4.3.09
Baustelle Speyrer Gedächtniskirche: „Begeisterung
bis zum letzten Hammerschlag“
Speyer. Die letzten Fugen werden geschlossen - sie werden „verbleit“,
wie die Fachleute sagen. Steinmetze schneiden im Nasssägeverfahren
Quader des Seeberger Sandsteins zu, der in Thüringen gebrochen
und verarbeitet wird. Aus diesem Material wurde auch die Wartburg
in Eisenach gebaut, wo Luther das Neue Testament ins Deutsche übersetzte,
erzählt Lothar Reif. Der Leiter des Baugebiets Baufach in
der Bauabteilung der Evangelischen Kirche der Pfalz ist in diesen
Wochen fast täglich auf der Baustelle an der Gedächtniskirche
in Speyer anzutreffen, wo Martin Luther im Eingangsbereich ein
Denkmal gesetzt wurde. Am Chor und an der Südseite des Hauptschiffes
herrscht Hochbetrieb, die Bauarbeiter setzen zum Endspurt an,
denn in wenigen Wochen muss sich das mehr als hundert Jahre alte
Wahrzeichen der Protestation in lückenloser Schönheit
präsentieren.
Abschnittsweise eingerüstet - vom Turmhelm in rund hundert
Metern Höhe über das Haupt- und Querschiff bis zum
Chor – so präsentierte sich die Gedächtniskirche
den Besuchern in den vergangenen zehn Jahren. Ende April wird
der Abschluss der umfangreichen Sanierungsarbeiten mit einem
großen Festwochenende begangen.

Foto v. links: Lothar Reif, Leiter des Baugebiets Baufach in
der Bauabteilung der Evangelischen Kirche der Pfalz, Margit
Schampijer von der Bauabteilung der Landeskirche,
Steinmetz
und Vorarbeiter Nicki Becker (Bild: Landeskirche)
Nahezu vierzig Tonnen Baumaterial wurden seit Beginn der Arbeiten
1998 in sieben Bauabschnitten verarbeitet. Darunter der kostbare
Obernkirchener Sandstein, der wegen seines 99-prozentigen Quarzanteils
besonders belastbar ist. „Der Mercedes unter den Sandsteinen“,
schwärmt Lothar Reif. Mit dem Baumaterial aus den niedersächsischen
Bückebergen wurde sogar das Weiße Haus in Washington
gebaut. Seit 2007 werde für die Sanierung der Kirche aber
vor allem Vogesensandstein und somit wieder „das Original“ verwendet,
erklärt Reif. Stundenlang auf der Baustelle bei Eiseskälte, Schnee und
Sturm – der harte Winter hat den Abschluss der Arbeiten
um etwa vier Wochen verzögert – das ist für Ungeübte
kein reines Vergnügen. Aber Reif und seine Kollegin Margit
Schampijer von der Bauabteilung der Landeskirche sowie Steinmetz
und Vorarbeiter Nicki Becker zeigen beim Ortstermin keine Spur
von Überdruss – im Gegenteil: „Vom ersten Tag
der Vorbereitung bis zum letzten Hammerschlag“ seien sie
mit Begeisterung dabei gewesen. „Das ist ein Highlight
im Berufsleben. Wir werden das sehr vermissen“, sind sich
die drei einig. Reif, der die Gedächtniskirchensanierung
als sein „Kind“ bezeichnet, hat sich inzwischen sogar
absolute Schwindelfreiheit antrainiert. Harmonisch habe man mit
allen am Bau beteiligten Firmen zusammengearbeitet, und glücklicherweise
seien auch keine größeren Unfälle zu beklagen.
Einmal habe sich ein Handwerker verletzt, als er sich beim Tranchieren
eines Spanferkels in den Finger geschnitten habe, erinnert sich
Reif, der auch als „Sicherheits- und Gesundheitskoordinator“ auf
der Baustelle fungiert.
Der 30-jährige Steinmetz Nicki Becker, der mit Unterbrechungen
seit 2001 an der Gedächtniskirche im Einsatz ist und seit
2004 als Vorarbeiter die Verantwortung trägt, freut sich
jeden Tag aufs Neue auf „seine“ Baustelle. Der Wiederaufbau
des Kaminturms sei eine enorme Herausforderung für das Steinmetzhandwerk
gewesen, schildert Becker die „Highlights“. Beeindruckend
auch die Restaurierung des Ziffernblattes der Turmuhr und unvergesslich
das Erlebnis der letzten totalen Sonnenfinsternis in Deutschland,
die man 1999 von der „Vip-Lounge“ ganz oben vom Turm
aus beobachten konnte.
Rund 11,14 Millionen Euro wurde in zehn Jahren verbaut, 450.000
Euro mehr als geplant, so Reif. Verursacht wurden die Mehrkosten
durch zusätzliche Arbeiten am Chor. Dessen Mauerwerk, von
drei Seiten der Witterung ausgesetzt, habe vergleichsweise große
Schäden aufgewiesen. Zeitlich liegen die Arbeiten an der
1904 im neugotischen Stil erbauten Gedächtniskirche, die
an die Protestation auf dem Reichstag zu Speyer im Jahr 1529
erinnert, gut im Plan: Ursprünglich war mit dem Abschluss
der Sanierung 2010 gerechnet worden. Und das, obwohl mit Rücksicht
auf die Kinderstube einer Wanderfalkenfamilie der Start der Arbeiten
verschoben werden musste. Turmfalken hätten übrigens
noch bis 2006 auf der Gedächtniskirche genistet. Dann seien
sie, als ihnen die Arbeiten gefährlich nahe kamen, „konvertiert“ und
in Richtung der gegenüber liegenden katholischen Josephskirche
geflüchtet, schmunzelt Reif. (lk)
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