"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
173. Brief
Potsdam, 7. April 1888.
Liebste Frau! Hoffentlich trifft Dich diese Gruß in
bestem Wohlsein und hast du inzwischen die letzten Reste Deiner
Krankheit abgeschüttelt. Diese ganze Woche hast Du nun allein Deine
drei hoffnungsvollen Kinder zusammen genossen, was lange nicht der
Fall war. Über den Besuch in Weimar am dritten Osterfeiertag wird Dir
Walter wohl bereits vollständig berichtet haben.
Ich war sehr zufrieden, daß Walter gleich ein so gutes
Quartier und eine ordentliche Wirtin fand . . . In den
3 Tagen, die ich in Berlin war, verwendete ich die Morgenstunden zu
Besuchen bei meinen drei Malerfreunden (Eschke, Körner, Knille).
Sie waren alle drei der Ansicht, daß Walter am besten zunächst 1-2 Jahre
in Weimar bleibe und tüchtig Figuren zeichnen lerne; die Akademien in
München und Berlin seien überfüllt, der Unterricht für Anfänger
oberflächlich.
Mittwoch mittag war bei Reimers, abends im
Deutschen Theater, wo ich "König und Bauer" von Lope de Vega sah, ein
altmodisches Stück, aber ausgezeichnet gespielt . . .,
Freitag in der National-Galerie und dann in der Kunst-Ausstellung im
Architekten-Hause, woselbst ein prachtvolles Kolossalbild von Makart:
"Bacchus und Ariadne", wunderbare
Farbenglut . . .
Berlin bot diesmal einen sehr öden Anblick, da die
Landestrauer über den Tod des Kaisers noch fortdauert. Alle Damen
schwarz gekleidet, seit 4 Wochen!, alle Herren mit schwarzen Bändern,
die Läden voll von Kaiserbildern (zum Teil scheußlich!). Der
neue Kaiser Friedrcht III. soll sehr elend sein. Viktoria ist sehr
verhaßt . . .
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