Kapitel 34: Neurogenetik

34.5.4.6 Endogene Oszillatoren in anderen Organismen

Wenn die Hypothesen zutreffen, daß das Period-Protein eine zentrale Rolle bei der endogenen Rhythmik spielt und daß innere Uhren stammesgeschichtlich sehr alt sind, dann sollte das period-Genprodukt oder wenigstens der Mechanismus der inneren Uhr in der Evolution konserviert worden sein. Tatsächlich lassen sich mit Antikörpern gegen Period von Drosophila melanogaster putative circadiane Schrittmacherneurone in vielen Invertebraten darstellen. Innerhalb der Insekten wurden period-Homologe durch PCR-Techniken bereits mehrfach kloniert und durch transgene Transfertechniken in Drosophila funktionell getestet.

In der Retina des Seehasen Aplysia sind mit elektrophysiologischen Ableitungen und intrazellulären Farbstoffmarkierungen Neurone mit circadianen Schrittmacherqualitäten identifiziert worden, deren Axone durch den optischen Nerv in das ZNS ziehen. Von einer anderen Meeresschnecke, Bulla, ist bekannt, daß etwa 100 Schrittmacherneurone in der basalen Retina über elektrische Synapsen miteinander interagieren. In beiden Organismen lassen sich die Schrittmacherneurone mit dem anti-Period-Antikörper darstellen. Mehr noch, wie im visuellen System von Drosophila unterliegt die anti-Period-Immunoreaktivität auch in den Meeresschnecken einer circadianen Periodik. Es scheint also nicht nur so zu sein, daß strukturelle Elemente des Period-Proteins konserviert worden sind, sondern auch die zeitliche Regulation der Genexpression unterliegt vergleichbaren Regeln.

Neurospora: das frequency-Gen

Über die innere Uhr des Ascomyceten Neurospora crassa ist innerhalb sehr kurzer Zeit viel Grundlegendes bekannt geworden. Es wurde ein Gen identifiziert, das die circadiane Periodik in ähnlich zentraler Weise beeinflußt wie period die von Drosophila. Obwohl der Pilz kein komplexes Verhalten zeigt wie Metazoen, lassen sich rhythmische Vorgänge bei der Konidienbildung beobachten. Verschiedene Allele des frequency-Gens verlängern oder verkürzen die circadianen Oszillationen, oder heben jede Rhythmizität auf. mRNA des Gens fluktuiert mit circadianer Periodizität in ähnlicher Weise wie die von period und in arrhythmischen Mutanten sind auch diese Fluktuationen unterbunden. Überexpression des Gens mit Hilfe eines heterologen Promotors unterbindet circadiane Oszillationen des wildtypischen Genproduktes, wie es bei einem propagierten autoinhibitorischen Feedback-Mechanismus der Fall sein müßte. Nichtrhythmische, unregulierte Expression des frequency-Gens in Nullmutanten von einem heterologen Promotor allein stellt die Periodizität nicht wieder her. Wie Period unterliegt auch Frequency einer zunehmenden und tageszeitspezifischen Phosphorylierung.

Trotz dieser augenscheinlichen Ähnlichkeiten zwischen frequency und period, die auch kurze Regionen mit Sequenzhomologien einschließen, lassen zahlreiche Unterschiede in der Funktion und der Struktur die Möglichkeit zu, daß es sich bei den beiden biologischen Schrittmachern nicht um phylogenetisch homologe Systeme handelt, sondern vielleicht eher nur um funktionell analoge Systeme. Die mRNA des frequency-Gens durchläuft zum Beispiel Oszillationen mit entgegengesetzter Phase; während period-mRNA während der Lichtperiode ein Minimum aufweist und erst nach Stunden Dunkelheit maximal ist, zeigt frequency genau den umgekehrten Zyklus. Wie später noch eingehender erläutert, reagiert frequency schnell und direkt auf Lichtimpulse mit einer Phasenverschiebung seiner Transkription und Translation, während period in der zeitgeberinduzierten Signalkette weiter unten steht. Parallelen zwischen diesen beiden Systemen existieren daher im Augenblick vor allem konzeptionell. Es bleibt abzuwarten, ob verschiedene Organismen überlappende Uhrenkomponenten aufweisen. Das Prinzip eines autoregulatorischen Feedback-Loops auf der Ebene der Genexpression scheint jedoch universell verbreitet zu sein.

Bei der bereits angesprochenen Frage nach der Temperaturkompensation des inneren Oszillators konnte man durch die Entdeckung von Mutationen des frequency-Gens einen großen Schritt weiterkommen. Einige Allele weisen eine Abnahme der Periodik mit steigender Temperatur auf, so daß die Periodizität zu einem Maß der Umgebungstemperatur wird. Es stellte sich heraus, daß in diesem Allel nur eines von zwei Leserastern des Gens transkribiert wird. Normalerweise stellt das frequency-Gen zwei unterschiedliche Transkripte her. Aufgrund dieser Entdeckung wurde näher untersucht, welche Mengen der beiden Polypeptide unter verschiedenen Außenbedingungen gebildet werden, mit dem Ergebnis, daß bei hohen Temperaturen die Translation bevorzugt am ersten Startcodon beginnt, und sich somit das etwa 100 Aminosäuren größere Polypeptid anreichert. Wird eines der beiden Startcodons experimentell eliminiert, verliert die Neurospora-Uhr ihre Temperaturkompensation.

Mensch und Maus: das clock-Gen

Rund ein Vierteljahrhundert nach der Entdeckung des period-Gens in Drosophila ermöglichten es Fortschritte in der Maus-Genetik, eine genetische Basis für endogene Periodizität nachzuweisen und einen der betreffenden Loci zu kartieren und schließlich zu klonieren. Mäuse zeigen eine ausgeprägte Tendenz zum Laufen während der Aktivitätsperioden, was durch automatische Aufzeichnungsmethoden einfach zu registrieren ist (Abb. 34-73). Außerdem verhalten sich viele Periodizitätsmutationen semidominant, was die Suche nach Phänotypen vereinfacht, denn es müssen keine homozygoten Linien vor der ersten Datenaufnahme produziert werden. Erwartungsgemäß behalten auch Mäuse, die in Dauerdunkel gehalten werden, eine Rhythmik bei, die bei den gängigen Inzuchtstämmen etwas weniger als 24 Std beträgt. Kurze Lichtimpulse können die innere Uhr verstellen, bzw. wieder einregeln. Eine groß angelegte Mutagenese produzierte Nachkommen mit deutlich verlängerter Periodizität. Homozygote Individuen zeigten eine weitere Verlängerung des endogenen Rhythmus mit der Tendenz, die Periodizität nach einigen Zyklen ganz zu verlieren. Allerdings kann deren Rhythmizität durch einen einzigen 6-stündigen Lichtimpuls wiederhergestellt werden. Um die Vererblichkeit des phänotypischen Defektes nachzuweisen, wurden einzelne heterozygote Tiere mit wildtypischen Individuen rückgekreuzt. Das Ergebnis (Abb. 34-73E) zeigt, daß sich die Nachkommenschaft in zwei gleich große Klassen spaltet: solche mit wildtypischer Periodik und solche mit verlängerter Rhythmik. Das Zahlenverhältnis der Phänotypen reflektiert somit die bei semidominantem Erbgang zu erwartende Segregationsrate. Das Gen wurde clock genannt, was ironischerweise steht für circadian locomotor output cycles kaputt. Durch Rekombinationsanalysen wurde der clock-Locus kartiert, was den Grundstein für die Klonierung des Gens legte.

Bei der molekularen Charakterisierung des clock-Gens stellte es sich heraus, daß es für ein Protein mit basischer Helix-Loop-Helix-Domäne (bHLH) und einer Dimerisierungsregion codiert, die man zuvor PAS-Domäne genannt hatte, basierend auf den Initialen der anderen Proteine, in denen man diese Sequenz zuerst gefunden hatte: dem Drosophila period-Gen, dem Aryl-Kohlenwasserstoffrezeptor und dem Drosophila single-minded-Genprodukt! Außerdem weist das clock-Genprodukt eine glutaminreiche carboxyterminale Region auf, die wiederum typisch ist für Transaktivierungsdomänen von Transkriptionsfaktoren. Inzwischen sind zahlreiche Proteine mit der charakteristischen PAS-Domäne bekannt, darunter Produkte weiterer Drosophila-Gene mit der Funktion von putativen "Master-Regulator"-Genen, die eine zentrale Funktion in der Entwicklung einzelner Gewebe einnehmen (z.B. trachealess, trh). Aber auch aus Vertebraten wurde eine ganze Reihe solcher Gene isoliert, darunter solche, welche die Transkription von downstream-Genen bei zellulären Streßsituationen induzieren. Eine funktionelle Gemeinsamkeit dieser Gene ist, daß sie ihre eigene Transkription regulieren, und darin könnte der Schlüssel für die Funktionsweise der endogenen Oszillatoren liegen.

Trotz der augenscheinlichen Ähnlichkeit von clock mit dem Drosophila-Uhren-Bauteil period auf molekularer Ebene muß man mit Rückschlüssen auf einen gemeinsamen Schrittmachermechanismus in Insekten und Wirbeltieren vorsichtig sein. Die Homologie zwischen den beiden Proteinen beschränkt sich auf die Dimerisierungsdomäne, die im Falle von Drosophila das Produkt des timeless-Gens bindet. Weder Timeless noch Period besitzen eine DNA-bindende Domäne und stellen im Verbund wahrscheinlich die Aktivatoren eines nachgeschalteten Vorganges dar (Abb. 34-68). Wie im Abschnitt proneurale Gene (s. 34.1.1) ausführlicher beschrieben wurde, binden bHLH-Proteine an eine sogenannte E-box-Sequenz in den Enhancern von Zielgenen, deren Transkription sie beeinflussen. Aktuelle Resultate haben eine solche Consensus-Sequenz oberhalb des period-Gens entdeckt. Es wird deshalb gemutmaßt, daß clock ein Master-Regulator für die Transkription von downstream-Effektoren wie zum Beispiel period und timeless sein könnte.

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