"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
120. Brief
Jena, den 29. März 1877.
Liebster bester Mann! Unsere Korrespondenz ist
diesmal recht mangelhaft und unbefriedigend, nicht darin, daß Du mir
etwa nicht lieb schriebest, nein durchaus nicht, im Gegenteil, aber
insofern, als die Briefe furchtbar lange gehen und ich bis jetzt noch
keinmal Antwort auf eine meiner Fragen an Dich bekommen habe. Du
klagst, daß Du lange keinen Brief von mir bekommen hast, das begreife
ich nicht, ich habe nun 5 Briefe an Dich geschrieben und weiß bis jetzt nur, daß die zwei ersten in Deine Hände gelangt sind, vielleicht
ist einer verlorengegangen. Ich habe bis jetzt immer poste restante
adressiert. Froh bin ich, daß Du gesund bist, liebstes Herz, aber
zerstreut mußt Du rasend sein, Du machst schöne Geschichten,
verwechselst Briefe, adressiert die Deiner liebenden Gattin zugedachten
Zeilen an Deine Mutter, die Deine lieben, zärtlichen Worte mit Wonne
liest, und ich hingegen war sehr enttäuscht beim Öffnen des Briefes, ihn
an Deine gute Alte gerichtet zu finden, den ich mir natürlich auch die
Freiheit nahm zu lesen. Du bist ein rührend guter Sohn, das muß wahr
sein, aber zerstreut, ei ei!, woher mag das kommen? Na, Deiner Alten
scheinst Du viel Freude damit gemacht zu haben.
Bei uns ist jetzt ebenfalls recht schönes Wetter
eingetreten, und die Kinder genießen es so recht . . .
Diese Woche ist Minna gegen den Staub zu Felde gezogen, ich habe die
Schlacht dirigiert und sitze eben siegreich, aber sehr ermüdet in meinem
blanken Stübchen. So ein Scheuerfest gehört zu den unangenehmsten
Seiten der Häuslichkeit . . . Von Dr. Casanova kam ein
Brief, in dem er Dich bittet, ihm zu erlauben, Dir ein Buch über Biologie
generale widmen zu dürfen. Gute Nacht, die Augen fallen mir zu von all
der Tageslast . . .
Brief 119..........................................................................................Brief 121

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