"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
103. Brief
Potsdam, 18. Mai 1875.
Liebste Agnes! Das ausnehmend schöne
Frühlingswetter, das diesmal die Pfingsttage begünstigt, läßt mich
doppelt bedauern, daß Du nicht mit nach Potsdam reisen konntest und
bei unseren Kindern zu Hause bleiben mußtest. Hoffentlich geht es den
armen kleinen Tierchen wenigstens jetzt besser. Es war mir recht
beruhigend, wenigstens Walter besser zu verlassen, und ich
hoffe sehr, daß bei dem herrlichen Wetter auch unsere beiden Mädelchen
sich rasch bessern werden. Ich erwarte übermorgen bestimmt
Nachricht.
Von der Reise nach Weimar und dem Abend dort am
Sonnabend wird Dir Strasburger erzählt haben, den ich bat, Dir die
Schlüssel zu bringen. Die Fahrt mit Danz und Str. war recht hübsch. Wir
gingen an dem schönen Abend noch eine Stunde im Park spazieren, mit
Reminiszenzen an Goethe. Um 8 Uhr wurden wir zu Hofe befohlen. Um 9
Uhr hielt ich meine Vorlesung über die Korallen, die sehr gefiel. Sowohl
der Großherzog wie die Großherzogin bedankten sich mehrmals und
bedauerten, daß sie zu rasch alle gewesen sei. Am meisten machte mir
(wie immer!) die Erbgroßherzogin die Cour. Es war gut, daß Du nicht
dabei warst, Du würdest sonst sehr eifersüchtig geworden sein! Sie
verlangte dringend ein Exemplar der Anthropogenie, von mir
selbst, mit eigenhändiger Dedikation, zu besitzen! Gelesen
hatte sie das böse Buch schon! - Erst um 11 1/2 Uhr wurden wir
entlassen. Ich saß bei Tisch mit den beiden Fürstl. Damen und mit
Liszt zusammen! Nachher mußte ich noch eine Stunde mit anderen
Zuhörern Bier trinken und kam erst um 1 Uhr zu Bett. Um 4 mußte ich
schon wieder heraus, fuhr um 5 mit einem Extrazug nach Halle und war
in Potsdam um 2 Uhr. Die Menschenfülle war fürchterlich, so daß man
kaum Billets bekommen konnte. - Hier ging ich gleich zu meinem Bruder,
wo ich meine Mutter zu Tisch fand. Die Überraschung war sehr groß, da
sie mich erst Mittwoch erwartet hatten . . . Gestern
(Pfingstmontag) machten wir bei herrlichstem Wetter eine größere Partie
nach Templin, Kaputh, Baumgnolenbrück, 11 Personen in einem
großen Wagen! Wie gern hätte ich Dich und unsere Kleinen mitgehabt!
Hoffentlich habt Ihr wenigstens den Garten bei dem prächtigen Wetter
recht genossen . . .
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