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Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel |
"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
205. Brief
München, 9. September 1896.
Liebstes Röschen! Soeben habe ich hier durch
Professor Max Deinen lieben Brief vom 6. 9. erhalten und freue mich
sehr über die guten Nachrichten . . . Ich
hatte in Salzburg 3 (ausnahmsweise) schöne Tage. Am 3. September war
ich auf dem Mönchsberg und besuchte nachmittags Prof. Müllner,
den jetzigen Rektor der Universtität Wien, an den mich mein Freund
Carneri besonders empfohlen hat. Er ist ein sehr interessanter und
geistreicher Mann, war früher katholischer Theologe und ist durch meine
Nat. Schöpfungsgeschichte zum Monismus bekehrt worden. Dann ist
er aus der theol. Fakultät ausgetreten und in die philosoph. hinüber, wo
er jetzt Psychologie liest! Du kannst Dir denken, wie sehr es mich
interessierte, mit diesem erfahrenen und vorurteilsfreien Denker mich
über unsere Weltanschauung und deren Begründung allseitig
auszusprechen. Prof. Müllner ist auch Erzieher und Pflegevater der
Dichterin delle Grazie (Robespierre, Italienische Vignetten etc.).
Sie wohnt bei ihm in Wien und ist eine sehr merkwürdige Dame, offenbar
in Wien sehr verehrt und verwöhnt. Von den Männern scheint sie im
allgemeinen eine sehr ungünstige Meinung zu haben. Sie treibt jetzt
vorzugsweise historische und soziale Studien. - Freitag machten wir
zusammen eine sehr hübsche Spazierfahrt nach dem Park Aigen (1 Stunde
vo Salzburg): Prächtige Baumgruppen und hübsche Blicke auf Watzmann
und Stauffen. Nachmittags besuchte ich die Gemälde-Ausstellung im
Künstlerhaus von Salzburg (wenig Bedeutendes!). Darauf ging ich
nochmals auf den Mönchsberg mit seinen herrlichen
Aussichtspunkten und gedachte unseres früheren Besuchs (bei
Gewitter!). Sa., 5. September, war ein herrlicher Vormittag, den ich
benutzte, um mit der neuen Zahnradbahn von Salzburg (in 1 Stunde) auf
den Gaisberg zu fahren. Tadellose Aussicht auf die Bayrischen und
Salzburger Alpen, Schafberg usw. Nachmittag kam ein tüchtiges Gewitter,
so daß ich einen nassen Rückweg hatte. So. per Bahn von Salzburg nach
München . . . Montag früh in der Kunstausstellung im
Glaspalast (4 Stunden), nachmittag in der Sezessions-Ausstellung (3
Stunden). Erstere ist reicher und hat auch viele schöne Sachen, darunter
manche hervorragende Bilder. Dagegen ist die Sezession
diesmal recht schwach. Im ganzen sind beide Ausstellungen nicht
besonders. Ich bringe die beiden illustierten Kataloge mit. Di. früh in
der Neuen Pinakothek, nachmittags in der Schackschen Galerie (beide
viel schöner als alle Ausstellungen!) . . . Heute um 6
kam Prof. Max und bat mich, bis Sonntag bei ihm zu bleiben. Morgen
fahren wir zusammen nach Ambach, und Samstag werde ich dort
Modell zum Oelbild sitzen. Sonntag, 13. 9. will Walter von Seefeld nach
Ambach herüberkommen. Montag fahren wir nach Starnberg zurück.
Dienstag oder spätestens Mittwoch (16. 9.) denke ich wieder bei Dir zu
sein, mein geliebtes süßes Weibchen. Herzlichste
Grüße . . .
Brief 204..........................................................................................Brief 206
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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999
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