"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
228. Brief
Jena, 21. August 1902.
Mein einzig geliebter Ernst! Heute hast Du mich
durch Deinen so lieben Brief zu unserem 35. Hochzeitstag wirklich
beschämt und tief gerührt, denn ich gestehe Dir offen, daß ich ihn
wahrhaftig vergaß. Ich fühle aus Deinen lieben Worten, daß ich doch noch
einen warmen Platz in Deinem Herzen besitze, woran ich wirklich in den
letzten Jahren im Kampf mit widerlichen Geschicken oft zweifelte. Habe
Dank für Deine treuen Worte, sie haben mir wohlgetan und geben mir
wieder Mut zum Leben, denn ein treues Herz zu wissen, ist des höchsten
Glückes Preis! . . .
Wir vermissen Dich täglich, haben mancherlei im
Haus zu schaffen und benutzen das selten schöne Wetter zu
Spaziergängen, ich natürlich in bescheidenem Maße. Gestern war ich bei
Frommans zu einem Kaffee . . ., es war sehr gemütlich
und viele Jugenderinnerungen wurden ausgetauscht. Fast jede hatte ein
gutes Teil Unglück gehabt.
Von Giltsch wirst Du die zwei Tafeln der Kunstformen
erhalten haben, die Eidechsen-Tafel ist höchst originell, Giltsch brachte
sie mir zur Ansicht. Von Bölsche ist ein Brief an Dich da, soll ich ihn
Dir schicken oder kann er liegenbleiben? Mit herzlichstem Gruß und Kuß
Deine Agnes.
Brief 227..........................................................................................Brief 229

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