Gerade der wirtschaftliche Aspekt der Kleidung spielte in der
starken sozialen Schichtung der Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts
eine wichtige Rolle: Durch feinste und teuerste Stoffe und deren
aufwändige Verarbeitung und Verzierung durch Aufputz demonstrierte
man seine gesellschaftliche Stellung. Auch die Kinderkleidung
folgte diesem Schema, war Prestigeobjekt und sollte den Träger
eindeutig zu den anderen Ständen hin abgrenzen. Dementsprechend
änderte sich die Mode der Oberschicht weitaus häufiger als jene
der unteren Schichten. Die Frage, ob eine solche Kleidung bequem
und der Entwicklung der Kinder förderlich sei, stellte sich erst
gar nicht.
Lediglich die Säuglingsphase unterschied sich von der Erwachsenenwelt,
indem die Neugeborenen mit breiten Bändern in einer mehrstündigen
Prozedur fest eingewickelt wurden. Dieser Brauch, der in den aus
Holz geschnitzten sogenannten Fatschenkindern überliefert ist,
sollte die Säuglinge vor Verletzungen durch unkontrollierte Bewegungen
schützen und Rücken und Gliedmaßen gerade halten. Mit Sicherheit
jedoch verzögerte er die Entwicklung des Kindes durch die Einschränkung
der Bewegungsfreiheit und hatte möglicherweise gesundheitliche
Folgen.
In der nachfolgenden Kindheitsphase, die je nach Zeitepoche und
Sozialisation bis zum Alter von 4 bis 7 Jahren andauern konnte,
unterschieden sich Mädchen und Jungen äußerlich kaum voneinander
(es sei denn durch Attribute wie Waffen/Peitschen/Steckenpferd
oder Puppe), da beide Geschlechter Kleider trugen. Diese Sitte
lässt sich stellenweise bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein feststellen
und gibt Anlass für zahlreiche Spekulationen. Mancher sieht in
ihr die Ungeschlechtlichkeit von Kleinkindern bestätigt, wogegen
jedoch die Tatsache spricht, dass die Jungen wie Mädchen gekleidet
wurden und sich nicht etwa eine Zwitterform der Kleidung ergeben
hat. Einleuchtender ist die Erklärung, dass die Bezugspersonen
der Kleinkinder nahezu ausschließlich weibliche Personen waren
und die Kinderkleidung dem Rechnung trug. Dafür spricht die Vermännlichung
der Knabenkleidung ab dem Alter, in dem die Jungen unter die Obhut
männlicher Personen gestellt wurden. Ebenso berechtigt mag eine
dritte Erklärung sein, die hygienische Gründe für diesen Brauch
anführt, der es den unter den Röcken nackten Kindern ermöglichte,
sich schneller und sauberer zu entleeren.
Äußerlich unterschied sich die Kinderkleidung dieser Altersphase
von derjenigen erwachsener Frauen lediglich durch ein paar Details:
Um den Kindern beim Laufenlernen behilflich zu sein, sie andererseits
aber auch am Krabbeln zu hindern, was als tierisch galt, befestigte
man am rückwärtigen Ärmelansatz sogenannte Gängelbänder. Darüber
hinaus trugen Kinder zumeist eine Schürze. Den Kopf bedeckte entweder
ein sogenannter Fallhut, eine Wulst, die vor Verletzungen schützen
sollte, oder aber ein Kinderhäubchen.
Nach Ablauf dieser zweiten Kindheitsphase differenzierte sich
die Jungen- und Mädchenkleidung: Die Knaben trugen fortan die
Kleidung der erwachsenen Männer, wobei das Anlegen der ersten
Hose ein wichtiges Ritual – fast einen Initiationsritus – darstellte.
Als Ursache für die grundsätzliche Gleichheit von Kinder- und
Erwachsenenkleidung vermutet man die Absicht, den Prozess der
Sozialisation wegen der geringen Lebenserwartung in dieser Zeit
schnellstmöglich durchzuführen. Für die Mädchen bedeutete diese
Gleichheit, wie ihre Mütter täglich durch Schnürleiber eingezwängt
zu werden, was dann schließlich die oben genannten Reformtheoretiker
zu schärfster Kritik veranlasste. So entwickelte sich – ausgehend
von England – zwischen 1760 und 1790 eine reformierte Kinderkleidung,
die der Reform der Damenkleidung weit vorauseilte und durch das
Aufkommen der Modejournale große Verbreitung fand: Die Knaben
trugen fortan eine lange, bequeme Hose und einen taillenkurzen
Rock oder aber auch einen einteiligen Anzug, die Mädchen ein Kleid
mit unversteiftem Oberteil mit angekraustem Rock, zumeist aus
leichten Baumwollstoffen.
Eine neue Anschauung von Kindheit setzte sich durch, die mit der
Bejahung kindlicher Bewegungsfreiheit und dem Hinauszögern der
Übernahme erwachsener Kleidungsriten einherging. In dieser Zeit
kamen in den besseren Kreisen auch die Babyfarben Rosa und Blau
auf. Das Kleid eines etwa 3-jährigen Mädchens aus der Textilsammlung
Max Berk soll aus einer Dresdner Apothekerfamilie stammen und
von der Mutter einer Hofdame der Kaiserin Charlotte von Mexiko
getragen worden sein. Die delikat gemusterte, altroséfarbene Seide,
mit farblich differenzierten Rosenbouquets auf dezent kariertem
Fond, lässt Rückschlüsse auf die hohe soziale Stellung der Trägerin
zu. In Verbindung mit dem Schnitt verweist sie – entgegen der
Datierung des ehemaligen Sammlers auf 1780 – auf eine etwas frühere
Entstehung um etwa 10 bis 20 Jahre. Das hinten geschnürte Kleid
besitzt ein zeittypisches Décolleté, charakteristische Ärmel,
die lediglich den Oberarm bedecken und mit Spitze verziert sind,
eine Schnebbentaille und einen angekräuselten Rock mit kleiner
Schleppe. Innen angenähte Seidenbänder waren zum Raffen des Rockes
gedacht.
Kristine
Scherer
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