"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
71. Brief
Jena, 3. August 1871.
Mein süßes Röschen! Dein gestern abend hier
eingetroffener lieber Brief hat mich trotz der ganz unverdienten Schelte,
mit der Du mich überhäufst, sehr amüsiert. Du kleines Xanthippchen
scheinst wirklich zu denken, daß ich armes kleines Männchen hier
herrlich und in Freuden lebe, während ich doch den bitteren Mangel
eines süßen Weibchens jeden Tag und jede Stunde empfinde und in
meinem öden, einsamen Neste seufzend und sehnsuchtsvoll Deiner
gedenke und Dich süßes kleines Tierchen herbeisehne. Täglich werde ich
magerer und jämmerlicher. Denn wenn auch das gute Clärchen ihr
Möglichstes tut, um mich gut zu füttern, so bleiben die
Hammelkotelettchen, Windbeutel und Rückenbraten meines kleinen
Rosinchens doch etwas ganz Unübertreffliches!
Da Du mir neulich geschrieben hast, daß Du ein zartes
Verhältnis mit einem behaarten schwarzen Jüngling angeknüpft hast,
habe ich mich hier auch revanchiert und ein interessantes Verhältnis
mit einem reizenden Weibe ausgespunnen! Rate, mit wem? Mit niemand
anders als Deiner teuren Kusine, Frau Kapellmeister Minna W. -
Wollstrumpf - oder wie sie heißt! Wir fanden gleich beim Beginn unserer
Bekanntschaft, daß wir ganz für einander geschaffen seien! Sie
überhäufte mich mit Gunstbezeugungen und sang mit den ganzen Tag mit
solcher Glut der Leidenschaft vor, daß ich ganz weg war und am Klavier
hingeschwommen zu ihren ihren Füßen saß resp. lag! Wenn ich mittags
aus dem Institut kam, hörte ich sie schon oben auf dem Heinrichsberg bei
Ludens trillern und "An Ernst" - Arien singen! ´s wirklich ein reizendes
Geschöpf, dieser blauer Wollstrumpf - wollte sagen: wollene Blaustrumpf
- resp. Weißenborn-Liebesborn meiner Seele! Besonders war sie entzückt,
daß ich so viel Verständnis für Zukunfts-Musik habe. In Zwätzen hat sie -
wirklich wahr! - und ebenso in Weimar erzählt, ich sei der erste Mensch,
der sie ganz verstanden habe! Welches Glück!! Ich habe mich so für sie
interessiert, daß ich nur bedauert habe, sie nicht früher - vor 20 bis 30
Jahren - gekannt zu haben! Leider erhielt unser reizendes, so himmlich-
ätherisch-musikalisches Liebes-Verhältnis plötzlich einen
schrecklichen Riß durch die entsetzliche Entdeckung, daß ich Darwinist,
je sogar der General-Feldmarschall dieser gottlosen Schar sei! Mit dem
herzzerreißenden Rufe: "Mein Ernst! Vom Affen!" sank Minnona III.
plötzlich auf dem Sopha in der Gartenstube zusammen, und nur das
vorsichtige Einflößen von 5 (schreibe fünf)
Kalbskoteletts nebst einer Schüssel grüner Erbsen vermochte sie
allmählich wieder zu sich zu bringen (sie entwickelte nämlich trotz aller
ätherisch-künstlerischen Gefühle bei Clärchens Tische stets einen
kolossalen Appetit). Leider ist nun infolge dieser Affen-Katastrophe
unsere Korrespondenz noch nicht zum Ausbruch gekommen! Wenn Du
noch mehr solche reizende Kusinen hast, trete ich nächstens zum Islam
über und schaffe mir als Mohammedaner eien ganzen Harem von solchen
Engeln an! Du bleibst aber doch stets der Ober-Engel und die Haupt-
Favoritin!
Du schiltst, mein süßes Agnesinchen, daß ich von
unseren beiden Sprößlingen so wenig schreibe! Das ist aber stets ein sehr
gutes Zeichen und bedeutet, daß die beiden lieben Würmchen sich sehr
wohl befinden! Putti ist überaus übermütig. Er behauptet, die "Mamja"
sei im "Institut" und bade dort mit den "Tutenten" zusammen! Gegen den
Papa und Clärchen ist er sehr zärtlich, von meiner Minna III. (der W.
nämlich) wollter er aber durchaus nichts wissen und schrie trotz aller
Triller jämmerlich! Die kleine Lisbeth bekommt kein Ei, sondern bloß
Milch, weil sie sonst zu dick wird! Sie übertrifft an Abrundung fast
schon ihre "Mamja" . . . Laura (meine Laura! am
Klavier) kommt ab und zu, vergißt aber gewöhnlich alles und läßt ihren
Kopf in Burgau zurück.
Diese letzte Woche habe ich wirklich sehr unruhig
gelebt - fast jeden Tag ein fremder Verehrer, der den berühmten
Professor sehen und bewundern wollte! Du wärest ganz ärgerlich über
diese Huldigungen geworden. Zweimal war ich mit dem belgischen
Professor von Beneden, einem Spezial-Bewunderer, nach dem ich an der
Spitze der Wissenschaft marschiere, abends bei
Gegenbaur . . ., Das Schönste aber kam gestern abend
bei Hildebrands, wo ich über ein Jahr nicht gewesen bin! Es waren
da: . . ., der neue Eisenbahndirektor der Saalbahn
(Bruder des Romanschriftstellers), nebst zwei Töchtern, von denen die
eine mit heiserer Stimme Arien sang und mehrmals dabei steckenblieb,
ferner Frau . . . mit einer 3 Ellen langen Schleppe und
einem Busenschlitz, der fast bis zum Nabel hinunterreichte, so daß links
und rechts die weißen Brüste hervorquollen - ein holdes Sinnbild süßer
Fruchtbarkeit! . . . Mein guter
Freund . . nahm sich am Schwanze dieses Kometen
sehr bescheiden aus! - Ferner Frau . . ., ebenfalls
stark geschwollen, sehr zierlich mit Sommersprossen dunkelster Art
getüpfelt -; sie unterhielt sich fast den ganzen Abend sehr intim mit
ihrem treuen Hausarzt Theo. Bei Tisch hatte ich das Glück, zwischen den
beiden jungen Müttern in spe zu sitzen und konnte recht
interessante Vergleichungen anstellen. Die Männer waren übrigens sehr
nett und die Bewirtung sehr delikat, ich hätte sie Dir gewünscht. -
Vorigen Sonntag erfreute uns Otte durch seinen
Besuch. Wir wurden von Clärchen mittags mit sehr delikatem
Lendenbraten traktiert, von dem ich gar zu gern eine große Portion nach
Nauheim geschickt hätte. Nachher spielten wir drei Stunden (von 4 bis 7
Uhr) im Garten Bocchia. Ich gewann zwei Partien, und ebenso meine
allierten Gegner, Otto und Clärchen . . .
Ich hoffe vor allem, daß mein süßes kleines Frauchen
bald zurückkommt und mir einen recht heiteren, munteren Sinn
mitbringt. Sie soll dann auch ordentlich von mir gefüttert werden! Laß
Dir das Bad recht gut bekommen, mein Herzchen, grüße die Mama schön
und komme recht bald zu Deinem einsamen Ernst.
Jena, 4. August 1871.
Mein süßes Rosen-Schätzchen! Als ich gestern
vormittag den langen und sicher sehr dankenswerten Brief, betreffend
meine verschiedenen "Verhältnisse" etc., an dich absandte, ahnte ich
nicht, daß wenige Stunden später ein kleines Fräulein Gegenbaur-Arnold
das Licht der Welt erblicken würde. Um 2 1/2 Uhr nachmittags erschien
bereits das kleine weibliche Wurm und atmete den Sauerstoff dieses
irdischen Jammertals mit Kraft und Lust mächtig
ein . . . Der arme Carlo, der natürlich kolossale Angst
vorher hatte, ist glückselig. Von 11 bis 12 Uhr hat er noch Kolleg
gelesen! . . .
Capitain Batsch ist der liebenswürdige Schiffs-
Kommandant, der mich von Madeira nach Teneriffa mitnahm. Du aber bist
die noch viel liebenswürdigere Haus-Kommandantin, die mein Herz mit
nach Nauheim genommen hat. Bring´ es mir bald zurück! Dein E.
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