Begriff, Gattungsgeschichte und -merkmale
NOVELLE -> novella (ital.) Neuigkeit
Als literarischer Begriff bekannt seit BOCCACCIOs "Decamerone" (1348/53):
An einem Ort unweit von Florenz, wo die Pest herrscht (1348), werden in einer Gesellschaft an zehn Tagen lebensbejahende Geschichten reihum erzählt.
Nachahmungen davon sind z.B. CHAUCERs "Canterbury Tales" (1387/1400)
Marguerite de NAVARRAs "Heptameron" (1559)
und CERVANTES` "Exemplarische Novellen" (1613).
Auch in GOETHEs Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter (1795) unterhält sich eine deutsche
Adelsfamilie, die vor der französischen Revolution auf das rechte Rheinufer geflüchtet ist, mit sechs Geschichten.
"Novellen werden vorzüglich eine Art von Erzählung genannt, welche sich von den großen Romanen durch die Simplizität des Planes und den kleinen Umfang der Fabel unterscheiden.
" (C.M.Wieland 1772)
"Denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit."
(Goethe, Gespräche mit Eckermann, 29. Jan. 1827)
"Ein Menschenleben durch die unendliche sinnliche Kraft einer Schicksalsstunde ausgedrückt." (Georg Lukacs, Die Seele und die Formen 1911)
"Das Charakteristikum der Novelle liegt vor allem in der Beschränkung auf eine Begebenheit."
(Benno v.Wiese)
"Poetik in Stichworten" (Hirt Verlag Kiel 1972 S.212) listet folgende Charakteristika
für "Wesen und Form der Novelle" auf :
- Zusammenziehung eines Vorgangs zu einem krisenhaften Vorfall
F.T.Vischer (1857): "Sie gibt nicht das umfassende Bild der Weltzustände, aber einen
Ausschnitt aus ihnen, der mit intensiver momentaner Stärke auf das größere Ganze
als Perspektive hinweist, nicht die vollständige Entwickluing einer Persönlichkeit,
aber ein Stück aus einem Menschenleben, das eine Spannung, eine Krise hat und uns durch
seine Gemüts- und Schicksalswendung mit scharfem Akzente zeigt, was Menschenleben
überhaupt ist."
- Verknüpfung von Schicksal und Charakter der Protagonisten
- Wendepunkt: "Alles wird in einem einzigen Vorfall zusammengefasst, von dem aus das Leben (des Helden) dann nach
rückwärts und vorwärts bestrahlt wird; und dieser Vorfall
ist seltener und eigentümlicher Art..." (Paul Ernst)
Oder TIECK (1829): "Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt, von welchem aus sie
sich völlig unerwartet umkehrt, und doch natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge entwickelt, wird sich der Phantasie des Lesers um so fester einprägen..."
- Zu diesem Wendepunkt wird oft durch ein DINGSYMBOL, ein
äußeres, gegenständliches Zeichen des Angel- und Drehpunkts
hingeführt, z.B. Drostes Judenbuche, oder Hauptmanns Bahnstrecke
(Boccaccios >Falke<).
- Form: Konzentrierung des Erzählten, äußerste Verdichtung
und geraffter Zeitablauf. Die Struktur ist der des Dramas verwandt: Knappe
Exposition, zusammenraffendes Hinführen zum Höhe- und Wendepunkt,
Abfall und Ausklang.
NOVELLEN (= novella (ital.) Neuigkeit) sind Erzählungen, welche
- kürzer sind als ein Roman, keine Nebenhandlungen und nur wenige
Hauptfiguren (=Protagonisten) haben.
- Die Handlung konzentriert sich auf ein plötzliches, krisenhaftes
Ereignis, durch welches der Lebensweg des Protagonisten eine
schicksalshafte Wendung erfährt.
- Die Struktur der Novelle ist der des Dramas ähnlich:
Exposition - Hinführung zur - Krise - Verzögerung - Lösung/Katastrophe
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