2. Abschnitt: Südbolivien bis Potosí
Nachdem wir den Pfarrer von La Quiaca (Deutscher) gebeten hatten, Herrn
Diers bei seinem späteren Grenzübertritt sprachlich behilflich
zu sein, wagten wir selbst durch die Grenzkontrolle zu kommen. Alles ging
über Erwarten gut. Das Carnetverfahren bewährte sich erstmals
beim Wagen, und unser Gepäck wurde nicht kontrolliert. Dabei waren
die Schreiben des Argentinischen Ministeriums wie auch des Bolivianischen
Kultusministers die Herr Professor Dr. Rudorf erwirkt hatte, von Bedeutung.
Die politische Atmosphäre auf der bolivianischen Seite war recht
verschieden von der argentinischen. Bolivien hatte 1952 eine sozialistische
Revolution mit nachfolgender Einführung des allgemeinen Wahlrechtes,
Bodenreform, Verstaatlichung der Minen und Verbesserung des Erziehungswesens.
Die tragende Partei durchdrang die Innenpolitik und das ganze öffentliche
Leben. Parteimitglieder saßen auch an der Grenze und unterzogen
jeden Einreisenden einer Art Verhör. Man behandelte uns indessen
sehr zuvorkommend. Dann waren wir in Bolivien und nach einer
umständlichen Benzinbeschaffung (zu überhöhten
Preisen schliesslich von einem Privatmann) begannen wir den
nächsten Abschnitt unserer Expedition, nun im eigenen Dodge.
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Wagen begegnen sich,
links unser Dodge
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Schon der erste Tag zeigte uns seine Vorteile und Schwächen, die
später noch deutlicher wurden. Unterbringung des Gepäcks,
Raumverteilung, Zuverlässigkeit des Motors etc. waren gut. Die
Zusatztanks bewährten sich ebenso wie die Schlafmatraze. Nachteilig
war die geringe Geschwindigkeit und die Schwere der aufgestockten Karosserie.
Mit unserem gesamten Gepäck war der Wagen entschieden überbelastet.
Die bei der Übernahme des Wagens angegebenen Daten für das
Lagegewicht hatten nicht gestimmt. Im ganzen kamen wir aber gut zurecht.
Die Reparaturen hielten sich im Rahmen des üblichen. Nur ein einziger
Tag in Mittelperu ging verloren aufgrund einer längeren Reparatur.
Lobend muß die Fahrkunst und Vorsicht Herrn Dr. Rimpaus erwähnt
werden, der das Fahren ganz übernommen hatte.
Der abrupte Abfall in der ganzen Kultur und Zivilisation in Bolivien
gegenüber Argentinien machte sich auch auf den Straßen sehr
übel bemerkbar. Die neue Straße nach Tarija wurde bald verlassen,
und es ging durch ein Flußbett nach Las Carreras. Von da bis
Potosí war der Straßenzustand ebenfalls schlecht. Das
südliche Bolivien ist selbst für bolivianische Verhältnisse
ein Notstandsgebiet, da es weit von landwirtschaftlichen Zentren und Minen
entfernt liegt. Der Boden ist arm, die Niederschläge gering.
Punaformationen wechseln mit mesophilen. Nur die Flußtäler
liefern infolge Bewässerung landwirtschaftliche Produkte wie Wein,
Pfirsiche, Mais, Kartoffeln etc. Diese Flußauen geben ein schönes
Bild und lassen in den grösseren Orten einen geringen Wohlstand
aufkommen, so in Tojo, Camargo etc.
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Felsenhang bei Tojo Vordergrund Fluß mit Schinus molle.
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Tal des Rio San Juan mit Alnus und Polylepis.
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Die typische Solanum species der mesophilen Gesellschaften war S.
camarguense, S. sanctae-rosae wurde abgelöst durch das sehr nahe
verwandte S. megistacrolobum, welches aber nicht den Bergmatten, sondern
der Puna angehört. Hier kommt es oft mit S. infundibuliforme
vergesellschaftet vor. Ich bin überzeugt, daß S.
sanctae-rosae
und S. megistacrolobum verschiedene Arten darstellen.
Eine für uns völlig neue Art war das von Cardenas beschriebene
S. vidaurrei, das bisher noch in keiner
lebenden Kollektion vorhanden war.
Wir fanden es an seinem Originalstandort, in der Nähe von Muyukiri,
in einem mesophilen Gebüsch mit Bergmattenelementen, wie Gentiana und
Polylepis und sonst nie wieder.
Was den speziellen Standort der knollentragenden Solanum species innerhalb
einer Pflanzengesellschaft angeht, so war eine Vorliebe für offene
Stellen, frisch umgebrochene Flächen oder frische Abbrüche an
Wegrändern etc. unverkennbar. Es ist aber falsch daraus abzuleiten,
daß die Solanumarten Platzparasiten in ihnen an sich fremden Formationen
seien. M. E. handelt es sich hier um eine gewissen Empfindlichkeit gegen zu
starken Bedeckungsgrad oder gegen zu starke Konkurrenz. Ganz wesentlich bei
der Beurteilung dieser Frage war, daß die entsprechenden offenen
Stellen in jeder Formation von wieder anderen Arten besetzt wurden, eben
von jenen, die auch sonst in der Formation zu treffen waren.
Das Bild der Indio-Kartoffelfelder im südlichen Bolivien war für
den Phytopathologen sehr interessant. Einwandfrei feststellen konnten wir
Krautfäule, Y-Virus (in 3300m), X-Virus, Kalikovirus und eine Motte,
die durch ihre Gespinste die Kartoffelstaude sehr stark schädigt.
Blattrollvirus wurde nicht sicher beobachtet.
Der Fund von Y- und X-Virus war sehr wichtig für unsere
Resistenzzüchtung, da er die Prüfung unseres resistenten
Zuchtmaterials auch gegen diese evtl. andersartigen Virusstämme
ermöglichte. Es wurde Blattmaterial an Dr. Silberschmitt in Sao Paulo
gesandt und Knollen der kranken Stauden mitgenommen.
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Lagune mit Flamingos.
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Wir sahen einen der berühmten Salzseen, den See von Copacabana am
Fuße der Kordillere von Santa Victoria, die in den abflußlosen
Becken des Altiplano eingestreut liegen. Er war bevölkert von
Schwärmen des Andenflamingos. Es hatte eigenartigen Reiz, inmitten
trostloser Sandwüsten ein Bild unbekümmerten Lebens zu sehen.
Die Flamingos sollen von kleinen Krebschen leben. Weitere Ausbeute Lupinen
(auch die kultivierte L. mutabilis), Gerste, Raps, Weizen (3300m) etc.
Ein Unfall mit den Akkus hätte uns beinahe schwer zu schaffen gemacht.
Wir wurden auf einen Brandgeruch unter den hinteren Sitzen aufmerksam, wo
sich die Akkus befanden. Es waren extra starke Akkus eingebaut, um mit der
Zündung auf keinen Fall eine Panne zu haben. Durch das ständige
Rütteln des Wagens waren die Zuleitungen durchgerieben. Es gab einen
Kurzschluß, der die 10 mm dicken Befestigungsstäbe der Akkus
rotglühend werden ließ. Es gelang aber schnell, die Leitungen
abzuklemmen.
Dieser erste Abschnitt der Expedition in voller Besetzung und im eigenen
Dodge verschaffte uns Klarheit, wie sich auf den Wegen Boliviens der
Tagesablauf vernünftigerweise zu gestalten habe. Sehr maßgebend
war die begrenzte Fahrgeschwindigkeit, ca. 25-30 km. Das hatte allerdings
den Vorteil, daß vom Wagen aus "gesucht" werden konnte. Da der Betrieb
in den Gasthäusern erst relativ spät einsetzte, kamen wir selten
vor 8 1/2 los. Nach drei bis vier Halten am Vormittag machten wir von
12 - 13 1/2 Uhr Mittagspause, meistens kürzer. Nach vier bis sechs
Halten am Nachmittag war es um 18,30 zu dunkel zum Sammeln, aber noch
nicht zu spät zum Weiterfahren. Die längsten Strecken holten
wir dann auch oft während der Dunkelheit heraus, um dann zwischen
21 und 23 Uhr ein Gasthaus zu erreichen. Der Tageslauf war ohne Frage
hart, zumal wir auf Sonntagsruhe verzichteten. Aber wir hatten von
La Quiaca bis Lima, die Abstecher eingerechnet, 3000 km zu bewältigen
und durften in Nordperu nicht erst nach Schluß der Vegetation
eintreffen. Durch diese Überlegungen war auch die Frage des
Selbstabkochens und Übernachten im Zelt entschieden. Das Abkochen
hätte mit Einkäufen, Wasser suchen, Ein- und Auspacken etc.
mehrere Stunden beansprucht. Übernachtung im Zelt hätte bedeutet,
daß wir nur bis spätestens 19 Uhr fahren konnten, denn
Platzsuche und Zeltaufbau hätte bei Tageslicht vorgenommen werden
müssen. Schweren Herzens verzichteten wir auf die Romantik, versuchten,
uns an die bolivianischen kulinarischen Genüsse zu gewöhnen und
uns mit den Quartieren abzufinden. Ersteres war zunächst schwierig
wegen der starken Würze, Aji, eine Capsicum species, mit der die
Gerichte in für uns ungewohntem Ausmaß gewürzt werden.
Diese waren sonst sehr schmackhaft, vor allem gab es viel Fleisch, und
später verlangten wir geradezu nach Aji, da es irgendwie vielleicht
der Höhe wegen, zu einem schmackhaften Essen gehörte. So unsauber
alles war, hatten wir doch nicht unter ernstlichen Magenverstimmungen zu
leiden. Die Nachtquartiere lagen an der unteren Grenze: mit Bindfaden
zusammengebundene Bettstellen, Fensteröffnungen ohne Scheiben, einfach
nicht vorhandene Aborte (was längere Abendmärsche an das Dorfende
zur Folge hatte) waren nichts ungewöhnliches. Doch war die
Indio-Bevölkerung auf dem Lande freundlich, offen, nicht zudringlich
und hilfsbereit.
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Lamaherde bei Potosí
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Lamaherde bei Potosí
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Wir näherten uns nun der Silberstadt Potosí (3950m), die im 17.
Jahrhundert mit 150.000 Einwohnern die größte Stadt Amerikas war,
wovon noch schöne alte Gebäude zeugen. Heute hat sie noch 46000 und
lebt mehr vom Zinn, Kupfer und Blei des Cerro Rico. Das Klima ist
ausgesprochen kalt. Potosí liegt inmitten eines Kartoffelanbaugebietes.
Hier war gute Gelegenheit, die sogenannten "Unkrautkartoffeln" zu studieren.
Es sind dies Formen, die in und bei den Kartoffelfeldern vorkommen und den
diploiden Kulturarten S. stenotonum etc.
verwandtschaftlich recht nahe stehen.
Es ist fraglich, ob sie aus der Kultur entwichene, wieder verwilderte Formen
darstellen oder derzeitige Nutznießer der Feldbearbeitung durch den
Menschen sind. Im letzteren Falle müssten sie auch in ihren
natürlichen Formationen gefunden werden, was auch bei einigen der
Fall war.
Was die Entstehung der tetraploiden Kulturkartoffel S. andigena angeht,
so hat sich bisher eine einheitliche Auffassung nicht durchsetzen können.
Mit cytogenetischen Methoden kann kaum entschieden werden, ob S.
andigena
aus zwei Arten der Serie Tuberosa (etwa S. sparsipilum und
S. stenotomum)
entstanden ist, oder ob es eine Autopolyploide ist. Denn S. andigena
bildet
sowohl Quadrivalente, wie Bivalente und die Bivalentbildung kann sich auch
bei reinen Autopolyploiden im Laufe phylogenetischer Zeiträume
entwickeln. Nimmt man an, S. andigena sei im Grunde ein Autopolyploide,
dann entsteht die Frage, ob es eine Autopolyploide aus der diploiden
Kulturart S. stenotomum ist oder ob es aus einer bereits tetraploiden
Wildart entwickelt wurde, die heute ausgestorben ist. Der Vorgang des
Aussterbens von wilden Vorfahren von Kulturpflanzen, die derselben species
angehören, ist nicht ungewöhnlich, s. Mais, Tulpe und chinesische
Primel. Eine solche Wildform von S. andigena würde sich vor allem
durch lange Stolonen, geringen Ertrag, bitteren Knollengeschmack und
gewisse anderen Knollenmkermale von der Kulturform unterscheiden. Wir
haben stets nach einer solchen Form Ausschau gehalten, sie aber nicht
gefunden. Ihr evtl. Aussterben wäre nicht schwer zu erklären.
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß viele Arten der Tuberosa
offene Plätze bevorzugen und in der Konkurrenz anderen Pflanzen
leicht unterliegen. Auf dem Altiplano, wo das angenommene wilde S.
andigena
existiert haben müsste, werden aber die geeigneten Habitate sehr stark
durch Kulturen der Indios eingenommen, früher noch mehr als heute. Die
Verdrängung braucht nicht allein durch die Kulturkartoffel geschehen
zu sein. Auch die hier in Potosí sehr häufigen "Unkrautkartoffeln"
können dabei mitgewirkt haben.
Einen wertvollen Beitrag zu diesen Fragen könnte die Palinologie
liefern. Leider war es diesmal nicht möglich, unser Aufgabengebiet
durch das Beibringen von Pollenproben aus geeigneten Böden zu
erweitern. -
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Zusammen mit Herrn Vidaurre.
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Die Hilfsbereitschaft der Servicio Agricola Interamericano erleichterte
uns vieles. Hatte man schon Ing. Alandia zu unserer Begleitung in fast
ganz Bolivien beurlaubt, so stellte man uns jetzt einen Jeep für
das Sammeln in der Umgebung von Potosí für einige Tage zur
Verfügung. Der einheimische Florist, Herr Vidaurre, bot sich
freundlicherweise als Führer an. Wir mussten uns indessen beeilen,
nach Sucre zu kommen, wo Prof. Cardenas uns seit einer Woche erwartete.
Um das Fahren auf der schlechten Straße zu umgehen und Herrn Rimpau
eine Ruhepause zu geben, wurde der Wagen samt dem Gepäck per Bahn
verladen. Wir kamen abends in Sucre an. Hier trafen wir Prof. Cardenas.
Dieser derzeit beste Botaniker Boliviens stand mit uns schon seit Jahren
in brieflicher Verbindung. Er hatte sich dankenswerterweise für mehrere
Wochen der Expedition ganz zur Verfügung gestellt, und wir verdanken
ihm einen großen Teil unseres Erfolges in Bolivien. Sein hoher Anteil
indianischen Blutes erschwert ihm wohl auch heute noch die verdiente
Anerkennung im eigenen Land, wenigstens bei den bis zur Revolution
herrschenden "weissen" Familien, während er auf dem Lande beim
Mittelstand sehr bekannt ist und wir oft Zeugen seiner besonderen Ehrungen
waren. So z. B. machte ihm bei unserem unfreiwillien Aufenthalt in dem
Städtchen Monteagudo alles was sich zu den Honorationen zählte,
nacheinander Besuch: Bürgermeister, Pfarrer, Arzt, Gastwirt,
Lehrerkollegium, Veterinär und der Leiter der Wegebaustation.
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