Kurpfälzisches Museum Heidelberg:

Das Kunstwerk des Monats

Januar 2003

Die Thingstätte auf dem Heiligenberg
(um 1934)

- Sammlungsblatt -

Zum Selbstverständnis des Nationalsozialismus gehört die Vorstellung, dass mit der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 für Deutschland und die Welt eine neue Zeit angebrochen sei. Im Bemühen, den kulturellen Aspekt dieses angeblich neuen Deutschlandbildes öffentlichkeitswirksam nach außen zu vermitteln, nahm der propagandistisch geschickt inszenierte Einsatz des Mythos Heidelberg einen besonderen Stellenwert ein.

Dies hing nicht zuletzt auch damit zusammen, dass der „erste Trommler des Reiches", Propagandaminister Goebbels, an der Heidelberger Universität 1922 durch den - später aus dem Amt gejagten - Literaturhistoriker Max Freiherr von Waldberg zum Dr. phil. promoviert worden war. Heidelberg wurde überschwänglich als „Weltstadt des Geistes", als „lebendiger Hauch der deutschen Seele" oder als „Brennpunkt des Reichsgedankens" gefeiert. Heidelberg war auch die Stadt der Reichsfestspiele, die, 1934 im Innenhof des Heidelberger Schlosses erstmals inszeniert, eine „Revolutionierung des deutschen Theaters" einleiten und „repräsentative Zeugen der neuen Kunstauffassung" sein sollten.

Als Teil der nationalsozialistischen Kulturpropaganda entstand in den ersten Jahren nach der Machtergreifung die Thingbewegung. Ihr Ziel war es, „aus dem Gemeinschaftserlebnis heraus den neuen deutschen Menschen nach dem Willen des Führers zu formen und zu schaffen". In Anknüpfung an „uraltes Ahnenerbe" plante man in allen Teilen des Reiches den Bau von über 400 Versammlungsplätzen, bei deren architektonischer Gestaltung man sich auf das germanische „Thing", einen nicht näher zu spezifizierenden Volksversammlungsplatz im Freien, als Vorbild berief. In diesem Zusammenhang wurde der sagenumwobene Heiligenberg mit dem „Heidenloch" und den zahlreichen frühgeschichtlichen Siedlungsresten von Anfang an als idealer Standort einer solchen Thingstätte betrachtet.

Die Grundsteinlegung für den Bau der „Thingstätte auf dem heiligen Berg" erfolgte am 30. Mai 1934 durch Gauleiter Robert Wagner und Oberbürgermeister Carl Neinhaus. Das Heidelberger Stadtoberhaupt betonte in seiner Rede die mythische Bedeutung des „heiligen Berges" und sah aus dem „roten, blutfarbenen Sandstein [...] die volksnahe Stätte neuen Schauens und Hörens wachsen" . Mit Unterstützung der Heidelberger Studentenschaft waren zeitweilig mehr als 1.200 Männer des Reichsarbeitsdienstes auf dem angeblich germanischen Kultplatz mit den Bauarbeiten beschäftigt. Die Pläne stammen von dem Karlsruher Hochschulprofessor Hermann Alker, der u.a. auch bei der Planung des Radiumsolbades (1924) in der Vangerowstraße beteiligt war. Er entwarf eine amphitheatralische Anlage mit 8.000 Sitz- und ca. 5.000 Stehplätzen, zwei sechseckigen Flaggentürmen für Beleuchtung und Ton sowie breiten Aufmarschwegen für Chor, Spieler und Zuschauer. Wie es der Probedruck, der möglicherweise auf einer Zeichnung des Architekten basiert, wiedergibt, schließt ein halbrundes Bühnen- und Garderobengebäude die muschelförmige Anlage ab, bei der als Hauptunterschied zum griechischen Amphitheater Spielfläche und Zuschauerraum nicht durch ein eigenes großes Szenengebäude getrennt sind, um die Gemeinschaft zwischen Darsteller und Volk besonders zu betonen.

Nach zwölfmonatiger Bauzeit, neun Monate länger als ursprünglich veranschlagt, rühmte Propagandaminister Goebbels bei der Einweihung am 22. Juni 1935 im Rahmen einer Sonnwendfeier die Thingstätte als „wahre Kirche des Reiches" und Stätte „steingewordenen Nationalsozialismus".

Die HeidelbergerThingstätte galt in NS-Führungskreisen als vorbildliche Anlage und als Modell für andere Bauten, von denen bis August 1935 zwölf fertiggestellt waren, darunter die noch bestehende Loreley, die Bad Segeberger und die Dietrich-Eckart-Bühne in Berlin. Insbesondere die eingebaute Ton-und-Licht-Anlage galt als Wunderwerk der Technik und wurde von Fachleuten aus dem In- und Ausland bestaunt. Goebbels Auftritt nebst Fahnenwald, Uniformen, Musik und Riesenchor hatte bei der Einweihung angeblich über 20.000 Menschen auf die steinernen Zuschauerränge gelockt, eine Zahl, die bei späteren Sonnwendfeiern und Thingspielen nie mehr erreicht werden konnte. Denn in ihrer Massenwirksamkeit blieb die Thingbewegung weit hinter den gesteckten Erwartungen zurück. Zum einen vermochten die eigens als neue Gattung kreierten Thingspiele, langatmige und monotone Mischungen aus Chor- und Passionspiel, das Publikum auf Dauer nicht in großen Scharen auf die steinernen Ränge zu locken, zum anderen machten die Widrigkeiten der unbeständigen Witterung den NS-Organisatoren ein ums andere Mal einen Strich durch die Planung, sodass sich die Veranstalter wiederholt genötigt sahen, die Teilnehmer an den Thingspielen öffentlich zu Ordnung und Disziplin zu mahnen. So lautete ein Aufruf der Kreisleitung im HeidelbergerTageblatt: „Es war sehr lehrreich festzustellen, wie trotz der vorausgegangenen Anweisung in der Zeitung [...] viele Volksgenossen ihr kleines „Ich" wieder in den Mittelpunkt ihres Daseins stellten, als die ersten Regentropfen fielen und dunkle Wolken den Himmel verfinsterten. Es war eine ungeheure schwere Aufgabe für die Politische Organisation, hier Ordnung zu halten und dem einzelnen klar zu machen, dass das neue Kleid und der schöne Hut, ja sogar die Gefahr eines evtl. aufkommenden Schnupfens nicht so wichtig sind, als der störungslose Ablauf des Spiels ..." (24.07.1935).

Bereits 1936 wurde per Erlass der Begriff „Thingstätte" durch „Feierstätte Heiligenberg" ersetzt. Die rituelle Vereinigung von Volksgenossen unter freiem Himmel an Orten mit kraftvoll zu empfindender germanischer Vergangenheit passte nicht in das als fortschrittlich ausgegebene Konzept eines anbrechenden neuen Zeitalters. Auch die nationalsozialistische Propaganda hatte inzwischen das Interesse an der pseudogermanischen Thingbewegung verloren und stattdessen Film und Rundfunk (Volksempfänger) als wirkungsvollere Propagandainstrumente erkannt.

Frieder Hepp

Literatur:

Ludwig, Renate; Marzolff, Peter, Der Heiligenberg bei Heidelberg, Führer zu archäologischen Denkmälern in Baden-Württemberg; Bd. 20, Stuttgart 1999.

Lurz, Meinhold, Die HeidelbergerThingstätte. Die Thingstättenbewegung im Dritten Reich: Kunst als Mittel politischer Propaganda, Kunsthistorisches Institut der Universität Heidelberg 10, Heidelberg 1975.

Peters, Christian/Weckbecher, Arno, Auf dem Weg zur Macht. Geschichte der NS-Bewegung in Heidelberg. Dokumente und Analysen, Heidelberg 1983.

Moers-Messmer, Wolfgang von, Der Heiligenberg bei Heidelberg. Ein Führer durch seine Geschichte und seine Ruinen. Hg. von der Schutzgemeinschaft Heiligenberg e.V., 3. Aufl. 1987.

Verführt und verraten. Jugend im Nationalsozialismus. Bruchstücke aus der Region. Ausstellungskatalog Kurpfälzisches Museum Heidelberg 1995.

siehe auch: Heiligenberg
unbek. Künstler,
Probedruck 45 x 63 cm,
Inv. Nr. SG 3
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