Jurek Becker

Kleine Geschichte der DDR-Literatur

Es können  vier Phasen  unterschieden werden:

  1. 1945-49 Die Phase der >antifaschistisch-demokratischen Erneuerung< (antifa):
    Unmittelbar nach der Niederlage des Nationalsozialismus sollte das Volk im Sinne der Demokratie und des Humanismus (nicht des Kommunismus!) umerzogen werden. Die Politik bestand darin, eine "Volksfront" der antifaschistischen Kräfte zu bilden. Als Erziehungsmaterial wurde vor allem das bürgerlich- humanistische Gedankengut der Deutschen Klassik propagiert, es wurde versucht, die vielen und z.T. namhaften Schriftsteller aus dem Exil in die SBZ/DDR zu laden: Brecht, Thomas und Heinrich Mann (letzterer wurde für das Amt des ersten Kulturministers der neugegründeten DDR vorgeschlagen), Anna Seghers, Arnold Zweig.

  2. Ab 1949 wird die Politik der Antifa-Volksfront (mit der Hoffnung auf Wiedervereinigung!) aufgegeben, die DDR gegründet, die Nationale Volksarmee (NVA) aufgebaut und der AUFBAU des SOZIALISMUS planmäßig in Angriff genommen.
    Gefordert wird von der jetzt alleinherrschenden SED eine Literatur, welche für die Ziele des Sozialismus und den Aufbau der sozialistischen Produktion Partei ("Parteilichkeit") ergreift, keine modernistischen und formalistischen Experimente durchführt ("Volkstümlichkeit") und den Lesern Identifikationsfiguren ("proletarischer Held") liefert: Diese Forderungen wurden unter dem Begriff "Sozialistischer Realismus" zusammengefasst. Solche Aufbau-Literatur zeigt Helden der Arbeit bei der Meisterung schwieriger Produktionsaufgaben, beim Wiederaufbau von Industrie und Landwirtschaft und bei der Entlarvung des Klassenfeindes.

    Mit der I. Bitterfelder Konferenz 1959 wurde noch einen Schritt weitergegangen und der Bitterfelder Weg eingeschlagen:
    Die Schriftsteller wurden aufgefordert, in die Betriebe zu gehen um dort die Situation der Arbeiterklasse praktisch kennenzulernen, die Arbeiter wurden aufgefordert, in " Brigadetagebüchern" ihren mehr oder weniger heroischen Alltag zu beschreiben. Die Parolen lauten: "Greif zur Feder, Kumpel!" und "Stürmt die Höhen der Kultur!" (z.B. absolviert Christa Wolf im VEB Waggonbau bei Halle ein Betriebspraktikum und wirkt in einem "Zirkel schreibender Arbeiter" mit.)

  3. Ab 1961: ANKUNFT IM ALLTAG:
    Die Phase der sozialistischen Aufbaus wird als weitgehend abgeschlossen betrachtet, der Klassenfeind - u.a. auch durch den Bau des "antifaschistischen Schutzwalles" - besiegt, und nun gilt es den neuen sozialistischen Alltag zu bewältigen, sich im "realen" Sozialismus einzurichten. Diese Ankunft-Literatur braucht "Helden, die sich über verschiedene Stationen bis an die Wende zu sozialistischem Bewußtsein durchgearbeitet haben" (Dieter Schlenstedt, zitiert nach Emmerich S.102/3); "vom ich zum wir" lautet nun die Parole (->Bildungs- und Entwicklungsroman). Im Rahmen dieser Vorgaben für die Schriftsteller entwickelt sich auch eine Haltung der "kritischen Subjektivität": Das Zu-sich-selbst-Kommen des Individuums im Kollektiv geht nicht kritiklos. Der Techno- und Bürokratie wird die Privatsphäre und das Recht auf Außenseitertum gegenübergestellt, Formen von Opportunismus, der Angepasstheit und des DDR-Spießertum werden kritisiert:
    Christa Wolf: Der geteilte Himmel (1963) / Nachdenken über Christa T. (1968),
    Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W. (1968/1972),
    Günter deBruyn: Buridans Esel (1968)

  4. Ab 1971: Auf dem VIII. Parteitag der SED wird W.Ulbricht durch E.Honecker abgelöst und die "entwickelte sozialistische Gesellschaft" proklamiert. Es folgt eine Korrektur des technokratischen Ulbricht-Kurses (Großprojekte, kybernetische Vernetzung, Totalverplanung), mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung im Arbeitsprozess wird verlangt. Und "Ent-Tabuisierung":
    "Wenn man von den festen Positionen des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben. Das betrifft sowohl die Fragen der inhaltlichen Gestaltung als auch des Stils." (E.Honecker Dez. 1971, zit. nach Emmerich S.181)
    Die Literatur konzentriert sich von nun an endgültig auf die Befindlichkeit des "allseitig entwickelten Individuums" und spart auch nicht mit Kritik an der sozialistischen Bürokratie:
    Volker Braun: Unvollendete Geschichte (1975),
    Reiner Kunze: Die Wunderbaren Jahre (1976),
    Jurek Becker: Irreführung der Behörden (1973)/ Schlaflose Tage (1978),
    Erich Loest: Es geht seinen Gang oder die Mühen der Ebenen (1978);

    November 1976: Die Ausbürgerung des Liedermachers Wolfgang Biermanns löst den offenen Widerspruch vieler DDR-Schriftsteller gegen die Kulturpolitik aus, es kommt zu zahlreichen Ausschlüssen aus der Partei und dem Schriftstellerverband, der Exodus der DDR-Künstler beginnt:
    Z.B. Jurek Becker, Günter Kunert, Sarah Kirsch, Erich Loest, Reiner Kunze, Manfred Krug, Armin Müller-Stahl, Nina Hagen.
    Andere bleiben im Lande und versuchen den schwierigen Balance-Akt zwischen Solidarität und Kritik: Christa Wolf, Volker Braun, Ulrich Plenzdorf ...,
    wieder andere leben in der DDR und veröffentlichen z.T. mit großen Schwierigkeiten im Westen: Stefan Heym, Monika Maron.

Hauptquelle: Wolfgang Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Luchterhand 1981


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