I.
Versuche über Pflanzenhybriden
von
Gregor Mendel.
Vorgelegt in den Sitzungen vom 8. Februar und 8. März 1865
Gedruckt in den Verhandlungen des naturforschenden Vereins in
Brünn. IV. Band. Abhandlungen 1865, Brünn, 1866. Im
Verlage des Verein. S. 3-47.
Einleitende Bemerkungen.
Künstliche Befruchtungen, welche an Zierpflanzen deshalb
vorgenommen wurden, um neue Farbvarianten zu erzielen, waren die
Veranlassung zu den Versuchen, die hier besprochen werden sollen. Die
auffallende Regelmässigkeit, mit welcher dieselben Hybridformen
immer wiederkehrten, so oft die Befruchtung zwischen gleichen Arten
geschah, gab die Anregung zu weiteren Experimenten, deren Aufgabe es
war, die Entwicklung der Hybriden in ihren Nachkommen zu
verfolgen.
Dieser Aufgabe haben sorgfältige Beobachter, wie
Kölreuter, Gärtner, Herbert, Lecocq,
Wichura u. A. einen Theil ihres Lebens mit unermüdlicher
Ausdauer geopfert. Namentlich hat Gärtner in seinem Werke
Èdie Bastarderzeugung im PflanzenreicheÇ sehr schätzbare
Beobachtungen niedergelegt, und in neuester Zeit wurden von
Wichura gründliche Untersuchungen über die
Bastarde der Weiden veröffentlicht. Wenn es noch nicht gelungen
ist, ein allgemein gültiges Gesetz für die Bildung und
Entwicklung der Hybriden aufzustellen, so kann das Niemanden Wunder
nehmen, der den Umfang der Aufgabe kennt, und die Schwierigkeiten zu
würdigen weiss, mit denen Versuche dieser Art zu kämpfen
haben. Eine endgültige Endscheidung kann erst dann erfolgen,
wenn Detailversuche aus den den verschiedensten
Pflanzenfamilien vorliegen. Wer die Arbeiten auf diesem Gebiete
überblickt, wird zu der Ueberzeugung gelangen, dass unter den
zahlreichen Vesuchen keiner in dem Umfange und in der Weise
durchgeführt ist, dass es möglich wäre, die Anzahl der
verschiedenen Formen zu bestimmen, unter welchen die Nachkommen
der Hybriden auftreten, dass man diese Formen mit Sicherheit in den
einzelnen Generationen ordnen und die gegenseitigen numerischen
Verhältnisse feststellen könnte. Es gehört allerdings
einiger Muth dazu, sich einer so weit reichenden Arbeit zu unterziehen;
indessen scheint es der einzig richtige Weg zu sein, auf dem endlich die
Lösung einer Frage erreicht werden kann, welche für die
Entwicklungsgeschichte der organischen Formen von nicht zu
unterschützender Bedeutung ist.
Die vorliegende Abhandlung bespricht die Probe eines solches
Detailversuches. Derselbe wurde sachgemäss auf eine kleine
Pflanzengruppe beschränkt und ist nun nach Verlauf von acht
Jahren im Wesentlichen abgeschlossen. Ob der Plan, nach welchem die
einzelnen Experimente geordnet und durchgeführt wurden, der
gestellten Aufgabe entspricht, darüber möge eine
wohlwollende Beurtheilung entscheiden.
Auswahl der Versuchspflanzen
Der Werth und die Geltung eines jeden Experimentes wird durch die
Tauglichkeit der dazu benützen Hilfsmittel, sowie durch die
zweckmässige Anwendung derselben bedingt. Auch in dem
vorliegenden Falle kann es nicht gleichgülitg sein, welche
Pflanzenarten als Träger der Versuche gewählt und in
welcher Weis diese durchgeführt wurden.
Die Auswahl der Pflanzengruppe, welche für Versuche dieser Art
dienen soll, muss mit möglichster Vorsicht geschehen, wenn man
nicht im Vorherein allen Erfolg in Frage stellen will.
Die Versuchspflanzen müssen nothwendig
1. Constant differirende Merkmale besitzen.
2. Die Hybriden derselben müssen während der
Blüthezeit vor der Einwirkung jedes fremdartigen Pollens
geschützt sein oder leicht geschützt werden können.
3. Dürfen die Hybriden und ihre Nachkommen in den aufeinander
folgenden Generationen keine merkliche Störung in der
Fruchtbarkeit erleiden.
Fälschungen durch fremden Pollen, wenn solche im Verlaufe des
Versuches vorkämen und nicht erkannt würden,
müssten zu ganz irrigen Ansichten führen. Verminderte
Fruchtbarkeit, oder gänzliche Sterilität einzelner Formen,
wie sie unter den Nachkommen vieler Hybriden auftreten, würden
die Versuche sehr erschweren oder ganz vereiteln. Um die Beziehungen
zu erkennen, in welchen die Hybridformen zu einander selbst und zu
ihren Stammarten stehen, erscheint es als nothwendig, daß die
Glieder der Entwicklungsreihe in der einzelnen Generation
vollzählig der Beobachtung unterzogen werden.
Eine besondere Aufmerksamkeit würde gleich Anfangs den
Leguminosen wegen ihres eigenthümlichen
Blüthenbaues zugewendet. Versuche, welche mit mehreren
Gliedern dieser Familie angestellt wurden, führten zu dem
Resultate, dass das Genus Pisum den gestellten Anforderungen
hinreichend entspreche. Einige ganz selbstständige Formen aus
diesem Geschlechte besitzen constante, leicht und sicher zu
unterscheidende Merkmale, und gegen bei gegenseitiger Kreuzung in
ihren Hybriden vollkommen fruchtbare Nachkommen. Auch kann eine
Störung durch fremde Pollen nicht leicht eintreten, da die
Befruchtungsorgane vom Schiffchen enge umschlossen sind und die
Antheren schon in der Knospe platzen, wodurch die Narbe noch vor dem
Aufblühen mit Pollen überdeckt wird. Dieser Umstand ist
von besonderer Wichtigkeit. Als weitere Vorzüge verdienen noch
die Erwähnung die leichte Cultur dieser Pflanze im freien Lande
und in Töpfen, sowie die verhältnissmassig kurze
Vegetationsdauer derselben. Die künstliche Befruchtung ist
allerdings etwas umständlich, gelingt jedoch fast immer. Zu diesem
Zwecke wird die noch nicht vollkommen entkommen entwickelte Knospe
geöffnet, das Schiffchen entfernt und jeder Staubfaden mittelst
einer Pincette behutsam herausgenommen, worauf dann die Narbe
sogleich mit dem fremden Pollen belegt werden kann.
Aus mehreren Samenhandlungen wurden im Ganzen 34 mehr oder
weniger verschiedene Erbesensorten bezogen und einer
zweijährigen Probe unterworfen. Bei einer Sorte wurden unter
einer grösseren Anzahl gleicher Pflanzen einige bedeutend
abweichende Formen bemerkt. Diese variirten jedoch im nächsten
Jahre nicht und stimmten mit einer anderen aus derselben
Samenhandlung bezogenen Art vollständig überein; ohne
Zweifel waren die Samen bloss zufällig beigemengt. Alle anderen
Sorten gaben durchaus gleiche und constante Nachkommen, in den
beiden Probejahren wenigstens war eine wesentliche Abänderung
nicht zu bemerken. Für die Befruchtung wurden 22 davon
ausgewählt und jährlich, während der ganzen
Versuchsdauer angebaut. Sie bewährten sich ohne alle
Ausnahme.
Die systematische Einreihung derselben ist schwierig und unsicher.
Wollte man die schärfste Bestimmung des Artbegriffes in
Anwendung bringen, nach welcher zu einer Art nur jene Individuen
gehören, die unter völlig gleichen Verhältnissen auch
völlig gleiche Merkmale zeigen, so könnten nicht zwei davon
zu einer Art gezählt werden. Nach der Meinung der Fachgelehrten
indessen gehört die Mehrzahl der Species Pisum sativum an,
während die übrigen bald als Unterarten von P. sativum,
bald als selbstständige Arten angesehen und beschrieben
würden, wie P. quadratum, P. saccharatum, P. umbellatum.
Uebrigens bleibt die Randordnung, welche man denselben im Systeme
giebt, für die in Rede stehenden Versuche völlig
gleichgültig. So wenig man eine scharfe Unterscheidungslinie
zwischen Species und Varietäten zu ziehen vermag, ebenso wenig
ist es bis jetzt gelungen, einen gründlichen Unterschied zwischen
den Hybriden der Species und Varietäten aufzustellen.
Eintheilung und Ordnung der Versuche.
Werden zwei Pflanzen, welche in einem oder mehreren Merkmalen
constant verschieden sind, durch Befruchtung verbunden, so gehen, wie
zahlreiche Versuche beweisen, die gemeinsamen Merkmale
unverändert auf die Hybriden und ihre Nachkommen über;
je zwei differirende hingegen vereinigen sich an der Hybride zu einem
neuen Merkmale, welches gewöhnlich an den Nachkommen
denselben Veränderungen unterworfen ist. Diese
Veränderungen für je zwei differirende Merkmale zu
beobachten und das Gesetz zu ermitteln, nach welchem dieselben in den
aufeinander folgenden Generationen eintreten, war die Aufgabe des
Versuches. Derselbe zerfällt daher in ebenso viele einzelne
Experimente, als constant differirende Merkmale an den
Versuchspflanzen vorkommen.
Die verschiedenen, zur Befruchtung ausgewählten Erbsenformen
zeigten Unterschiede in der Länge und Färbung des Stengels,
in der Grösse und Gestalt der Blätter, in der Stellung, Farbe
und Grösse der Blüthen, in der Länge der
Blüthenstiele, in der Farbe, Gestalt und Grösse der
Hülsen, in der Gestalt und Grösse der Samen, in der
Färbung der Samenschale und des Albumens. Ein Theil der
angeführten Merkmale lässt jedoch eine sichere und scharfe
Trennung nicht zu, indem der Unterschied auf einem oft schwierig zu
bestimmenden Èmehr oder wenigerÇ beruht. Solche Merkmale waren
für die Einzelversuche nicht verwendbar, diese konnten sich nur
auf Charaktere beschränken, die an den Pflanzen deutlich und
entschieden hervortreten. Der Erfolg musste entlich zeigen, ob sie in
hybrider Vereinigung sämmtlich ein übereinstimmendes
Verhalten beobachten, und ob daraus auch ein Urtheil über jene
Merkmale möglich wird, welche eine untergeordnete typische
Bedeutung haben.
Die Merkmale, welche in die Versuche aufgenomen wurden, beziehen
sich:
1. auf den Unterschied in der Gestalt der reifen Samen. Diese sind
entweger kugelrund oder rundlich, die Einsenkungen, welche an der
Oberfläche vorkommen, immer nur seicht, oder sie sind
unregelmässig kantig, tief runzelig (P. quadratum);
2. auf den Unterschied in der Färbung des Samenalbumens
(Endosperm's). Das Albumen der reifen Samen ist entweder blassgelb,
hellgelb oder orange gefärbt, oder es besitzt eine mehr oder
weniger intensiv grüne Farbe. Dieser Farbenunterschied ist an den
Samen deutlich zu erkennen, da ihre Schalen durchscheinend sind;
3. auf den Unterschied in der Färbung der Samenschale.
Diese ist entweder weiss gefärbt, womit auch constant die weisse
Blüthenfarbe verbunden ist, oder sie ist grau, graubraun,
lederbraun mit oder ohne violetter Punctirung, dann erscheint die Farbe
der Fahne violett, die der Flügel purpurn, und der Stengel an den
Blattachseln röthlich gezeichnet. Die grauen Samenschalen werden
im kochenden Wasser schwarzbraun;
4. auf den Unterschied in der Form der reifen Hülse. Diese
ist entweder einfach gewölbt, nie stellenweise verengt, oder sie ist
zwischen den Samen tief eingeschnürt und mehr oder weniger
runzelig (P. saccharatum).
5. auf den Unterschied in der Farbe der unreifen Hülse. Sie
ist entweder licht- bis dunkelgrün oder lebhaft gelb gefärbt,
an welcher Färbung auch Stengel, Blattrippen und Kelch
theilnehmen *{Fußnote: Eine Art besitzt eine schöne
braunrothe Hülsenfarbe, welche gegen die Zeit der Reife hin in
Violett und Blau übergeht. Der Versuch über dieses Merkmal
wurde erst im verflossenen Jahre begonnen.};
6. auf den Unterschied in der Stellung der Blüthen. Sie sind
entweder axenständig, d. i längs der Axe vertheilt, oder sie
sind entständig, am Ende der Axe gehäuft und fast in eine
kurze Trugdolde gestellt; dabei ist der obere Theil des Stengels im
Querschnitte mehr oder weniger erweitert (P. umbellatum);
7. auf den Unterschied in der Axenlänge. Die Länge
der Axe ist bei den einzelnen Formen sehr verschieden, jedoch für
jede insofern ein constantes Merkmal, als dieselbe bei gesunden
Pflanzen, die in gleichem Boden gezogen werden, nur unbedeutenden
Aenderungen unterliegt. Bei den Versuchen über dieses Merkmal
wurde der sicheren Unterscheidung wegen stets die lange Axe von 6-7'
mit der kurzen von 3/4' bis 1 1/2' verbunden.
In zwei von den angeführten differirenden Merkmalen wurden
durch Befruchtung vereinigt. Für den
1. Vers. wurden 60 Befrucht. an 15 Pflanzen vorgenommen
2. Vers. wurden 58 Befrucht. an 10 Pflanzen vorgenommen
3. Vers. wurden 35 Befrucht. an 10 Pflanzen vorgenommen
4. Vers. wurden 40 Befrucht. an 10 Pflanzen vorgenommen
5. Vers. wurden 23 Befrucht. an 5 Pflanzen vorgenommen
6. Vers. wurden 34 Befrucht. an 10 Pflanzen vorgenommen
7. Vers. wurden 37 Befrucht. an 10 Pflanzen vorgenommen.
Von einer grösseren Anzahl Pflanzen derselben Art wurden zur
Befruchtung nur die kräftigsten ausgewählt. Schwache
Exemplare geben immer unsichere Resultate, weil schon in der ersten
Generation der Hybriden und noch mehr in der folgenden manche
Abkömmliche entweder gar nicht zur Blüthe gelangen, oder
doch wenige und schlechte Samen bilden.
Ferner wurde bei sämmtlichen Versuchen die wechselseitige
Kreuzung durchgeführt, in der Weise nämlich, dass jene der
beiden Arten, welche bei einer Anzahl Befruchtungen als Samenpflanze
diente, bei der anderen als Pollenpflanze verwendet wurde.
Die Pflanzen wurden auf Gartenbeeten, ein kleiner Theil in Töpfen
gezogen, und mittelst Stäben, Baumzweigen und gespannten
Schnüren in der natürlichen aufrechten Stellung erhalten.
Für jeden Versuch wurde eine Anzahl Topfpflanzen während
der Blüthezeit in ein Gewächshaus gestellt, sie sollten
für den Hauptversuch im Garten als Controlle dienen
bezüglich möglicher Störungen durch Insecten. Unter
jenen, welche die Erbsenpflanze besuchen, könnte die
Käferspecies Bruchus pisi dem Versuche gefährlich werden,
falls sie in grösserer Menge erscheint. Das Weibchen dieser Art
legt bekanntlich seine Eier in die Blüthe und öffnet dabei das
Schiffchen; an den Tarsen eines Exemplares, welches in einer
Blüthe gefangen wurde, konnten unter der Lupe deutlich einige
Pollenzellen bemerkt werden. Es muss hier noch eines Umstandes
Erwähnung geschehen, der möglicher Weise die Einmengung
fremden Pollens veranlassen könnte. Es kommt nämlich in
einzelnen seltenen Fällen vor, dass gewisse Theile der
übrigens ganz normal entwickelten Blüthe
verkümmern, wodurch eine theilweise Entblössung der
Befruchtungsorgane herbeigeführt wird. So wurde eine
mangelhafte Entwicklung des Schiffchens beobachtet, wobei Griffel und
Antheren zum Theile unbedeckt blieben. Auch geschieht es bisweilen,
dass der Pollen nicht zur vollen Ausbildung gelangt. In diesem Falle
findet während des Blühens eine allmähliche
Verlängerung des Griffels statt, bis die Narbe an der Spitze des
Schiffchens hervortritt. Diese merkwürdige Erscheinung wurde
auch an Hybriden von Phaseolus und Lathyrus beobachtet.
Die Gefahr einer Fälschung durch den fremden Pollen ist jedoch
bei Pisum eine sehr geringe und vermag keineswegs das Resultat im
Grossen und Ganzen zu stören. Unter mehr als 10.000
Pflanzen, welche genauer untersucht wurden, kam der Fall nur einige
wenige Male vor, dass eine Einmengung nicht zu bezweifeln war. Da im
Gewächshaus niemals eine solche Störung beobachtet wurde,
liegt wohl die Vermuthung nahe, dass Bruchus pisi und vielleicht auch
die angeführten Abnormitäten im Blüthenbau die
Schuld daran tragen.
Die Gestalt der Hybriden.
Schon die Versuche, welche in früheren Jahren an Zierpflanzen
vorgenommen wurden, lieferten den Beweis, dass die Hybriden in der
Regel nicht die genaue Mittelform zwischen den Stammarten darstellen.
Bei einzelen mehr in die Augen springenden Merkmalen, wie bei
solchen, die sich auf die Gestalt und Grösse der Blätter, auf
die Behaarung der einzelnen Theile u. s. w. beziehen, wird in der That
die Mittelbildung fast immer ersichtlich; in anderen Fällen
hingegen besitzt das eine der beiden Stamm-Merkmale ein so grosses
Uebergewicht, dass es schwierig oder ganz unmöglich ist, das
andere an der Hybride aufzufinden.
Ebenso verhält es sich mit den Hybriden bei Pisum. Jedes von den
7 Hybridenmerkmalen gleicht dem einen der beiden Stamm-Merkmale
entweder so vollkommen, dass das andere der Beobachtung
entschwindet, oder ist demselben so ähnlich, dass eine sichere
Unterscheidung nicht stattfinden kann. Dieser Umstand ist von grosser
Wichtigkeit für die Bestimmung und Einreihung der Formen, unter
welchen die Nachkommen der Hybriden erscheinen. In der weiteren
Besprechung werden jene Merkmale, welche ganz oder fast
unverändert in die Hybride-Verbindung übergehen, somit
selbst die Hybridenmerkmale repräsentiren, als dominante
und jene, welche in der Verbindung latent werden, als recessive
bezeichnet. Der Ausdruck ÈrecessivÇ wurde deshalb gewählt, weil
die damit benannten Merkmale an den Hybriden zurücktreten
oder ganz verschwinden, jedoch unter den Nachkommen derselben, wie
später gezeigt wird, wieder unverändert zum Vorschein
kommen.
Es wurde ferner durch sämmtliche Versuche erwiesen, dass es
völlig gleichgültig ist, ob das dominirende Merkmal der
Samen- oder der Pollenpflanze angehört; die Hybridform bleibt in
beiden Fällen genau dieselbe. Diese interessante Erscheinung wird
auch von Gärtner hervorgehoben, mit dem Bemerken, dass
selbst der geübteste Kenner nicht im Stande ist, an einer Hybride
zu unterscheiden, welche von den beiden verbundenen Arten die
Samen- oder Pollenpflanze war.
Von den differirenden Merkmalen, welche in die Versuche
eingeführt wurden, snd nachfolgende dominirend:
1. die runde oder rundliche Samenform mit oder ohne seichte
Einsenkungen;
2. die gelbe Färbung des Samenalbumens;
3. die graue, graubraune oder lederbraune Farbe der Samenschale, in
Verbindung mit violettrother Blüthe und röthlicher Makel in
den Blattachseln;
4. die einfach gewölbte Form der Hülse;
5. die grüne Färbung der unreifen Hülse, in
Verbindung mit der gleichen Farbe des Stengels, der Blattrippen und des
Kelches;
6. die Vertheilung der Blüthen längs des Stengels;
7. das Längenmaass der grösseren Axe.
Was das letztere Merkmal angeblangt, muss bemerkt werden, dass die
längere der beiden Stammaxen von der Hybride gewöhnlich
noch übertroffen wird, was vielleicht nur der grossen Ueppigkeit
zuzuschrieben ist, welche in allen Pflanzentheilen auftritt, wenn Axen
von sehr verschiedener Länge verbunden sind. So z. B. gaben bei
wiederholtem Versuche Axen von 1' und 6' Länge in hybrider
Vereinigung ohne Ausnahmen Axen, deren Länge zwischen 6-
71/2' schwankte. Die Hybriden der Samenschale sind öfters
mehr punctirt, auch fliessen die Punkte bisweilen in kleinere
bläulich-violette Flecke zusammen. Die Punctirung erscheint
häufig auch dann, wenn sie selbst dem Stamm-Merkmale fehlt.
Die Hybridformen der Samengestalt und des Albumens
entwickeln sich unmittelbar nach der künstlichen Befruchtung
durch die blosse Einwirkung des fremden Pollens. Sie können
daher schon im ersten Versuchsjahre beobachtet werden, während
alle übrigen selbstverständlich erst im folgenden Jahre an
jenen Pflanzen hervortreten, welche aus den befruchteten Samen
gezogen werden.
Die erste Generation der Hybriden.
In dieser Generation treten nebst den dominirenden Merkmalen auch
die recessiven in ihrer vollen Eigenschaft wieder auf, und zwar in
dem entschieden ausgesprochenen Durchschnittsverhältnisse 3:1,
so dass unter je vier Pflanzen aus dieser Generation drei den
dominirenden und eine den recessiven Charakter erhalten. Es gilt das
ohne Ausnahme für alle Merkmale, welche in die Versuche
aufgenommen waren. Die kantig runzelige Gestalt der Samen, die
grüne Färbung des Albumens, die weisse Farbe der
Samenschale und der Blüthe, die Einschnürungen an den
Hülsen, die gelbe Farbe der unreifen Hülse, des Stengelns,,
Kelches und der Blattrippen, der trugdoldenförmige
Blüthenstand und die zwergartige Axe kommen in den
angeführten numerischen Verhältnisse wiedre zum
Vorschein ohne irgend eine wesentliche Abänderung.
Uebergangsformen wurden bei keinem Versuche beobachtet.
Da die Hybriden, welche aus wechselseitiger Kreuzung hervorgingen,
eine völlig gleiche Gestalt besassen und auch in ihrer
Weiterentwicklung keine bemerkenswerthe Abweichung ersichtlich
wurde, konnten die beiderseitigen Resultate für jeden Versuch
unter eine Rechnung gebracht werden. Die Verhältnisszahlen,
welche für je zwei differirende Merkmale gewonnen wurden, sind
folgende:
1. Versuch. Gestalt der Samen. 253 Hybriden wurden im zweiten
Versuchsjahre 7324 Samen erhalten. Derunter waren rund oder rundlich
5475, und kantig runzelig 1850 Samen. Daraus ergiebt sich das
Verhältniss 2,96 : 1.
2. Versuch. Färbung des Albumens. 258 Pflanzen gaben
8023 Samen, 6022 gelbe und 2001 grüne; daher stehen jene zu
diesen im Verhältnisse 3,01 : 1.
Bei diesen beiden Versuchen erhält man gewöhnlich aus
jeder Hülse beiderlei Samen. Bei gut ausgebildeten Hülsen,
welche durchschnittlich 6-9 Samen enthielten, kam es öfters vor,
dass sämmtliche Samen rund (Versuch 1) oder sämmtliche
gelb (Versuch 2) waren; hingegen wurden mehr als 5 kantige oder 5
grüne in einer Hülse niemals beobachtet. Es scheint keinen
Unterschied zu machen, ob die Hülse sich früher oder
später an der Hybride entwickelt, ob sie der Hauptaxe oder einer
Nebenaxe angehört. An einigen wenigen Pflanzen kamen in den
zuerst gebildeten Hülsen nur einzelne Samen zur Entwicklung, und
diese besassen dann ausschliesslich das eine der beiden Merkmale; in
den später gebildeten Hülsen blieb jedoch das
Verhältniss normal. So wie in einzelnen Hülsen, ebenso variit
die Vertheilung der Merkmale auch bei einzelnen Pflanzen. Zur
Veranschaulichung mögen die ersten 10 Glieder aus beiden
Versuchsreihen dienen:
1. Versuch | 2. Versuch
|
---|
Gestalt der Samen | Färbung
des Albumens
| Pflanze | rund | kantig | gelb | grün
| 1 | 45 | 12 | 25 | 11
| 2 | 27 | 8 | 32 | 7
| 3 | 24 | 7 | 14 | 5
| 4 | 19 | 10 | 70 | 27
| 5 | 32 | 11 | 24 | 13
| 6 | 26 | 6 | 20 | 6
| 7 | 88 | 24 | 32 | 13
| 8 | 22 | 10 | 44 | 9
| 9 | 28 | 6 | 50 | 14
| 10 | 25 | 7 | 44 | 18
|
Als Extrem in der Vertheilung der beiden Samenmerkmale an
einer Pflanze wurde beobachtet bei dem 1. Versuche 43 runde
und nur 2 kantige, ferner 14 runde und 15 kantige Samen. Bei dem 2.
Versuche 32 gelbe und nur 1 grüner Samen, aber auch 20 gelbe
und 19 grüne.
Diese beiden Versuche sind wichtig für die Feststellung der
mittleren Verhältnisszahlen, weil sie bei einer geringeren Anzahl
von Versuchspflanzen sehr bedeutende Durchschnitte möglich
machen. Bei der Abzählung der Samen wird jedoch, namentlich
beim 2. Versuche, einige Aufmerksamkeit erfordert, da bei einzelnen
Samen mancher Pflanzen die grüne Färbung des Albumens
weniger entwickelt wird und anfänglich leicht übersehen
werden kann. Die Ursache des theilweisen Verschwindens der
grünen Färbung steht mit dem Hybriden-Charakter der
Pflanzen in keinem Zusammenhange, indem dasselbe an der
Stammpflanze ebenfalls vorkommt; auch beschränkt sich diese
Eigenthümlichkiet nur auf das Individuum und vererbt sich nicht
auf die Nachkommen. An luxurirenden Pflanzen wurde diese
Erscheinung öfter beobachtet. Samen, welche während ihrer
Entwicklung von Insecten beschädigt wurden, variiren oft in Farbe
und Gestalt, jedoch sind bei einiger Uebung im Sortiren Fehler leicht zu
vermeiden. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass
die Hülsen so lange an der Pflanze bleiben müssen, bis sie
vollkommen ausgereift und trocken geworden sind, weil erst dann die
Gestalt und Färbung der Samen vollständig entwickelt ist.
3. Versuch. Farbe der Samenschale. Unter 929 Pflanzen brauchen
705 violettrothe Blüthen und graubraune Samenschalen; 224
hatten weisse Blüthen und weiss Samenschalen. Daraus ergiebt
sich das Verhältniss 3,15 : 1.
4. Versuch. Gestalt der Hülsen. Von 1181 Pflanzen hatten
882 einfach gewölbte, 299 eingeschnürte Hülsen.
Daher das Verhältniss 2,95 : 1.
5. Versuch. Färbung der unreifen Hülse. Die Zahl der
Versuchspflanzen betrug 580, wovon 428 grüne und 152 gelbe
Hülsen besassen. Daher stehen jene zu diesen in dem
Verhältnisse 2,82 : 1.
6. Versuch. Stellung der Blüthen. Unter 858 Fällen
waren die Blüthen 651 Mal axenständig und 207 Mal
endständig. Daraus das Verhältnis 3,14 : 1.
7. Versuch. Länge der Axe. Von 1064 Pflanzen hatten 787
die lange, 277 die kurze Axe. Daher das gegenseitige Verhältniss
2,84 : 1. Bei diesem Versuche wurden die zwergartigen Pflanzen
behutsam ausgehoben und auf eigene Beete versetzt. Diese Vorsicht war
nothwendig, weil sie sonst mitten unter ihren hochrankenden
Geschwistern hätten verkümmern müssen. Sie sind
schon in der ersten Jugendzeit an dem gedrungenen Wuchse und den
dunkelgrünen dicken Blättern leicht zu unterscheiden.
Werden die Resultate sämmtlicher Versuche zusammengefasst, so
ergibt sich zwischen der Anzahl der Formen mit dem dominirenden und
recessiven Merkmale das Durchschnittsverhältniss 2,98 : 1 oder 3 :
1.
Das dominirende Merkmal kann hier eine doppelte Bedeutung
haben, nämlich die des Stammcharakters oder des Hybriden-
Merkmales. In welcher von beiden Bedeutungen dasselbe in jedem
einzelnen Falle vorkommt, darüber kann nur die nächste
Generation entscheiden. Als Stamm-Merkmal muss dasselbe
unverändret auf sämmtliche Nachkommen übergehen,
als hybrides Merkmal hingegen ein gleiches Verhalten wie in der ersten
Generation beobachten.
Die zweite Generation der Hybriden.
Jene Formen, welche in der ersten Generation den recessiven Charakter
erhalten, variiren in der zweiten Generation in Bezug auf diesen
Charakter nicht mehr, sie bleiben in ihren Nachkommen constant.
Anders verhält es sich mit jenen, welche in der ersten Generation
das dominirende Merkmal besitzen. Von diesen geben zwei Theile
Nachkommen, welche in dem Verhältnisse 3 : 1 das dominirende
und recessive Merkmal an sich tragen, somit genau dasselbe Verhalten
zeigen, wie die Hybridformen; nur ein Theil bleibt mit dem
dominirenden Merkmale constant.
Die einzelnen Versuche lieferten nachfolgende Resultate:
1. Versuch. Unter 565 Pflanzen, welche aus runden Samen der
ersten Generation gezogen wurden, brachten 193 wieder nur runde
Samen und blieben demnach in diesem Merkmale constant; 372 aber
gaben runde und kantige Samen zugleich, in dem Verhältnisse 3 :
1. Die Anzahl der Hybriden verhielt sich daher zu der Zahl der
Constanden wie 1,93 : 1.
2. Versuch. Von 519 Pflanzen, welche aus Samen gezogen
wurden, deren Albumen in der ersten Generation die gelbe
Färbung zeigte, gaben 166 ausschliesslich gelbe, 353 aber gelbe
und grüne Samen in dem Verhältnisse 3 : 1. Es erfolgte
daher eine Theilung in hybride und constante Formen nach dem
Verhältnisse 2,13 : 1.
Für jeden einzelnen von den nachfolgenden Versuchen wurden
100 Pflanzen ausgewählt, welche in dre ersten Generation das
dominirende Merkmal besassen, und um die Bedeutung desselben zu
prüfen, von jeder 10 Samen angebaut.
3. Versuch. Die Nachkommen von 36 Pflanzen brachten
ausschliesslich graubraune Samenschalen; von 64 Pflanzen wurden
theils graubraune theils weisse erhalten.
4. Versuch. Die Nachkommen von 29 Pflanzen hatten nur
einfach gewölbte Hülsen, von 71 hingegen theils
gewölbte, theils eingeschnürte.
5. Versuch. Die Nachkommen von 40 Pflanzen hatten bloss
grüne Hülsen, die von 60 Pflanzen theils grüne, theils
gelbe.
6. Versuch. Die Nachkommen von 33 Pflanzen hatten bloss
axenständige Blüthen, bei 67 hingegen waren sie theils
axanständig, theils endständig.
7. Versuch. Die Nachkommen von 29 Pflanzen erhielten die lange
Axe, die von 72 Pflanzen theils die lange, theils die kurze.
Bei jedem dieser Versuche wird eine bestimmte Anzahl Pflanzen mit
dem dominirenden Merkmal constant. Für die Beurtheilung des
Verhältnisses, in welchem die Ausscheidung der Formen mit dem
constant bleibenden Merkmale erfolgt, sind die beiden ersten Versuche
von besonderem Gewichte, weil bei diesen eine grössere Anzahl
Pflanzen verglichen werden konnte. Die Verhältnisse 1,93 : 1 und
2,13 : 1 geben zusammen fast genau das Durchschnittsverhältniss
2 : 1. Der 6. Versuch hat ein ganz überdurchschnittliches Resultat,
bei den anderen schwankt das Verhältniss mehr oder weniger, wie
es bei der geringen Anzahl von 100 Versuchspflanzen nicht anders zu
erwarten war. Der 5. Versuch, welche die grösste Abweichung
zeigte, wurde wiederholt und dann, statt des Verhältnisses 60 : 40,
das Verhältniss 65 : 35 erhalten. Das
Durchschnittsverhältniss 2 : 1 erscheint demnach als gesichert.
Es ist damit erwiesen, dass von jenen Formen, welche in der ersten
Generation das dominirende Merkmal besitzen, zwei Theile den
hybriden Charakter an sich tragen, ein Theil aber mit dem dominirenden
Merkmale constant bleibt.
Das Verhältniss 3 : 1, nach welchem die Vertheilung des
dominirenden und recessiven Charakters in der ersten Generation
erfolgt, löst sich demnach für alle Versuche in die
Verhältnisse 2 : 1 : 1 auf, wenn man zugleich das dominirende
Merkmal in seiner Bedeutung als hybrides Merkmal und als
Stammcharakter unterscheidet. Da die Glieder der ersten Generation
unmittelbar aus den Samen der Hybriden hervorgehen, wird es nun
ersichtlich, dass die Hybriden je zweier differirender Merkmale Samen
bilden, von denen die eine Hälfte wider die Hybridform
entwickelt, während die andere Pflanzen giebt, welche constant
bleiben und zu gleichen Theilen den dominirenden und recessiven
Charakter erhalten.
Die weiteren Generationen der Hybriden.
Die Verhältnisse, nach welchen sich die Abkömmlinge der
Hybriden in der ersten und zweiten Generation entwickeln und theilen,
gelten wahrscheinlich für alle weiteren Geschlechter. Der 1. und 2.
Versuch sind nun schon durch 6 Generationen, der 3. und 7. durch 5, der
4., 5., 6. durch 4 Generationen durchgeführt, obwohl von der 3.
Generation angefangen mit einer kleinen Anzahl Pflanzen, ohne dass
irgend welche Abweichung bemerkbar wäre. Die Nachkommen der
Hybriden theilten sich in jeder Generation nach den Verhältnissen
2 : 1 : 1 in hybride und constante Formen.
Bezweichnet A das eine der beiden constanten Merkmale, z. B. das
dominirende, a das recessive, und Aa die Hybridform, in
welcher beide vereinigt sind, so ergiegt der Ausdruck:
A+2Aa+a
die Entwicklungsreihe für die Nachkommen der Hybriden je
zweier differirender Merkmale.
Die von Gärtner, Kölreuter und Anderen
gemachte Wahrnehmung, dass Hybriden die Neigung besitzen, zu den
Stammarten zurückzukehren, ist auch durch die besprochenen
Versuche bestätigt. Es lässt sich zeigen, dass die Zahl der
Hybriden, welche aus einer Befruchtung stammen, gegen die Anzahl der
constant gewordenen Formen und ihrer Nachkommen von Generation zu
Generation um ein Bedeutendes zurückbleibt, ohne dass sie jedoch
ganz verschwinden könnten. Nimmt man durchschnittlich
für alle Pflanzen in allen Generationen eine gleich grosse
Fruchtbarkeit an, erwägt man ferner, dass jede Hybride Samen
bildet, aus denen zur Hälfte wieder Hybriden hervorgehen,
während die andere Hälfte mit beiden Merkmalen zu
gleichen Theilen constant wird, so ergeben sich die
Zahlenverhältnisse für die Nachkommen in jeder Generation
aus folgender Zusammenstellung, wobei A und a wieder die
beiden Stamm-Merkmale und Aa die Hybridform bezeichnet. Der
Kürze wegen möge die Annahme gelten, dass jede Pflanze in
jeder Generation nur 4 Samen bildet.
Generation | A | Aa | a
| A:Aa:a
| 1 | 1 | 2 | 1 | 1:2:1
| 2 | 6 | 4 | 6 | 3:2:3
| 3 | 28 | 8 | 28 | 7:2:7
| 4 | 120 | 16 | 120 | 15:2:15
| 5 | 496 | 32 | 496 | 31:2:31
| n | | | | 2n-
1:2:2n-1
| |
In der 10. Generation z. B. ist 2n-1 = 1023. Es giebt somit
unter je 2048 Pflanzen, welche aus dieser Generation hervorgehen, 1023
mit dem constanten dominirenden, 1023 mit dem recessiven Merkmale
und nur 2 Hybriden.
Die Nachkommen der Hybriden, inwelchen mehrere differirende
Merkmale verbunden sind.
Für die eben besprochenen Versuche wurden Pflanzen verwendet,
welche nur in einem wesentlichen Merkmale verschieden waren. Die
nächste Aufgabe bestand darin, zu untersuchen, ob das gefundene
Entwicklungsgesetz auch dann für je zwei differirende Merkmale
gelte, wenn mehrere verschiedene Charaktere durch Befruchtung in der
Hybride vereinigt sind.
Was die Gestalt der Hybriden in diesem Falle angelangt, zeigten die
Versuche übereinstimmend, dass dieselbe stets jener der beiden
Stammpflanezn näher steht, welche die grössere Anzahl von
dominirenden Merkmalen besitzt. Hat z. B. die Samenpflanze eine kurze
Axe, endständige weisse Blüthen und einfach gewölbte
Hülsen; die Pollenpflanze hingegen eine lange Axe,
axenständige violett-rothe Blüthen und eingeschnürte
Hülsen, so erinnert die Hybride nur durch die Hülsenform an
die Samenpflanze, in den übrigen Merkmalen stimmt sie mit der
Pollenpflanze überein. Besitzt eine der beiden Stammarten nur
dominirende Merkmale, dann ist die Hybride von derselben kaum oder
gar nicht zu unterscheiden.
Mit einer grösseren Anzahl Pflanzen wurden zwei Versuche
durchgeführt. Bei dem ersten Versuche waren die Stammpflanzen
in der Gestalt der Samen und in der Färbung des Albumens
verschieden; bei dem zweiten in der Gestalt der Samen, in der
Färbung des Albumens und in der Farbe der Samenschale.
Versuche mit Samenmerkmalen führen einfachsten und sichersten
zum Ziele.
Um eine leichtere Uebersicht zu gewinnen, werden bei diesen Versuchen
die differirenden Merkmale der Samenpflanze mit A, B,
C, jene der Pollenpflanze mit a, b, c und die
Hybridformen dieser Merkmale mit Aa, Bb, Cc
bezeichnet.
Erster Versuch:
AB Samenpflanze, | ab Pollenpflanze,
| A Gestalt rund, | a Gestalt kantig,
| B Albumen gelb, | b Albumen grün.
|
Die befruchteten Samen erschienen rund und gelb, jenen der
Samenpflanze ähnlich. Die daraus gezogenen Pflanzen gaben
Samen von viererlei Art, welch oft gemeinschaftlich in einer Hülse
lagen. Im Ganzen wurden von 15 Pflanzen 556 Samen erhalten, von
diesen waren:
315 | rund und gelb,
| 101 | kantig und gelb,
| 108 | rund und grün
| 32 | kantig und grün.
|
Alle wurden im nächsten Jahre angebaut. Von den runden gelben
Samen gingen 11 nicht auf und 3 Pflanzen kamen nicht zur
Fruchtbildung. Unter den übrigen Pflanzen hatten:
38 runde gelbe Samen | AB
| 65 runde gelbe und grüne Samen | ABb
| 60 runde gelbe und kantige gelbe Samen | AaB
| 138 runde gelbe und grüne, kantige gelbe und
grüne Samen
| AaBb
|
Von den kantigen gelben Samen kamen 96 Pflanzen zur Fruchtbildung,
wovon
28 nur kantige gelbe Samen hatten | aB
| 68 kantige, gelbe und grüne Samen | aBb
|
Von 108 runden grünen Samen brauchen 102 Pflanzen
Früchte, davon hatten:
35 nur röunde grüne Samen | Ab
| 67 runde und kantige grüne Samen | Aab
|
Die kantigen grünen Samen gaben 30 Pflanzen mit durchaus
gleichem Samen; sie blieben constant ab.
Die Nachkommen der Hybriden erscheinen demnach unter 9
verschiedenen Formen und zum Theile in sehr ungleicher Anzahl. Man
erhält, wenn dieselben zusammengestellt und geordnet werden:
38 Pflanzen mit der Bezeichnung AB
| 35 Pflanzen mit der Bezeichnung Ab
| 28 Pflanzen mit der Bezeichnung aB
| 30 Pflanzen mit der Bezeichnung ab
| 65 Pflanzen mit der Bezeichnung ABb
| 68 Pflanzen mit der Bezeichnung aBb
| 60 Pflanzen mit der Bezeichnung AaB
| 67 Pflanzen mit der Bezeichnung Aab
| 138 Pflanzen mit der Bezeichnung AaBb
|
Sämmtliche Formen lassen sich in drei wesentlich verschiedene
Abtheilungen bringen. Die erste umfasst jene mit der Bezeichnung
AB, Ab, aB, ab; sie besitzen nur constante
Merkmale und ändern sich in den nächsten Generationen
nicht mehr. Jede dieser Formen ist durchschnittlich 33 Mal vertreten.
Die zweite Gruppe enthält die Formen ABb, aBb,
AaB, Aab; diese sind in einem Merkmale constant, in dem
anderen hydrid, und variiren in der nächsten Generation nur
hinsichtlich des hybriden Merkmales. Jede davon erscheint im
Durchschnitte 65 Mal. Die Form AaBb kommt 138 Mal vor, ist in
beiden Merkmalen hybrid, und verhält sich genau so, wie die
Hybride, von der sie abstammt.
Vergleicht man die Anzahl, in welcher die Formen dieser Abtheilungen
vorkommen, so sind die Durchschnittsverhältnisse 1 : 2 : 4 nicht zu
verkennen. Die Zahlen 33, 65, 138 geben ganz günstige
Annäherungswerthe an die Verhältnisszahlen 33, 66 und
132.
Die Entwicklungsreihe besteht demnach aus 9 Gliedern, 4 davon
kommen in derselben je einmal vor und sind in beiden Merkmalen
constant; die Formen AB, ab gleichen den Stammarten, die
beiden anderen stellen die ausserdem noch möglichen constanten
Combinationen zwischen den verbundenen Merkmalen A, a,
B, b vor. Vier Glieder kommen je 2 Mal vor und sind in
einem Merkmale constant, in dem anderen hybrid. Ein Glied tritt 4 Mal
auf und ist in beiden Merkmalen hybrid. Daher entwickeln sich die
Nachckommen der Hybriden, wenn in denselben zweierlei differirende
Merkmale verbunden sind, nach dem Ausdrucke:
AB+Ab+aB+ab+2ABb+2aBb+s2Aa
B+2Aab+4AaBb.
Diese Entwicklungsreihe ist unbestritten eine Combinationsreihe, in
welche die beiden Entwicklungsreiehn für die Merkmale A
und a, B und b gliedweise verbunden sind. Man
erhält die Glieder der Reihe vollzählig durch die
Combinirung der Ausdrücke:
A+2Aa+a
B+2Bb+b
Zweiter Versuch:
ABC Samenpflanze | abc Pollenpflanze
| A Gestalt rund, | a Gestalt kantig,
| B Albumen gelb, | b Albumen grün,
| C Schale graubraun, | c Schale weiss.
|
Dieser Versuch wurde in ganz ähnlicher Weise wie der
vorangehende durchgeführt. Er nahm unter allen Versuchen die
meiste Zeit und Mühe in Anspruch. Von 24 Hybriden wurden im
Ganzen 687 Samen erhalten, welche sämmtlich punktirt,
graubraum oder graugrün gefärbt, rund oder kantig waren.
Davon kamen im folgenden Jahre 639 Pflanzen zur Fruchtbildung, und
wie die weiteren Untersuchungen zeigten, befanden sich darunter:
8 | Pflanzen | ABC
| 14 | " | ABc
| 9 | " | ABc
| 11 | " | Abc
| 22 | " | ABCc
| 17 | " | AbCc
| 25 | " | aBCc
| 20 | " | abCc
| 45 | " | ABbCc
| 36 | " | aBbCc
| 38 | " | AaBCc
| 40 | " | AabCc
| 8 | " | aBC
| 10 | " | aBc
| 10 | " | abC
| 7 | " | abc
| 15 | " | ABbC
| 18 | " | ABbc
| 19 | " | aBbC
| 24 | " | aBbc
| 14 | " | AaBC
| 18 | " | AaBc
| 20 | " | AabC
| 16 | " | Aabc
| 49 | " | AaBbC
| 48 | " | AaBbc
| 78 | " | AaBbCc
|
Die Entwicklungsreihe unfasst 27 Glieder, davon sind 8 in allen
Merkmalen constant, und jede kommt durchschnittlich 10 Mal vor; 12
sind in zwei Merkmalen constant, in dem dritten hybrid, jede erscheint
im Durchschnitte 19 Mal; 6 sind in einem Merkmal constant, in den
beiden anderen hybrid, jede davon tritt durchschnittlich 43 Mal auf;
eine Form kommt 78 Mal vor und ist in sämmtlichen Merkmalen
hybrid. Die Verhältnisse 10 : 19 : 43 : 78 kommen den
Verhältnissen 10 : 20 : 40 : 80 oder 1 : 2 : 4 : 8 so nahe, dass
letztere ohne Zweifel die richtigen Werthe darstellen.
Die Entwicklung der Hybriden, wenn ihre Stammarten in drei
Merkmalen verschieden sind, erfolgt daher nach dem Ausdrucke:
ABC+ABc+AbC+Abc+aBC+aBc
+abC+abc+2ABCc+2AbCc+2aBCc
+2abCc+2ABbC+2ABbc
+2aBbC+2aBbc+2AaBC+2AaBc+AabC
+2Aabc
+4ABbCc+4aBbCc+4AaBCc+4AabCc+4AaBbC
+4AaBbc+8AaBbCc
Auch hier liegt eine Combinationsreihe vor, in welcher die
Entwicklungsreihe für die Merkmale A und a, B
und b, C und c mit einander verbunden sind. Die
Ausdrücke:
A+2Aa+a
B+2Bb+b
C+2Cc+c
geben sämmtliche Glieder der Reihe. Die constanten Verbindungen,
welche in derselben vorkommen, entsprechen allen Combinationen,
welche zwischen den Merkmalen A, B, C, a,
b, c möglich sind; zwei davon ABC und abc
gleichen den beiden Stammpflanzen.
Ausserdem wurden noch mehrere Experimente mit einer geringeren
Anzahl Versuchspflanzen durchgeführt, bei welchen die
übrigen Merkmale zu zwei und drei hybrid verbunden waren; alle
lieferten annährnd gleiche Resultate. Es unterliegt daher keinem
Zweifel, dass für sämmtliche in die Versuche
aufgenommenen Merkmale der Satz Gültigkeit habe: die
Nachkommen der Hybriden, in welchen mehrere wesentlich
verschiedene Merkmale vereinigt sind, stellen die Glieder einer
Combinationsreihe vor, in welchen die Entwicklungsreihen für je
zwei differirende Merkmale verbunden sind. Damit ist zugleich
erwiesen, dass das Verhalten je zweier differirender Merkmale in
hybrider Verbindung unabhängig ist von den anderweitigen
Unterschieden an den beiden Stammpflanzen.
Bezeichnet n die Anzahl der charakteristischen Unterschiede an
den beiden Stammpflanzen, so giebt 3n die
Gliederzahl der Combinationsreihe, 4n die Anzahl der
Individuen, welche in die Reihe gehören, und 2n
die Zahl der Verbindungen, welche constant bleiben. So enthält z.
B. die Reieh, wenn die Stammarten in 4 Merkmalen verschieden sind,
34 = 81 Glieder, 44 = 256 Individuen und
24 = 16 constante Formen; oder was dasselbe ist, unter je
256 Nachkommen der Hybriden giebt es 81 verschiedene Verbindungen,
von denen 16 constant sind.
Alle constanten Verbindungen, welche bei Pisum durch Combinirung der
angeführten 7 charakteristischen Merkmale möglich sind,
wurden durch wiederholte Kreuzungen auch wirklich erhalten. Ihre Zahl
ist durch 27 = 128 gegeben. Damit ist zugleich der faktische
Beweis geliefrt, dass constante Merkmale, welche an verschiedenen
Formen einer Pflanzensippe vorkommen, auf dem Wege der
wiederholten künstlichen Befruchtung in alle Verbindungen treten
können, welche nach den Regeln der Combination möglich
sind.
Ueber die Blüthezeit der Hybriden sind die Versuche noch nicht
abgeschlossen. Soviel kann indessen schon angegeben werden, dass
dieselbe fast genau in der Mitte zwischen jener der Samen- und
Pollenpflanze steht, und die Entwicklung der Hybriden bezüglich
dieses Merkmals wahrscheinlich in der nämlichen Weise erfolgt,
wie es für die übrigen Merkmale der Fall ist. Die Formen,
welche für Versuche dieser Art gewählt werden,
müssen in der mittleren Blüthezeit wenigstens um 20 Tage
verschieden sein; ferner ist es nothwendig, dass die Samen beim Anbaue
alle gleich tief in die Erde versenkt werden, um ein gleichzeitiges
Keimen zu erzielen, dass ferner während der ganzen
Blüthezeit grössere Schwankungen in der Temperatur und
die dadurch bewirkte theilweise Beschleunigung oder Verzögerung
des Aufblühens in Rechnung gezogen werden. Man sieht, dass
dieser Versuch mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden hat
und grosse Aufmerksamkeit erfordert.
Versuchen wir die gewonnenen Resultate kurz zusammenzufassen, so
finden wir, dass jene differirenden Merkmale, welche an den
Versuchspflanzen eine leichte und sichere Unterscheidung zulassen, in
hybrider Vereinigung ein völlig übereinstimmendes
Verhalten beobachten. Die Nachkommen der Hybriden je zweier
differirender Merkmale sind zur Hälfte wieder Hybriden,
während die andere Hälfte zu gleichen Theilen mit dem
Charakter der Samen- und Pollenpflanze constant wird. Sind mehrere
differirende Merkmale durch Befruchtung in einer Hybride vereinigt, so
bilden die Nachkommen derselben die Glieder einer Combinationsreihe,
in welcher die Entwicklungsreihen für je zwei Merkmale vereinigt
sind.
Die vollkommene Uebereinstimmung, welche sämmtliche, dem
Versuche unterzogenen Charaktere zeigen, erlaubt wohl und rechtfertigt
die Annahme, dass auch ein gleiches Verhalten den übrigen
Merkmalen zukomme, welche weniger scharf an den Pflanzen
hervortreten und deshalb in die Einzelversuche nicht aufgenommen
werden konnten. Ein Experiment über Blüthenstiele von
verschiedener Länge gab im Ganzen ein ziemlich befriedigendes
Resultat, obgleich die Unterscheidung und Einreihung der Formen nicht
mit jener Sicherheit erfolgen konnte, welche für correcte Versuche
unerlässlich ist.
Die Befruchtungszellen der Hybriden.
Die Resultate, zu welchen die vorausgeschickten Versuche führten,
veranlassten weitere Experimente, deren Erfolg geeignet erscheint,
Aufschlüsse über die Beschaffenheit der Keim- und
Pollenzellen der Hybriden zu geben. Einen wichtigen Anhaltspunkt
bietet bei Pisum der Umstand, dass unter den Nachkommen der
Hybriden constante Formen auftreten, und zwar in allen Combinirungen
der verbundenen Merkmale. Soweit die Erfahrung reicht, finden wir es
überall bestätigt, dass constante Nachkommen nur dann
gebildet werden können, wenn die Keimzellen und der
befruchtende Pollen gleichartig, somit beide mit der Anlage
ausgerüstet sind, völlig gleiche Individuen zu beleben, wie
das bei der normalen Befruchtung der reinen Arten der Fall ist. Wir
müssen es daher als nothwendig erachten, dass auch bei der
Erzeugung der constanten Formen an der Hybridpflanze vollkommen
gleiche Factoren zusammenwirken. Da die vreschiedenen constanten
Formen an einer Pflanze, ja in einer Blüthe derselben
erzeugt werden, erscheint die Annahme folgerichtig, dass in den
Fruchtknoten der Hybriden so vielerlei Keimzellen (Keimbläschen)
und in den Antheren so vielerlei Pollenzellen gebildet werden, als
constante Combinationsformen möglich sind, und dass diese
Keim- und Pollenzellen ihrer inneren Beschaffenheit nach den einzelnen
Formen entsprechen.
In der That lässt sich auf theoretischem Wege zeigen, dass diese
Annahme vollständig ausreichen würde, um die Entwicklung
der Hybriden in den einzelnen Generationen zu erklären, wenn
man zugleich voraussetzen dürfte, dass die verschiedenen Arten
von Keim- und Pollenzellen an der Hybride durchschnittlich in gleicher
Anzahl gebildet werden.
Um diese Vorraussetzungen auf experimentellem Wege einer
Prüfung zu unterziehen, wurden folgende Versuche
ausgewählt: Zwei Formen, welche in der Gestalt der Samen und in
der Färbung des Albumens constant verschieden waren, wurden
durch Befruchtung verbunden.
Werden die differirenden Merkmale wieder mit A, B,
a, b bezeichnet, so war:
AB Samenpflanze, | ab Pollenpflanze,
| A Gestalt rund, | a Gestalt kantig,
| B Albumen gelb, | b Albumen grün.
|
Die künstlich befruchteten Samen wurden sammt mehreren
Samen der beiden Stammpflanzen angebaut, und davon die
kräftigsten Exemplare für die wechselseitige Kreuzung
bestimmt. Befruchtet wurde:
1. | die Hybride mit dem Pollen von | AB
| 2. | die Hybride mit dem Pollen von | ab
| 3. | AB mit dem Pollen von | der Hybride
| 4. | ab mit dem Pollen von | der Hybride
|
Für jeden von diesen 4 Versuchen wurden an 3 Pflanzen
sämmtliche Blüthen befruchtet. War die obige Annahme
richtig, so mussten sich an den Hybriden Keim- und Pollenzellen von den
Formen AB, Ab, aB, ab entwickeln und es
wurden verbunden:
1. | die Keimzellen | AB, Ab, aB,
ab | mit den Pollenzellen | AB
| 2. | die Keimzellen | AB, Ab, aB,
ab | mit den Pollenzellen | ab
| 3. | die Keimzellen | AB | mit den Pollenzellen
| AB, Ab, aB, ab
| 4. | die Keimzellen | ab | mit den Pollenzellen
| AB, Ab, aB, ab
|
Aus jedem von diesen Versuchen konnten dann nur folgende Formen
hervorgehen:
1. | AB, | ABb, | AaB, | AaBb
| 2. | AaBb, | Aab, | aBb, | ab
| 3. | AB, | ABb, | AaB, | AaBb
| 4. | AaBb, | Aab, | aBb, | ab
|
Wurden ferner die einzelnen Formen der Keim- und Pollenzellen von
der Hybride durchschnittlich in gleicher Anzahl gebildet, so mussten bei
jedem Versuche die angeführten vier Verbindungen in
numerischer Beöziehung gleich stehen. Eine vollkommene
Uebereinstimmung der Zahlenverhältnisse war indessen nicht zu
erwarten, da bei jeder Befruchtung auch bei der normalen, einzelne
Keimzellen unentwickelt bleiben oder später verkümern,
und selbst manche von den gut ausgebildeten Samen nach dem Anbaue
nicht zum Keimen gelangen. Auch beschränkt sich die gemachte
Voraussetzung daruaf, dass bei der Bildung der verschiedenartigen
Keim- und Pollezellen die gleiche Anzahl angestrebt werde, ohne dass
diese an jeder einzelnen Hybride mit mathematischer Genauigkeit
erreicht werden müsste.
Der erste und zweite Versuch hatten vorzugsweise den
Zweck, die Beschaffenheit der hybriden Keimzellen zu prüfen,
sowie der dritte und vierte Versuch über die
Pollenzellen zu entscheiden hatte. Wie aus der obigen Zusammenstellung
hervorgeht, mussten der erste und dritte Versuch, ebenso der zweite
und vierte ganz gleiche Verbindungen liefern, auch sollte der Erfolg
schon im zweiten Jahre an der Gestalt und Färbung der
künstlich befruchteten Samen theilweise ersichtlich sein. Bei dem
ersten und dritten Versuche kommen die dominirenden Merkmale der
Gestalt und Farbe A und B in jeder Verbindung vor, und
zwar zum Theile constant, zum Theile in hybrider Vereiniung mit den
recessiven Charakteren a und b, weshalb sie
sämmtlichen Samen ihre Eigenthümlichkeit aufprägen
müssen. Alle Samen sollten daher, wenn die Voraussetzung eine
richtige war, rund und gelb erscheinen. Bei dem zweiten und dritten
Versuche hingegen ist eine Verbindung hybrid in Gestalt und Farbe,
daher sind die Samen rund und gelb; eine andere ist hybrid in der
Gestalt und constant in dem recessiven Merkmale der Farbe, daher die
Samen und rund und grün; die dritte ist constant in dem
recessiven Merkmale der Gestalt und hybrid in der Farbe, daher die
Samen kantig und gelb; die vierte ist constant in beiden recessiven
Merkmalen, daher die Samen kantig und grün. Bei diesen beiden
Versuchen waren daher viererlei Samen zu erwarten, nämlich
runde gelbe, runde grüne, kantige gelbe, kantige grüne.
Die Ernte entsprach den gestellten Anforderungen vollkommen.
Es wurden erhalten bei dem
- 1. Versuche 98 ausschliesslich runde gelbe Samen;
- 3. Versuche 94 ausschliesslich runde gelbe Samen;
- 2. Versuche 31 runde gelbe, 26 runde grüne, 27 kantige gelbe,
26 kantige grüne Samen;
- 4. Versuche 24 runde gelbe, 25 runde grüne, 22 kantige gelbe,
27 kantige grüne Samen.
An einem günstigen Erfolge war nun kaum mehr zu zweifeln, die
nächste Generation musste die endgültige Entscheidung
bringen. Von den angebauten Samen kamen im folgenden Jahre bei dem
ersten Versuche 90, bei dem dritten 87 Pflanzen zur Fruchtbildung; von
diesen brachten bei dem
Versuche | |
|
---|
1. | 3. | |
| 20 | 25 | runde gelbe Samen | AB
| 23 | 19 | runde gelbe und grüne Samen | ABb
| 25 | 22 | runde und kantige gelbe Samen | AaB
| 22 | 21 | runde und kantige, gelbe und grüne
Samen | AaBb
|
Bei dem zweiten und vierten Versuche gaben die runden und
gelben Samen Pflanzen mit runden und kantigen, gelben und
grünen Samen | AaBb
| von den runden und grünen Samen wurden Pflanzen
erhalten mit runden und kantigen grünen Samen | Aab
| die kantigen gelben Samen gaben Pflanzen mit kantigen gelben
und grünen Samen | aBb
| aus den kantigen grünen Samen wurden Pflanzen gezogen,
die wieder nur kantige grüne Samen brachten | ab
|
Obwohl auch bei diesen beiden Versuchen einige Samen nicht keimten,
konnte dadruch in den schon im vorhergehenden Jahre gefundenen
Zahlen nichts geändert werden, da jede Samenart Pflanzen geb, ie
in Bezug auf die Samen unter sich gleich und von den anderen
verschieden waren. Es brachten daher:
2.Versuch | 4. Versuch | |
| 31 | 24 | Pflanzen Samen von der Form | AaBb
| 26 | 25 | Pflanzen Samen von der Form | Aab
| 27 | 22>TD>Pflanzen Samen von der Form | aBb
| 26 | 27 | Pflanzen Samen von der Form | ab
|
Bei allen Versuchen erschienen daher sämmtliche Formen, welche
die gemachte Voraussetzung verlangte, und zwar in nahezu gleicher
Anzahl.
Bei einer weiteren Probe wurden die Merkmale der
Blüthenfarbe und Axenlänge in die Versuche
aufgenommen und die Auswahl so getroffen, dass im dritten
Versuchsjahre jedes Merkmal an der Hälfte
sämmtlicher Pflanzen hervortreten musste, falls die obige
Annahme ihre Richtigkeit hatte. A, B, a, b
dienen wieder zur Bezeichnung der verschiedenen Merkmale.
A | Blüthen violett-
roth, | a | Blüthen weiss,
| B | Axe lang, | b | Axe kurz.
|
Die Form Ab wurde befruchtet mit ab, woraus die Hybride
Aab hervorging. Ferner wurde befruchtet aB gleichfalls mit
ab, daraus die Hybride aBb. Im zweiten Jahre wurde
für die weiteren Befruchtung die Hybride Aab als
Samenpflanze, die andere aBb als Pollenpflanze verwendet.
Samenpflanze Aab, | Pollenpflanze aBb,
| mögliche Keimzellen Ab, ab, | Pollenzellen
aB, ab.
|
Aus der Befruchtung zwischen den möglichen Keim- und
Pollenzellen mussten vier Verbindungen hervorgehen, nämlich:
AaBb+aBb+Aab+ab.
Daraus wird ersichtlicht, dass nach obiger Vorraussetzung im dritten
Versuchtsjahre von sämmtlichen Pflanzen
die Hälfte violett-rothe Blüthen haben sollte
(Aa) | Glieder : 1,3
| Die Hälfte weisse Blüthe (a) | Glieder : 2,4
| Die Hälfte eine lange Axe (Bb) | Glieder : 1,2
| Die Hälfte eine kurze Axe (b) | Glieder : 3,4
|
Aus 45 Befruchtungen des zweiten Jahres wurden 187 Samen erhalten,
wovon im dritten Jahre 166 Pflanzen zur Blüthe gelangten.
Darunter erschienen die einzelnen Glieder in folgender Anzahl:
Glied: | Blüthenfarbe: | Axe: |
| 1 | violett-roth | lang | 47 Mal
| 2 | weiss | lang | 40 Mal
| 3 | violett-roth | kurz | 38 Mal
| 4 | weiss | kurz | 41 Mal
|
Es kam daher
die violett-rothe Blüthenfarbe | (Aa) | an 85
Pflanzen vor
| die weisse Blüthenfarbe | (a) | an 81 Pflanzen
vor
| die lange Axe | (Bb) | an 87 Pflanzen vor
| die kurze Axe | (b) an 79 Pflanzen vor
|
Die aufgestellte Ansicht findet auch in diesem Versuche eine
ausreichende Bestätigung.
Für die Merkmale der Hülsenform,
Hülsenfarbe und Blüthenstellung wurden ebenfalls
Versuche im Kleinen angestellt und ganz gleich stimmende Resultate
erhalten. Alle Verbindungen, welche durch die Vereinigung der
verschiedenen Merkmale möglich wurden, erschienen
pünktlich und in nahezu gleicher Anzahl.
Es ist daher auf experimentellem Wege die Annahme gerechtfertigt,
dass die Erbsenhybriden Keim- und Pollenzellen bilden, welche ihre
Beschaffenheit nach in gleicher Anzahl allen constanten Formen
entsprechen, welche aus der Combinirung der durch Befruchtung
vereinigten Merkmale hervorgehen.
Die Verschiedenheit der Formen unter den Nachkommen der Hybriden,
sowie die Zahlenverhältnisse, in welchen dieselben beobachtet
werden, finden in dem eben erwiesenen Satze eine hinreichende
Erklärugn. Den einfachsten Fall bietet die Entwicklungsreihe
für je zwei differirende Merkmale. Diese Reihe wird
bekanntlich durch den Ausdruck: A+2Aa+a
bezeichnet, wobei A und a die Formen mit den constant
differirenden Merkmalen und Aa die Hybridgestalt beider
bedeuten. Sie enthält unter drei verschiedenen Gliedern vier
Individuen. Bei der Bildung derselben werden Pollen- und Keimzellen
von der Form A und a durchschnittlich zu gleichen Theilen
in die Befruchtung treten, daher jede Form zweimal, da vier Individuen
gebildet werden. Es nehmen demnach an der Befruchtung theil:
die Pollenzellen | A+A+a+a
die Keimzellen | A+A+a+a
| |
Es bleibt ganz dem Zufalle überlassen, welche von den beiden
Pollenarten sich mit jeder einzelnen Keimzelle verbindet. Indessen wird
es nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit im Durchschnitte vieler
Fälle immer geschehen, dass sich jede Pollenform A und
a gleich oft mit jeder Keimzellform A und a vereinigt;
es wird daher eine von den beiden Pollenzellen A mit einer
Keimzelle A, die andere mit einer Keimzelle a bei der
Befruchtung zusammentreffen, und ebenso eine Pollenzelle a mit
einer Keimzelle A, die andere mit a verbunden werden.
Das Ergebniss der Befruchtung lässt sich dadruch anschaulich
machen, dass die Beziehungen für die verbundenen Keim- und
Pollenzellen in Bruchform angesetzt werden, und zwar für die
Pollenzellen über, für die Keimzellen unter dem Striche. Man
erhält in dem vorliegenden Falle:
+
+
+
Bei dem ersten und vierten Gliede sind Keim- und Pollenzellen
gleichartig, daher müssen die Producte ihrer Verbindung constant
sei, nämlich A und a; bei dem zweiten und dritten
hingegen erfolgt abermals eine Vereinigung der beiden differirenden
Stamm-Merkmale, daher auch die aus diesen Befruchtungen
hervorgehenden Formen mit der Hybride, von welcher sie abstammen,
ganz identisch sind. Es findet demnach eine wiederholte
Hybridisirung statt. Daraus erklärt sich die auffallende
Erscheinung, dass die Hybriden im Stande sind, nebst den beiden
Stammformen auch Nachkommen zu erzeugen, die ihnen gleich sind;
und
geben beide dieselbe
Verbindung Aa, da es, wie schon früher angeführt
wurde, für den Erfolg der Befruchtung keinen Unterschied mach,
welches von den beiden Merkmalen der Pollen- oder Keimzelle
angehört. Es ist daher
+
+
+
= A + 2Aa + a.
So gestaltet sich der mittlere Verlauf bei der Selbstbefruchtung
der Hybriden, wenn in denselben zwei differirende Merkmale vereinigt
sind. In einzelnen Blüthen und an einzelnen Pflanzen kann jedoch
das Verhältniss, in welchem die Formen der Reihe gebildet
werden, nicht unbedeutende Störungen erleiden. Abgesehen
davon, dass die Anzahl, in welcher beiderlei Keimzellen im Fruchtknogen
vorkommen, nur im Durchschnitte als gleich angenommen werden kann,
bleibt es ganz dem Zufalle überlassen, welche von den beiden
Pollenarten an jeder einzelnen Keimzelle die Befruchtung vollzieht.
Deshalb müssen die Einzelwerthe nothwendig Schwankungen
unterliegen, und es sich selbst extreme Fälle möglich, wie sie
früher bei den Versuchen über die Gestalt der Samen und
die Färbung des Albumens angeführt wurden. Die wahren
Verhältnisszahlen können nur durch das Mittel gegeben
werden, welches aus der Summe möglichst vieler Einzelwerthe
gezogen wird; je grösser ihre Anzahl, desto genauer wird das blos
Zufällige eliminirt.
Die Entwicklungsreihe für Hybriden, in denen zweierlei
differirende Merkmale verbunden sind, enthält unter 16
Individuen 9 verschiedene Formen, nämlich AB + Ab +
aB + ab + 2ABb + 2aBb + 2AaB +
2Aab + 4AaBb. Zwischen den verschiedenen Merkmalen der
Stammpflanzen A, a und B, b sind 4 constante
Combinationen möglich, daher erzeugt auch die Hybride die
entsprechenden 4 Formen von Keim- und Pollenzellen; AB,
Ab, aB, ab und jede davon wird im Durchschnitte 4
Mal in Befruchtung treten, da in der Reihe 16 Individuen enthalten sind.
Daher nehmen an der Befruchtung theil die
Pollenzellen: |
AB + AB + AB + AB + Ab + Ab +
Ab + Ab + aB + aB + aB + aB +
ab + ab + ab + ab
| Keimzellen: |
AB + AB + AB + AB + Ab + Ab +
Ab + Ab + aB + aB + aB + aB +
ab + ab + ab + ab
|
Im mittleren Verlaufe der Befruchtung verbindet sich jede Pollenform
gleich oft mit jeder Keimzellform, daher jede von den 4 Pollenzellen
AB einmal mit einer von den Keimzellarten AB, Ab,
aB, ab. Genau ebenso erfolgt die Vereinigung der
übrigen Pollenzellen von den Formen Ab, aB, ab
mit allen anderen Keimzellen. Man erhält demnach:
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
,
oder
AB + ABb + AaB + AaBb + ABb + Ab
+ AaBb + Aab + AaB + AaBb + aB +
aBb + AaBb + AaB + aBb + ab = AB +
Ab + aB + ab + 2ABb + 2aBb + 2AaB
+ 2Aab + 4AaBb.
In ganz ähnlicher Weise erklärt sich die Entwicklungsreihe
der Hybriden, wenn in denselben dreierlei differirende Merkmale
verbunden sind. Die Hybride bildet acht verschiedenen Formen von
Keim- und Pollenzellen: ABC, ABc, AbC, Abc,
aBC, aBc, abC, abc, und jede Pollenform
vereinigt sich wieder durchschnittlich einmal mit jeder Keimzellform.
Das Gesetz der Combinirung der differirenden Merkmale, nach welchem
die Entwicklung der Hybriden erfolgt, findet demnach seine
Begründung und Erklärung in dem erwiesenen Satze, dass
die Hybriden allen constanten Formen entsprechen, die aus der
Combinirung der durch Befruchtung vereinigten Merkmale
hervorgehen.
Versuche über die Hybriden anderer Pflanzenarten.
Es wird die Aufgabe weiterer Versuche sein, zu ermitteln, ob das
für Pisum gefundene Entwicklungsgesetz auch bei den Hybriden
anderer Pflanzen Geltung habe. Zu diesem Zwecke wurden in der letzten
Zeit mehrere Versuche eingeleitet. Beendet sind zwei kleinere
Experimente mit Phaseolusarten, welche hier Erwähnung finden
mögen.
Ein Versuche mit Phaseolus vulgaris und Phaseolus nanus L. gab ein gaz
übereinstimmendes Resultat. Ph. nanus hatte nebst der
zwergartigen Axe grüne einfach gewölbte Hülsen, Ph.
vulgaris hingegen ein 10-12' hohe Axe und gelb gefärbte, zur Zeit
der Reife eingeschnürte Hülsen. Die Zahlenverhältnisse,
in welchen die verschiedenen Formen in dem einzelnen Generationen
vorkamen, waren dieselben wie bei Pisum. Auch die Entwicklung der
constanten Verbindungen erfolgte nach dem Gesetze der einfachen
Combinirung der Merkmale, genau so, wie es bei Pisum der Fall ist. Es
wurden erhalten:
Constante Verbindung: | Axe: | Farbe der unreifen
Hülse: | Form der reifen Hülse:
|
---|
1 | lang | grün | gewölbt
| 2 | lang | grün | eingeschnürt
| 3 | lang | gelb | gewölbt
| | 4 | lang | gelb | eingeschnürt
| 1 | kurz | grün | gewölbt
| 2 | kurz | grün | eingeschnürt
| 3 | kurz | gelb | gewölbt
| | 4 | kurz | gelb | eingeschnürt
|
Die Grüne Hülsenfarbe, die gewölbte Form der
Hülse und die hohe Axe waren, wie bei Pisum, dominirende
Merkmale.
Ein anderer Versuch mit zwei sehr verschiedenen Phaseolusarten hatte
nur einen theilweisen Erfolg. Als Samenpflanze diente Ph. nanus
L., eine ganz constante Art mit weissen Blüthen in kurzen Trauben
und kleinen weissen Samen in geraden, gewölbten und glatten
Hülsen; als Pollenpflanze Ph. multiflorus W. mit hohem
windenden Stengel, purpurrothen Blüthen in sehr langen Trauben,
rauhen sichelförmig gekrümmten Hülsen und grossen
Samen, welche auf pfirsichblüthrothem Grunde schwarz gefleckt
und geflammt sind.
Die Hybride hatte mit der Pollenpflanze die grösste Aehnlichkeit,
nur die Blüthen erschienen weniger intensiv gefärbt. Ihre
Fruchtbarkeit war eine sehr beschränkte, von 17 Pflanzen, die
zusammen viele hundert Blüthen entwickelten, wurden im Ganzen
nur 49 Samen geerntet. Diese waren von mittlerer Grösse und
besassen eine ähnliche Zeichnung wie Ph. multiflorus; auch die
Grundfarbe war nicht wesentlich verschieden. Im nächsten Jahre
wurden davon 44 Pflanzen erhalten, von denen nur 31 zur Blüthe
gelangten. Die Merkmale von Ph. nanus, welche in der Hybride
sämmtlich latent wurden, kamen in verschiedenen Combinirungen
wieder zum Vorscheine, das Verhältniss derselben zu den
dominirenden musste jedoch bei der geringen Anzahl von
Versuchspflanzen sehr schwankend bleiben; bei einzelnen Merkmalen,
wie bei jenen der Axe und der Hülsenform, war dasselbe indessen
wie bei Pisum fast genau 1 : 3.
So gering der Erfolg dieses Versuches für die Feststellung der
Zahlenverhältnisse sein mag, in welchen die verschiedenen
Formen vorkamen, so bietet er doch andrerseits den Fall einer
merkwürdigen Farbenwandlung an den Blüthen und
Samen der Hybriden dar. Bei Pisum treten bekanntlich die Merkmale
der Blüthen- und Samenfarbe in der ersten und den weiteren
Generationen unverändert hervor und die Nachkommen der
Hybriden tragen ausschliesslich das eine oder das anderen der beiden
Stamm-Merkmale an sich. Anders verhält sich die Sache bei dem
vorliegenden Versuche. Die weisse Blumen- und Samenfarbe von Ph.
nanus erschien allerdings gleich in der ersten Generation an einem
ziemlich fruchtbaren Exemplare, allein die übrigen 30 Pflanzen
entwickelten Blüthenfarben, die verschiedenen Abstufungen von
Purpurroth bis Blassviolett darstellen. Die Färbung der
Samenschale war nicht minder verschieden, als die der Blüthe.
Keine Pflanze konnte als vollkomen fruchtbar gelten, manche setzten gar
keine Früchte an, bei anderen entwickelten sich dieselben erst aus
den letzten Blüthen und kamen nicht mehr zur Reife, nur von 15
Pflanzen wurden gut ausgebildete Samen geerntet. Die meiste Neigung
zur Unfruchtbarkeit zeigten die Formen mit vorherrschend rother
Blüthe, indem von 16 Pflanezn nur 4 reife Samen gaben. Drie
davon hatten ein ähnliche Samenzeichnung wie Ph. multiflorus,
jedoch eine mehr oder weniger blasse Grundfarbe, die vierte Pflanze
brachte nur einen Samen von einfach brauner Färbung. Die
Formen mit überwiegend violetter Blüthenfarbe hatten
dunkelbraune, schwarzbraune und ganz schwarze Samen.
Der Versuche wurde noch durch zwei Generationen unter gleich
ungünstigen Verhältnissen fortgeführt, da selbst unter
den Nachkommen ziemlich fruchtbarer Pflanzen wieder ein Theil wenig
fruchtbar oder ganz steril wurde. Andere Blüthen- und
Samenfarben, als die angeführten, kamen weiter nicht vor. Die
Formen, welch ein der ersten Generation eines oder mherer von den
recessiven Merkmalen erhielten, bleiben in Bezug auf diese ohne
Ausnahme constant. Auch von jenen Samen Pflanzen, welche violette
Blüthen und braune oder schwarze Samen besassen,
änderten einzelne in den nächsten Generationen die Blumen-
und Samenfarbe nicht mehr, die Mehrzahl jedoch erzeugte nebst ganz
gleichen Nachkommen auch solche, welche weisse Blüthen und
eben so gefärbte Samenschalen erhielten. Die
rothblüthenden Pflanzen blieben so wenig fruchtbar, dass sich
über ihre Weiterentwickelung nichts mit Bestimmtheit sagen
lässt.
Ungeachtet der vielen Störungen, mit welchen die Beobachtung zu
kämpfen hatte, geht doch so viel aus diesem Versuche hervor,
dass die Entwicklung der Hybriden in Bezug auf jene Merkmale, welche
die Gestalt der Pflanze betreffen, noch demselben Gesetze wie bei Pisum
erfolgt. Rücksichlich der Farbenmerkmale scheint es allerdings
schwierig zu sein, eine genügende Uebereinstimmung aufzufinden.
Abgesehen davon, dass aus der Verbindung einer weissen und
purpurrothen Färbung eine ganze Reihe von Farben hervorgeht,
von Purpur bis Blassviolett und Weiss, muss auch der Umstand
auffallen, dass unter 31 blühenden Pflanzen zur eine den
recessiven Charakter der weissen Färbung erhielt, während
das bei Pisum durchschnittlich schon bei jeder vierten Pflanze der Fall
ist.
Auch auch diese räthsalhaften Erscheinungen würden sich
wahrscheinlich nach dem für Pisum geltenden Gesetze
erklären lassen, wenn man voraussetzen dürfte, dass die
Blumen- und Samenfarbe des Ph. multiflorus aus zwei oder mehreren
ganz selbstständigen Farben zusammengesetzt sei., die sich einzeln
ebenso verhalten, wie jedes andere constante Merkmal an der Pflanze.
Wäre die Blüthenfarbe A zusammengesetzt aus den
selbstständigen Merkmalen A1 +
A . . . . , welche den
Gesammteindruck der purpurrothen Färbung hervorrufen, so
müssten durch Befruchtung mit dem differirenden Merkmale der
weissen Farbe a die hybriden Verbindungen A1
+ A2 + . . . gebildet werden,
und ähnlich würde es sich mit der correspondirenden
Färbung der Samenschale verhalten. Nach der obiben
Voraussetzung wäre jede von diesen hybriden
Farbenverbindungen selbstständig und würde sich demnach
ganz unabhängig von den übrigen entwickeln. Man sieht
dann leicht ein, dass aus der Combinirung der einzelnen
Entwicklungsreihen eine vollständige Farbenreihe hervorgehen
müsste. Wäre z. B. A = A1 +
A2, so entsprechen den Hybriden
A1a und A2a die
Entwicklungsreihen:
A1 + 2A1a + a
A2 + 2A2a + a
Die Glieder dieser Reihen können in 9 verschiedene Verbindungen
treten und jede davon stellt die Bezeichnung für eine andere Farbe
vor:
1A1A2
| 2A1aA2
| 1A2a
|
2A1A2a
| 4A1aA2a
| 2A2aa
|
1A1a
| 2A1aa
| 1aa
|
Die den einzelnen Verbindungen vorausgesetzten Zahlen geben zugleich
an, wie viele Pflanzen mit der entsprechenden Färbung in die
Reihe gehören. Sa die Summe derselben 16 beträgt, so sind
sämmtliche Farben im Durchschnitte auf je 16 Pflanzen vertheilt,
jedoch, wie die Reihe selbst zeigt, in ungleichen Verhältnissen.
Würde die Farbenentwicklung wirklich in dieser Weise erfolgen,
so könnte auch der oben angeführte Fall eine
Erklärung finden, dass nämlich die weisse Blüthen-
und Hülsenfärbe und 31 Pflanzen der ersten Generation nur
einmal enthalten, und könnte daher auch nur im Durchschnitte
unter je 16, bei drei Farbenmerkmalen sogar nur unter 64 Pflanzen
einmal entwickelt werden.
Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die hier vorsuchte
Erklärung auf einer blossen Vermuthung beruht, die weiter nichts
für sich hat, als das sehr unvollständige Resultat des eben
besprochenen Versuches. Es wäre übrigens eine lohnende
Arbeit, die Farbenentwicklung der Hybriden durch ähnliche
Versuche weiter zu verfolgen, da es wahrscheinlich ist, dass wir auf
diesem Wege die ausserordendliche Mannigfaltigkeit in der
Färbung unserer Zierblumen begreifen lernen.
Bis jetzt ist mit Sicherheit kaum mehr bekannt, als dass die
Blüthenfarbe bei den meisten Zierpflanzen ein äusserst
veränderliches Merkmal ist. Man hat häufig die Meinung
ausgesprochen, dass die Stabilität derArten durch die Cultur in
hohem Grade erschüttert oder ganz gebrochen werden, und ist
sehr geneigt, die Entwicklung der Culturformen als eine regellose und
zufällige hinzustellen; dabei wird gewöhnlich auf die
Färbung der Zierpflanzen, als Muster aller Unbeständgkeit,
hingewiesen. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum das blosse Versetzen
in den Gartengrund eine so durchgreifende und nachhaltige Revolution
im Pflanzenorganismus zur Folge haben müsse. Niemand wird im
erste behauptene wollen, dass die Entwicklung der Pfalnze im freien
Lange durch andere Gesetze geleitet wird, als im Gartenbeete. Hier wie
dort müssen typische Abänderungen auftreten, wenn die
Lebensbedingungen für eine Art geändert werden und diese
die Fähigkeit besitzt, sich den neuen Verhältnissen
anzupasssen.Es wird gerne zugegeben, dass durch die Cultur die
Entstehung neuer Varietäten begünstigt und durch die Hand
des Menschen manche Abänderung erhalten wird, welche im
freien Zustande unterliegen müsste, allein nichts berechtigt uns zu
der Annahme, dass die Neigung zur Varietätenbildung so
ausserordentlich gesteigert werde, dass die Arten bald alle
Selbstständigkeit verlieren und ihre Nachkommen in einer
endlosen Reihe höchst veränderlicher Formen aus einander
gehen. Wäre die Aenderung in den Vegetationsbedingungen die
alleinige Ursache der Variabilität, so dürfte man erwarten,
dass jene Culturpflanzen, welche Jahrhunderte hindurch unter fast
gleichen Verhältnissen angebaut wurden, wieder
Selbstständigkeit gewonnen hätten. Das ist bekanntlich nicht
der Fall, da gerade unter diesen nicht bloss die verschiedensten, sondern
auch die veränderlichsten Formen gefunden werden. Nur die
Leguminosen wie Pisum, Phaseolus, Lens, deren Befruchtungsorgane
durch das Schiffchen geschützt sind, machen davon eine
bemerkenswerthe Ausnahme. Auch da sind während einer mehr
als 1000jährigen Cultur unter den mannigfaltigsten
Verhältnissen zahlreiche Varietäten entstanden, diese
behaupten jedoch unter gleich bleibenden Lebensbedingungen eine
Selbstständigkeit, wie sie wild wachsenden Arten zukommt.
Es bleibt mehr als wahrscheinlich, dass für die
Veränderlichkeit der Culturgewächse ein Factor thätig
ist, dem bisher wenig Aufmerksamkeit zugewendet wurde.
Verschiedene Erfahrungen drängen zu der Ansicht, dass unsere
Culturpflanzen mit wenigen Ausnahmen Glieder verschiedener
Hybridreihen sind, deren gesetzmäßige
Weiterentwicklung durch häufige Zwischenkreuzungen
abgeändert und aufgehalten wird. Es ist der Umstand nicht zu
übersehen, dass die cultivirten Gewächse meistens in
grösserer Anzahl neben einander gezogen werden, wodruch
für die wechselseitige Befruchtung zwischen vorhandenen
Varietäten und mit den Arten selbst die günstigste
Gelegenheit geboten wird. Die Wahrscheinlichkeit dieser Ansicht wird
durch die Thatsache unterstützt, dass unter dem grossen heere
veränderlicher Formen immer einzelne gefunden werden, welche
in dem einen oder anderen Merkmale constant bleiben, wenn nur jeder
fremde Einfluss sorgfältig abgehalten wird. Diese Formen
entwickeln sich genau eben so, wie gewisse Glieder der
zusammengesetzten Hybridreihen. Auch bei dem empfindlichsten aller
Merkmale, bei jenem der Farbe, kann es der aufmerksamen
Beobachtung nicht entgehen, dass an den einzelnen Formen die Neigung
zur Veränderlichkeit in sehr verschiedenem Grade vorkommt.
Unter Pflanzen, die aus einer spontanen Befruchtung stammen,
giebt es oft solche, deren Nachkommen in Beschaffenheit und
Anordnung der Farben weit auseinandergehen, während andere
wenig abweichende Formen liefern, und unter einer grösseren
Anzahl einzelne getroffen werden, welche ihre Blumenfarbe
unverändert auf die Nachkommen übertragen. Die
cultivirten Dianthusarten geben dafür einen lehrreichen Beleg. Ein
weiss blühendes Exemplar von Dianthus Caryophyllus, welches
selbst von einer weissblühenden Varietät abstammte, wurde
während der Blüthezeit in einem Glasshause eingesperrt; die
zahlreich davon gewonnenen Samen gaben Pflanzen mit durchaus
gleicher weisser Blüthenfarbe. Ein ähnliches Resultat wurde
von einer rothen, etwas ins Violette schimmernden und einer weissen,
roth gestreiften Abart erhalten. Viele andere hingegen, welche auf
dieselbe Weise geschützt wurden, gaben mehr oder weniger
verschieden gefärbte und gezeichnete Nachkommen.
Wer die Färbungen, welche bei Zierpflanzen aus gleicher
Befruchtung hervorgehen, überblickt, wird sich nicht leicht der
Ueberzeugung verschliessen können, dass auch hier die
Entwicklung nach einem bestimmten Gesetze erfolgt, welches
möglicherweise seinen Ausdruck in der Combinirung mehrerer
selbstständiger Farbenmerkmale findet.
Schlussbemerkungen.
Es dürfte nicht ohne Interesse sein, die bei Pisum gemachten
Beobachtungen mit den Resultaten zu vergleichen, zu welchen die
beiden Autoritäten in diesem Fache, Kölreuther und
Gärtner, bei ihren Forschungen gelangt sind. Nach der
übereinstimmenden Ansicht beider halten die Hybriden der
äusseren Erscheinung nach entweder die Mittelform zwischen den
Stammarten, oder sie sind dem Typus der einen oder der anderen
näher gerückt, manchmal von denselben kaum zu
unterscheiden. Aus den Samen derselben gehen gewöhnlich, wenn
die Befruchtung durch den eigenen Pollen geschah, verschiedene von
dem normalen Typus abweichende Formen hervor. In der Regel
behält die Mehrzahl der Individuen aus einer Befruchtung die
Form der Hybride bei, während andere wenige der Samenpflanze
ähnlicher werden und ein oder das andere Individuum der
Pollenpflanze nahe kommt. Das gilt jedoch nicht von allen Hybriden ohne
Ausnahme. Bei einzelnen sind die Nachkommen theils der einen theils
der anderen Stammpflanze nähre gerückt, oder sie neigen
sich sämmtlich mehr nach der einen oder der anderen Seite hin;
bei einigen aber bleiben sie der Hybride vollkommen gleich und
pflanzen sich unverändert fort. Die Hybriden der Varietäten
verhalten sich wie die Specieshybriden, nur besitzen sie eine noch
grössere Veränderlichkeit der Gestalten und eine mehr
ausgesprochene Neigung, zu den Stammformen zurück zu
kehren.
In Bezug auf die Gestalt der Hybriden und ihre in der Regel
erfolgende Entwicklung ist eine Uebereinstimmung mit den bei
Pisum gemachten Beobachtungen nicht zu verkennen. Anders
verhält es sich mit den erwähnten Ausnahmsfällen.
Gärtner gesteht selbst, dass die genaue Bestimmung, ob eine
Form mehr der einen oder der anderen von den beiden Stammarten
ähnlich sei, öfter grosse Schwierigkeiten habe, indem dabei
sehr viel auf die subjective Anschauung des Beobachters ankommt. Es
konnte jedoch auch ein anderer Umstand dazu beibetragen, dass die
Resultate trotz der sorgfältigsten Beobachtung und Unterscheidung
schwankend und unsicher wurden. Für die Versuche dienten
grösstentheils Pflanzen, welche als gute Arten gelten und in einer
grösseren Anzahl von Merkmalen verschieden sind. Nebst den
scharf hervortretenden Charakteren müssen da, wo es sich im
Allgemeinen um eine grössere oder geringere Aehnlichkeit
handelt, auch jene Merkmale eingerechnet werden, welche oft schwer
mit Worten zu fassen sind, aber dennoch hinreichen, wie jeder
Pflanzenkenner weiss, um den Formen ein fremdartiges Aussehen zu
geben. Wird angenommen, dass die Entwicklung der Hybriden nach dem
für Pisum geltenden Gesetze erfolgte, so musste die Reihe bei
jedem einzelnen Versuche sehr viele Formen umfassen, da die
Gliederzahl bekanntlich mit der Anzahl der differirenden Merkmale
nach den Potenzen von 3 zunimmt. Bei einer
verhältnissmässig kleinen Anzahl von Versuchspflanzen
konnte dann das Resultat nur annähernd richtig sein und in
einzelnen Fällen nicht unbedeutend abweichen. Wären z. B.
die beiden Stammarten in 7 Merkmalen verschieden und würden
aus den Samen ihrer Hybriden zur Beurtheilung des
Verwandtschaftsgrades der Nachkommen 100 bis 200 Pflanzen gezoen,
so sehen wir leicht ein, wie unsicher das Urtheil ausfallen müsste,
da für 7 differirende Merkmale die Entwicklungsreihe 16,384
Individuen unter 2187 verschiedenen Formen enthält. Es
könnte sich bald die eine, bald die andere Verwandtschaft mehr
geltend machen, je nchdem der Zufall dem Beobachter diese oder jene
Formen in grösserer Anzahl in die Hand spielt.
Kommen ferner unter den differirenden Merkmalen zugleich
dominirende vor, welche ganz oder fast unverändert auf
die Hybride übergehen, dann muss an den Glieder der
Entwicklungsreihe imre jene der beiden Stammarten mehr hervortreten,
welche die grössere Anzahl der dominirenden Merkmale besitzt.
In dem früher bei Pisum für dreierlei differirende
Merkmale angeführten Versuche gehörten die dominirenden
Charaktere sämmtlich der Samenpflanze an. Obwohl die Glieder
der Reihe sich ihrer inneren Beschaffenheit nach gleichmässig zu
beiden Stammpflanzen hinneigen, erhielt doch bei diesem Versuche der
Typus der Samenpflanze ein so bedeutendes Uebergewicht, dass unter je
64 Pflanzen der ersten Generation 54 derselben ganz gleich waren. Man
sieht, wie gewagt es unter Umständen sein kann, bei Hybriden aus
der äusseren Uebereinstimmung Schlüsse auf ihre innere
Verwandtschaft zu ziehen.
Gärtner erwähnt, dass in jenen Fällen, wo die
Entwicklung eine regelmässgie war, unter den Nachkommen der
Hybriden nicht die beiden Stammarten selbst erhalten wurden, sondern
nur einzelne ihnen näher verwandte Individuen. Bei nicht sehr
ausgedehnten Entwicklungsreihen konnte es in der That nicht anders
eintreffen. Für 7 differirende Merkmale z. B. kommen unter mehr
als 16,000 Nachkommen der Hybride die beiden Stammformen nur je
einmal vor. Es ist demnach nicht leicht möglich, dass dieselben
schon unter einer geringen Anzahl von Versuchspflanzen erhalten
werden; mit einiger Wahrscheinlichkeit darf man jedoch auf das
Erscheinen einzelner Formen rechnen, die demselben in der Reihe nahe
stehen.
Einer wesentlichen Verschiedenheit begegnen wir bei jenen
Hybriden, welche in ihren Nachkommen constant bleiben und sich eben
so wie die reinen Arten fortpflanzen. Nach Gärtner
gehören hieher die ausgezeichnet fruchtbaren Hybriden:
Aquilegia atropurpurea-canadensis, Lavatera speudolbia-thuringiaca,
Geum urbano-rivale und einige Dianthushybriden; nach Wichura
die Hybriden der Weidenarten. Für die Entwicklungsgeschichte der
Pflanzen ist dieser Umstand von besonderer Wichtigkeit, weil constante
Hybriden die Bedeutung neuer Arten erlangen. Die Richtigkeit des
Sachverhaltes ist durch vorzügliche Beobachter verbürgt
und kann nicht in Zweifel gezogen werden. Gärtner hatte
Gelegenheit, den Dianthus Armeria-deltoides bis in die 10. Generation
selbst zu verfolgen, da sich derselbe regelmässig im Garten von
selbst fortpflanzte.
Bei Pisum wurde es durch Versuche erwiesen, dass die Hybriden
verschiedenartige Keim- und Pollenzellen bilden, und dass hierin
der Grund für die Veränderlichkeit ihrer Nachkommen liegt.
Auch bei anderen Hybriden, deren Nachkommen sich ähnlich
verhalten, dürfen wir eine gleiche Ursache voraussetzen; für
jene hingegen, welche constant beiben, scheint die Annahme
zulässig, dass ihre Befruchtungszellen gleichartig sind und mit der
Hybriden-Grundzelle übereinstimmen. Nach der Ansicht
berühmter Phyiologen vereinigen sich bei Phanerogamen zu dem
Zwecke der Fortpflanzung je eine Keim- und Pollenzelle zu einer einzigen
Zelle {Fussnote: Bei Pisum ist es wohl ausser Zweifel gestellt, dass zur
Bildung des neuen Embryo eine vollständige Vereinigung der
Elemente beider Befruchtungszellen stattfinden müsse. Wie wollte
man es sonst erklären, dass unter den Nachkommen der Hybriden
beide Stammformen in gleicher Anzahl und mit allen ihren
Eigenthümlichkeiten wieder hervortreten? Wäre der Einfluss
des Keimsackes auf die Pollenzelle nur ein äusserer, wäre
demselben bloss die Rosse einer Amme zugetheilt, dann könnte
der Erfolg einer jeden künstlichen Befruchtung kein anderer sein,
als dass die entwickelte Hybride ausschliesslich der Pollenpflanze gleich
käme, oder ihr doch sehr nahe stände. Das haben die
bisherigen Versuche in keinerlei Weise bestätigt. Ein
gründlicher Beweis für die vollkommene Vereinigung des
Inhaltes beider Zellen liegt wohl in der allseitig bestätigten
Erfahrung, dass es für die Gestalt der Hybride gleichgültig
ist, welche von den Stammformen die Samen- oder Pollenpflanze war.},
welche sich durch Stoffaufnahme und Bildung neuer Zellen zu einem
selbstständigen Organismus weiter zu entwickeln vermag. Diese
Entwicklung erfolgt nach einem constanten Gesetze, welches in der
materiellen Beschaffenheit und Anordnung der Elemente
begründet ist, die in der Zelle zur lebensfähigen Vereinigung
gelangten. Sind die Fortpflanzungszellen gleichartig und stimmen
dieselben mit der Grundzelle der Mutterpflanze überein, dann
wird die Entwicklung des neuen Individuums durch dasselbe Gesetz
geleitet, welches für die Mutterpflanze gilt. Gelingt es, eine
Keimzelle mit einer ungleichartigen Pollenzelle zu verbinden, so
müssen wir annehmen, dass zwischen jenen Elementen beider
Zellen, welche die gegenseitigen Unterschiede bedingen, irgend eine
Ausgleichung stattfindet. Die daraus hervorgehende Vermittlungszelle
wird zur Grundlage des Hybriden-Organismus, dessen Entwicklung
nothwendig nach einem anderen Gesetze erfolgt, als bei jeder der beiden
Stammarten. Wird die Ausgleichung als eine vollständige
angenommen, i dem Sinne nämlich, dass der hybride Embryo aus
gleichartigen Zellen gebildet wird, in welchen die Differenzen
gänzlich und bleibend vermittelt sind, so würde sich
als weitere Folgerung ergeben, dass die Hybride, wie jede andere
selbstständige Pflanzenart, in ihren Nachkommen constant bleiben
werde. Die Fortpflanzungszellen, welche in dem Fruchtknoten und den
Antheren derselben gebildet werden, sind gleichartig und stimmen mit
der zu Grunde liegenden Vermittlungszelle überein.
Bezüglich jener Hybriden, deren Nachkommen
veränderlich sind, dürfte man vielleicht annehmen,
dass zwischen den differirenden Elementen der Keim- und Pollenzelle
wohl insofern eine Vermittlung stattfindet, dass noch die Bildung einer
Zelle als Grundlage der Hybride möglich wird, dass jedoch die
Ausgleichung der widerstrebenden Elemente nur eine
vorübergehende sei und nicht über der Leben der
Hybridpflanze hinausreiche. Da in dem Habitus derselben während
der ganzen Vegetationsdauer keine Aenderungen wahrnehmbar sind,
müssten wir weiter folgern, dass es den differirenden Elementen
erst bei der Entwicklung der Befruchtungszellen gelinge, aus der
erzwungenen Verbindung herauszutreten. Bei der Bildung dieser Zellen
betheiligen sich alle vorhandenen Elemente in völlig freier und
gleichmässiger Anordnung, wobei nur die differirenden sich
gegenseitig ausschliessen. Auf diese Weise würde die Entstehung
so vielerlei Keim- und Pollenzellen ermöglicht, als die
bildungsfähigen Elemente Combinationen zulassen.
Die her versuchte Zurückführung des wesentlichen
Unterschiedes in der Entwicklung der Hybriden auf eine dauernde
oder vorübergehende Verbindung der differirenden
Zellelemente kann selbstverständlich nur den Werth einer
Hypothese ansprechen, für welche bei dem mangel an sicheren
Daten noch ein weiterer Spielraum offen stände. Einige
Berechtigung für die ausgesprochene Ansicht liegt in dem
für Pisum angeführten Beweise, dass das Verhalten je
zweier differirender Merkmale in hybrider Vereinigung
unabhängig ist von den anderweitigen Unterschieden zwischen
den beiden Stammpflanzen, und ferner, dass die Hybride so vielerlei
Keim- und Pollenzellen erzeugt, als constante Combinationsformen
möglich sind. Die unterscheidenden Merkmale zweier Pflanzen
können zuletzt doch nur auf Differenzen in der Beschaffenheit und
Gruppirung der Elemente beruhen, welche in den Grundzellen derselben
in lebendiger Wechselwirkung stehen.
Die Geltung der für Pisum aufgestellten Sätze bedarf selbst
noch der Bestätigung, und es wäre deshalb eine
Wiederholung wenigstens der wichtigeren Versuche
wünschenswerth, z. b. jener über die Beschaffenheit der
hybriden Befruchtungszellen. Dem einzelnen Beobachter kann leicht ein
Differentiale entgehen, welches, wenn es auch anfangs unbedeutend
scheint, doch so anwachsen kann, dass es für das Gesammt-
Resultat nicht vernachlässig werden darf. Ob die
veränderlichen Hybriden anderer Pflanzenarten ein ganz
übereinstimmendes Verhalten beobachten, muss gleichfalls erst
durch Versuche entschieden werden; indessen dürfte man
vermuthen, dass in wichtigen Punkten eine principielle Verschiedenheit
nicht vorkommen könne, da die Einheit im
Entwicklungsplane des organischen Lebens ausser Frage steht.
Zum Schlusse verdienen noch eine besondere Erwähnung die von
Kölreuther, Gärtner u. a. durchgeführten
Versuche über die Umwandlung einer Art in eine andere durch
künstliche Befruchtung. Diesen Experimenten wurde eine
besondere Wichtigkeit beigelegt, Gärtner rechnet dieselben
zu den Èallerschwierigsten in der Bastarderzeugung.Ç
Sollte eine Art A in eine andere B verwandelt werden, so
wurden beide durch Befruchtung verbunden und die erhaltenen
Hybriden abermals mit dem Pollen von B befruchtet; dann wurd
aus den verschiedenen Abkömmlingen derselben jene Form
ausgewählt, welche der Art B am nächsten stand, und
wiederholt mit dieser befruchtet, und so fort, bis man endlich eine Form
erhielt, welche der B gleichkam und in ihren Nachkommen
constant blieb. Damit war die Art A in die andere Art B
umgewandelt. Gärtner hat allein 30 derartige Versuche mit
Pflanzen aus den Geschlechtern: Aquilegia, Dianthus, Geum, Lavatera,
Lychnis, Malva, Nicotiana und Oenothera durchgeführt. Die
Umwandlungsdauer war nicht für alle Arten die gleiche.
Während bei einzelnen eine 3malige Befruchtung hinreichte,
musste diese bei einzelnen 5-6mal wiederholt werden; auch für
die nämlichen Arten wurden bei verschiedenen Versuchen
Schwankungen beobachtet. Gärtner schreibt diese
Verschiedenheit dem Umstande zu, dass Èdie typische Kraft, womit eine
Art bei der Zeugung zur Veränderung und Umbildung des
mütterlichen Typus wirkt, bei den verschiedenen Gewächsen
sehr verschieden sein müssen, und die Umwandlung bei manchen
Arten durch mehr, bei anderen aber durch weniger Generationen
vollbracht wird. Ferner bemerkt derselbe Beobachter, "dass es auch bei
Umwandlungsgeschäfte darauf ankommt, welcher Typus und
welches Individuum zu der weiteren Umwandlung gewählt
wird."
Dürfte man voraussetzen, dass bei diesen Versuchen die
Entwicklung der Formen auf eine ähnliche Weise wie bei Pisum
erfolgte, so würde der ganze Umwandlungsprocess eine ziemlich
einfache Erklärung finden. Die Hybride bildet so vielerlei
Keimzellen, als die in ihr vereinigten Merkmale constante Combinationen
zulassen, und eine davon ist immer gleichartig mit den befruchtenden
Pollenzellen. Demnach ist für alle derartigen Versuche die
Möglichkeit vorhanden, dass schon aus der zweiten Befruchtung
eine constante Form gewonnen wird, welche der Pollenpflanze gleich
kommt. Ob dieselbe aber wirklich erhalten wird, hängt in jedem
einzelnen Falle von der Zahl der Versuchspflanzen ab, sowie von der
Anzahl der differirenden Merkmale, welche durch die Befruchtung
vereinigt wurden. Nehmen wir z. B. an, die für den Versuch
bestimmten Pflanzen wären in 3 Merkmalen verschieden und es
sollte die Art ABC in die andere abc durch wiederholte
Befruchtung mit dem Pollen derselben umgewandelt werden. Die aus
der ersten Befruchtung hervorgehende Hybride bildet 8 verschiedene
Arten von Keimzellen, nämlich:
ABC, ABc, AbC, aBC, Abc, aBc,
abC, abc.
Diese werden im zweiten Versuchsjahre abermals mit dem Pollen
abc verbunden und man erhält die Reihe:
AaBbCc + AaBbc + AabCc + aBbCc + Aabc +
aBbc + abCc + abc.
Da die Form abc in der 8 gliedrigen Reihe einmal vorkommt, so ist
es wenig wahrscheinlich, dass sie unter den Versuchspflanzen fehlen
könnte, wenn diese auch nur in einer geringen Anzahl gezogen
würden, und die Umwandlung wäre schon nach zweimaliger
Befruchtung vollendet. Sollte sie zufällig nicht erhalten werden, so
müsste die Befruchtung an einer der nächstverwandten
Verbindungen Aabc, aBCc, abCc wiederholt werden. Es
wird ersichtlich, dass sich ein derartiges Experiment desto länger
hinausziehen müsse, je kleiner die Anzahl der
Versuchspflanzen und je grösser die Zahl der differirenden
Merkmale an den beiden Stammarten ist, dass ferner bei den
nämlichen Arten leicht eine Verschiebung um eine, selbst um zwei
Generationen vorkommen könne, wie es Gärtner
beobachtet hat. Die Umwandlung weit abstehender Arten kann
immerhin erst im 5. oder 6. Versuchsjahre beendet sein, indem die
Anzahl der verschiedenen Keimzellen, welche an der Hybride gebildet
werden, mit den differirenden Merkmalen nach den Potenzen von 2
zunimmt.
Gärtner fand durch wiederholte Versuche, dass die
wechselseitige Umwandlungsdauer für manche Arten
verschieden ist, so dass öfter eine Art A in eine andere
B um eine Generation früher verwandelt werden kann, als
die Art B in die andere A. Er leitet daraus zu den Beweis ab,
dass die Ansicht Kölreuther's doch nicht ganz stichhaltig sei,
nach welcher Èdie beiden Naturen bei den Bastarden einander das
vollkommenste Gleichgewicht halten.Ç Es scheint jedoch, dass
Kölreuther diesen Tadel nicht verdient, dass vielmehr
Gärtner dabei ein wichtiges Moment übersehen hat,
auf welches er an einer anderen Stelle selbst aufmerksam mach, dass es
nämlich Èdarauf ankommt, welches Individuum zur weiteren
Umwandlung gewählt wirdÇ. Versuche, welche in dieser Beziehung
mit zwei Pisum-Arten angestellt wurden, weisen darauf hin, dass es
für die Auswahl der tauglichsten Individuen zu dem Zwecke der
weiteren Befruchtung einen grossen Unterschied machen könne,
welche von zwei Arten in die andere umgewandelt wird. Die
beiden Versuchspflanzen waren in 5 Merkmalen verschieden, zugleich
besass die Art A sämmtliche dominirende, die andere
B> sämmtliche recessive Merkmale. Für die
wechselseitige Umwandlung von A mit dem Pollen von B
und umgekehrt B mit jenem von A befruchtet, dann
dasselbe an beiderlei Hybriden im nächsten Jahre wiederholt. Bei
dem ersten Versuche waren
im 3. Versuchsjahre für die Auswahl der Individuen zur weiteren
Befruchtung 87 Pflanzen vorhanden, und zwar in dem
möglichen 32 Formen; für den zweiten Versuch
wurden 73 Pflanzen erhalten,
welche in ihrem Habitus durchgehends mit der Pollenpflanze
übereinstimmten, jedoch ihrer inneren Beschaffenheit nach
eben so verschieden sein mussten, wie die Formen des anderen
Versuches. Eine berechnete Auswahl war daher bloss bei dem ersten
Versuche möglich, bei dem zweiten mussten auf den blossen Zufall
hin einige Pflanzen ausgeschieden werden. Von den letzteren wurde nur
ein Theil der Blüthen mit den Pollen von A befruchtet, der
andere hingegen der Selbstbefruchtung überlassen. Unter je 5
Pflanzen, welche für die beiben Versuche zur Befruchtung
verwendet waren, stimmten, wie der nächstjahrige Anbau zeigte,
mit der Pollenpflanze überein:
Erster Versuche | Zweiter Versuch |
|
---|
2 Pflanzen | - | in allen Merkmalen
| 3 Pflanzen | - | in 4 Merkmalen
| - | 2 Pflanzen | in 3 Merkmalen
| - | 2 Pflanzen | in 2 Merkmalen
| - | 1 Pflanze | in 1 Merkmal
|
Für den ersten Versuch war damit die Umwandlung beendet, bei
dem zweiten, der nicht weiter forgesetzt wurde, hätte
wahrscheinlich noch eine zweimalige Befruchtung stattfinden
müssen.
Wenn auch der Fall nicht häufig vorkommen dürfte, dass die
dominanten Merkmale ausschliesslich der einen oder der anderen
Stammpflanze angehören, so wird es doch immer einen
Unterschied machen, welche von beiden die grössere
Anzahl besitzt. Kommt die Mehrzahl der dominirenden Merkmale der
Pollenpflanze zu, dann wird die Auswahl der Formen für die
weitere Befruchtung einen geringeren Grad von Sicherhiet
gewähren, als in dem umgekehrten Falle, was eine
Verzögerung in der Umwandlungsdauer zur Folge haben muss,
vorausgesetzt, dass man den Versuch erst dann als beendet ansieht,
wenn eine Form erhalten wird, die nicht nur in ihrer Gestalt der
Pollenpflanze gleich kommt, sondern auch wie diese in den
Nachkommen constant bleibt.
Durch den Erfolg der Umwandlungsversuche wurde Gärtner
bewogen, sich gegen die Meinung derjenigen Naturforscher zu kehren,
welche die Stabilität der Pflanzenspecies bestreiten und eine stete
Fortbildung der Gewächsarten annehmen. Er sieht in der
vollendeten Umwandlung einer Art in die andere den unzweideutigen
Beweis, dass der Species feste Grenzen gesteckt sind, über welche
hinaus sie sich nicht ändern vermag. Wenn auch dieser Ansicht
eine bedingungslose Geltung nicht zuerkannt werden kann, so findet sich
doch anderseits in den von Gärnter angestellten Versuchen
eine beachtenswerthe Bestätigung der früher über die
Veränderlichkeit der Culturpflanzen ausgesprochenen
Vermuthung.
Unter den Versuchsarten kommen cultivirte Gewächse vor, wie
Aquilegia atropupurea und canadensis, Dianthus Caryophyllus, chinensis
und japonicus, Nicotiana rustica und paniculata, und auch diese hatten
nach einer 4-5maligen Verbindung nichts von ihrer
Selbstständigkeit verloren.
Ueber einige aus künstlicher Befruchtung gewonnene
Hieraciumbastarde.
von
Gregor Mendel
(Mitgetheilt in der Sitzung vom 9. Juni 1869.)
Gedruckt in den Verhandlungen des naturforschenden Vereines in
Brünn. VIII. Bd. Abhandlungen. 1869. Brünn, 1870. Verlag
des Vereins. S. 26-31.
Wiewohl ich schon mehrfach Befruchtungsversuche zwischen
verschiedenen Arten aus dem Genus Hieracium vorgenommen habe, ist
es mir bis jetzt doch nur gelungen, folgende 6 Bastarde und diese bloss
in einem bis drei Exemplaren zu erhalten:
H. Auricula | + | H. aurantiacum *),
| H. Auricula | + | H. Pilosella,
| H. Auricula | + | H. pratense,
| H. echoides**) | + | H. aurantiacum,
| H. praealtum | + | H. flagellare Rchb.,
| H. praealtum | + | H. aurantiacum.
|
{Fussnote: *) Durch diese Bezeichnung wird angedeutet, dass der Bastard
aus der Befruchtung des H. Auricula mit dem Pollen des H. aurantiacum
erhalten wurde.}
{Fussnote: **) Diese Versuchspflanze ist nicht genau das typische H.
echioides. Sie scheint der Uebergangsreihe zu H. praealtum
anzugehören, steht jedoch dem H. echioides näher, weshalb
sie auch in den Formenkreis der letzteren eingestellt wurde.}
Die Schwierigkeit, Bastarde in einer grösseren Anzahl zu gewinnen,
liegt in dem Umstande, dass es bei der Kleinheit der Blüthen und
dem eigenthümlichen Baue derselben nur selten gelingt, die
Antheren aus der zu befruchtenden Blüthe zu entfernen, ohne
dass der eigene Pollen auf die Narbe gelangt, oder Griffel verletzt wird
und abstirbt. Bekanntlich sind die Antheren in ein Röhrchen
verwachsen, welches den Griffel eng umschliesst. Sobald die
Blüthe sich öffnet, tritt die Narbe schon mit Pollen
überdeckt aus dem Röhrchen hervor. Um die
Selbstbefruchtung zu verhüten, muss deshalb das
Antherenröhrchen noch vor dem Aufblühen entfernt und zu
diesem Zwecke die Knospe mittelst einer feinen Nadel aufgeschlitzt
werden. Wird diese Operation zu einer Zeit vorgenommen, wo der Pollen
schon Befruchtungsfähigkeit erlangt hat, was 2-3 Tage vor dem
Aufblühen der Fall ist, so gelingt es nur selten, die
Selbstbefruchtung zu hindern, da es bei aller Aufmerksamkeit nicht
leicht möglich ist, zu verhüten, dass bei dem Auschlitzen des
Röhrchens einzelne Pollenkörner ausgestreut und der Narbe
mitgetheilt werden. Keinen besseren Erfolg gewährte bis jetzt die
Entfernung der Antheren in einem früheren Entwicklungstadium.
Vor dem Eintritte der Pollenreife sind nämlich die noch sehr
zarten Griffel und Narbe gegen Druck und Verletzungen äusserst
empfindlich, und wenn sie auch nicht beschädigt wurden, welken
und trocknen sie doch gewöhnlich nach kurzer Zeit ab, sobald sie
ihrer schützenden Hüllen beraubt sind. Dem letzteren
Uebelstande hoffe ich dadruch abzuhelfen, dass die Pflanze nach der
Operation durch 2 bis 3 Tage der feuchten Atmosphäre des
Warmhauses ausgesetzt wird. Ein Versuch, der vor Kurzem mit H.
auricula in dieser Weise angestellt wurde, lieferte es gutes Resultat.
Um den Zweck anzudeuten, zu welchem die Befruchtungsversuche
unternommen wurden, erlaube ich mir einige Bemerkungen über
das Genus Hieracium vorauszuschicken. Dieses Genus besitzt einen so
ausserordentlichen Reichthum an selbstständigen Formen, wie ihn
kein anderes Pflanzengeschlecht aufweisen kann. Einzelne davon sind
durch besondere Eigenthümlichkeiten ausgezeichnet und werden
als Hauptformen oder Arten betrachtet, während alle
übrigen sich als Mittelbildungen oder Uebergangsformen
darstellen, durch welche die Hauptformen mit einander
zusammenhängen. Die Schwierigkeit in der Gliederung und
Abgrenzung dieser Formen hat die Aufmerksamkeit der Fachgelehrten
immer in Anspruch genommen. Ueber keine anderen Gattung ist so viel
geschrieben, sind so viele und heftige Kämpfe geführt
worden, ohne dass es bis jetzt zu einem Abschlusse gekommen
wäre. Es ist voraus zu sehen, dass einen Verständigung nicht
zu erzielen sein wird, so lange nicht der Werth und die Bedeutung der
Zwischen- oder Uebergangsformen erkannt ist.
Bezüglich der Frage, ob und in welchem Umfange die
Bastardbildung an dem Formenreichthum des genannten Geschlechtes
Antheil nimmt, begegnen wird unter den ersten Pflanzenkennern sehr
abweichenden, sogar völlig widersprechenden Ansichten.
Während einige derselben einen weit reichenden Einfluss
zugestehen, wollen andere, z. B. Fries, bei Hieracien von Bastarden
überhaupt nichts wissen. Noch andere nehmen eine vermittelnde
Stellung ein und geben zu, dass Bastarde unter den wildwachsenden
Arten nicht selten gebildet werden, behaupten jedoch, dass denselben
eine wichtigere Bedeutung aus dem Grunde nicht beizumessen sei, weil
sie immer nur von kurzem Bestande sind. Die Ursache davon liege theils
in der geringen Fruchtbarkeit oder gänzlichen Sterilität
derselben, theils aber in der durch Versuche erwiesenen Erfahrung, dass
bei Bastarden die Selbstbefruchtung immer ausgeschlossen werde, wenn
der Polln der Stammarten auf die Narben derselben gelangt. Es sei
demnach undenkbar, dass Hieraciumbastarde sich in der Nähe
ihrer Stammeltern zu vollkommen fruchtbaren und constanten Formen
herausbilden und behaupten könnten.
Die Frage über den Ursprung der zahlreichen constanten
Zwischenformen hat in neuester Zeit nicht wenig an Interesse gewonnen,
seitdem ein berühmter Hieracienkenner im Geiste der
Darwin'schen Lehre die Ansicht vertritt, dass dieselben aus der
Transmutation untergegangener oder noch bestehender Arten
herzuleiten seien.
Es liegt in der Sache, um die es sich hier handelt, dass eine genaue
Kenntnis der Bastarde in Bezug auf ihre Gestalt und Fruchtbarkeit, sowie
auf das Verhalten ihrer Nachkommen durch mehrere Generationen
unerlässlich ist, wenn man es unternehmen will, den Einfluss zu
beurtheilen, den möglicherweise die Bastardbildung auf die
Mannigfaltigkeit der Zwischenformen bei Hieracium ausübt. Das
Verhalten der Hieracium-Bastarde in dem angedeuteten Umfange muss
nothwendig durch Versuche ermittelt werden, da wir eine
abgeschlossenen Theorie der Bastardbildung nicht besitzen, und es zu
irrigen Anschauungen führen könnte, wenn man die aus der
Beobachtung einiger anderer Bastarde abgeleiteten Regeln schon
für Gesetze der Bastardbildung ansehen und ohe weitere Kritik auf
Hieracium ausdehnen wollte. Gelingt es auf dem Wege des Experimentes
eine genügende Einsicht in die Bastardbildung der Hieracien zu
erhalten, dann wird mit Zuhilfenahme der Erfahrungen, welche
über die Vegetationsverhältnisse der verschiedenen wild
wachsenden Pflanzen gesammelt wurde, ein competentes Urtheil in
dieser Frage möglich werden.
Damit ist zugleich der Zweck ausgesprochen, den die in Rede stehenden
Versuche anstreben. Ich erlaube mir nun mit Berücksichtigung
dieses Zweckes die bisherigen noch sehr geringen Ergebnisse kurz
zusammenzufassen.
1. Bezüglich der Gestalt der Bastarde haben wir die auffallende
Erscheinung zu registriren, dass die bis jetzt aus gleicher Befruchtung
erhaltenen Formen nicht identisch sind. Die Bastarde H. praealtum + H
aurantiacum und H. Auricula + H. aurantiacum sind durch je zwei, H.
Auricula und H. pratense ist durch drei Exemplare vertreten,
während von den übrigen bisher nur je eines erhalten
wurde. Wenn wir die einzelnen Merkmale dieser Bastarde mit den
correspondierenden Charakteren der beiden Stammeltern vergleichen,
so finden wir, dass dieselben theils Mittelbildungen darstellen, theils
aber dem einen der beiden Stamm-Merkmale so nahe stehen, dass das
andere weit zurücktritt oder fast der Beobachtung entschwindet.
So z. B. sehen wir an der einen der beiden Formen von H. Auricula + H.
aurantiacum rein gelbe Scheibenblüthen, nur die Ligeln der
Randblümchen sind an der Aussenseite kaum merklich roth
angehaucht; bei der anderen hingegen kommt die Blüthenfarbe
jener des H. aurantiacum sehr nahe, nur gegen die Mitte der Scheibe hin
geht das Orangeroth in ein sattes Goldgelb über. Dieser
Unterschied ist beachtenswerth, da die Blüthenfarbe bei Hieracien
die Geltung eines constanten Merkmales besitzt. Anderen ähnliche
Fälle finden sich an den Blättern, Blüthenständen
u. s. w.
Vergleicht man die Bastarde mit den Stammeltern nach der
Gesammtheit ihrer Merkmale, dann stellen die beiden Formen des H.
praealtum + H. aurantiacum nahezu Mittelformen dar, die jedoch in
einzelnen Merkmalen nicht übereinstimmen. Dagegen sehen wir
bei H. Auricula + H. aurantiacum und H. Auricula + H. pratense die
Formen weit auseinandergehen, so zwar, dass eine davon sich der einen,
die andere der zweiten Stammpflanze nahe stellt, während bei
dem zuletzt genannten Bastarde noch eine dritte vorhanden ist, welche
zwischen beiden fast die Mitte hält.
Es drängt sich von selbst die Vermuthung auf, dass wir hier nur
einzelne Gliedre aus noch unbekannten Reihen vor uns haben, welche
durch die unmittelbare Einwirkung des Pollens der einen Art auf die
Keimzellen einer andren gebildet werden.
2. Die besprochenen Bastarde bilden, mit Ausnahme eines einzigen,
keimfähige Samen. Als vollkommen fruchtbar ist zu bezeichnen: H.
echioides + H. aurantiacum, als fruchtbar H. praealtum + H. flagellare, als
theilweise fruchtbar H. praealtum + H. aurantiacum und H. Auricula + H.
pratense, als wenig fruchtbar H. Auricula + H. Pilosella, als unfruchtbar
H. Auricula und H. aurantiacum. Von den beiden Formen des zuletzt
genannten Bastardes war die roth blühende ganz steril, von der
gelb blühenden wurde ein einziger gut ausgebildeter Same
erhalten. Ferner kann nicht unerwähnt bleiben, dass unter den
Sämlingen des theilweise fruchtbaren Bastardes H. praealtum + H.
aurantiacum eine Pflanze die vollkommene Fruchtbarkeit erlangt hat.
Die aus Selbstbefruchtung hervorgegangenen Nachkommen der Bastarde
haben bis jetzt nicht variirt, sie stimmen in ihren Merkmalen
untereinander und mit der Bastardpflanze, von welcher sie abstammen,
überein. Von H. praealtum + H. flagellare sind bis jetzt 2
Generationen, von H. echioides + H. aurantiacum, H. praealtum + H.
aurantiacum, H. Auricula + H. Pilosella je eine Generation in 14 bis 112
Exemplaren zur Blüthe gelangt.
4. Es ist die Thatsache zu constatiren, dass bei dem vollkommen
fruchtbaren Bastarde E. echioides + H. aurantiacum der Pollen der
Stammeltern nicht im Stande war, die Selbstbefruchtung zu hindern,
obwohl derselbe den Narben, während sie beim Aufblühen
der Antherenröhrchen hervortraten, in grosser Menge mitgetheilt
wurde.
Aus zwei auf diese Weise behandelten Blüthenköpfchen
wurden durchaus mit der Bastardpflanze übereinstimmende
Sämlinge erhalten. Ein ganz ähnlicher Versuch, der schon im
heurigen Sommer an dem theilweise fruchtbaren Bastarde H. praealtum
+ H. aurantiacum vorgenommen wurde, hat zu dem Ergebnisse
geführt, dass jene Blüthenköpfchen, an welchen die
Narben mit dem Pollen der Stammeltern oder anderer Arten belegt
wurden, eine merklich grössere Anzahl guter Samen entwickelten,
als jene, welche der Selbstbefruchtung überlassen blieben. Die
Erklärung dieser Erscheinung dürfte bei dem Umstande, dass
ein grosser Theil der Pollenkörper des Bastardes unter dem
Mikroskope eine mangelhafte Ausbildung zeigt, wohl nur darum zu
suchen sein, dass bei dem natürlichen Verlaufe der
Selbstbefruchtung ein Theil der conceptionsfähigen Eichen wegen
schlechter Beschaffenheit des eigenen Pollens nicht befruchtet wird.
Auch bei wild wachsenden, ganz fruchtbaren Arten kommt es nicht
selten vor, dass in einzelnen Blüthenköpfchen die
Pollenbildung fehlschlägt und in mancher Anthere auch nicht ein
einziges gutes Körnchen entwickelt wird. Wenn in solchen
Fällen dennoch Samen gebildet werden, so muss die Befruchtung
durch fremde Pollen erfolgt sein. Dabei können leicht Bastarde
entstehen, indem mancherlie Insekten, namentlich geschäftige
Hymenopteren, die Hieracium-Blüthen mit grosser Vorliebe
besuchen und sicherlich dafür Sorge tragen, dass der an ihrem
haarigen Körper leicht anhängende Pollen benachbarter
Pflanzen auf die Narben gelangt.
Aus dem Wenigen, das ich hier mittheilen kann, wird ersichtlich, dass
die Arbeit kaum noch über ihre ersten Anfänge
hinausreicht. Ich musste wohl Bedenken tragen, an diesem Orte eben
erst begonnene Versuche zu besprechen. Nur die Überzeugung,
dass die Durchführung der projectirten Experimente noch eine
Reihe von Jahren in Anspruch nehmen müsse, und die
Ungewißheit, ob es mir vergönnt sein wird, dieselben zu Ende
zu führen, konten mich zu der heutigen Mittheilung bestimmen.
Durch die Güte des Herrn Directors Dr. Nägeli in
München, welcher mir fehlende Arten, namentlich aus den Alpen
freundlichst zugesendet hat, bin ich nun in den Stand gesetzt, eine
grössere Anzahl von Formen in den Kreis der Versuche zu ziehen
und darf hoffen, schon im kommenden Jahre Einiges zur
Ergänzung und Sicherstellung der heutigen Angaben nachholen zu
können.
Wenn wir schliesslich die besprochenen, allerdings noch sehr unsicheren
Resultate mit jenen vergleichen, welche aus Kreuzungen im Jahre 1865
hier mitzutheilen die Ehre hatte, so begegnen wir einer sehr
wesentlichen Verschiedenheit. Bei Pisum haben die Bastarde, welche
unmittelbar aus der Kreuzung zweier Formen gewonnen werden, in allen
Fällen den gleichen Typus, ihre Nachkommen dagegen sind
veränderlich und variiren nach einem bestimmten Gesetze. Bei
Hieracium scheint sich nach den bisherigen Versuchen das gerade
Gegentheil davon herausstellen zu wollen. Schon bei Besprechung der
Pisum-Versuche wurde darauf hingewiesen, dass es auch Bastarde gibt,
deren Nachkommen nicht variiren, dass z. B. nach Wichura die
Bastarde von Salix sich unverändert wie reine Arten fortpflanzen.
Wir hätten demnach bei Hieracium eine analogen Fall. Ob man bei
diesem Umstande die Vermuthung aussprechen dürfe, dass die
Polymorphie der Gattungen Salix und Hieracium mit dem eigentlichen
Verhalten ihrer Bastarde in Zusammenhang stehe, das ist bis jetzt noch
eine Frage, die sich wohl anregen, nicht aber beantworten lässt.
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