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Italienfahrt - Ernst Haeckel - Brief vom 6. 6. 1859

Italienfahrt - Ernst Haeckel - Brief vom 6. 6. 1859

Italienfahrt - Ernst Haeckel

Neapel, 6. 6. 1859

Brief Nr. 27

. . . Ich werde nun wohl Ende dieser Woche Neapel verlassen, worauf ich mich herzlich freue. Ich bin den ekelhaften Schmutz in den Häusern, den tollen, wüsten Lärm auf den Straßen, den unangenehmen Verkehr mit den schlechten Wirtsleuten, den rohen, indolenten Fischern, den dicken Staub und die heiße Sonne der S. Lucia jetzt herzlich satt und werde mich in der stillen Einsamkeit von Capri oder Ischia, wo ich ganz nur meinen Studien leben kann, gewiß sehr wohl fühlen . . .

Am Tage vor der Grablegung, am 31. Mai, wurde die Leiche des verstorbenen Königs mit dem größten militärischen Gepränge aus dem Schloß nach der Gruftkirche S. Chiara gebracht, bei welcher Gelegenheit ich den größten Teil des neapolitanischen Heeres, das aus den Provinzen hereinbeordert war, in großer Parade zu sehen bekam. Gegen unsere Truppen stechen sie durch ihren Mangel an strammer Haltung sehr ab und machen einen liederlichen, schlappen Eindruck, wie alle Italiener. Am fremdartigsten sahen die mit Maultieren bespannten Bergkanonen aus; am prächtigsten die berittene, überreich beschmückte Leibgarde. Mit den einzelnen Truppenabteilungen wechselten die verschiedenen geistlichen Brüderschaften, Mönchsorden und der höhere Klerus ab, die in wahrhaft grauenerregender Anzahl vorhanden war. Solange dies Gesindel die Oberhand behält, ist allerdings an Aufblühen des Landes nicht zu denken!

Tags zuvor vor diesem festlichen Auszug war die Leiche des Königs auf einem Paradesarg in einem prächtig mit Trophäen, Statuen, Goldschmuck, Trauerzeichen usw. geschmückten Saale des Schlosses ausgestellt. Obgleich es sehr schwierig war, durch die dichtgedrängten, um die Wette sich stoßenden und durcheinander schnaubenden, tobenden Volksmassen und durch die sie mit Stockhieben ziemlich unsanft zurücktreibenden Schweizergarden sich einen Weg zu bahnen, gelangte ich als "forstiere" doch glücklich hinein und konnte mcih über den Popanz, das Lügen- und Blendwerk, das dieses heuchlerische Gaunervolk hier in seiner ganzen Erbärmlichkeit zeigt, hinreichend ärgern. Das beste war aber, daß ich bei dieser Gelegenheit die sonst jetzt ganz unzugängliche Terrasse des Schlosses zu sehen bekam, von der man einen prächtigen Blick auf den Golf, den Vesuv und die Sorrentiner Berge, Capri und von Posilip genießt, im Vordergrund das königliche Arsenal mit dem vor Anker liegenden königlichen Privatdampfer usw. Ohne ein Wort zu sagen, ging ich, den eben erhaltenen letzten Brief vom lieben Schatz lesend, mitten durch die Wachen hindurch, die mich vermutlich nur des fremdartigen Aussehens halber, vielleicht wegen des total grauen Habits (deswegen ich jetzt als Inglese passiere!) mich ruhig durchließen. Von der Terrasse ging ich in den reizenden, kleinen Privatgarten der königlichen Familie, wo ich ganz allein unter blühenden Palmen, Magnolien, Azalien usw. über eine Stunde umherwanderte . . .


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