"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
20. Brief
Jena, den 23. August 1868.
Mein lieber, geliebter Mann! Wie habe ich mich schon
nach Dir gesehnt, stündlich, jede Minute. Wenn das so fort geht, weiß ich
nicht, was aus mir werden soll! - Ich nehme mich aber sehr vernünftig
zusammen und sage mir immer vor, daß es für meinen liebsten
Herzensschatz dringend nötig war, mal ordentlich frische Luft zu
schöpfen und etwas anderes zu denken als seine abscheulichen
Affen.
Alle Menschen sind hier ganz erstaunt, daß dieser
hartherzige Professor sein armes kleines Frauchen jetzt so allein
läßt, und finden es fast unbegreiflich. Frau H. und Frau F., bei welch
letzterer ich gestern zum Kaffee war, frugen: "Nun, Ihr Mann bleibt doch
wohl nur eine Woche?", und als ich dies verneinte, machten sie große
Augen und sagten tröstend zu mir: "Nun, Sie haben ja Ihre Mutter." Ja, so
bist Du, Du hartherziger Mann (?!).
Wie geht es Dir, mein liebstes, süßes Herz, hast Du
Dich schon etwas erfrischt und bekommt Dir das liebe Bayrische Bierle?
Ach, wie ich mich nach einem Brief von Dir sehne, laß mich ja nicht lange
warten, hörst Du wohl? . . . Freitag ist das
ganze Logis gründlich gereinigt worden, so daß es heute wieder recht
sauger und nett aussieht. Mit Schrecken vermißte ich in Deiner Stube
Annas Bild und Allmerīs Malerei und dachte in der ersten Bestürzung,
sie wären in der Nacht gestohlen worden, oder sonst was Dummes, bis mir
einfiel, daß mein seltsamer Ernst es wohl weggeschlossen haben
würde, da er seinem Frauchen doch nicht zu vertrauen scheint, und ihr
auch kein Wort von gesagt hat, das hat ihr weh getan!
Von Deiner Mutter habe ich bereits zwei Briefe und
werde ihr heute noch antworten, sie wünscht sehr, Nachricht zu haben,
und ich wußte nicht, ob Du schon an sie geschrieben habest. - Sie ist ein
paar Tage unwohl gewesen und hat viel Arbeit, wie immer,
gehabt . . . Deine Mutter kannīs gar nicht aushalten
ohne ihr vergöttertes Goldsöhnchen, ihr entzückendes Ernstchen!! Wie
geht es Deinem lieben Freund Allmers, habt Ihr Euch richtig getroffen
und hält er Dich versprochenermaßen von allem übermäßigen Laufen ab?
Grüße ihn herzlich von mir; wie leid tat es mir, daß ich nicht habe
frischer mit Euch sein können, vielleicht ein anderes Mal! Ich werde jetzt
noch zu Mutter gehen, das Alleinsein ist doch zu abscheulich, kein
Bissen schmeckt, wie er sollte. Für heute lebe wohl, mein liebster,
unendlich lieber Mann, und schreibe bald Deiner traurigen
kleinen Frau!
Brief 19..........................................................................................Brief 21

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