9.9.09
Eiszeitliche Jäger und Sammler sind nicht
die Vorfahren der ersten sesshaften Ackerbauern - Die ersten
Bauern Europas waren Einwanderer
Internationales Team um Mainzer Palaeogenetiker untersucht die
DNA der letzten Jäger und Sammler
(Mainz, 3. September 2009, lei) Die ersten Bauern Europas stammten
nicht von den Jäger-Sammler-Gesellschaften ab, die unseren
Kontinent seit dem Untergang der Neandertaler besiedelt hatten.
Stattdessen sind die ersten Bauern vermutlich vor 7500 Jahren
nach Mitteleuropa eingewandert. Zu diesen Ergebnissen kommt ein
Forscherteam um den Mainzer Palaeogenetiker Joachim Burger durch
die Analyse alter, aus Skelettknochen stammender DNA. "Wir
nehmen an, dass die ersten Bauern aus dem Karpatenbecken nach
Mitteleuropa eingewandert sind und die Haltung von Tieren und
den Anbau von Nutzpflanzen mitgebracht haben", sagt Barbara
Bramanti, Erstautorin einer Studie, die in der Onlineausgabe
des Wissenschaftsmagazins Science erschienen ist. Damit steht
auch fest, dass die ursprünglich in Europa beheimateten
Jäger-Sammler-Gesellschaften nicht die Vorfahren der heutigen
modernen Europäer sind, die eingewanderten Bauern allerdings
auch nicht. "Nach dem Faktor, der die Herkunft der jetzigen
Bevölkerung Europas erklären würde, suchen wir
noch", teilt Burger mit.
Alte DNA aus archäologischen Skeletten sorgt immer wieder
für ungeahnte Erkenntnisse über die Vorgeschichte des
Menschen. Bereits im Jahr 2005 hatte Joachim Burger mit seiner
Arbeitsgruppe nachgewiesen, dass die ersten Bauern Europas nicht
die Vorfahren der heutigen Europäer sind. Eine überraschende
Entdeckung, hatten die Urfarmer doch die Sesshaftigkeit und die
ganze Lebensweise etabliert, die fortan für den Kontinent
prägend sein sollte. In ihrer neuen Veröffentlichung
vergleichen die Forscher nun die ersten Bauern Europas mit den
letzten Jägern und Sammlern des Kontinents.
Vor 45.000 Jahren wurde Europa zum ersten Mal von sogenannten
modernen Menschen besiedelt, die ursprünglich aus Afrika
stammten und in Europa eine andere Menschenform, den Neandertaler,
verdrängten. Vor 25.000 Jahren musste der anatomisch moderne
Mensch den nach Mitteleuropa vordringenden Eismassen weichen
und konnte das Gebiet erst vor 20.000 Jahren wieder besiedeln.
Die Lebensweise dieser Ureinwohner blieb indes selbst bis in
die Nacheiszeit hinein stets gleich und war auf das Sammeln von
Früchten, Wurzeln und Nüssen beziehungsweise auf die
Jagd ausgerichtet.

Nicht das "klassische" Bild des Archäologen: Forscher bei
der Untersuchung alter DNA in den Labors der Universität
Mainz © Universität Mainz
Aus Knochen von 22 Menschen dieser Jäger-Sammler-Gesellschaften
hat das Mainzer Team die mitochondriale DNA sequenziert und zusammen
mit Kollegen aus Großbritannien und Estland analysiert.
Dabei fanden sie heraus, dass die ansässigen Jäger
und Sammler nicht die Vorfahren der ersten Bauern sein konnten,
dass also die Bauern eingewandert sein mussten. "Es ist
sehr wahrscheinlich, dass die Einwanderung vor 7500 Jahren ihren
Anfang nahm", so Bramanti. "Und da die Computersimulationen
die Diskontinuität zwischen beiden Gruppen zweifelsfrei
nachgewiesen haben, bleibt aus Sicht der Archäologie eigentlich
nur das Karpatenbecken als Ursprungsgebiet der Bauern."
Die Frage, ob Migranten die Sesshaftigkeit und das bäuerliche
Leben nach Europa gebracht haben oder ob beheimatete Europäer
lediglich die Idee dieses Lebensstils aus dem Nahen Osten, wo
sie zum ersten Mal in Erscheinung trat, übernommen haben,
beschäftigt die Wissenschaft bereits seit einem Jahrhundert.
Gerade in den letzten Jahrzehnten setzte sich unter europäischen
Altertumsforschern immer mehr die Ansicht durch, dass lokale
Traditionen in Europa eine bedeutende Rolle spielen, die weitere
Entwicklung also von den ursprünglichen Jäger-Sammler-Gesellschaften
ausgegangen sei. Die neuen Ergebnisse revidieren diese Auffassung
offenbar gründlich. "Auch wenn es sicherlich kulturelle
Kontakte zwischen Jäger-Sammlern und Bauern gegeben hat,
so entsteht doch mehr und mehr das Bild einer neolithischen Keimzelle
in Südosteuropa. Von hier aus sollte die Geschichte unseres
Kontinents in der Folge maßgeblich bestimmt werden",
sagt Burger und fügt hinzu: "Doch möglicherweise
ist dies nur ein Glied in einer Kette, die noch weiter zurückreicht,
in das Ursprungsgebiet der bäuerlichen Sesshaftigkeit nach
Anatolien und in den Nahen Osten."
Originalveröffentlichung:
Bramanti, B., Thomas, M.G., Haak, W., Unterlaender, M., Jores,
P., Tambets, K., Antanaitis-Jacobs, I., Haidle, M.N., Jankauskas,
R., Kind, C.-J. , Lueth, F., Terberger, T., Hiller, J., Matsumura,
S., Forster, P., Burger J.
Genetic discontinuity between local hunter-gatherers and Central
Europe's first farmers
Science Express, online publiziert 3. September 2009
Petra Giegerich,
Johannes Gutenberg-Universität Mainz |