1. Abschnitt: NW-Argentinien.
1. Abschnitt: NW-Argentinien.
Auf dem Bahnhof wurden wir von den Kollegen Viirsoo, Ploper und Reche
empfangen. Das Hotel war ordentlich, sogar mit Klimaanlage. Leider
regnete es am nächsten Tag. Herr Diers benutzte die kurze Zeit
zum Sammeln mit Herrn Vervoorst in der Tucumaner Ebene, während
ich die Nordargentinientour vorbereitete. Die wichtigste Frage, die
des Wagens wurde auf zuvorkommendste Weise durch den Direktor des
I.N.T.A.-Büros Ing. Ollivarri in Tucuman gelöst. Auf Grund
der Empfehlung von Ing. Garcia inBuenes Aires war er gern bereit, uns
einen Wagen zur Verfügung zu stellen, sogar mit Chauffeur. Ich
hatte die Wahl zwischen einem Kayser Estanciera (Typ Kombi mit
geschlossener Karosserie) und einem Pick-up von Chevrolet mit
offener Lagefläche. In Anbetracht der zu erwartenden Regenfälle
nahm ich den erstgenannten Wagen. - Am Nachmittag besuchte ich das Instituto
Miguel Lillo, dessen Direktor Willink, ein Entomologe, mir dies
berühmte Institut zeigte. Leider war der Cytogenetiker Krapovickas
nicht anwesend, aber Dr. Wygozinski erläuterte mir die interessanten
entomologischen Sammlungen.
Abends beim Besuch des Konsul Berndt erfuhr ich Wissenswertes über
die wirtschaftlichen Verhältnisse der Provinz Tucuman. Sie lebt
von der Zuckerrohrkultur. Infolge des gesunkenen Zuckerpreises war das
wirtschaftliche Leben etwas ruhig. Der Konsul besitzt im Norden
Agrumenplantagen. Die Kultur der Orangen ist lange nicht von der
Perfektion wie in Europa. Die Früchte sind oft unausgereift
und von wenig gutem Geschmack.
Es wurden mit Herrn Reche noch Einzelheiten über seinen geplanten
Aufenthalt in unserem Institut besprochen. Er macht einen ordentlichen
Eindruck und zeigt einen sonst in Südamerika ungewöhnlichen
Ehrgeiz.
Am 11. 2. stiegen wir (Vervoorst, Diers, der Fahrer und ich) in die
Estanciera, und es ging los. Dies Datum ist der eigentliche Beginn
der Expedition.
Unser Ziel in Argentinien war die Sammlung möglichst zahlreicher
Herkünfte der dort vorkommenden ca. 15. Solanumarten und von
Phaseolus aborigineus, daneben, wie überall, Lupinen, Zierpflanzen
und Material für die Chromosomenuntersuchungen von Herrn Diers,
sowie Beobachtungen der Parasiten an den Kulturpflanzenverwandten.
Spezialproblem waren gewisse taxonomische Fragen, Indentität
von Solanum sanctae-rosae und S. megistracrolobum, die von S.
infundibuliforme und S. xerophyllum und das Verhältnis von S.
simplicifolium zu S. venturii.
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Aconquija-Gebirge bei Ingenio El Arenal
mit Expeditionswagen
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Der erste Tag war dem Aconquija-Gebirge gewidmet. Es gehört noch
nicht zum Kordillerenmassiv, sondern ist eine der pampinen Sierren,
die den Kordilleren vorgelagert sind und aus Sandstein bestehen. Das
Gebirge ist in der Pflanzengeographie berühmt, weil es von mehreren
der schönsten Vegetationsformen Argentiniens bedeckt ist. Bis
Concepcion führt die Straße durch eine Kulturlandschaft,
meistens Zuckerrohrkulturen. Nur hier und da sieht man noch Reste des
ursprünglichen Übergangswaldes, der vom ariden Chacowald
zum Regenwald überleitet. In Concepcion bogen wir rechts ab dem
Gebirge zu. Die Vegetation änderte sich rasch. Bei Alpachiri am
Fuß des Aconquijagebirges bot sich überraschend der Anblick
eines subtropischen Regenwaldes. Einige riesige abgestorbene
Laurelbäume (Phoebe porphyria) flankierten die Straße.
Über und über behangen mit Epiphyten wie Polypodium,
Aechmea, Rhipsalis, Peperomia
und Moosen, künden sie den Eintritt
in eine dem europäischen Botaniker völlig neue Vegetationswelt
ein. Weiter im Innern des Waldes bot sich die ganze Fülle einer von
Feuchtigkeit und Wärme begünstigten Vegetation. Es war ein
sonniger Tag. Fremdartige Vögel, Papageien und Schmetterlinge
vermehrten den Eindruck des Zauberhaften. Mehrere Unterbrechungen der
Fahrt erlaubten uns, die Vegetation eingehender zu studieren und zu sammeln.
Hier fand auch die Bekanntschaft mit der ersten Solanum Species statt.
Es war S. venturii.
Das Waldgebiet, in dem wir uns befanden, ist der letzte Ausläufer
des großen Waldgürtels, der sich an den östlichen Hängen
der Anden und deren Vorgebirge von Nordperu bis hier herunter zieht.
Der dem Aequator nähere Teil bis etwa zur Höhe von Santa Cruz
in Bolivien besteht aus immergrünen Gehölzen, der südliche
aus sommergrünen. An den Osthängen des Aconquija-Gebirges tritt
der sommergrüne Bergwald in den beiden Formen des Laurelwaldes und
des nebelreichen Myrtaceenwaldes auf, die sich etwa am Campamento
Rio Cochuna scheiden. Im schmalen Band des Myrtaceenwaldes vor allem
trafen wir auf sehr zahlreiche Standorte des S. venturii. Wir haben
in diesem Wald möglicherweise die optimale Formation des S.
venturii
zu sehen, wenn wir es auch in angrenzenden Formationen gefunden haben.
Über die Bedeutung der Arten dieser Wälder für die
Resistenzzüchtung berichten wir weiter unten. - Hier fanden wir
auch zwei mit großen orangeroten Blüten geschmückte
Gesneriaceenkräuter an (Kohleria spec. und Smithiantha spec.),
die wohl als Zimmerpflanzen gelten können. Auch wurden Gerardia
(Scrophulariaceae) und Cosmus (Composite) gesammelt.
Ab 1350m über die Passhöhe hinweg bei La Banderita (1850m)
bis etwa zur Sommerfrische der Tucumaner El Alamito begleitete uns der
Erlenwald. In ihm fanden wir S. vernei, S. simplicifolium
und S. venturii.
Wir gelangten in das Bolson Campo de Pucara. Bolsone sind trockene,
sandige Becken zwischen den Einzelzügen der Pampienen Sierren.
Sie sind mit Horstgräsern bestanden. Die Formation gehört
der Puna an.
Rückwärts bot sich ein wunderbarer Blick auf die beiden
Gipfel des Aconquijagebirges, den Overo und den Candado. Unterhalb
derselben lag ein klassischer Kondensationshorizont, der uns die
Feuchtigkeit der Bergwälder verständlich machte. Der Aconquijakamm
schirmt die westlichen Gebiete gegen die von Osten andrängende
Feuchtigkeit ab, so daß der Campo des Pucara mit höchstens
200 mm Niederschlag unvermittelt dem Aconquijawald mit ca. 1000
gegenübersteht.
Weiter abwärts gegen das Becken von Andalgala gelangten wir durch
eine weitere charakteristische und bizarre Formation, d. i. der
Kakteendornbusch mit 3-4 m hohen Kandelaberkakteen und Polstern der
Bromeliacee Abromeitiella lorentzii. Diese beiden letztgenannten
Formationen waren leer von Solanumarten.
Ehrlich ermüdet kamen wir in Andalgala an.
Der erste Tag hatte mehrere Punkte zur Organisation geklärt.
Es war richtig, einen Kollegen als Begleiter zu haben. Denn unsere
Spezialaufgaben konnten so in einem Rahmen eingebettet werden, der
nicht erst mühsam erarbeitet weden musste. Die Pflanzen- und
Formationskenntnisse von Dr. Vervoorst waren ausgezeichnet. Ausserdem
erwies er sich als guter Kamerad, den wir auch späterhin immer mehr
schätzen lernten. Der Wagen war der richtige. Er war schnell,
geräumig und wendig. Äusserst nützlich empfanden wir
die Anwesenheit eines Fahrers. Es ist notwendig, sich während
der Fahrt zu unterhalten, zu diskutieren und das Gesehene zu verarbeiten.
Das ist nicht möglich, wenn einer der Expeditionsteilnehmer selbst
den Wagen fährt. Abgesehen davon wird das Sammeln effektiver,
wenn jeder wissenschaftliche Teilnehmer vom Wagen her Ausschau halten
und möglichst jeder auf das Vorkommen seiner Spezialarten achten
kann.
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Aufstieg nach Capillites, Dornbusch.
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Am nächsten Tag durchfuhren wir punaähnliche und
Dornbuschformationen. Bis zur Höhe der Kupfermine von Capillitas
waren keine Solanumarten anzutreffen. Dagegen fanden wir die ersten
beiden Lupinus spec. und einige als
Zierpflanzenpolster beachtliche Verbenen.
Im Campo Arenal, einem Bolson, wurde ein Mestize schließlich nach
"papas silvestres" gefragt. Er führte uns zu einem Standort in der
Nähe, wo wir auf S. gourlayi stießen,
bei 2860m in einer kleinen
Mulde inmitten der Kakteenpuna, die außer Kakteen (meist Cereus)
keine anderen Arten enthielt. Der Mestize nannte das S. gourlayi
"papa Yuto", d. i. Wachtelkartoffel. Er war recht aufgeweckt und
versprach, uns weitere Arten zuzusenden, sowie auch Kultursorten. Er
hat auch wirklich Wort gehalten. Auf dem weiteren Weg mehrten sich
die Fundorte von Solanumarten, so bei Ingenio del Arenal S. leptophyes,
S. famatinae und einige andere noch nicht bestimmte. Auch hier war ein
Indio der Führer.
Die Kenntnis, die die Indios allgemein von der Pflanzenwelt besitzen,
ist beeindruckend. Es drängt sich der Gedanke auf, daß es
sicher auch in der Vorzeit nicht sonderlich schwierig war
nützliche Pflanzen zu finden und in Kultur zu nehmen.
Wenn die Indios sich bei den Solanumarten auf eine tetraploide (S.
andigena)
und drei diploide (S. stenotomum, S. goniocalyx und
S. phureja), sowie deren
Bastarde beschränkten, dann deswegen, weil die anderen Arten nicht in
Frage kamen. Das Freisein von Bitterstoffen mag auf das mehr oder weniger
häufige Mutieren der vorgefundenen Formen gerade dieser Arten
zurückzuführen sein. -
Die Bedeutung der in diesen ausgesprochenen ariden Formationen
gefundenen Solanumarten liegt natürlich zuerst in ihrer vermutlichen
Dürreresistenz. Aber nicht allein darin. Von den Kartoffelknollenparasiten
bevorzugen Nematoden und Schorf leichten sandigen Boden. In den ariden
Hochebenen und den trockenheißen Andentälern weht fast immer
ein starker Wind, der die Cysten der Nematoden und die Sporen des
Schorfpilzes mit Leichtigkeit über riesige Strecken verweht.
Die hier vorkommenden Arten müssen also einen starken Angriffsdruck
dieser Parasiten standhalten. Es ist fast sicher, daß sie eine
Resistenz dagegen entwickelt haben, und nicht nur gegen wenige Rassen,
sondern gegen ein ganzes Rassenspektrum, denn die Fortpflanzungsorgane
aller Pilz- und Nematodenrassen werden mit dem Wind überall hin
gelangen. Bei S. gourlayi haben wir in der Tat bereits eine Resistenz
gegen alle bisher bekannten Rassen des Kartoffelnematoden gefunden.
Hinzu kommt bei diesen Arten vielleicht noch eine Resistenz gegen
Krebs. Sie ist aus unbekannten Gründen fast stets mit einer
Schorfresistenz verbunden.
Der nächste Tag war der bekannten Fundstelle von Solanum species
gewidmet, dem Abras del Infiernillo am oberen Teil des Valle Tafi,
die uns zugleich das Studium der Formation der Bergmatten ermöglichten.
Der Weg führte von Santa Maria Tal zunächst am Hang des
Aconquijagebirges durch zahlreiche Quebradas (Schluchten) mit ihrer
interessanten feuchteren Vegetation, die auch Solanumarten beherbergten.
Diese hielten sich meistens unter und im tiefsten Gebüsch auf.
Es war schwer zu entscheiden, ob das Solanum diesen Standort bevorzugte,
weil er sein natürliches Habitat darstellt, oder weil es dort nicht
abgeweidet wurde. Später hatten wir Ursache, beides anzunehmen.
Der Aufstieg führte durch eine typische nordargentinische
"Monte"-Landschaft, d. s. mesophytische Gebüsche, zum Pass Zanja
de los Cardenos bei 2700m. Dort blieben die Gebüsche zurück
und es trat eine feuchte Grasflur hervor, die durchaus den Eindruck einer
europäischen alpinen Bergmatte vermittelte. Natürlich war die
Artenzusammensetzung ganz verschieden: neben Stipagräsern, Melica,
Paspalum und Festuca, neben Sträuchern wie
Baccharis, Berberis,
Esallonia und Eupatorium finden sich
bunt blühende Kräuter
wie Cajophora, Calceolaria, Salvia, Commelina,
Sisyrinchium, Gentiana etc.
Interessant auch Ephedra. Als typisches Element
dieser Formation stellten
wir S. sanctae-rosae fest, aber auch S. acaule,
S. leptophyes, vernei ssp.
ballsii, famatinae und gourlayi kamen vor. Die letztgenannten Arten
schienen aber mehr aus anderen Formationen eingewandert zu sein. Immerhin
wurde doch klar, daß eine starre Festlegung gerade der
nordargentinischen Arten auf eine kleinräumige Formation nicht
erfolgen konnte. Ihrem Verteilungsschema sind großräumige
Einteilungen adaequater. Wir haben, wie aus der beigegebenen
Veröffentlichung zu ersehen, dann die Vegetationsgürtel
als Lebensräume adaequater Grössenordnung gewählt.
Eine kleine Lupine und zahlreiche Zierpflanzen und Material für
Chromosomenuntersuchungen waren eine weitere willkommene Beute an
dieser Stelle.
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Farmersfrau (Mestizin) zu Pferde
im Valle Calchaquis bei Cafayate
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Es war unsere Absicht, nunmehr das Valle Calchaqui hinauf über
Cachi den Ort San Antonio des los Cobres zu erreichen, eine Region,
in der bisher noch wenig gesammelt wurde. Der Rio Calchaqui, noch
bei San Carlos ein kleines Rinnsal, wurde immer mächtiger.
Mehrmals wagten wir nicht ungefährliche Flußdurchfahrten,
aber bei Palo Pintado war endgültig Schluß. Nur mit Pferden
wäre ein Weiterkommen möglich gewesen. Da uns aber der Wagen
nicht unbegrenzte Zeit zur Verfügung stand, und zudem an der
bolivianischen Grenze Kollege Alandia auf uns wartete, entschlossen
wir uns zu einer anderen Route. Nach einem kurzen Abstecher ins Tal
des Rio San Lucas, wo im Sand des Trockentales S. kurtzianum und S.
famatinae angetroffen wurde, wandten wir uns nach Cafayate zurück
und nahmen die Straße nach Salta. Dabei durchquerten wir eine
Punaregion, die fast übersät war mit einer weissen Amaryllisart
(im Verblühen rosa). Die species war auch Herrn Vervoorst unbekannt.
Wir nahmen einige Zwiebeln mit. Die Straße führte weiter durch
hoch interessante geologische Formationen mit karbonischem roten und gelben
Sandstein, der in bizarren Erosionsbildungen die Straße säumte.
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Hotel in La Viña
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Hotel in La Viña, Patio
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Nach Übernachtung in La Viña machten wir eine Exkursion
zu Fuß in eines der Seitentäler. Dies bot Gelegenheit, neben
mesophytischen Formationen auch den Quebracho-Trockenwald kennenzulernen,
der dem Trockensavannengürtel angehört. Auch diese Formation war
nicht frei von Solanum species. Wir fanden S. chacoense und
S. kurtzianum.
Die Wanderung mitten durch das fast ausgetrocknete Flußbett im
glühenden Sonnenschein war eine rechte Strapaze. Zudem zogen Herr
Vervoorst und ich uns eine Vergiftung zu. Während ich Herrn Vervoorst
ermunterte, mit mir einen Hutpilz zu essen, bot er mir Schoten von Prosopis
alba an. Die Folgen waren fürchterlich.
Aber es war nicht zu entscheiden,
wer den anderen hatte vergiften wollen. Nach einigen Abstechern in
Seitentäler, die uns reiche Beute bescherten, erreichten wir Salta.
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Ansicht von Salta
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Ansicht von Salta
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In Salta, einer schönen Stadt inmitten eines reichen landwirtschaflichen
Zentrums mit Zuckerrohr, Mais, Viehzucht etc. sammelten wir zum ersten Mal
auf dem Markt, und zwar Mais, Capsicum, Phaseolus,
Kartoffelsorten etc. Der
Karnaval verursachte einen lebhaften Betrieb. Hier hatten wir Schwierigkeiten
mit dem Einwechseln unserer Dollarnoten. Keine Bank war bereit, weil der
offizielle Kurs erst nach der Dienstzeit eintraf! Erst in Jujuy, wo wir uns
an Konsul Plattner wandten, konnten wir privat bei einer deutschen Dame
wechseln.
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Kirche mit Bougainvillea, Jujuy
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Kirche in Jujuy
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Jujuy, Indiofrau mit Weintrauben und Marktwagen
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Schon mittags ging es weiter durch herrlichen sommergrünen Regenwald
nach Jujuy. Außer Gesneriaceen, Begonien und anderen Zierpflanzen
fanden wir hier den ersten Standort des wichtigen Phaseolus aborigineus,
der Stammpflanze unserer Buschbohnen. Leider war der Same noch unreif.
Bemerkenswert war weiter eine Bastardpopulation von S. chacoense
und S.
simplicifolium an einem Geröllabhang. Beeren, Knollen und
Herbarexemplare wurde für spätere Auswertung gesammelt.
Bezüglich des S. simplicifolium regte sich der Verdacht, ob das
reine simplicifolium nicht ganzrandige Blätter besitze, und alle
fiederblättrigen Exemplare nicht chacoense-Bastarde seien. Die
sommergrünen Regenwälder, die wir erst viel später in
Bolivien wieder antreffen sollten, beherbergen Solanumarten, in denen
Resistenz gegen die Kraut- und Knollenfäule (Phytophtora infestans)
zu vermuten ist. Das Klima ist durchweg sehr feucht, was schon der
große Reichtum an Epiphyten anzeigt, und die Temperatur sinkt
nicht unter das für Phytophthora erträgliche. Auch eine
Resistenz gegen andere Feuchtigkeit liebende Parasiten wie Rhizoctonia,
Alternaria, Erwinia phytophtora könnte sich
hier entwickelt haben.
Natürlich wird man nicht erwarten können, daß alle
vorkommenden Arten resistent sind, zu erwarten ist nur, daß
bei den Arten dieser Regenwaldformation infolge des Selektionsdruckes
der Parasiten sich mehr oder weniger ausgeprägte Resistenzeigenschaften
in großer Variation entwickelt haben. Schon an Ort und Stelle konnten
wir beobachten, daß S. chacoense sehr häufig mit Phytophthora
gefunden wurde, S. simplicifolium aber nicht. Eingehende Untersuchungen
können natürlich erst an dem heimgebrachten Material erfolgen.
Es war jetzt auch möglich, die beste Sammelzeit zu beurteilen.
Der Monat Februar ist für Solanum günstig. Das Sammeln
könnte sicher bis Mitte März verlängert werden.
Für Phaseolus und Lupinus und für die Gesamtvegetation,
die Herrn Diers anging, war es dagegen etwas zu früh. Natürlich
kann nicht erwartet werden, daß bei einer Expedition über mehr
als 30 Breitengrade überall zur optimalen Zeit gesammelt werden kann.
Wir waren beruhigt bei dem Gedanken, den Beginn unserer Reise auf keinen
Fall zu spät angesetzt zu haben. Wie sich noch herausstellen sollte,
war der Zeitraum Anfang Februar bis Mitte Mai für das gesamte zu
besuchende Gebiet durchaus richtig. Allerdings verlangten die Tomaten
Nordperus und einige Lupinen in der nordperuanischen Kordillere
einen späteren Zeitpunkt als Mitte Mai. Die einem ganz entgegengesetzten
Rhytmus unterliegende Lomaformation blüht und fruchtet erst im
Juli-August. Auch war es richtig, die
Expedition im Süden statt im Norden zu beginnen.
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Solanum chacoense
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Hinter Jujuy begleitete uns zunächst noch der sommergrüne
Regenwald, als wir einen Abstecher in Richtung Ledesma machten, um
dort den laubwerfenden Übergangswald zu besuchen. Er erwies sich
als wesentlich artenärmer. Typisch waren die windenden Epiphyten,
Lianen etc. Die für den sommergrünen Regenwald typischen
Baumbromelien, Moose, Rhipsaliskakteen etc. fehlten. Als einzige
Solanumart wurde S. chacoense gefunden.
Es war jetzt klar, daß
Solanum chacoense eine sehr große Anpassungsfähigkeit besitzt.
Es kommt vor in der Trockensavanne der Ebene, in den Chacowäldern,
den Quebracho-Trockenwäldern, den Übergangswäldern bis
hinauf zu den sommergrünen Regenwäldern und den Nebelwäldern.
Ob man die in NW-Argentinien vorkommenden Arten als ssp. subtilis
den Formen
der Ebene gegenüberstellen kann, erscheint fraglich.
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Quiabentia chacoensis (eine Bereskia) aus dem Trockenwald
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Auf der Rückfahrt nach Jujuy sahen wir im Chacowald noch schöne
Exemplare eines Laubblätter tragenden Kakteenbaumes Quiabentia
chacoensis, sowie riesige Eucalyptuspflanzungen, die als Holzkohle
für die Eisenbahn Verwendung finden.
In Jujuy wurde die weitere Organisation vorbereitet. In Telegrammen wurde
Ing. Ragonese um weiteren Urlaub für Herrn Dr. Vervoorst gebeten und
nach Tucuman und Salta Nachricht für Dr. Rimpau gegeben. Bisher hatten
wir noch nichts von ihm erfahren. Päckchen mit Material wurden nach
Deutschland gesandt.
Jujuy war der letzte Vorposten der Kultur gen Norden, wie wir bald merken
sollten. Es brach nunmehr eine Zeit abenteuerlicher Unterkünfte im
ländlichsten Stile an.
Von Jujuy in Richtung Humahuaca durchfuhren wir die Formation des
Regenwaldes mit S. simplicifolium, einem zweiten
Phaseolus aborigineus,
einem sehr großblütigen Sisyrinchium, Calceolarien etc. Ein
Abstecher wurde zu den kleinen Seen Lagunas de Yala unternommen. In einer
Geröllhalde am Seeufer wurde zum ersten Mal Phaseolus aborigineus mit
reifen Samen gefunden. Die Hülsen waren mit Flecken von Colletotrichum
lindemuthianum bedeckt. Dieser Pilz, der in mehreren Rassen aufspaltet,
ist der schlimmste Schädling der Buschbohne in Deutschland. Professor
Rudorf sind in der Resistenzzüchtung bereits bedeutende Erfolge gelungen.
Da die Resistenzprüfungen mit einem möglichst erschöpfenden
Rassenspektrum durchgeführt werden müssen, war die Erlangung
dieser neuen Rasse wichtig.
Wir hatten jetzt das Tal des Rio Grande erreicht, das Quebrada de
Humahuaca genannt wird und wegen seiner Naturschönheiten berühmt
geworden ist. Dies Tal ist eines der Längstäler, die die
Randgebirge des Altiplano durchziehen. Fluß, Straße und Bahn
gewinnen immer größere Höhe, bis kurz vor der Grenzstadt
La Quiaca der höchste Punkt mit 3700m erreicht wird. Als typisches
Trockental ist es hoch angefüllt mit Schutt, Geröll und Sand.
Dazwischen bahnt sich der Rio Grande einen meist nur schmalen Weg.
Die begleitenden Kordillierenketten sind mit Strauchpuna bedeckt, vor
allem auf den riesigen Schwemmkegeln an ihrem Fuß.
In der Nähe von Maimara liegt die landwirtschaftliche Station
Hornillos der I.N.T.A. Der Leiter Señor Castellanos zeigte uns die
Kollektion von Kartoffelwildarten, die von Ing. Virsoo angelegt wurde.
Sie ist recht reichhaltig und jetzt nach Catamarca verlegt. Dankenswerter
Weise hat sich die argentinische Regierung entschlossen, auch auf den Rat
von Professor Rudorf, diese Kollektion weiter auszubauen und eine
Zusammenarbeit mit den Kartoffelzüchtern der USA und Europas
einzuleiten. Eine Sammlung von Wildkartoffeln zu unterhalten, ist in
Europa und den USA mit größten Schwierigkeiten verbunden,
da die klimatischen Verhältnisse des Habitats nie voll reproduziert
werden können. Immer wieder gehen schwer erlangte Arten verloren.
Kreuzungen gelingen nur schwer und die Sorten der einheimischen Kulturarten
setzen keine Knollen (wegen des bei uns herrschenden Langtags). Um wieviel
leichter ist es, eine Sammlung in den Ursprungsländern zu unterhalten.
Auch aus einem anderen Grunde ist eine Station im Ursprungsland der
Wildarten für die Resistenzzüchtung wichtig. Das Genzentrum
der Wildarten ist gleichzeitig ein Genzentrum für ihre Parasiten.
Rassen der Parasiten werden hier in der größten Mannigfaltigkeit
anzutreffen sein. Will man auf vollständige Resistenz züchten,
d. h. auf Resistenz, die gegen alle Rassen eines Prasiten durchhält,
so muß mit vielen verschiedenen Rassen getestet werden, die das gesamte
Rassenspektrum irgendwie repräsentieren. Das ist natürlich am
besten im Zentrum der Rassenaufspaltung durchzuführen. Natürlich
kann und soll nicht die ganze Resistenzzüchtung hier erfolgen, sondern
es sollte nur die Möglichkeit vorhanden sein, Überprüfungen
vorzunehmen. Europäische Stipendiaten könnten hier an wichtigen
Problemen nützliche Arbeit leisten.
Kurz vor Tilcara überschritten wir den südlichen Wendekreis
und befanden uns nun in den Subtropen. In Tilcara erschien es angezeigt,
eine Trockenquebrada gründlich nach Material zu durchsuchen. Wir
stiegen ca. 600m in die Garganta del Diablo hinauf und fanden eine noch
nicht beschriebene Solanum spec. mit ziemlich dichten, fast sukkulenten
Blättern und eine andere, die ich vorläufig als S. speggazini
ansprechen möchte, daneben Liliaceen, eine Crassula und eine
Luzernensorte, die wie die anderen gefundenen Pflanzen frostfest sein
muß.
In Tres Cruces hatten wir den Pass (3700m) erreicht und befanden uns am
Rande der interandinen Hochfläche, die weiter südlich am 25.
Breitengrad beginnt und am 12. Breitengrad, etwa bei Ayacucho endet. Im
Süden und Norden durch tiefe Täler und Höhenzüge
gegliedert, weitet sie sich erst vom südlichen Bolivien ab zur
reinen Hochebene, dem Altiplano.
Wir legten in Tres Cruces wieder eine Sammelpause ein, um uns internsiver
mit der Punaformation der Region bekannt zu machen. Solanum santae-rosae,
das hier vorkam, gehörte mit seinem Verbreitungszentrum wohl eher zu
den Bergmatten. Dagegen fanden wir als echtes Punaelement
S. infundibuliforme.
Es bildete ganze Bestände. Die Blattspreiten waren hier stärker
reduziert, als bei den später beobachteten Formen.
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La Quiaca, 3900 m Meereshöhe
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Am selben Tage, (19. 2.) spät abends erreichten wir die Genzstadt La
Quiaca. Hier trafen wir, wie verabredet, Señor Ingeniero Agr.
Alandia.
Groß war die Freude, daß er trotz einiger Tage Verspätung
gewartet hatte. Alandia war ein Schüler Prof. Cardenas, ein Jahr in
Beltsville ausgebildet und jetzt als Phytopathologe im Servicio Agricola
Interamericano in Cochabamba tätig. Er sprach - für uns
wichtig - englisch. Von Herrn Dr. Rimpau war noch keine Nachricht da,
und wir hatten jetzt auf ihn zu warten.
Am nächsten Tag verabschiedete sich Herr Dr. Vervoorst und Herr
Diers, die noch die Gegend von Tucuman absammeln wollten. Da Herr Diers
die Arten der einzelnen Formationen in möglichst großem Umfang
zu sammeln, d. h. davon Sproßspitzen zu fixieren hatte, war es
für ihn wichtiger für mehrere Wochen ein Standquartier zu
nehmen und von dort Sammeltouren in die benachbarten Formationen zu
machen. Herrn Dr. Rimpaus und meine Aufgabe war es dagegen, längs
einer vorher ausgewählten Route die Standorte von Solanum,
Phaseolus,
Lupinus und später Lycopersicum
möglichst vollständig
abzusammeln. Beides ließ sich nicht immer vereinbaren. Ich ließ
daher Herrn Diers freie Hand. Wir sahen uns erst in Cochabamba wieder.
Die Estanciera hatte uns gute Dienste geleistet. Die Reparaturen hielten
sich im Rahmen des üblichen. Es war fast jeden zweiten Tag eine 1 - 2
stündige Reparatur fällig.
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Portulaca orange (wird als Brennholz verwendet)
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Mit Ing. Alandia hielt ich mich in La Quiaca 4 Tage auf. Die Stadt ist
kalt, schmutzig und trägt das typische Gepräge einer zwielichtigen
Grenzstadt. Sie hat uns nicht gefallen. Umso interessanter war die Umgebung,
die Puna. Die Hochfläche von La Quiaca ist von tiefen Erosionsrinnen
durchschnitten. Da es nicht möglich war, eine Autobuslinie zu benutzen
oder ein Fahrzeug zu bekommen, mussten wir die täglichen Ausflüge
zu Fuß zurücklegen. Die Höhe von 3400m machten weder mir
noch Herrn Alandia etwas aus. Die Fortbewegung ist natürlich langsamer,
wie bei uns etwa in den Alpen, aber es gab weder Kopfschmerzen noch
übermässige Atemnot oder gar Herzbeschwerden. Auch Herr Dr. Rimpau
hatte die gleiche günstige Konstitution, so daß die schweren
Behinderungen, die Reisende oft duch die "Soroche", die Höhenkrankheit,
erleiden, uns nicht trafen. Wir konnten die verschiedensten Unterformationen
der Puna studieren und machten Bekanntschaft mit den Charakterarten. Neben
rosettenartigen Portulacaceen, Oxalis und Crassula,
die wir als frostfeste
Steingartenpflanzen mitnahmen, interessierten natürlich die Solanum
species am meisten. Wir fanden ein umwalltes brachliegendes Gartenstück,
das ganz mit S. acaule besiedelt war. Interessanterweise hatte der Frost
einen Teil der Pflanzen zerstört, obwohl S. acaule die frostfesteste
Solanumart ist, die wir kennen.
Wir machten hier zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Tageszeitenklima in
den Hochanden. D. h. die Temperatur sinkt fast allnächtlich auch
im Hochsommer unter Null.
Bei den weiteren Ausflügen stießen wir in den tiefen Quebradas
auf eine Solanum species die sehr wahrscheinlich identisch ist mit S.
subandigena var. camarguense. Sie bildet keine Rosette und ist wesentlich
größer als S. acaule.
Sicher muß ihr species-Rang zuerkannt
werden, denn mit S. subandigena hat sie kaum etwas gemein.
Sie kommt nicht
auf der Hochebene vor, sondern in den schützenden Quebradas und weiter
an Stellen bei Yavi, wo zahlreiche Elemente des Dornbusches beigemischt sind.
Viele Standorte von S. infundibuliforme wurden untersucht und dabei
festgestellt, daß selbst bei nur kurz voneinander entfernten
Standorten die Reduktion der Blattspreiten stark variiert. Wie auch
aus dem späteren Material hervorging, ist die Unterteilung von S.
infundibuliforme in 5-6 weitere Arten aufgrund der Blattspreitenreduktion
kaum haltbar. Sie spiegelt nur die große Variabilität der Art in
diesem Merkmal wieder. Auch die von Hawkes noch zugelassene Art
S. xerophyllum
kann kaum aufrechterhalten werden.
Wir sammelten einige dort angebaute Weizensorten, darunter auch
Tidicoccum
und auf dem Markt S. andigena, Capsicum, Mais etc.
Es gab dort auch
Pfirsiche, die in dieser Höhenlage wachsen. Sie waren klein und
schmeckten schlecht, aber sind sicher frostfest.
Auf dem Markt sahen wir auch zum ersten Male das Trockenprodukt, das die
Indios aus den Kartoffeln bereiten, das Chuño. Es ist eine Form der
Konservierung, die hier wegen des allnächtlichen Frostes notwendig ist.
Man läßt die Kartoffel erfrieren, presst den Saft heraus
durch Treten und läßt sie tagsüber in der Sonne eintrocknen.
Das wird solange wiederholt, bis alle Zellen abgestorben sind und aller
Saft ausgepresst ist. Die Knolle hat dann eine weiße, bei variierender
Zubereitung eine schwarze Färbung angenommen. Später in
Cochabamba hat uns Señora Krueger ein Gericht aus Chuño
vorgesetzt. Es schmeckte fade.
Am 23. 2. erhielten wir ein Telegramm von Herrn Dr. Rimpau, daß
er in Jujuy sei. Am 24. abends erreichte er nach abenteuerliche Fahrt
über 1800 km mit unserem Dodge La Quiaca.
Damit konnten wir den ersten Abschnitt der Expedition
abschließen. Rückblickend durften wir feststellen,
daß diese Sammelreise in NW-Argentinien, obwohl eigentlich
nicht geplant, ein Erfolg geworden war. Von den 15 verschiedenen
Solanum species gelang es 13 in jeweils verschiedenen Herkünften
zu sammeln. Die Zugehörigkeit zu pflanzengeographischen Formationen
wurde studiert. Einige taxonomische Fragen wurden untersucht,
Schädlinge beobachtet etc. Die übrigen Sammlungen betrafen
Sorten Solanum andigena, Mais, Capsicum, Weizen, Luzerne, und von
Phaseolus aborigineus wurden von wenigstens
einer Herkunft Samen geerntet.
Wo es nur möglich war, wurden lebende Pflanzen geerntet und für
ein Herbarium vorbereitet, siehe auch das WWW-Kartoffel Herbarium
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