Dialoganalyse III/2 (Tempelherr - Sittah - Daja)
und III/3 (Sittah - Daja)

Nach dem Gespräch mit Nathan (II/5 und II/7) ist der Tempelherr neugierig, Recha kennen zu lernen. Am Ende von II/5 hat Nathan angedeutet, dass er sich eine Heirat vorstellen könnte (vgl. V. 1321f), und der Tempelherr fiebert der Begegnung mit Recha entgegen (vgl. V.1323).
Recha kann die Begegnung mit dem Tempelherrn kaum erwarten; sie will ihm für die Rettung aus dem brennenden Haus danken (vgl. Beginn von III/1).
Daja hofft, dass sich die beiden in einander verlieben, heiraten (vgl. V. 1531f) und dass sie mit ihnen nach Europa zurückkehren kann (vgl. V. 1649-1652 und 2376f).

III/2

Einer nur zu Beginn der Szene emotional erregten Recha, die aber blitzschnell zu einer iro-nisch-spöttischen, überlegenen Haltung findet, tritt ein von ihr hingerissener Tempelherr gegenüber, der kaum in der Lage ist, dem Gespräch zu folgen. Unter einem Vorwand verlässt er fluchtartig Nathans Haus.

III/3

Während es Daja klar ist, dass sich der T. in R. verliebt hat und sie das wiederholt andeutet, versteht R. seine plötzlich Flucht nicht. - R. ist zu ihrem eigenen Erstaunen emotional nun wieder ganz ruhig (vgl. V. 1711ff). Der Gedanke an ihn beunruhigt sie nicht mehr, obwohl sie sich ihm eng verbunden fühlt (vgl. V. 1718ff). Das will Daja nicht wahr haben und deutet ihre "Kälte" als Beginn eines neuen (Liebes)Fiebers (vgl. V. 1728f). R. korrigiert sie: Sie sei nicht kalt, nur ruhig.

III/8

Der Tempelherr ist emotional höchst erregt, bezeichnet sich als Opfertier, das "umsonst / Geflohn" sei (V. 2114f). Er kann sich ein Leben ohne R. nicht mehr vorstellen. Als T. sei er tot, habe so viele Vorurteile bereits abgelegt, dass auch die Heirat eines Judenmädchens für ihn kein Tabu mehr ist. Er erinnert sich an märchenhafte Geschichten, die ihm über seinem Vater erzählt worden sind, der sich als Moslem in eine Christin verliebt und sie geheiratet hat. Wie er will er "fallen" - fall in love. Von Nathan erwartet er "Ermuntrung" und "Beifall" (V. 2154).

Detaillierte Analyse von III/2

R. will der T. zu Füßen fallen              gehört sich so gegenüber dem Retter
T. wollte das vermeiden	                      bescheiden; spielt die alte Rolle
R. korrigiert sich: will zu seinen Füßen	 geht scheinbar auf die Bescheidenheit
   nur Gott danken                            des T. ein
   verhöhnt den T. indirekt:                  provoziert den T. und fordert dessen
   Ledereimer, zwar nicht unter Alkoholeinfl. Protest heraus
   aber T. = besser abgerichtete Hunde        beleidigend
T. stumm, betrachtet sie mit Erstaunen und    sprachlos: verblüfft? hingerissen?
   Unruhe"                                    entsetzt?
   wendet sich an Daja!
   Entschuldigt sein Verhalten                ehrliche Begründung? schuldbewusst
   Vorwurf an Daja                            Selbstmitleid
   Erwartung an Daja                          Wiedergutmachung, Ausgleich
D. sie habe ihm bei R. nicht geschadet        beruhigt ihn
R. greift Stichwort "Kummer" auf und fragt    Ironie oder ernste Besorgnis?
T. antwortet nicht darauf                     nicht gehört? Weicht er aus?
   Seele ... geteilt                          hingerissen und beschränkt aufnahmefähig
   erkennt R. nicht wieder                    begreift nicht, dass niemand sie vor ihm
                                              gerettet: hingerissen von ihrer Schönh.
   stammelt und verstummt                     s.o.
R. erkennt ihn wieder                         realistisch, nüchtern
   Fragen a)                                  Sie kennt die "Antwort!" - Angebot eines 
                                              unverfänglichen small talk
          b)                                  Sie erkennt seine geistige Abwesenheit.
T. antwortet nicht auf a)                     nicht gehört? zu sehr von ihr fasziniert?
   rätselhafte Antwort auf b)                 Fühlt er die emotionale Gefahr?
R. wiederholt die Frage und einen Teil        Macht sie sich lustig?
   seiner Antwort
T. antwortet stotternd auf Frage a)           kommt zu sich; verspätete Reaktion
R. setzt zu einer Frage an                    "Konversation" s.o.
T. führt ihre vermeintliche Frage fort        so fragen alle - erwartet ein Stereotyp
R. korrigiert ihn; stellt profane Frage       will sie ihn verblüffen?
                                              praktische, nüchterne Frage
T. kann sie nicht anschauen und ihr           vgl. V. 1635f
   zugleich zuhören

R. unterstellt ihm, er belächle ihre Einfalt  geht nicht auf die eingestandene Verwir-
                                              rung ein, ignoriert das! 
T. schaut ihr in die Augen                    unsicher, ob sie ebenso von ihm wie er
   will in ihrer Mimik lesen, was sie ihm     von ihr hingerissen ist
   "sagt - verschweigt"                       kann ihre Mimik nicht sicher deuten
   zitiert Nathan                             N. hatte Recht: Er ist beeindruckt.
R. stellt drei Fragen                         versteht ihn nicht; ahnt sie nichts? 
                                              Stellt sie sich unwissend?
T. redet Klartext					
D. weist (doppelt!) darauf hin, dass sie das  beleidigt, rechthaberisch
   (bereits früher) gesagt hatte
T. fragt nach Nathan                          dessen Abwesenheit wird ihm erst jetzt
                                              bewusst; Schuldgefühl, da er nicht auf
                                              ihn gewartet hat?
   Nathan warte auf ihn.                      erfundene Verabredung? Fluchtvorwand?
D. will N. holen                              bewusst R. und den T. allein lassen?
T. stottert Gründe, weshalb er selber gehen   der Boden wir ihm zu heiß
    müsse                                     schlechtes Gewissen (s.o.)?
R. fragt nach
T. redet dunkel von Gefahr und geht           Widerspruch zu V. 2157f!	

© Volker Jansen 2003

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