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Malayische Reisebriefe von Ernst Haeckel (1901) - Erstes Capitel

Malayische Reisebriefe von Ernst Haeckel (1901)

Erstes Capitel

Von Jena nach Singapur

Als ich im Herbst 1881 den Hoffnungstraum meiner Jugend verwirklichen und in Ceylon die ganze Herrlichkeit der Tropennatur schauen konnte, ahnte ich nicht, daß es mir beschieden sein würde, neunzehn Jahre später diese Reise zu wiederholen und sie noch weiter bis zum malayischen Archipel auszudehnen. Die freundliche Aufnahme, welche damals meine „Indischen Reisebriefe" gefunden hatten, sowie der Wunsch zahlreicher Freunde, ihnen auch von dieser zweiten Indienreise Mittheilungen zu senden, sind die Veranlassung zum Niederschreiben dieser Zeilen.

Uebrigens fürchte ich leider, daß diese flüchtigen Skizzen aus „I n s u l i n d e&%quot; recht wenig den Erwartungen entsprechen werden, welche meine Freunde daran knüpfen; das gilt sowohl in objectiver als in subjectiver Beziehung. Zunächst muß ich in  o b j e c t i v e r  Hinsicht bemerken, daß mein Reiseziel, das gewaltige „I n s e l r e i c h" des niederländischen Ostindiens, durch zahlreiche ältere und neuere Schilderungen in jeder Beziehung sehr gründlich bekannt ist. Natur und Menschenleben in diesem schönsten Theile des Tropengürtels sind vielfach so vortrefflich dargestellt, daß meine unvollkommenen Skizzen kaum etwas Neues von Bedeutung hinzufügen werden. Das herrliche Java namentlich, die Perle des malayischen Archipels, hat schon früher, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, durch den deutschen Arzt und Naturforscher  J u n g h u h n  eine ebenso gründliche als anziehende Schilderung erfahren. Seitdem der wundervolle botanische Garten von  B e u t e n z o r g  bei Batavia eine große biologische Station besitzt, seitdem alljährlich deutsche, österreichische, niederländische, englische und andere Botaniker und Zoologen dort ihre Studien machen, sind zahlreiche kleinere und größere Schriften darüber erschienen. Insbesondere hat der Grazer Professor  H a b e r l a n d t  in seiner "Botanischen Tropenreise" (1893) eine so vortreffliche Beschreibung des Gartens gegeben, daß ich ihr nichts Wesentliches hinzuzufügen wüßte. Das ausgezeichnete Werk von  A l f r e d   W a l l a c e : "Reisen im malayischen Archipel" hat schon vor 30 Jahren dessen großartige Natur in ihrem ganzen Reichthum anschauliche vorgeführt. Im Laufe des letzten Decenniums haben zwei meiner besten eigenen Schüler vortreffliche Schilderungen dieser wundervollen Inselwelt geliefert;  R i c h a r d   S e m o n  hat 1896 in seinem Werke "Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres" die interessanten "Reiseberichte eines Naturforschers in Australien, Neu-Guinea und den Molukken" mitgetheilt; eben so hat in demselben Jahre  W i l l y   K ü k e n t h a l  seine "Forschungsreise in den Molukken und in Borneo, im Auftrage der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft ausgeführt", mit vortrefflichen Illustrationen publicirt. Kurz vor Antritt meiner Reise erhielt ich ein kleines Buch "Kasana, Kamari"; dasselbe gibt eine lebendige Schilderung einer "Celebes-Fahrt", welche der Geologe Professor  F r i t z   R i n n e  in Hannover zusammen mit seiner Frau Else vor zwei Jahren unternommen hat. Ein umfassendes Werk über den ganzen Archipel und insbesondere seine reiche Fauna ist von meinem Freunde, Professor  M a x   W e b e r  in Amsterdam, zu erwarten; derselbe ist erst kürzlich von einem zweijährigen Aufenthalt in Insulinde zurückgekehrt, dessen wundervolle Naturgeschichte er in Gesellschaft seiner geistreichen Gattin, Frau Anna Weber van Bosse (wegen ausgezeichneter botanischer Arbeiten zum Dr. phil. h. c. promovirt), nach allen Richtungen erforscht hatte. Weber´s Werk über diese ergebnißreiche "S i b o g a - E x p e d i t i o n" wird voraussichtlich grundlegenden Werth behalten. So bleibt zwar noch im Einzelnen hier Manches zu erforschen, aber im großen Ganzen ist schon sehr viel geschehen, und neue Gesichtspunkte sind im malayischen Archipel jetzt ebenso schwer zu finden wie etwa in Italien.

Aber nicht nur in Beziehung auf die allgemeine Naturgeschichte von Insulinde, auch auf besondere einzelne Aufgaben derselben muß ich von vornherein meine verehrten Leser und Leserinnen bitten, hier nichts Neues von Bedeutung zu erwarten. Ebenso wenig werden in subjectiver Beziehung meine "Malayischen Reisebriefe" Besonderes bringen können. Als vor einigen Monaten eine Notiz von meiner bevorstehenden Reise nach Java zufällig in die Zeitungen gelangte, mußte ich bald darauf zu meiner Ueberraschung lesen, daß der Hauptzweck derselben die Forschungen nach dem fossilen Affenmenschen von Java seien, nach dem berühmten, 1894 von  E u g e n   D u b o i s  daselbst entdeckten Pithecanthropus erectus. Nun habe ich zwar über dieses interessante Bindeglied zwischen Affen und Menschen 1898 auf dem internationalen Zoologen-Congresse in Cambridge selbst einen Vortrag gehalten ("Ueber unsere gegenwärtige Kenntniß vom Ursprung des Menschen". Siebente Auflage. Bonn 1900). Auch habe ich bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, wie diese phylogenetische Zwischenform als das vielgesuchte "fehlende Glied" in der Ahnenreihe des Menschen betrachtet und als greifbarer paläontologischer Beweis für unsere "P r i m a t e n -  D e s c e n d e n z" verwerthet werden kann. Allein die gefürchtete "Abstammung des Menschen vom Affen" - dieser wichtigste Folgeschluß der modernen Entwicklungslehre - besteht auch  o h n e  den Schädel und Oberschenkel des fossilen Pithecanthropus ebenso sicher und klar wie mir demselben. Die ungleich stärkeren Beweisgründe der vergleichenden Anatomie und Ontogenie stellen jene viel bestrittene Abstammung für jeden fachkundigen und urtheilsfähigen Forscher viel klarer und sicherer fest, als es eine vollständige Reihe von fossilen Zwischengliedern zwischen Menschen und Menschenaffen vermöchte. Außerdem sind aber die spärlichen Reste des fossilen Pithecanthropus, welche  E u g e n   D u b o i s  nach vierjährigen mühsamen Ausgrabungen bei Trinil auf Java auffand, nur unter Aufbietung großer Hilfemittel und zum Theil durch einen seltenen Zufall gewonnen worden. Es kann daher mir, der ich nicht über solche Zeit und Hilfsmittel gebieten kann, gar nicht in den Sinn kommen, die Ausgrabungen von Dubois fortzusetzen und neue Pithecanthropus-Reste aufdecken zu wollen. Wenn trotzdem einige Zeitungsberichte sogar von einer besonderen, von mir zu diesem Zwecke ausgerüsteten "Expedition" sprechen und daran große Hoffnungen knüpfen, so erweisen sie mir damit viel zu viel Ehre.

Die wissenschaftlichen Aufgaben, welche ich mir bei dieser "Insulinde-Reise" gestellt habe, sind vielmehr allgemeiner und zwar doppelter Art. Erstens wünsche ich endlich die ausgedehnten  P l a n k t o n -  S t u d i e n  zum Abschluß zu bringen, welche seit sechsundvierzig Jahren ein Lieblingsgegenstand meiner Reisen an die Meeresküste geblieben sind. Seit ich im Herbst 1854, als zwanzigjähriger Student, in Helgoland zum ersten Male das Meer und seine unendlich interessante Lebewelt kennen lernte,

Fig. 2. Ein  R a d i o l a r  aus der Legion der  A c a n t h a r i e n  (Lychnaspis miranda). Bei diesen Acanthophracten strahlen immer 20 Radial-Stacheln vom Mittelpunkt des kugeligen, einzelligen Körpers aus; sie sind regelmäßig so vertheilt, daß je vier Spitzen in fünf Parallelkreise fallen. Viele feine, im Zickzack gebogene Nebenstacheln, welche von der Oberfläche der kugeligen Gitterschale abgehen, laufen den 20 Hauptstacheln parallel.
seit ich dort durch meinen großen Meister  J o h a n n e s   M ü l l e r  persönlich in deren intimes Studium eingeführt wurde, hat sich mein lebhaftes Interesse an dem Formenreichthum dieser seltsamen, im Meere treibenden Thiere und Pflanzen stets unvermindert erhalten; insbesondere hat sich meine Vorliebe für ihre mikroskopischen, dem unbewaffneten Auge unsichtbaren Vertreter beständig nur noch gesteigert. Meine erste größere Arbeit galt vor vierzig Jahren den pelagischen  R a d i o l a r i e n, jenen zierlichsten aller Wesen, bei denen eine einzige einfache Zelle die wunderbarsten Schalen- und Gerüstformen in unendlicher Mannigfaltigkeit aufbaut. Später wurde ich durch meine intensive Theilnahme an den Arbeiten der englischen Challenger-Expedition mit so zahlreichen neuen Formen dieser "Strahlinge" bekannt, daß ich 1887 über viertausend Arten derselben beschreiben konnte. Aber auch andere Classen von treibenden Plankton-Thieren, insbesondere die schönen Medusen und Siphonophoren, haben mich viele Jahre hindurch an sich gefesselt. Dabei fand ich reiche Gelegenheit, den Wechsel in der mannigfaltigen Zusammensetzung des Plankton an Tausenden von verschiedenen Funden zu studiren; Decennien hindurch blieb ich an der Erforschung dieser eigenartigen Schatzkammer der Natur gebannt. Die allgemeinen Ergebnisse dieser "Vergleichenden Untersuchungen über die Bedeutung und Zusammensetzung der pelagischen Fauna und Flora" sind in meinen 1890 erschienen "Plankton-Studien" zusammengefaßt. Indessen konnte diese kleine Schrift nur als eine vorläufige Mittheilung erscheinen; auch fand meine Auffassung und Beurtheilung der Lebensverhältnisse dieser "treibenden" Meeresbewohner von anderer Seite (besonders von der Kieler Schule) starken Widerspruch. Es blieb mir daher die Verpflichtung, meine Behauptungen durch eine große Zahl von gesammelten Thatsachen zu begründen und durch neue Beobachtungen zu ergänzen. Die Lösung dieser Aufgabe wurde durch neue Reisen an die Meeresküste in den letzten Jahren gefördert und soll nun endlich zum Abschluß gebracht werden.

Aber mit den eigentlich wissenschaflichen Theile dieser "Plankton-Studien", mit der Erforschung des Körperbaues, der Entwicklung und der Lebensverhältnisse der pelagischen Organismen ist noch eine andere Seite ihrer Betrachtung verknüpft, welche mehr in des Gebiet der  K u n s t  als der Wissenschaft fällt: die Untersuchung und Darstellung der  s c h ö n e n   F o r m e n, in denen ihr Leben sich entfaltet. Gerade diejenigen Gruppen niederer Thiere, mit denen ich mich seit so vielen Jahren vorzugsweise beschäftigt habe, Radiolarien und Medusen, zeichnen sich durch einen märchenhaften Reichthum an zierlichen und seltsamen, meist sehr regelmäßig gebauten Gestalten aus. Bei den Versuchen, dieselben durch Zeichnung möglichst naturgetreu wiederzugeben, war ich schon vor langer Zeit auf die Bedeutung aufmerksam geworden, welche sie für die moderne  K u n s t  gewinnen können: theoretisch für wichtige Fragen der Aesthetik, praktisch für die Anwendung auf Kunstgewerbe, decorative Malerei, Sculptur u. s. w. Um diese verborgenen, wenig bekannten Schätze größeren Kreisen zugänglich zu machen, habe ich 1899 untern dem Titel "K u n s t f o r m e n   d e r   N a t u r" die Veröffentlichung einer Reihe von Heften (zu je zehn Tafeln) begonnen, in denen jede Tafel eine Zusammenstellung der schönsten und interessantesten Formen von je einer Gruppe gibt. Ich hoffe nun, auf dieser malayischen Reise mit Hilfe von Zeichnung und Photographie eine Anzahl neuer Gebilde jener Reihe hinzuzufügen; noch wenig ist bis jetzt für künstlerische Zwecke der Reichthum an eigenthümlichen Gestalten verwerthet, welchen die Tropensonne auf dem Lande und im Meere hervorzaubert.

Die vielen Vorbereitungen, welche der Naturforscher vor Antritt einer Tropenreise treffen muß, wurden im Sommer 1900 ausgeführt und waren Anfang August vollendet. Den größten Theil meiner Ausrüstung schickte ich nach Bremerhaven voraus, damit sie rechtzeitig auf meinem Dampfer eingeschifft werden konnten: vierzehn Kisten mit zoologischen und physikalischen Instrumenten, photographischen Apparaten und Netzen, Gläsern und Flaschen mit Alkohol und Formol zum Sammeln, Büchern, Malzeug, Kleidung u. s. w. Die hoch entwickelte Technik der Neuzeit verlangt, dabei an tausend Kleinigkeiten zu denken, deren Gebrauch für eine befriedigende Lösung unserer Aufgaben unentbehrlich ist; so wird man fast niemals "ganz fertig". Ich hatte mir daher als letzten Termin zur Abreise den 21. August gesetzt, an welchem Tage ich meinem alten Freunde  C a r l   G e g e n b a u r  in Heidelberg meine Glückwünsche zu seinem vierundsiebzigsten Geburtstage persönlich darbringen wollte.

Als ich in der Morgenfrühe dieses Tages mein altes, liebes Jena verließ, hatte sich die Sonne bereits über den Hausberg - den "Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel" - erhoben und warf ihre goldenen Strahlen auf den grünen "Forst" und die heitere "Schweizerhöhe", zwei Lieblingsorte in der reizenden Umgebung von Jena, an denen ich während meiner dortigen akademischen Lehrthätigkeit - seit nunmehr vierzig Jahren - gar manchen heiteren Sommerabend im Kreise lieber Freunde verlebt hatte. Während mich das Dampfroß am Fuße dieser malerischen Muschelkalkberge vorüber führte und ich den letzten Abschiedsgruß dem kleinen Saal-Athen und seinen lieben Bewohnern zusandte, stiegen Gedankenbilder der verschiedensten Art in mir auf; in einer solchen bewegten Scheidestunde drängen sich die Betrachtungen über die vielen seltsamen Wendungen und die labyrinthischen Windungen, in denen uns unser räthselvolles Geschick durch das wechselreiche Leben führt!

Die Strecke der Eisenbahn von Weimar nach Eisenach, mit den vielen kleinen Zweigbahnen und Wegen, die südwärts in die nahen grünen Thäler des Thüringer Waldes führen, ist für mich besonders reich an freundlichen Erinnerungen. Wie hat sich dieses blühende und romantische Gebirgsland im Herzen des deutschen Vaterlandes verändert, seit ich im Jahre 1849 dasselbe zuerst durchwanderte! Damals als munterer Gymnasiast in der fröhlichen Gesellschaft meines lieben Onkels  L o u i s   M u l d e r, des bekannten holländischen Geschichtsschreibers, Lustspieldichters und Malers; später in der verschiedensten Begleitung und Stimmung. Mit ganz besonderer Andacht begrüße ich jedes Mal im Vorüberfahren die  W a r t b u r g; sie ist durch eine Reihe von wundersamen Erlebnissen und unerwarteten Begegnungen für mich zu einer "Schicksalsburg" geworden. Als ich 1882 auf der Naturforscherversammlung in Eisenach meinen Vortrag über "Die Naturanschauung von Darwin, Goethe und Lamarck" gehalten hatte, knüpfte sich daran eine sehr merkwürdige Discussion, die sich bis in die späten Abendstunden auf der Wartburg fortzog. Die Lösung der "W e l t r ä t h s e l" durch den Monismus wurde damals schon eifrig besprochen.

Zu Heidelberg traf ich meinen alten Freund  G e g e n b a u r, trotzdem er kürzlich sein anatomisches Lehramt niedergelegt hatte, noch in rüstiger Geistesthätigkeit an, beschäftigt mit dem Abschluß seines großen und grundlegenden Lehrbuches der "Vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere". Von Heidelberg wandte ich mich zunächst nach  S t r a ß b u r g, wo ich einen Tag bei meinem lieben Neffen  G e o r g   H a e c k e l  zubrachte. Die neue, stolze Stadt mit ihrem erweiterten Straßennetz, ihren glänzenden Universitätsbauten läßt das alte, winkelige Straßburg nicht wiedererkennen, das seine Bezeichnung im Liede: "Du wunderschöne Stadt!" wirklich nicht verdiente.

Von Straßburg machte ich einen Abstecher nach  P a r i s, um in fünf Tagen ein allgemeines Bild von der großen internationalen Weltausstellung zu gewinnen. Im Allgemeinen bin ich kein Freund von großen Ausstellungen und behalte keinen bleibenden Eindruck von den zahllosen interessanten Culturproducten, die dort zusammengehäuft erscheinen. Allein in diesem Falle muß ich doch gestehen, daß die ungeheure Ausdehnung des Ausstellungsgebietes, die sehr geschickte und geschmackvolle Anordnung des gewaltigen Stoffes (wenigstens in der Mehrzahl der Gruppen) und der erstaunlich Reichthum der modernen Cultur-Erzeugnisse dem großen Völkerjahrmarkt ein besonders Interesse verliehen. Man erhielt selbst bei der flüchtigen Uebersicht, welche mir die kurze Zeit meines Aufenthaltes gestattete, eine lebendige Vorstellung von der erstaunlichen quantitativen und qualitativen Höhe, zu welcher sich die moderne Industrie und Technik am Ende des 19. Jahrhunderts erhoben hat. Daß dabei das Deutsche Reich in würdigster Weise vortreten war, gereicht uns Deutschen ebenso zur besonderen Genugthuung, wie die unparteiische Anerkennung, welche deutsche Kunst und Gewerbefleiß, deutsche Technik und Wissenschaft in vielen einzelnen Gruppen der Ausstellung gefunden haben. Die deutschen Erzeugnisse der Malerei und Sculptur, der Porzellanfabrication, der Chemie und Physik, der Heeres- und Marine-Ausrüstung u. s. w. glänzten in erster Linie. Mein kurzer Aufenthalt in Paris wurde dadurch wesentlich verschönt, daß ich ihn mit zweien meiner liebsten Freunde theilte, mit Dr.  P a u l   R o t t e n b u r g  aus Glasgow, dem Präsidenten der dortigen Handelskammer, und mit meinem Neffen Professor  H e i n r i c h   H a e c k e l, dem Chef des Krankenhauses Bethanien in Stettin. Nachdem wir den Tag über fleißig die Ausstellung besucht hatten, sorgte mein liebenswürdiger Freund Paul dafür, daß wir Abends an den auserlesensten Producten der feinen Pariser Küche und nachher an den witzigen Lustspielen der Pariser Theater uns ergötzten.

Von Paris fuhr ich am 30. August nach Basel, wo ich am folgenden Tage die Gastfreundschaft meines verehrten Freundes und Gönners Dr.  P a u l   v o n   R i t t e r  genoß, des hochherzigen Gründers der "Paul von Ritter´schen Stiftung für phylogenetische Zoologie an der Universität Jena". Wie die Erträgnisse dieser Stiftung seit 1886 nicht nur das zoologische Studium höchst fruchtbar gefördert, sondern auch die Mittel für die zahlreichen wissenschaftlichen Reisen geliefert haben, so verdanke auch ich ihr einen Theil des Aufwandes für diese kostspielige Reise nach Insulinde; ein anderer Theil desselben wird durch den Bressa-Preis gedeckt, welchen mir die königliche Akademie der Wissenschaften in Turin 1899 zuerkannt hatte.

Die beiden ersten Tage des September nahm die Reise von Basel nach Genua in Anspruch. Die Fahrt über den Gotthard wurde mir, abgesehen von den zahlreichen großartigen und wechselnden Bildern dieser schönsten aller Alpenbahnen, diesmal dadurch besonders interessant, daß der Zufall auf der Strecke von Flüelen bis Lugano eine philosophische Reisegefährtin in Gestalt einer barmherzigen Schwester mir gegenübersetzte. Bemerkungen, welche sie über die seltsamen Faltungen der Gebirgsschichten an der Axenstraße und den Wechsel der Vegetation auf beiden Seiten des Gotthard-Passes machte, führten uns zu einem Gespräche über die natürliche Entwicklung dieser Erscheinungen und deren mechanische Ursachen. Hierbei erzählte mir die "Oberin des Krankenhauses in X.", daß sie vor zehn Jahren durch die Lectüre der "Naturlichen Schöpfungsgeschichte" des Jenenser Professor E. H. veranlaßt woden sei, über diese und andere Erscheinungen nachzudenken; in Folge dessen sei bei ihr allmählich die alte Vorstellung von einer "übernatürlichen Schöpfung" der Arten verdrängt worden durch die Ueberzeugung von ihrer Entwicklung aus natürlichen Ursachen. Als wir uns in Lugano verabschiedeten und dabei unsere Karten austauschten, war die Ueberraschung beiderseits nicht gering.

In Genua am Morgen des 3. September erfuhr ich auf der Agentur des "Norddeutschen Lloyd", daß der Dampfer "Oldenburg", mit dem ich meine Reise nach Insulinde antreten sollte, bereits im Hafen liege; ich beeilte mich, an Bord desselben zu rudern, um die mir zugetheilte Cabine in Augenschein zu nehmen - meine ständige Wohnung für die nächsten vierundzwanzig Tage. Ich wurde auf das Angenehmste überrascht, als ich eine der besten Cabinen des stattlichen Schiffes für mich sauber eingerichtet fand, Bett und Waschtisch, Spiegel und Fenster reizend mit Blumen geschmückt, mit Rosen und Amaryllis, Ziergräsern und Farnkräutern. Da ich von früher Jugend an ein großer Blumenfreund gewesen und geblieben bin, machte mir diese geschmackvolle Decoration ganz besondere Freude; ich verdanke sie der freundlichen Aufmerksamkeit des Schiffsarztes Dr. Schubert, der sich für wissenschaftliche Zoologie, insbesondere mein Lieblingsstudium, das Leben und die Entwicklung der Seethiere, lebhaft interessiert; und da er bei Tisch mein Nachbar war, trug seine muntere Gesellschaft nicht wenig dazu bei, mir die dreiwöchige Seefahrt angenehm zu machen.

Der Dampfer "Oldenburg", der mich in dieser Zeitspanne von Genua durch das Mittelmeer, das Rothe Meer und den Indischen Ocean bis Singapur tragen sollte, gehört zwar nicht zu den größten und schönsten Schiffen in der prachtvollen Flotte des "Norddeutschen Lloyd", aber er war mir von zwei Collegen, welche ihre Indienreise auf demselben ausgeführt hatten, warm empfohlen worden, von meinem früheren "Ritter-Professor" Willy Kükenthal und von dem Münchener Botaniker Giesenhagen. Ich kann das besondere Lob, welches diese beiden Naturforscher der "Oldenburg", ihrem trefflichen Kapitän Prager und der aufmerksamen Bedienung widmen, aus eigener Erfahrung nur bestätigen.

Die Maschinen der "Oldenburg", welche 5000 Registertonnen enthält und täglich 330 Seemeilen läuft, entfalten die Kraft von 3200 Pferden; sie verzehren dabei jeden Tag 65 Tonnen (=1300 Centner) Kohlen. Da die Tonne Kohlen 65 Mark kostet, beläuft sich die tägliche Ausgabe für Heizung der Maschinen auf 1600 Mark. Der Comfort im Inneren des Schiffes ist in der That vortrefflich und läßt nichts zu wünschen übrig. Wenn ich daran denke, wie mangelhaft es mit der Bequemlichkeit der Dampfschiffe noch vor vierzig Jahren bestellt war, wie viel damals der geduldige Reisende unter den nothwendigen Uebeln jeder längeren Seefahrt zu leiden hatte, muß ich den Culturfortschritten des modernen Dampferverkehrs meine höchste Anerkennung zollen. Besonders gilt das von der tadellosen Sauberkeit und der Vermeidung der üblen Gerüche, welche durch das Zusammenwirken von Küchenluft, Maschinendunst, Cabinenduft u. s. w. entstehen, und welche den Ausbruch der Seekrankheit oft mehr fördern als die stampfende und rollende Bewegung des Schiffes. Ueberall auf unserem Schiffe, und ganz besonders in den Localitäten des ersten Platzes, ist für Ueberfluß an Wasser und Waschgelegenheit gesorgt. In einem bedeutenden Punkte geschieht sogar des Guten zu viel, nämlich im Essen und Trinken, - allerdings eine der wichtigsten Angelegenheiten bei jeder längeren Seefahrt. Eine schwere Aufgabe stellen die sechs Mahlzeiten der Schiffsordnung (drei große und drei kleine) der gastronomischen Thätigkeit; sie erfordert zu iher befriedigenden Lösung (die nöthige Siesta inbegriffen) fast ein Drittel der ganzen Tageszeit. Ein anders Drittel - zum Mindesten - verlangt der Schlaf. Demnach bleibt nur ein Drittel für die übrigen Lebensfunctionen; unter diesen bilden Lesen und Arbeiten nur den kleinsten Theil, den größten Theil dagegen Unterhaltung, Spiel, Musik, Gymnastik, Deckpromenade u. s. w.

Was die "A r b e i t" während einer mehrwöchentlichen Seefahrt betrifft, so pflegt sich der fleißige Reisende schon lange vorher auf die ungestörte Muße und Ruhe zu derselben zu freuen und betritt das Deck mit den besten Vorsätzen. Leider aber ist es eine seltsame, der physiologischen Untersuchung würdige Thatsache, daß der Dampferpassagier seine löbliche Arbeitslust von Tag zu Tag mehr einbüßt. Der beständige Anblick des Meeres, der für den aufmerksamen Beobachter niemals einförmig wird, das einschläfernde Wiegenlied seiner rollenden Wogen, der wonnevolle Genuß der reinen Seeluft, dazu das eintönige Geräusch der schnaubenden Maschine, die Unterhaltung mit den Passagieren - das Alles versetzt den Geist in eine behagliche, zum Faullenzen und Nichtsthun geneigte Stimmung; woher soll da die Sammlung zu ernster und zusammenhängender größerer Arbeit kommen? Vollends in der Tropenzone, wo die hohe Temperatur allein schon das "dolce far niente" in besonderem Maaße begünstigt.

Um so gerechtfertigter wird es sein, dem Genusse dieser Seereise einen Blick zu widmen und der regelmäßigen Tageseintheilung, die damit verknüpft ist. An das Frühaufstehen von Jugend an gewöhnt, erscheine ich auch jetzt schon bald nach 5 Uhr auf Deck, wo die meisten Passagiere noch in tiefem Schlafe liegen. Ich versenke mich in die geheimnisvolle Dämmerung, die auf dem Meere liegt, und aus der bald die goldene Sonne siegreich auftaucht. Dem erquickenden Morgenbade, Punkt 6 Uhr, folgt eine kleine Deckpromenade. Nachdem der Stabstrompeter der Schiffscapelle um 7 1/2 Uhr die Langschläfer geweckt hat, bläst er sie eine halbe Stunde später zum Frühstück zusammen. Diees ist so reich ausgestattet, daß seine Speisekarte zu Hause einem opulenten Mittagsessen gleichkommen würde. Die Vormittagsstunden von 9-11 Uhr sind die einzigen vier Stunden des Tages, die ernstlich für "geistige Arbeit" in Frage kommen könnten. Da werden denn auch verschiedene Versuche unternommen, Briefe und Reiseerinnerungen zu schreiben, durch Lectüre von Reisebüchern sich auf das Schauen der kommenden Wunderländer vorzubereiten u. s. w. In der Regel erlahmt aber dieser löbliche Eifer sehr bald. Schon um 11 Uhr wird wieder Bouillon mit sehr appetitlichen belegten Brötchen servirt, und die Schiffscapelle unterhält uns eine halbe Stunde lang durch Militärmusik. Um 1 Uhr folgt das "Tiffin", das zweite Frühstück, und diesem eine Siesta von ein bis zwei Stunden. Der Nachmittag ist vorzugsweise der Lectüre gewidmet, behaglich ausgestreckt im langen, rohrgeflochtenen Singapur-Stuhl. Zur Erquickung wird um 4 Uhr wieder Kaffee oder Thee mit Kuchen und anderen Zuthaten gereicht, oder an heißen Tagen (wie im Rothen Meer) Eis oder kühle Limonade. Doch wird dadurch nicht der unverwüstliche Appetit beeinträchtigt, dessen Hauptaufgabe, das Diner oder sogenannte "Mittagessen", von 7-8 Uhr Abends erledigt wird, gewöhnlich unter der Mithilfe ermunternder Tafelmusik und in großer Toilette. Die Damen erscheinen in glänzendem Gesellschaftscostüm, die Herren in schwarzem Frack oder weißem Tropenjaquet. Dem Diner folgt dann meistens ein einstündiger Abendspaziergang auf dem luftigen Deck, dann wieder Musik, Unterhaltung, Spiel oder Lectüre, und um 10 oder 11 Uhr kriechen die meisten Passagiere so befriedigt von ihrem Tagewerk in die Cabine, als ob sie die verdienstlichste Arbeit geleistet hätten. Um jedoch nicht die Behauptung aufkommen zu lassen, daß Jemand hungrig zu Bette gehen könnte, werden um 10 1/2 Uhr nochmals delikate "belegte Brötchen" servirt, dazu Limonade, Thee, frisches Münchener Bier vom Faß u. s. w.

Die Speisekarte spielt auf den Luxus- und Schnelldampfern der Gegenwart eine so bedeutende Rolle, sie beherrscht so sehr das "höhere Geistesleben" der meisten Passagiere, daß es wohl geboten erscheint, hier ein Beispiel derselben zu geben; ich wähle Freitag, 7. September 1900, einen "Fasttag", und bemerke dazu noch, daß die elegante, mit schönen Vignetten verzierte Speisekarte der "Oldenburg" täglich auf dem Schiffe selbst gedruckt wird: 1. Frühstück ("Breakfast"), 8 Uhr: Pflaumen, Apfelsinen, Melonen; Hafergrütze, Milchreis; geräucherte Heringe, gebratene Seezunge, Filetsteak, Hammelcoteletten, Wiener Schnitzel, frische Bratwurst, gebratener Schinken und Speck; gekochte Eier nach Wunsch, Eier auf italienische Art, Eierkuchen, Spiegeleier, Eierkuchen mit Kronsbeeren; kalter Kalbsbraten, Ochsenzunge; Brötchen, Zuckerbrötchen, Biscuits, Marmelade, Gelée, Ingwer, Kaffee, Thee, Cacao, Chocolade, frische Milch, Sahne. -II  T i f f i n  ("Lunchon"), 1 Uhr: Linsensuppe, Fleischbrühe, Hammelkeule auf englische Art, ungarisches Culyas; geröstete Küken, Aprikosencompot, Apfelsinencrême, Kaffee, Thee; dazu noch: Kalte Speisen nach Wunsch; geräucherte westfälische Schinken, Mettwurst, Mortadella, Nagelholz, Ochsenzunge, Kalbsbraten, Geflügel, Oelsardinen, Aal in Gallerte, geräucherter Lachs, Radieschen, Tafelsellerie, Salzgurken, Oliven; Salate (Kartoffel-, bunter Gemüse-, Tomaten-, Geflügel-), Käse (Edamer, Schweizer, Lloyd). - III  D i n e r  ("Mittagessen" um 7 Uhr Abends): Kraftbrühe mit Reis, Fischfilet mit Krebssauce, Chateaubriand, gemisches Gemüse; Ochsenzunge auf polnische Art; Puterbraten, Kirschen, Kopfsalat, Chocoladenpudding mit Vanillesauce, Krachgebäck mit Rahmeis, Obst, Nachtisch, Kaffee. - Nimmt man nun noch dazu, daß diese große Anzahl von auserlesenen Gerichten durch Hamburger und Bremer Köche auf das Schmackhafteste zubereitet ist und in beliebiger Quantität verabreicht wird, daß ferner die Weinkarte dazu eine entsprechende Auswahl von feinen deutschen und ausländischen Weinen bietet, so wird man zugestehen müssen, daß auch der verwöhnteste Gaumen hier seine Rechnung findet.

Welcher "M a t e r i a l i s m u s"! Und welcher Gegensatz zu dem "Monismus" eines idealistischen Jenenser Professors, der an die einfache Thüringer "Rostbratwurst" und an das duftende "Rostbrätchen" gewöhnt ist! Aber freilich wird dieses frugale Mahl auf Opfer-Altären - gleich denen des Homer - im Freien gebraten, gewürzt durch ein frisches Glas Bier und durch den herrlichen Blick in das grüne Saalthal. Trotzdem habe ich es für zweckmäßig gehalten, jene fürstliche Speisekarte wörtlich abzuschreiben, einerseits, um zu zeigen, wie der "Norddeutsche Lloyd" bemüht ist, auch die höchsten Ansprüche der Feinschmecker zu befriedigen, andererseits, um durch dieses culturhistorische Dokument daran zu erinnern, daß unsere moderne "imperialistische" Cultur auch in gastronomischer Beziehung dem Geschmack der römischen Kaiserzeit sich wieder bedenklich nähert.


Der letzte Dampfer des "Norddeutschen Lloyd", welcher vierzehn Tage vor Abgang der "Oldenburg" (am 21 August) von Genua nach Ostasien abgelassen wurde, war von dem Höchstcommandirenden der europäischen Truppen in China, Graf  W a l d e r s e e, und seinem Stabe vollständig besetzt gewesen. Es bestand daher die Befürchtung, daß auch unser Schiff in Folge des gesteigerten Transportes, den die chinesichen Wirren bedingten, vollständig besetzt sein würde. Das war jedoch glücklicher Weise nicht der Fall, und auf dem ersten Platze blieb so viel Raum übrig, daß ich während der ganzen Reise bis Singapur die gute, mir zugewiesene Cabine an der Backbordseite des Schiffes für mich allein behalten konnte - eine der größten Annehmlichkeiten auf längeren Seefahrten. Auch die Gesellschaft der ersten Classe, größtentheils Deutsche, hatte der Zufall gut zusammengefügt, so daß es an angenehmer Unterhaltung nicht fehlte. Außer mehreren Aerzten und deutschen Reichsbeamten, deren Reiseziel China war, befand sich an an Bord noch eine Abordnung von sechs barmherzigen Schwestern, welche das "Rothe Kreuz" in das Hospital nach Tsingtau schickte. Unsere Fahrt war fast beständig vom schönsten sonnigen Septemberwetter begünstigt, und das Meer zeigte sich bei mäßigem Winde so freundlich, daß nur wenige, leichte Fälle von der gefürchteten Seekrankheit vorkamen.

Die fünftägige Fahrt durch das  M i t t e l m e e r, vom 4. bis 9. September, frischte in mir abermals eine reiche Fülle von schönen Erinnerungen auf, gesammelt bei meinem oft wiederholten Besuche dieses interessantesten aller Meere, im Laufe von vierundvierzig Jahren. Schon bei der Abfahrt aus dem gewaltigen Amphitheater, welches den Hafen der stolzen Genua umschließt, fällt der Blick auf die wundervolle  R i v i e r a, dieses bilderreiche Küstenland, dem wir wohl in Bezug auf landschaftliche Schönheit und malerischen Reiz den Vorrang vor allen anderen Theilen Europa´s zuerkennen müssen. Im Osten erhebt sich die kühnere Riviera Levante: Nervi, Portofino, Rapallo, Sestri Levante, Spezia, Porto Venere; - im Westen die anmuthigere Riviera Ponente: Pegli, Sestri Ponente, Savona, San Remo, Mentone, Monaco, Villafranca, Nizza u. s. w. Die zahlreichen Buchten dieser herrlichen Küste bergen eine außerordentliche Fülle von schönen und interessanten Seethieren. Hier hatte ich im Herbst 1856, zuerst in Villafranca, den erstaunlichen Plankton-Reichthum des Mittelmeeres kennen gelernt. An viele glückliche Monate, welche mir diese reizvollen Studien später an den Küsten von Italien und Sicilien gewährt haten, wurde ich auch im weiteren Verlaufe unserer sonnigen Herbstfahrt stündlich erinnert. Da tauchte bald die farbenreiche Insel  E l b a  zu unserer Rechten auf, mit ihren rothen Eisenbergen von den kühnsten Formen; ich hatte ihre steilen Klippen im Frühling 1889 durchwandert. Weiterhin erscheint in der Ferne westlich das romantische wundervolle  C o r s i c a, dem ich zweimal (im Frühhar 1875 und im Herbste 1899) einen mehrmonatlichen Besuch abgestattet.

Am Vormittag des 5. September fuhren wir beim schönsten Sonnenschein in den unvergleichlichen Golf von  N e a p e l  ein; rechts die Sphinxstatue des Felseneilandes Capri, gerade vor uns den mächtigen Vesuv mit seiner piniengleichen Rauchsäule, links die Insel Ischia, Proscida und Nisita; und dann den ganzen herrlichen Kranz von weißen Dörfern und Städten, Villen und Schlössern, der sich am langen Gestade des Golfs von Pozzuoli, von Kap Miseno über Bajä bis zum Posilipp ausdehnt und weiterhin jenseits der glänzenden Hauptstadt selbst am Fuße des Vesuv bis Castellamare, bis Sorrent und Kap Minerva hinzieht. Ein Aufenthalt unseres Dampfers von acht Stunden gewährte uns Zeit, an Land zu gehen und eine genußreiche Spazierfahrt nach dem Kloster San Martino zu machen, dem schönsten Aussichtspunkte der lärmenden Stadt, - und weiterhin auf dem Rücken des Posilipp bis zu dessen westlicher Spitze; dann zurück an seinem südlichen Abhang auf der herrlichen Fahrstraße, die eine ununterbrochene Reihe der schönsten südlichen Landschaftsbilder uns vor Augen führt, bis hinab zur Villa Nazionale und der weltberühmten Santa Lucia. Unverändert stand hier noch das hohe vierstöckige alte Haus, in welchem ich im Sommer 1859 mehrere Monate gewohnt hatte; aber der poetische Reiz der Brunnentreppe der Santa Lucia, in deren Halbrund neapolitanische Fischer Austern und anderen "Meeresfrüchte" ("frutti di mare") feilboten und Abends getanzt und gesungen wurde, ist durch die neuen Quaibauten und Straßenveränderungen geschwunden.

Die Abfahrt von Neapel, dem letzten Stück europäischer Erde, das ich auf dieser Reise betrat, war an dem wolkenlosen Abend des 5. September wundervoll; die anmuthigen Melodien der bekannten Neapolitaner Canzonetten, die vom Strande herüber tönten, machten mir das Herz aber schwer im Gedenken an die Lieben in der Heimath, denen ich für neun Monate Lebewohl gesagt hatte. Viele herzliche Grüße flogen noch hinüber nach dem schönen Strande; Tausende von Lichtern schienen dort eine festliche Illumination zum Abschiede zu bieten. Nun ging es hindurch zwischen Cap Minerva und Capri, dessen kühn geformter Felsenkörper hier im Dunkel der Nacht sich drohend von dem hellen Sternenhimmel abhob; ich mußte des wundervollen August 1859 gedenken, welchen ich auf der poesiereichen, damals wenig besuchten Insel als "Landschaftsmaler" verlebte, allein in Gesellschaft meines lieben Freundes, des friesischen Marschendichters  H e r m a n n   A l l m e r s. Die Wandertage am klippenreichen Strande, die kühlen Bäder in der blauen und der grünen Grotte, die sternenhellen Sommernächte auf dem Dache der Casa Pagano, - diese und andere Erinnerungen verwoben sich mit Victor Scheffel´s Capri-Dichtungen zu einen phantastischen Bilde.

Am Morgen des folgenden Tages, 6. September, passirten wir die  L i p a r i s c h e n   I n s e l n; dort hatte ich im März 1897 mit meinem damaligen Asisstenten, Dr.  L e o   S c h u l t z e, sehr interessante Wandertage verbracht. Die nächstliegende Insel, der kegelförmige Vulcan Stromboli, stieß in regelmäßigen Zwischenräumen eine starke Dampfwolke aus; an seiner Nordseite floß ein glühender Lavastrom herab, dessen unteres Ende bei seinem Einfluß das Meer unter starker Dampfbildung hoch aufschäumen ließ. Dann folgte Lipari, die Hauptinsel, eine italienische Verbrechercolonie; die weißen Felsenwände ihrer Ostküste enthalten große Bimssteingruben. Südlich davon liegt die nackte Insel Volcano, deren neu gebildeten Krater wir damals erstiegen hatten.

Nun kam die herrliche Meerenge von  M e s s i n a. Mittags fuhren wir am Leuchtthurm von Messina und dem Pantano vorbei, jenem Seebecken, das durch die dort entdeckte Entwicklungsgeschichte des Amphioxus berühmt geworden ist; dann weiterhin, zwischen Scylla und Charybdis hindurch, an dem stattlichen  M e s s i n a  und seinen berühmten Fischmarkte vorüber, dem Dorado der marinen Zoologen. An beiden Ufern der schönen, einem blauen Strome gleichenden Meerenge tauchten Reihen von weißen Dörfern und Städtchen auf, überragt von malerischen Hochgebirgsketten; links der Aspromonte von Reggio in Calabrien, rechts der stolze Aetna, dessen Gipfel ich im October 1859 von Cantana aus erstiegen hatte. Dann verloren sich allmählich die Ufer der breiter werdenden Meerenge; meine Gedanken verweilten bei den bunten Schaaren pelagischer Glasthiere, Radiolarien und Sagitten, Medusen und Siphonophoren, Pteropoden und Heteropoden, welche ich bei meinem drei Mal wiederholten Besuche von Messina aus dem unerschöpflich reichen Schooße seiner berühmten Meeresströmung erhalten hatte.

Freitag, der 7. September, war der erste Tag, an welchem ich nur Himmel und Wasser sah. Das blaue Mittelmeer zeigte bei hellem Sonnenschein und kühler Brise sein Antlitz von der liebenswürdigsten Seite. Der Sonnenuntergang bot ein bezauberndes Concert von Farbentönen, die sich in der klaren Fluth gebrochen spiegelten; und Abends stieg am sternenglänzenden Himmel die silberne Mondscheibe auf und ergoß ihren milden Glanz über die schimmernde Wasserfläche. Ein Feiertag voll stiller Weihe und bezaubernder "Meereseinsamkeit".

Sonntag, 9. September, kam früh die afrikanische Küste in Sicht, und gegen Mittag legten wir vor  P o r t   S a i d  an. Da unser Schiff hier beträchtliche Kohlenmengen einnahm - für die ganze Reise bis Ceylon - benutzten wir die Gelegenheit, vier Stunden am Lande zuzubringen. Ich fand den europäischen Theil von Port Said noch ebenso wie vor neunzehn Jahren: schmutzige Straßen voller Läden, in denen alle nur denkbaren Luxusgegenstände der modernen Hypercultur feilgeboten werden, praktische und unpraktische Handelsartikel aus drei Welttheilen, Photographien der schönsten und der bedenklichsten Objecte - dazu ihre lebenden Originale aus den verschiedensten Gesellschaftsclassen und Rassen; ebenso Restaurants und Kneipen, Café-Chantants und Tingel-Tangel aller Art. Wogegen mir das Araberdorf, welches südlich von der Stadt Port Said sich ausdehnt, diesmal nicht die originellen Scenen arabischen Beduinenlebens bot, an denen ich mich früher ergötzt hatte.

Die Fahrt durch den  S u e z c a n a l  (für welchen unser Dampfer die Kleinigkeit von 36000 Mark Canalzoll zu zahlen hatte) dauerte achtzehn Stunden. Ungeheure Schaaren von Wasservögeln bevölkerten die Gestade der großen Seen: Flamingos und Pelikane, Reiher und Wasserläufer; wie ein breites, weißes Band säumen ihre dichten Reihen die braunen Uferränder. Weiterhin gewährte der Wechsel bunter Farben auf dem Ufersande und an den Hügeln der Wüste, in den Wolken des Himmels und ihrem Spiegel im Wasser manche Unterhaltung.

Der kurze Aufenthalt in  S u e z, am Morgen des 10. September, gestattete uns nicht, an Land zu gehen. Im Hafen lag ein neues, großes, japanisches Kriegsschiff mit sechs drehbaren Panzerthürmen; von London kommend, fuhr es zum Lande der aufgehenden Sonne, um in den "chinesischen Wirren" ein Donnerwort mitzusprechen.

Die Fahrt von Suez nach Ceylon dauerte zwölf Tage bei beständig schönem Septemberwetter, klarem Himmel und ruhiger See. Der erste Tag der Fahrt, durch den Golf von Suez, erinnerte mich an meinen Besuch der Korallenbänke von Tur (1873), welchen ich in meinem Buche "Arabische Korallen" beschrieben habe. Wie damals glänzten die hohen Gebirgsketten an beiden Gestaden des Golfes in den lebhaftesten Farben und kühnsten Formen; rechts im Westen auf dem ägyptischen Ufer der wilde Djebel Attaka, den Ernst Körner so naturgetreu und schön dargestellt hat - links im Osten die langgestreckte Kette des vielgipfeligen Sinaigebirges und seiner Vorberge. Die Abendsonne ergoß über diese großartigen, öden und vegetationslosen Felsengebirge eine glühende Lichtfluth; ihre Schatten schimmerten lichtblau.

Das  R o t h e   M e e r  bewährte in den vier Tagen unserer Durchfahrt wiederum seinen bösen Ruf, die unerträglichste Hitze von allen Meerestheilen zu besitzen. Die Temperatur im Schatten betrug während des größten Theils des Tages und der Nacht zwischen 30 und 35o C. (24-28o R.); sie wurde dadurch doppelt empfindlich, daß die schwüle Luft mit Wasserdämpfen fast gesättigt war, und daß keine kühlende Brise uns entgegenwehte, wir vielmehr meistens einen schwachen, mit dem Schiffe gehenden Nordwind im Rücken hatten. Senkrecht stieg daher die schwarze Rauchsäule aus dem Schornstein gen Himmel. Fast unerträglich war die Hitze unten im Maschinenraum, wo die Temperatur von 50 auf 70o C. stieg und die meisten Heizer nach einigen Tagen Arbeit erkrankten; sie mußten in kurzen Zwischenräumen mit Ersatzmännern wechseln. Mehrere wurden von Delirium und Krämpfen befallen.

Die Farbe des "Rothen Meeres" blieb im größten Theile desselben tiefblau; nur im mittleren Theile durchschnitten wir Strecken, die mehr oder weniger grün oder gelblich, zum Theil fast gelbröthlich erschienen. Die mikroskopische Untersuchung des geschöpften Wassers ergab, daß diese Färbung durch "monotones  P e r i d i n e e n - P l a n k t o n" verursacht wurde, d. h. durch die Anhäufung ungeheurer Mengen von mikroskopischen Algetten, einzelligen Pflänzchen aus der Classe der Geißelhütchen oder Peridineen. Von den zierlichen und seltsamen Formen dieser Protophyten, welche ich auf Tafel 14 im zweiten Hefte meiner "Kunstformen der Natur" abgebildet habe, waren hier besonders zwei Arten vertreten (Fig. 9 und 10); die eine gleicht einem Kessel mit konischem Deckel, die andere einem eiförmigen Stuhlknopf. Dazwischen fanden sich einzelne Individuen einer dritten Art, welche die Gestalt eines reich verzierten Ritterhelmes besitzt; oben trägt derselbe einen senkrechten Flügel, dessen dünne Platte durch sechs bis acht strahlende Rippen gestützt wird; unten ist die Mündung des Helms von einem doppelten zierlichen Halskragen umgeben (Ornithocercus, Fig. 3). Vor einem Jahr um dieselbe Zeit hatte ich in Ajaccio auf Corsica drei andere Species von Peridineen, in großer Menge Plankton bildend, beobachtet, und zwar diejenigen, welche auf der gedachten Tafel 14 in Fig. 1, 3 u. 8 abgebildet sind.

Fig. 3. Ein  G e i ß e l h ü t c h e n,  P e r i d i n e a  (Ornithocercus magnificus)
Die Urpflänzchen, deren getäfelte Celluloseschale die seltsamsten Formen annimmt, bewegen sich mittelst einer schwingenden Geißel und wurden daher früher für Infusionsthierchen gehalten; allein die grünen, gelben und rothen Körner in ihrem plasmodomen Zellenleibe beweisen deutlich, daß sie ihrem Stoffwechsel nach zum Pflanenreiche gehören. Sie vermögen durch Synthese von Wasser, Kohlensäure und Ammoniak Kohlenhydrate und Eiweißkörper zu bilden; und da diese "Kohlenstoff-Assimilation" vermöge ihrer massenhaften Entwicklung (fortgesetzte rasche Theilung der Zellen) in größtem Maßstabe geschieht, liefern die Peridineen, ebenso wie die verwandten Diatomeen, große Mengen von "Urnahrung" für die niederen Seethiere. Eine andere Gruppe von einfachsten Urpflänzchen, welche in dieser Beziehung hohe Bedeutung besitzen, sind die  C h r o m a c e e n; sie bilden gelbliche oder röthliche Flocken, die aus Fäden bestehen, zusammengesetzt aus einfachen Ketten kernloser Zellen. Massenhaft angehäuft, können zu anderen Zeiten gewisse Chromaceen, so namentlich Trichodesmium erythraeum, ebenfalls dem "Rothen Meere" eine gelbliche oder röthliche Farbe verleihen. Auf der Rückreise sah ich so (am 10 März 1901) das Meer in der Malakka-Straße auf weite Strecken hin roth gefärbt.

Im südlichen Theile des Rothen Meeres fuhren wir am Nachmittag des 13. September nahe dem  Z e b a y r - A r c h i p e l  oder der Inselgruppe der "Zwölf Apostel" vorbei; es sind das völlig nackte und unbewohnte vulcanische Inseln, ausgezeichnet durch phantastische Formen und bunte Farben. Ihre Tuffwände, auf des Lebhafteste gelb und roth getönt, stechen grell ab gegen braune und schwarze Lavafelder. Im blauen Meere machten sich von Zeit zu Zeit helle Flecke bemerkbar, aus denen Tausende von größeren und kleineren Fischen zum Vorschein kamen; zahlreiche Möven, Taucher, Cormorane und andere Wasservögel ließen sich auf diesen natürlichen Futterplätzen nieder und machten sich unter entrüstetem Schreien und Flügelschlagen die reiche Nahrung streitig.

Am Morgen des 14. September hatten wir bereits das "Thränen-Thor" (Bab el Mandeb) passirt und wurden bei unserem Eintritt in den Indischen Ocean von der sehnlichst erwarteten erfrischenden Brise begrüßt; auch in den folgenden Tagen begleitete uns der Südwest-Monsun mit angenehmer Kühlung. Das Meer war nur mäßig bewegt, der Himmel zeitweise ganz klar, dann wieder mit langen Zügen von mannigfaltig gestalteten Monsunwolken bedeckt, die bei Sonnenuntergang in den zartesten und prächtigsten Farben glühten. Spät am Abend unterhielt uns lange noch unter einem strahlenden Sternenhimmel das wunderbare Schauspiel, welches die Leuchtthiere an der Oberfläche des Meeres bereiteten.

Das "M e e r l e u c h t e n" zeigte sich auf dieser Reise in zwei verschiedenen Formen. An einigen Abenden erschienen Tausende von größeren "Leuchtkugeln", meistens Medusen (Pelagia, Rhizostoma u. A.), geisterhaft aus der dunkeln Fluth auftauchend und wieder verschwindend. In weiterer Entfernung sah man nur schwach ihren unbestimmten Lichtschein; in der Nähe des Schiffes wurde ihre runde Glockenform erkennbar, ähnlich den elektrischen Lampen in den Schiffscabinen. Von einer größeren Woge erfaßt, leuchteten sie plötzlich heller auf und blieben dann hinter dem schnell laufenden Schiff im Kielwasser noch eine Strecke weit sichtbar. Mit Hilfe eines herabgelassenen Eimers gelang es einmal, aus dem Kielwasser einige leuchtende Medusen heraufzuziehen. Eine davon gehörte zu der  A c r a s p e d e n -Gattung Pelagia, die andere zu der  C r a s p e d o t e n -Gattung Zygocannula (Fig. 4). Diese letztere, zur Familie der Aequoriden gehörig, zeichnet sich durch die ungewöhnlich hohe Glockenform des Gallertschirms (der zum Schwimmen dienenden Umbrella) aus, sowie durch die große Zahl der bandförmigen Mundlappen

Eine leuchtende Meduse (Zygocannula diploconus), in natürlicher Größe.
(unten) und der gabelspaltigen Strahl-Canäle, die vom centralen Magen abgehen und an der Gabel je zwei Eierschnüre tragen.

Viel intensiver und ausgedehnter war die zweite Form des Meeresleuchtens, welche durch Milliarden von kleinen großentheils mikroskopischen Thierchen hervorgebracht wurde. Sie war am schönsten in dem "Kühlwasser" der Maschine sichtbar, das durch eine seitliche Oeffnung an der (rechten) Steuerbordseite, in der Mitte des Schiffes, beständig ausgestoßen wird. Dieses zur Abkühlung dienende Seewasser wird in den untersten Schiffsraum ununterbrochen eingepumpt und durchströmt den Raum, in welchem die heißen, dampferfüllten Röhren der Maschine verlaufen. Letztere geben dabei einen beträchtlichen Theil ihrer hohen Temperatur an das umspülende Kühlwasser ab und erhitzen dasselbe auf 40-50o C. Die starke Erwärmung einerseits, anderseits der heftige Stoß, mit dem dieser Wasserstrom seitlich ausgeschleudert wird, sind wahrscheinlich die Ursachen, welche die darin enthaltenden Thiere besonders reizen und zu starker Leuchtentwicklung veranlassen. In jeder Secunde wurden Tausende von ihnen, bisweilen in so dicht gedrängten Massen ausgestoßen, daß die Lichtgarbe, einer Rakete oder einem Schwärmer gleich, sich in viele kleine Funken auflöste. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß die meisten leuchtenden Körper kleine  K r e b s t h i e r e  waren, Crustaceen aus den beiden Ordnungen der Ruderkrebse (Copepoda) und der Muschelkrebse (Ostracoda). Unter den letzteren zeichnete sich eine kleine, eiförmige Cythere durch besonders starke Leuchtkraft aus; das intensive, schön grünlich blaue Licht, das sie ausstrahlte, war so lebhaft, daß man als Träger desselben ein viel größeres Thier vermuthete, als das winzige, kaum einen Millimeter lange Krebschen. Einzelne weibliche Exemplare bargen zahlreiche blaue Eier im Leibe, andere ein Dutzend schon entwickelte Embryonen, ebenfalls leuchtend. Zwischen diesen überwiegenden Bestandtheilen des "prävalenten Crustaceen-Plankton" waren zahlreiche kleinere leuchtende Protisten zu finden: Radiolarien und Infusorien, Peridineen und Pyrocysten. Ein ganz besonderes Schauspiel verschafften uns an einem Abend mehrere Delphine; die schnell schwimmenden, fischähnlichen Säugethiere folgten dem raschen Lauf des Dampfers nicht nur mit derselben Geschwindigkeit, sondern leisteten dabei noch besondere Evolutionen, indem sie aus dem Wasser sprangen, sich überschlugen u. s. w. Dabei war ihr ganzer Körper von leuchtenden Funken bedeckt (den anhaftenden kleineren Leuchtthieren), obwohl sie selbst kein Licht ausstrahlten.

Das bekannte und oft beschreibene Spiel der  D e l p h i n s c h a a r e n, die das Schiff in schnellem Laufe begleiten und umkreisen, gehört zu den unterhaltendsten Schaustücken einer großen Oceanfahrt; ebenso das Spiel der "fliegenden Fische" (Exocoetus); sie zeigten sich während unserer Fahrt täglich in Tausenden von Individuen, sprangen schaarenweise vor dem Schiffe aus dem Wasser, schossen in flachem Bogen eine Strecke weit hin und verschwanden dann wieder unter den Wellen. Dann und wann sprang auch ein fliegender Fisch auf das Deck des Schiffes oder durch das offene Fenster in eine Cabine. Die Matrosen verzehrten diese "fliegenden Häringe" mit vorzüglichem Appetit. Am 16. September machte Poseidon uns ein ganz besonderes Sonntags-Vergnügen dadurch, daß er mit einer Sturzwelle drei Dutzend lebende Tintenfische an Bord warf, pfeilschnell schwimmende Cephalopoden aus der Familie der  K a l m a r e  (Loliginea). Die fußlangen Thiere, den meisten Mitreisenden unbekannt, ergötzten sie durch den bunten Farbenwechsel ihrer irisirenden Hautdecke; ihre Anatomie gab Veranlassung zu einer kleinen Vorlesung über den eigenthümlichen Körperbau dieser hochorganisirten Weichthiere. Gebacken in Oel lieferten sie zur Abendtafel eine seltene Zugabe; doch konnten die meisten Passagiere daran nicht den Geschmack finden, den der Neapolitaner an seiner "Frittura di Calamaji" so hoch schätzt.

Ein zoologischen Genuß anderer Art bereiteten uns die Nereiden des Indischen Oceans, indem sie am 20. September Morgens, bei spiegelglatter See, Tausende von  P o r p i t a  an der Oberfläche erscheinen ließen, blumenförmige Siphonophoren oder "S t a a t s q u a l l e n" von eigenthümlich complicirtem Körperbau. Sie erscheinen wie schwimmende Cocarden: tiefblaue, kreisrunde Scheiben von 5-6 Centimeter Durchmesser, in der Mitte mit einem gelben Fleck, der ein rothes Centrum einschloß (der luftgefüllten Schwimmblase). Leider war es mir, bei der raschen Fahrt des Dampfers, nicht möglich, eine dieser interessanten Staatsquallen zu fischen; auch auf meiner ersten Reise nach Ceylon hatte ich sie in derselben Gegend des Indischen Oceans (am 4. November 1881) angetroffen, ohne sie erlangen zu können. Derartige Resignationen - nothgedrungener Verzicht auf interessante Beobachtungs-Objekte, die man fast mit Händen greifen kann - gehören zu den grausamsten Tantalusqualen des reisenden Naturforschers! Druch zahlreiche solcher Entbehrungen seit mehr als einem halben Jahrhundert belehrt, pflege ich mich mit dem Philosophen zu trösten:

Resignation, dies herbste aller Worte,
Eröffnet uns allein des Friedens Pforte!

Freilich muß leider bekennen, daß mein Temperment der praktischen Verwirklichung dieses schönen, theoretischen Weisheitswortes stets neue Hindernisse bereitet, und daß sich mir "des Friedens Pforte" wohl erst dann öffnen wird, wenn von den mir beschiedenen Tagen "zuletzt der letzte kommt".

Die scheibenförmige, in Fig. 5 abgebildete  S i p h o n o p h o r e, aus der Ordnung der Disconecten (Disconalia gastroblasta) ist der  P o r p i t a  nahe verwandt und gleich ihr von schön blauer Farbe. Obgleich das ganze Thier einer einzelnen Meduse sehr ähnlich sieht, ist es doch keine einfache Person, sondern ein Stock oder  C o r m u s, aus zahlreichen verschiedenen Personen zusammengesetzt. In der Mitte öffnet sich der weite, von acht rosenrothen dreieckigen Lippen umgebene Mund, der in
Eine  S t a a t s q u a l e  oder  S i p h o n o p h o r e  aus der Ordnung der Disconecten (Disconalia gastroblasta)
den Magen des centralen Nährthieres führt. Die acht kegelförmigen Körper, welche die Mundrosette rings umgeben, sind die rothen Geschlechtspersonen und tragen an ihrer Basis einen Kranz von runden gelben Eiern. Nach außen davon stehen mehrere Kränze von blauen Tentakeln, bewaffnet mit je drei Reihen von gestielten Nesselköpfen. Der Polymorphismus oder die "Formspaltung" dieser socialen Medusen ist sehr wichtig für die Lehre von der  A r b e i t s t h e i l u n g.

Von  A d e n, das wir wegen der dort vorkommenden Pestfälle meiden mußten, sahen wir auf dieser Reise nichts; und nicht viel mehr von der großen Insel Sokotra, da sie größtentheils in Wolken gehüllt war. Dagegen bekamen wir am 19. September Nachmittags ein sehr hübsches Bild von der Malediven-Insel  M i n i k o i, an deren südlichen Ufern wir entlang fuhren. Wir erkannten sehr deutlich die Ringform des großen Korallenriffes, welches einen dichten Wald von Cocospalmen trägt und von dreitausend Fischern bewohnt wird; in der Mitte des Atolls schimmerte der stille, grüne Spiegel der Lagune; am nördlichen Ufer waren die Masten der gestrandeten Yacht des ungarischen Grafen Festetic sichtbar, am südlichen Ufer das Wrack eines größeren englischen Dampfers, der vor einem Jahr auf das gefährliche Korallenriff aufgelaufen war.

Die Bewohner der  M a l e d i v e n - I n s e l n  - im Ganzen über 30,000 - bilden einen isolirten, eigenthümlichen Zweig der mediterranen Rasse, entstanden aus einer Mischung von Singhalesen und Arabern; ihre Religion ist eine besondere Abart des Islam. Sie sind kühne und geschickte Schiffer und treiben Handel sowohl mit Ceylon, wie mit den Küsten von Vorder-Indien. Die Handels-Producte sind Cocosnüsse, Schildpatt, Fische, Kaurimuscheln u. s. w. Sie zahlen Tribut an England, unter dessen Oberhoheit der Sultan steht.

In der Morgenfrühe des 21. September ging unser Schiff im Hafen von  C o l o m b o  vor Anker, wo wieder Kohlen eingenommen wurden. Noch vor Sonnenaufgang betrat ich in Begleitung meherer Reisegefährten den Boden von Ceylon. Die Eindrücke, welche der viermonatliche, vom Glück begünstigte Aufenthalt auf dieser Insel mir vor neunzehn Jahren gewährt hatte, habe ich in meinen "Indischen Reisebriefen" geschildert. [ Indische Reisebriefe. Dritte Auflage, mit zwanzig Illustrationen nach Photogrammen und Original-Aquarellen. Berlin, Paetel. 1893 ] Damals hatte ich nicht geträumt, Ceylon noch einmal wiederzusehen, und die "Wunder des fernen Ostens" noch weiter hinaus, bis Java und Sumatra kennen lernen zu sollen. Und nun hatte es das Schicksal doch gefügt, daß ich jene schönen Erinnerungen wieder auffrischen durfte.

Die kurze uns gestattete Zeit von sechs Stunden benutzten wir zu einem Ausflug nach Mount Lavinia und Victoria-Park. Zusammen mit drei Reisegefährten fuhr ich in einem Einspänner zwei Stunden weit auf der schönen Straße, welche von Colombo längs der Westküste der Insel südwärts nach Point de Galle führt - eine zusammenhängende Kette von Villen der Europäer und malerischen Hütten der Eingeborenen, von blumenreichen Gärten umgeben. Die braunen Gestalten der Singhalesen-Familien vor ihren offenen Hütten, die schwarzen Tamilen mit Wegeverbesserung beschäftigt oder als Kutscher die Zebu-Ochsen vor den Karren lenkend, gaben die lebendige Staffage zu dem Charakterbilde der Ceylondörfer, das mich so oft erfreut hatte.

Mount Lavinia ist ein elegantes Badehotel, frei auf einem malerischen Felsenvorsprung der Küste, ein paar Stunden südlich von Colombo gelegen; von einem deutschen Wirthe gut ausgestattet, wird es von europäischen Familien viel besucht und auch als Badeaufenthalt benützt. Nach dort eingenommenem Frühstück fuhren wir zurück durch den Victoria-Park, einen öffentlichen Garten mit schönen tropischen Gebüschen und Baumgruppen, kleinen Teichen und Zimmetpflanzungen. Der kurze Besuch, den ich den südlichen Stadttheilen von Colombo abstatten konnte, überzeugte mich, daß auch hier in den inzwischen verflossenen Jahren sich Vieles geändert hatte; neue elegante Straßen sind entstanden, zum Theil mit hohen, europäischen Häusern und belegt durch zahlreiche Jinrikschas, ein Fuhrwerk, wie ich es demnächst in Singapur täglich benutzte, damals aber noch nicht kannte. Aus freundlichen Briefen von Reisenden, welche das Hochland von Ceylon nach mir besucht hatten, wußte ich bereits, daß die Eisenbahn hoch in das Gebirge vorgedrungen sei; weite Strecken, in denen ich allein mit einem Kuli durch einsame Bergwälder gewandert war, sind jetzt cultivirt und mit Theepflanzungen bedeckt. Bald wird von den ursprünglichen Naturreizen des unberührten Ceylon nichts mehr übrig sein.

Von Colombo gelangten wir in vier Tagen nach der Insel  P e n a n g, einem wichtigen Stützpunkte des englischen Handels, unter dem fünften Brade nördl. Breite an der Westküste der malayischen Halbinsel gelegen. Den ganzen Nachmittag des 21. September behielten wir die Südwestküste von Ceylon mit den mir so wohlbekannten Küstenplätzen: Caltura und Point de Galle, Belligemma und Matura im Gesicht. Auch diese reizenden, in Palmenwälder eingebetteten Ortschaften sind neuerdings durch eine Eisenbahn verbunden worden. Abends steuerten wir um die Südspitze der Insel, und nun ging unser südlicher Kurs in den östlichen über.

Am Vormittag des 24. September kam die Nordwestspitze der Insel Sumatra in Sicht, vor derselben die Insel Pulo Bras; aus ihrem grünen Waldkleide ragte ein weißer Thurm einsam hervor, das Leuchtfeuer "Wilhelms-Thurm". Ueber den niederen Hügelreihen an der bewaldeten Küste von Sumatra erhob sich ein großer Vulkankegel, der "Goldene Berg"; sein Haupt ragte spitz aus einem Wolkenkranz hervor.

Am Morgen des 25. September erblickten wir das Gestade der malayischen Halbinsel und gingen gegen Mittag bei  P e n a n g  vor Anker, in dem geräumigen Hafen der Hauptstadt Georgetown. Die acht Stunden, welche uns für den Besuch dieser interessanten Insel vergönnt waren, bereicherten und mit einer Fülle von bunten Bildern der hinterindischen Halbinsel. Dank der freundlichen Empfehlung von Herrn

Die Fächer-Banane (Ravenala), der "Baum der Reisenden" von Madagaskar.
 H e r m a n n   K a t z  in Frankfurt a. M. - dem Chef des großen indischen Handelshauses Katz Brothers - holte mich dessen Vertreter in Penang, Herr  H e u s s y, an Bord des Schiffes ab und führte mit nebst Herrn Dr.  S c h u b e r t  in seinem Wagen durch malerische Theile der Stadt nach der von ihm bewohnten Villa. Die herrlichen Gärten, welche die isolirt gelegenen Häuser der Europäer ebenso wie die Pfahlbauhütten der Eingeborenen umgeben, sind mit den üppigsten Palmen, Bambusen, Bananen, Brotfruchtbäumen und anderen Zierden der Tropenflora geschmückt. Häufig stehen am Eingang des Gartenthors (- ebenso wie in Singapur -) ein paar Prachtexemplare der  R a v e n a l a, jenes merkwürdigen "Baumes der Reisenden", dessen einfacher säulengleicher Stamm einen Fächer von langgestielten Riesenblättern trägt, die alle in einer Ebene liegen. (Fig. 6) Es ist dies keine Palme, sondern eine besondere Gattung der Musaceen (Pisang- oder Bananen-Gewächse). Die braune und gelbe, größtentheils malayische und chinesische Bevölkerung läßt uns in ihren offenen, mit Palmenblättern gedeckten Hütten alle Eigenthümlichkeiten ihrer Lebensweise schauen.
 P f a h l b a u t e n   e i n e s   F i s c h e r d o r f e s  am Eingang der Singapur-Straße.
Auf vortrefflichen Wegen fuhren wir in einer halben Stunde nach dem  b o t a n i s c h e n   G a r t e n, welcher zwar nicht sehr groß, aber landschaftlich schön angelegt und sehr gut von Mr.  C u r t i s  gehalten ist. Er füllt einen Thalkessel auf, der sich nach der Stadt zu öffnet und von hohen Felswänden umgeben ist; über letztere rauscht im Hintergrund ein mächtiger Wasserfall herab. Die ganze erstaunliche Ueppigkeit der Flora von Hinterindien offenbarte sich uns in den zahlreichen, auf Rasenflächen anmuthig vertheilten Gruppen von Palmen und Bambusen, Pandangs und Feigenbäumen, sowie reich entwickelten Kletterpflanzen und Lianen aller Art. Durch besondere Zierlichkeit imponirten uns verschiedene Arten von tropischen Farnen, Lycopodien und Selaginellen, in offenen Glashäusern sehr geschmackvoll zusammengestellt; die Stützpfeiler der letzteren waren mit den prächtigen Blüthen von Passifloren, Bauhinien, Baugainvillien und anderen Schlingpflanzen geschmückt. Ueberall im schönen "Wasserfall-Garten" zeigte sich ein feiner, decorativer Geschmack. Ehe wir Abends auf unser Schiff zurückkehrten, führte und Herr Heussy noch durch die hell erleuchteten Straßen, in denen die farbigen Rassen von Georgetown ihren abendlichen Genüssen und Vergnügungen nachgehen - bunte, lebensvolle Bilder von hohem ethnographischem und anthropologischem Interesse. Neben den vorherrschenden gelben chinesischen
 G o l d e n e r   B e r g  auf Sumatra
und hellrothen malaischen Typen fehlte es nicht an dunkelbraunen Hindus, Klings und schwarzen Tamilen.

Am 26. September führte uns unser Dampfer durch die hellgrüne  M a l a k k a - S t r a ß e; Abends veranstaltete der liebenswürdige Capitän der "Oldenburg", Herr Prager, ein heiteres, durch Poesie und Blumenschuck gewürztes Abschiedsfest. Am folgenden Morgen, noch vor Sonnenaufgang, gingen wir im Hafen von Singapur vor Anker. Die Einfahrt in diesen gewaltigen Hafen, zwischen grünen Inseln, in der ganzen Pracht der Tropenflora prangend und von den originellen Pfahlbauhütten und Dörfern der malayischen Fischer belebt, ist wunderschön. Unser Schiff legte am Borneo-Wharf, direct am Quai des "Norddeuschen Lloyd", an; unter den Europäern, die dort zum Empfange der ankommenden Passagiere bereit standen, begrüßten mich zwei alte Freunde, der deutsche Consul Herr Eschke und mein früherer Schüler und Assistent in Jena, Dr. Hanitsch aus Eisenberg, seit sechs Jahren Director des Raffles-Museums in Singapur und Curator der damit verbundenen öffentlichen Bibliothek. In seiner Amtswohnung, dem Museums-Hause (wenige Minuten vom Museum selbst entfernt), fand ich mehrere freundliche Zimmer zu meinem Empfange hergerichtet; Dr. Hanitsch und seine liebenswürdige Gemahlin (aus Liverpool gebürtig) übten die berühmte indische Gastfreundschaft in der angenehmsten Weise. Ich hatte beabsichtigt, in Singapur nur wenige Tage zu verweilen, wie es die meisten Indienreisenden thun, fand aber in der merkwürdigen Stadt so viel Interessantes, und von meinen dortigen Freunden wurden mir so viel lehrreiche Excursionen geboten, daß ich volle sechzehn Tage ihrem Studium widmete.

 L o t o s - B l u m e .

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