"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
67. Brief
Nauheim, den 23. Juli 1871.
Lieber Ernst! Eigentlich solltest Du nich gleich
wieder Antwort bekommen, da Du Dein Frauchen so lange auf einen Brief
warten ließest, aber lieber Himmel, man ist nun einmal schwach gegen
diesen Menschen, und so will ich Dir denn schreiben, daß ich seit
gestern wieder bade, obgleich ich noch einigen Husten
habe . . .
Eine Unmasse von Badegästen ist hier anwesend, so
daß die Logis unglaublich teuer bezahlt werden: eine schöne Stube,
elegant möbliert, und Kammer mit 50-60 Gulden wöchentlich, das wäre
noch nichts, sagte Dr. Bode. Manche wohnen in Friedberg und kommen
jeden Tag hereingefahren, auch ein teures Vergnügen! Ach wie froh will
ich sein, wenn ich wieder daheim bei Euch bin, ich tauge gar nicht zum
Badegast . . . Hier reden sie mich alle mit Fräulein an,
was mich oft ärgert, da ich gerne frauenhaft aussähe! Mit Korsika bin ich
durch, es hat mich höchlichst interessiert, jetzt lese ich Darwin. Grüße
die Gegenbaurs und passe mir ordentlich auf die Kinder
auf! . . .
Mein liebes Röschen! Dein heute eingetroffener Brief, obwohl
er nicht so vollkommenes Wohlbefinden meldet, wie zu hoffen wäre, hat
uns doch sehr beruhigt. Du scheinst Dich in Deinem lauten, rauschenden
Badeleben nicht sehr nach dem kleinen stillen Jena zu sehnen!
Wenigstens scheinst Du vergessen zu haben, daß du volle acht Tage
lang nicht geschrieben hast. Clärchen war schon ganz außer sich. Sie
wollte durchaus telegraphieren. Ich beruhigte sie jedoch mit der
Versicherung, daß sicher nur die gewöhnliche ungenaue Anschauung, die
das weibliche Geschlecht von Raum und Zeit und dergl. allgemeinen
Begriffen besitzt, an Deiner Schreib-Nachlässigkeit schuld sein
werde!
Nun laß aber nicht wieder so lange auf Nachricht
warten. Hoffentlich lautet dieselbe besser. Ich bin aber so froh, daß Du
wenigstens wieder baden kannst. Bezüglich des Gebrauchs der Bäder
folge übrigens lediglich dem Rate von Dr. Bode . .
Wenn dir Kur ordentlich helfen soll, muß sie auch regelmäßig
fortgebraucht und nicht oft unterbrochen
werden . . .
Nun, mein liebes Herzchen, wünsche ich Dir und der
guten Mama von Herzen baldige und völlige Genesung. Kommt recht,
recht bald zurück! Das einsame Leben gefällt mir gar
nicht! . . .
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