, "daß ihr ... nicht bloß dem Vaterlande dient,
sondern zugleich dem heiligen Willen Gottes folgt, der alles
Geschehen, auch das Schicksal der Völker und der einzelnen Menschen
in seiner weisen Vorsehung lenkt" [17].
Die Vorsehung führte bekanntlich auch der Mann aus
Braunau gerne im Munde. Natürlich, bei Hitler stand hinter dieser
Rede nicht die christliche personale Gottesvorstellung, seine
Berufung auf den Allmächtigen war eine Instrumentalisierung
religiöser Anschauungen für eigene Zwecke. Aber beweist der
Mißbrauch durch den einen auch schon den rechten Gebrauch durch die
anderen? Oder ist es nicht vielmehr so, daß die Begriffe Vorsehung
und Wille Gottes ein immens hohes Ideologiepotential in sich bergen?
Haben sich nicht auch katholische Bischöfe und Priester zu Unrecht
auf einen göttlichen Willen berufen, wenn es tatsächlich um allzu
menschliche Machenschaften ging? Offenbar steht fromme Rede immer in
der Gefahr, auch noch die schrecklichsten Geschehnisse auf Erden
religiös zu verkleistern.
Furcht vor dem Bolschewismus
"Der Gegensatz zwischen Tag und Nacht, zwischen
Feuer und Wasser kann nicht größer sein als der Gegensatz zwischen
der katholischen Kirche und der bolschewistischen Weltanschauung.
... Nur der Wahnsinn kann den Sieg des Bolschewismus
herbeiwünschen", vernahmen die deutschen Katholiken zum
Weihnachtsfest 1936 aus dem Munde ihrer Bischöfe [18].
An der prinzipiellen Ablehnung der "satanischen Macht" des
Bolschewismus [19]
konnte in der Tat keinerlei Zweifel bestehen. Wie hätte es auch
anders sein können? Die radikale Kirchen- und Religionsfeindschaft
des Bolschewismus war schließlich keine Erfindung des deutschen
Episkopats. Zudem standen den Kirchenführern die Ausschreitungen im
spanischen Bürgerkrieg deutlich vor Augen. Bedenklich ist allerdings
die apokalyptisch anmutende Rhetorik, die im Bolschewismus nicht nur
"eine Pforte der Hölle", sondern gar einen "Vortrupp des Antichrist"
erblickte [20].
Wer eine begründete Gegnerschaft dermaßen in eschatologische
Dimensionen rückte, stand in der Gefahr, rationale Maßstäbe zu
verlieren und auf dem rechten Auge zu erblinden [21].
Es ist deshalb bemerkenswert, daß die deutschen
Bischöfe mit Ausnahme Rarkowskis [22]
den Krieg gegen die Sowjetunion nur mäßig unterstützten. Für
Aufregung bei der NS-Führung sorgte der Umstand, daß der deutsche
Episkopat in seinem Hirtenbrief vom 26. Juni 1941, mithin vier Tage
nach dem Überfall auf die Sowjetunion, die Gläubigen zwar zu "treuer
Pflichterfüllung, tapferem Ausharren, opferwilligem Arbeiten und
Kämpfen im Dienste unseres Volkes" mahnten [23],
aber mit keinem Wort auf den Kampf gegen den Bolschewismus eingingen
und statt dessen lautstark über die Bedrückung der Kirche in
Deutschland klagten [24].
Zwar äußerten die Bischöfe in der Folgezeit dann doch ihre
"Genugtuung" über den "Kampf gegen die Macht des Bolschewismus" [25],
aber zugleich wurden die Gläubigen belehrt, man dürfe auch die
"Vorboten und Vorkämpfer des Bolschewismus" in der Heimat nicht
übersehen [26].
In der Tat: Da Bolschewismus für die Katholiken letztlich identisch
war mit Gottlosigkeit und Feindschaft gegen das Christentum, war es
nur konsequent, den Nationalsozialismus in die Nähe des
Bolschewismus zu rücken. Zwar hielt man das sowjetische Original
immer noch für schlimmer als das nationalsozialistische Regime
daheim, aber der Elan im Kampf gegen die "satanische Macht" des
Bolschewismus wurde durch die kirchenfeindlichen Maßnahmen der
NS-Regierung zweifelsohne empfindlich gedämpft.
Der Soldatentod als Märtyrertod?
"Das Vaterland darf jedes Opfer fordern" - dieser
Ausspruch Theodor Körners, mit dem die katholischen Soldaten in
ihrem Feldgesangbuch konfrontiert wurden, bezeichnet treffend die
fatalistische Haltung, mit der die Katholiken sich in ihr Schicksal
fügten und dem "Führer" Adolf Hitler ihre Kampfkraft zur Verfügung
stellten. Opferwilligkeit erwarteten auch die Bischöfe von ihren
Gläubigen. Als Belohnung wurde ihnen die "ewige Seligkeit" in
Aussicht gestellt, da der Soldatentod dem "Martertod um des Glaubens
willen" gleiche [27].
Wie sehr der Opfergedanke tatsächlich auch bei
jungen Katholiken virulent war, zeigt eindrücklich der Bericht über
die Symbolhandlung, die Soldaten beim Tod von Hans Niermann, des
ehemaligen Reichsführers der katholischen Jugendorganisation
"Sturmschar", im Juni 1940 in einer französischen Dorfkirche
vornahmen:
"Nun liegt er tot vor uns, Hans,
unser lieber Kamerad. [...]. Wir tragen ihn in die Kirche - und
legen ihn auf die Stufen des Altars, mit dem Kopf nach oben. Ein
Kamerad nimmt ein Altartuch und legt es unter den Toten, wir
hüllen den Körper in eine Zeltbahn und stellen Altarkerzen zu
beiden Seiten. Sie brennen die ganze Nacht. In das Opfertuch des
Altars eingehüllt, die Hände in Kreuzesform auf die Brust gelegt,
so liegt Hans nun selbst als Opfergabe vor dem Altar des Herrn, so
brachte er sein großes Opfer dar." [28] Der Soldatentod erhielt als Opfertod eine gleichsam sakrale
Qualität. Offenbar kam niemand auf den Gedanken, daß der christliche
Gott vielleicht gar keinen Geschmack an Menschenopfern finden könne.
Hier rächte es sich, daß die katholische Tradition des Christentums
den Charakter einer Opferreligion nie ganz abgestreift hatte. Durch
die einseitige Interpretation des Todes Jesu als Opfertod wurde das
Opfer mystifiziert und so der kritischen Reflexion entzogen. Sich
(im Krieg) zu opfern, galt als Akt der Christusnachfolge. Daß man
dabei in der Regel auch andere opferte, geriet schnell in
Vergessenheit.
1 Akten dt. Bischöfe
über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. 1, hg. v. B.
STASIEWSKI (Mainz 1968) 102. 2 Unter den katholischen Würdenträgern bildete
Feldbf. Rarkowski, ein glühender Hitler-Verehrer, der in seinen
Hirtenbriefen kaum ein nat.soz. Klischee ausließ, eine Ausnahme. Er
wurde von seinen Amtsbrüdern kritisch beäugt und nicht zu den
Sitzungen der Fuldaer Bf.konf. eingeladen: H. MISSALLA, Wie der
Krieg zur Schule Gottes wurde. Hitlers Feldbf. Rarkowski (Oberursel
1997). 3 Zum
Thema Kath. Kirche und Zweiter Weltkrieg: H. MISSALLA, Für Volk und
Vaterland (Königstein 1978); H. HÜRTEN, Kath. Kirche und nat.soz.
Krieg, in: Die dt. Eliten und der Weg in den Zweiten Weltkrieg, hg.
v. M. Broszat, K. Schwabe (München 1989) 135-179; A. LEUGERS, „Opfer
für eine große und heilige Sache“: Kath. Kriegserleben im nat.soz.
Eroberungs- und Vernichtungskrieg, in: Volksreligiosität und
Kriegserleben, hg. v. F. Boll (Münster 1997) 157-174; Dem Führer
gehorsam, hg. v. TH. BREUER (Oberursel 1989). 4 Diese und weitere
„vaterländische“ Hirtenworte in: BREUER (A. 3) 14-17. 5 TH. BREUER, Verordneter Wandel?
(Mainz 1992) 300. 6 H.
WITETSCHEK, Der gefälschte u. der echte Mölders-Brief, in: VfZ 16
(1968) 60-65. 7
BREUER (A. 5), 300f. 8 Ebd. 86ff. 9 CH. BEILMANN, Eine kath. Jugend in Gottes u.
dem Dritten Reich (Wuppertal 1989) S.235. 10 BREUER (A. 3) 35. 11 Die drei klassischen Bedingungen
des „gerechten Krieges“ for-mulierte Thomas von Aquin (Summa
theologiae II-II, 40,1). Danach muß ein Krieg erstens auf Befehl der
legitimen Obrigkeit geführt werden, zweitens einen gerechten Grund
haben, d.h. der Kriegs-gegner muß ein zu ahndendes Unrecht begangen
haben, und drittens in der rechten Absicht geführt werden, d.h. die
Kriegführenden müssen entweder das Gute mehren oder das Böse meiden
wollen. 12 Erzbf.
Gröber bereits 1935: BREUER (A. 3) 8; vgl. auch die Äußerung
von Galens aus dem Jahr 1938: „Ob und inwiefern ein Krieg gerecht
ist, kann niemals dem Urteil des einzelnen, etwa dem des Soldaten,
unterliegen, so daß er die Bereitschaft, sein Leben einzusetzen,
davon abhängig machen könnte. Solches zu entscheiden, ist Sache der
Führung“, zit. nach BEILMANN (A. 9) 366. 13 BREUER (A. 5) 297f. 14 R. FENEBERG, Max Josef Metzger -
ein politischer Theologe, in: Auf dem Weg zu einem Friedenskonzil.
hg. v. d. Pax-Christi-Bewegung, Dt. Sekretariat (Frankfurt
1987) 17. 15 BREUER
(A. 3) 12. 16 Ebd.
25. 17 Hirtenwort v.
26.6.1941, ebd. 18 18
Hirtenwort des dt. Episkopats v. 24.12.1936, ebd. 10. 19 Ebd. 9. 20 Ebd. 21 Für Bf. von Galen war Franco der
„spanische Befreier“: BEILMANN (A. 9) 78. 22 Der Feldbf. übernahm die
rassistische Sprache der Nat.soz. und sprach von einer
„Auseinandersetzung mit dem bolschewistischen Untermenschentum“:
ebd. S. 26. Allerdings war der Paderborner Erzbf. Jaeger nicht weit
entfernt von dieser Begrifflichkeit, wenn er in einem Hirtenbrief
vom Februar 1942 die Gläubigen mahnte: „Schaut hin auf Rußland! Ist
jenes arme unglückliche Land nicht der Tummelplatz von Menschen, die
durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christushaß fast zu
Tieren entartet sind? Erleben unsere Soldaten dort nicht ein Elend
und ein Unglück sondergleichen? Und warum? Weil man die Ordnung dort
nicht auf Christus, sondern auf Judas aufgebaut hat“; zit. nach H.
GRUß, Erzbf. Jaeger als Kirchenführer im Dritten Reich (Paderborn
1995) 407f, dessen Entlastungsversuche nicht zu überzeugen vermögen,
vgl. meine Rez. in ThRv 94 (1998) 78f. 23 BREUER (Anm. 3) 17. 24 Goebbels sprach in seinem
Tagebuch von einem „Dolchstoß des kath. Klerus in den Rücken unserer
Kriegführung“: HÜRTEN (A. 3) 176f. 25 Die westdt. Bischöfe im März 1942: BREUER (A. 3)
19. 26 Erzbf.
Faulhaber im Dezember 1941: BREUER (A. 3) 18. 27 Bf. von Galen in seinem
Fastenhirtenbrief 1944, zit. nach LEUGERS (A. 3) 164. 28 BEILMANN (A. 9) 186; vgl. auch
LEUGERS (A. 3) 161-163.
| erschienen in: Stimmen
der Zeit 217 (1999) 37-44
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(digitale Edition für psm-data mit freundlicher Genehmigung durch den Autoren) 
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