9. Abschnitt: Duch die Valles des Apurimac, Rio Pampas und
Mantaro über die Westkordillere nach Lima.
Charakteristisch für diesen Abschnitt waren die "Valles". Damit
werden die Talsohlen und Hänge der Täler in der Tierra templada
bezeichnet, d. h. in der Höhenlage bis zu ca. 2500 m. Die feuchteren
meist gegen Talendigungen gelegenen Formationen bestehen aus mesophilen
Gebüschen, die tiefer gelegenen aus Dorngebüsch. Da die
Straße zwischen der West- und der Ostkordillere hindurch führte,
lernten wir nur die innerandinen Trockentäler kennen. Noch
ausgeprägter ist der Charakter der trockenheißen Täler,
die die Ostkordillere durchbrechen. In den Tälern herrscht stets ein
starker Wind, der an den Hängen aufwärts geht. Ihm schreibt man
aus energetischen Gründen eine austrocknende Wirkung auf die Talsohle
zu.
In der Vegetation dominieren die Kakteen. Auch hier trafen wir wieder viele
Solanum species an. Mit Ausnahme von S. fragariaefructum
und S. pampasense
waren die meisten unbekannt. Wie wir schon oft beobachteten, wurden wir
stets nur auf relativ kurzen Strecken von einer bestimmten Solanum-Art
begleitet, die dann auf dem weiteren Weg durch eine andere ersetzt wurde,
ohne daß die Formation wechselte. Obwohl eine Arealanalyse wegen der
zu geringen Zahl von Fundorten bei den knollentragenden Solanum
species noch
kaum erfolgen kann, gewinnt man doch den Eindruck von vikariierenden Arealen
bei den einzelnen Arten. Das gilt aber sicherlich nur für die Arten
innerhalb einer Serie, hier die Serie Tuberosa.
Vavilos Ansicht über ein Genzentrum für die Kartoffel in Bolivien
und in Peru bis etwa 8 Grad fanden wir bestätigt. Argentinien gehört
nicht dazu. Was die Formationen der größten Aufspaltung betrifft,
so umfasst das Genzentrum vieler Serien u. a. auch der Tuberosa, alle
Formationen etwa zwischen 1800m und 4000m. Auszunehmen sind die Formationen
des immergrünen Bergregenwaldes und des immergrünen Nebelwaldes.
Hier werden die Tuberosa durch die Conicibaccata abgelöst.
Es war unser Bestreben, Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, welche
Formation am ehesten für die Entwicklung virusresistenter Arten
infrage käme. Sehr erwünscht wäre der Züchtung einer
Wildart, die gegen das lausübertragene Blattrollvirus immun oder
hochresistent ist. Solche Arten hätten sich vielleicht dort entwickeln
können, wo die Bedingungen für die Aphiden günstig sind.
Hierzu schienen uns die mesophytischen Formationen am besten geeignet, da
ihr gemässigtes, nicht zu heißes und nicht zu kaltes Klima den
Läusen wohl die besten Bedingungen bietet. Die Regenmenge entspricht
zudem dem Durchschnitt der europäischen "Läuselagen". Einige
solcher mesophilen Arten beobachteten wir in diesem Abschnitt der Expedition.
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Lupine
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Außer den Solanumarten fanden wir zahlreiche Lupinen; so auf einer
Passhöhe von 4150m das imposante Lupinus weberbaueri,
das den Habitus
der "Wollkerzenkräuter" hat. Ein interessanter Fund war auch die
Schwertbohne (Canavalia ensiforme), eine Kulturbohnenart.
Die Straßen waren schlecht und wanden sich in ewigen engen Kehren von
einem Tal ins andere. Wir durchfuhren auch eine Region mit Cochenillekultur
auf Opuntia ficus indica.
Hinter Iribamba im Tal des Mantaro bei dem Dorf
Matoc sperrte plötzlich eine Kette die Weiterfahrt nach Huancayo. Die
Straße wird hier so eng und an den Talabstürzen so gefährlich,
daß sie nur in einer Richtung gefahren werden darf. Man wechselte Tag
um Tag. Gerade heute war nur das Fahren in der entgegengesetzten Richtung
erlaubt. Wir benutzten den Tag, um die Formationen kennenzulernen. Trotz
intensiven Suchens war weder Solanum noch Lupinus
oder Phaseolus zu finden.
Endlich gegen 20 Uhr erlaubte man uns die Weiterfahrt. Es ging bei Dunkelheit
durch die berüchtigte Schlucht La Mejorada. Die schmale Straße
führt über eine Unzahl seitlich zuleitender Erosionsrinnen,
über die kleine Holzbrücken führen, die in spitzen Winkelns
angesteuert werden mussten. Diese Fahrt war eine Glanzleistung Dr. Rimpaus.
Gegen 24 Uhr langten wir bei Regen in dem Ort La Mejorada an. Das einzige
"Hotel" schien verschlossen, aber eine der vielen Türen war
merkwürdigerweise offen. Sie führte in einer Zimmer mit drei
Betten, für den Vierten tat unser Schlafsach gute Dienste. Am Morgen
klärte sich die Situation: für spät ankommende Reisende blieb
immer ein Zimmer geöffnet, und niemand brauchte geweckt zu werden.
Von hier bis Huancayo dauerte es noch einen Tag. Dort stellten wir fest,
daß wieder zwei Federblätter gebrochen waren. Bei Huancayo weitet
sich das Mantarotal zu einer recht fruchtbaren Ebene. Diese und die
Seitentäler bilden das peruanische Zentrum des Weizenanbaues. Die
Stadt ist trotz ihrer 20000 Einwohner recht lebhaft. Sie hat einen
berühmten Indiomarkt, der auch uns mit Kultursorten von Kartoffeln,
Bohnen, Mais etc. versorgte.
Im schönen Hotel Turista, das wie in 10 anderen Städten Perus
auch hier die auf den Straßen gelassenen Nerven restaurieren hilft,
trafen wir Ing. Agr. Ochoa. Mit Ochoa bestand schon eine persönliche
Bekanntschaft. Er hat das Max-Planck-Institut in Köln 1955 besucht.
Eigentlich waren mit Ochoa gemeinsame Exkursionen in der Provinz Ancash
nördlich von Lima verabredet, jedoch zu einem früheren Termin.
Infolge des Ladearbeiterstreiks in Montevideo und unvermeidbarer Aufenthalte
hier und da auf der Expedition, kamen wir mehrere Wochen später zu
Ochoa und trafen ihn mitten in seinen Kartoffenarbeiten an. Er konnte uns
leider nur einen Tag in Huancayo widmen.
Ochoa leitet das Programa de Papa, das Kartoffelprogramm, der Regierung.
Er leitet zugleich die Landwirtschaftliche Station der Provinz Junin in
Huancayo und organisiert in Verbindung mit den örtlichen Vertretungen
des Landwirtschaftsministeriums überall im Lande Versuche mit Kartoffeln.
Selbst hat er 3 - 4 Sorten gezüchtet, darunter die frostfeste "Tunta"
aus der frostresistenten Kulturart S. curtilobum.
Er führte mich durch
seine Station. Straffe Organisation und wirklicher Fleiß schien hier
zu walten. Im Gewächshaus sah ich eine Reihe hoch interessanter z.T.
neuer Solanum species, die Ochoa selber gesammelt und bestimmt hatte, so
die Loma-Arten S. wittmackii, S. immite
und S. mochicense. Auf einer kurzen
Exkursion in die Umgebung fanden wir S. neohawkesii
und vielleicht
S. multiinteruptum. Ochoa stellte
uns freundlicherweise 75 Nummern seiner
Kollektion von Sorten S. andigena
und anderen kultivierten Arten zur
Verfügung. Es sei hier vermerkt, daß selbstverständlich
Ing. Ochoa und alle Kollegen, die darum nachsuchten, auch Austauschmaterial
unseres Institutes erhielten oder erhalten.
Im Hotel Turista machte ich die Bekanntschaft mit dem US-Amerikaner Dr.
Gregory aus North-Carolina, der eine Erdnussammelexpedition organisierte,
sowie den ehemaligen Österreicher Dr. Schuler. Dieser gehörte zur
gleichen Universität und war z. Zt. nach Huancaya gesandt, um im Rahmen
des Interamerikanischen Hilfsprogrammes an einem Weizensortiment zu arbeiten.
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An der Eisenbahn
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Da Prof. Vargas Eile hatte, nach Lima zu kommen, waren er, Dr. Carrillo
und Dr. Rimpau unverzüglich mit dem Wagen weiter gefahren, während
ich selbst 2 Tage später mit der Bahn folgte.
Am 30 4. spät nachmittags trafen wir in Lima wieder zusammen. Leider
mussten gleich die ersten Stunden in dieser prächtigen Stadt wenig
angenehmen organisatorsichen Dingen gewidmet werden. Es war inzwischen
ganz klar geworden, daß eine Rückkehr mit dem Wagen nach Buenos
Aires, wie zunächst geplant, eine völlige Unmöglichkeit war.
Bei seiner Langsamkeit hätten wir dafür mindestens 4-6 Wochen
veranschlagen müssen. Dieser Zeitaufwand war angesichts unserer
Geldmittel und des zu erwartenden Erfolges nicht gerechtfertigt. Wir
beschlossen daher, statt umzukehren, die Expedition in den Norden Perus
so lange fortzusetzen, wie wir Material fanden und die Mittel reichten.
Der Zeitpunkt der Beendigung der Expedition hing dabei von den
Verbindungsmöglichkeiten über See ab. Ein Rückflug kam
nicht in Frage, da wir unser inzwischen sehr umfangreiches Material
keinesfalls ohne Aufsicht zurücklassen wollten. Da in Europa
Schiffsplätze bekanntlich Wochen und Monate vorbestellt werden
müssen, war die Erkundung der Passagemöglichkeiten ein Angelpunkt
all dieser Überlegungen. Der nächste Tag war der erste Mai, der
auch in Lima gefeiert wird. Es folgte ein freier Sonnabend und Sonntag.
Deshalb setzten wir alles in Bewegung, um noch in den wenigen Stunden des
Freitag Klarheit über die Passage zu bekommen.
Nach immer wieder falschen Auskünften des Telefonbuches, der
Taxichauffeure und Passanten gelang es uns doch, kurz vor Schluß
des Hapagbüro ausfindig zu machen. Durch den glücklichen Zufall,
daß zwei Passagiere zurückgetreten waren, konnten wir für
Mitte Mai auf dem Frachter "Kassel" buchen. Dieser Termin war durchaus
passend. Da die Kassel auch in Ekuador anlegte, konnten wir das Gepäck
in Lima durch Herrn Diers verladen lassen und selbst nach Beendigung der
Expedition in Nordperu dann am 17.5. in Guayaquil (Ekuador) an Bord gehen.
Prof. Vargas, dessen Sohn in Lima studierte, und Dr. Carrillo verließen
uns am nächsten Tag, um nach Cuzco zurückzukehren. Vier Wochen
hatten die peruanischen Kollegen die unvermeidlichen Strapazen, kleine und
größere Abenteuer, aber auch Entdeckerfreuden mit uns geteilt.
Wie alle Südamerikaner, die wir kennen lernten, hatten sie ein offenes,
herzliches, unkompliziertes Wesen. Es war eine schöne Zeit mit ihnen,
und wir waren ihnen wirklich dankbar. Ohne ihre Begleitung wären die
Erfolge viel schwieriger zu erlangen gewesen, und vieles hätten wir
sicher nicht gefunden.
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