28.2.12
Aachener Kaiserpfalz: Eine der bedeutendsten
Herrscherstätten
des Mittelalters in Europa
RWTH-Historiker, Denkmalpfleger, Bauforscher und Archäologen
nehmen eine umfassende Untersuchung des Aachener Pfalzbereichs
vor
"Das Innere des Granusturmes erinnert an ein Labyrinth." So
beschreibt Univ.-Prof. Christian Raabe vom Lehr- und Forschungsgebiet
Denkmalpflege der RWTH Aachen die aufwendige Architektur des Turmbaus.
Die Sanierung des Turmhelms aus Konjunkturmitteln für Welterbestätten
ist gerade abgeschlossen. Gleichzeitig diente das für die
Sanierung notwendige Gerüst der Untersuchung der steinernen
Außenwände des Turms und bildete somit den Auftakt für
die grundlegende Aufarbeitung der gesamten Pfalz durch eine interdisziplinäre
Forschung.

Rekonstruktion des Aachener Pfalzbezirks. Bild: Wikimedia Commons/user.Aliesin
Beim Granusturm handelt es sich um den am höchsten erhaltenen
Teil der kurz vor 800 erbauten karolingischen Königshalle,
der sogenannten Aula Regia, in deren Überresten im 14. Jahrhundert
das Aachener Rathaus errichtet wurde. Leider gibt es bisher nur
Vermutungen über das Aussehen, die Funktion und zum Teil auch
die Lage der gleichzeitig mit der Pfalzkirche errichteten Bauten.
So existierten neben der Königshalle und dem Granusturm noch
ein Verbindungsgang, der durch einen Querbau geteilt wurde, und
zahlreiche andere in den Quellen genannte Gebäude. Gründe
für diese Forschungslücken sind vor allem eine fehlende
Dokumentation der erhaltenen Bausubstanz sowie eine unzureichende
Aufarbeitung der Befunde aus den Altgrabungen und der schriftlichen
Quellen.
Im Rahmen einer umfangreichen Forschungszusammenarbeit sollen
in den nächsten drei Jahren Bausubstanz, Grabungen und Schriftquellen
untersucht werden. In einer Kooperation des Lehr- und Forschungsgebietes
Denkmalpflege (Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Raabe, Dipl.-Ing.
Marc Wietheger) mit dem Lehrstuhl für Baugeschichte (Dr.-Ing.
Judith Ley) erfolgt eine genaue Dokumentation des Baubestandes
und die Sichtung aller Archivalien. Hierfür stehen 398.000
Euro aus dem von Bund und Stadt geförderten „Investitionsprogramm
nationale UNESCO-Welterbestätten: Pfalzenforschung aus der
Perspektive der Bauforschung“ zur Verfügung. Im Umfang
von 250.000 Euro fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) das Projekt "Die Aula Regia in Aachen – Karolingische
Königshalle und spätmittelalterliches Rathaus" (Dr.-Ing.
Judith Ley), das die Analyse und bauhistorische Einordnung der
mittelalterlichen Baubefunde zum Ziel hat. Die Aufarbeitung der
Altgrabungen des letzten Jahrhunderts koordiniert der Lehrstuhl
für Mittlere Geschichte (Univ.-Prof. Dr. Harald Müller,
Privatdozent Dr. Sebastian Ristow). Auch hier liegen Mittel aus
dem "Investitionsprogramm nationale UNESCO-Welterbestätten" im
Umfang von 240.000 Euro bereit.
Für die Denkmalpfleger und Bauhistoriker steht die Bausubstanz
im Mittelpunkt der Betrachtung. In enger Abstimmung mit dem Landschaftsverband
Rheinland (LVR), der die Bauforschung am Dom durchgeführt
hat, dem Amt für Denkmalpflege und dem Gebäudemanagement
der Stadt Aachen erfolgt eine akribische Dokumentation und Bauaufnahme.
Mit 3D-Scans, fotogrammetrischen Bildentzerrungen, computergestütztem
tachymetrischem Aufmaß, aber auch detaillierten Handzeichnungen
werden Materialien, Konstruktionen und Bauteile von Marc Wietheger,
Judith Ley, dem Fotografen Robert Mehl und einen Team von studentischen
Hilfskräften festgehalten. Hinzu kommen Analysen des Putzes
und petrografische Gutachten, die Aussagen zur Herkunft des verwendeten
Steinmaterials erlauben. „Das Ergebnis wird ein Bauphasenplan
sein, mit dessen Hilfe genau ersichtlich ist, welche baulichen
Maßnahmen mit welchen Auswirkungen zu welcher Zeit in der
Gesamtanlage des Rathauses vorgenommen worden sind. Insofern wird
erstmals in einer Gesamtschau nachvollziehbar sein, welche Veränderungen
es in der Romanik und Gotik, im Barock sowie im 19. und 20. Jahrhundert
gegeben hat. Wir hoffen, am Ende die bauliche Genese des Aachener
Rathauses im Kontext der gesamten Pfalzanlage beschreiben zu können",
so Professor Dr.-Ing. Christian Raabe.
Die bisherigen Forschungen lassen beispielsweise erkennen, dass
es hinsichtlich der für den Granusturm verwendeten Baumaterialien
und Bauweisen deutliche Parallelen zur Pfalzkirche gibt. Die Handwerker
haben allerdings beim Kirchenbau einheitlichere bzw. großformatigere
Steine verwendet als beim Bau des Turms und es wurde präziser
gearbeitet. "Doch mit jeder Antwort tauchen neue Fragen auf,
die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den kommenden
Monaten beschäftigen werden", weiß Raabe. Wie hat
man um 800 ein mehr als 20 Meter hohes und im Inneren sehr komplexes
Gebäude wie den Granusturm geplant und abgesteckt? Wie wurden
die einzelnen Gebäude der Pfalz genutzt und wie waren sie
miteinander verbunden? Inwieweit kann man die Anlage rekonstruieren?
Hier sollen Vergleiche mit anderen Pfalzen und Bauten aus der Spätantike
und dem Frühmittelalter Aufschluss geben.
Bei dieser Mammutaufgabe ist Unterstützung stets willkommen.
Nicht zuletzt deshalb bieten der Lehrstuhl für Denkmalpflege,
Baugeschichte und Mittlere Geschichte gemeinsam Forschungsseminare
an, die sich bei den Studierenden großer Beliebtheit erfreuen. "Interdisziplinäres
Arbeiten ist unabdingbar. Insofern lag es nahe, über die konkrete
Forschungsarbeit hinaus einen Arbeitskreis zur Pfalzenforschung
in Aachen einzurichten", schildert Dr.-Ing. Judith Ley, Sprecherin
des Arbeitskreises. Hier finden die an der Forschung beteiligten
Institutionen zusammen, so neben den bereits genannten RWTH-Einrichtungen
das Amt für Denkmalpflege, die Stadtarchäologie, die
Beauftragten des Lehr- und Forschungsgebiets Stadtbaugeschichte
für den Internationalen Rat für Denkmalpflege (ICOMOS),
der Rathausverein, der Landschaftsverband Rheinland sowie die Dombauhütte.
Der Arbeitskreis dient dem Informationsaustausch und sammelt, strukturiert
und systematisiert das vorhandene Quellenmaterial, das derzeit
an unterschiedlichen Stellen aufbewahrt wird – so auch den
umfangreichen Nachlass des ehemaligen Dombaumeisters und Stadtkonservators
Leo Hugot. "Wir haben damit erstmals die Möglichkeit,
alle Daten in einem System allgemein verfügbar zusammenzustellen.
So soll beispielsweise ein gemeinsam erarbeitetes und finanziertes
Computermodell entstehen, das sowohl den Baubestand der Pfalz wie
auch die archäologischen Befunde verortet. Diese Kooperation
ist ein Katalysator für die Forschung", fasst Professor
Raabe zusammen.
Der interdisziplinäre Ansatz von Bauforschung, Denkmalpflege,
Archäologie und Mediävistik bedeutet auch aus Sicht von
Professor Dr. Harald Müller vom Historischen Institut einen
inhaltlichen Quantensprung: "Seit 1910 sind archäologische
Grabungen im Pfalzbereich erfolgt, die weder systematisch ausgewertet
noch gänzlich veröffentlicht worden sind", stellt
der Lehrstuhlinhaber für Mittlere Geschichte fest. Auch wurde
in den vergangenen Jahrzehnten selten disziplinenübergreifend
geforscht. "Erstmals werden wir nach Abschluss der Forschungsarbeiten
in etwa drei Jahren alle bisherigen Ergebnisse einheitlich zusammenführen,
mit den Schriftquellen abgleichen und veröffentlichen. Ziel
ist ein durch Privatdozent Dr. Sebastian Ristow erarbeiteter archäologischer
Befund- und Phasenplan sowie ein Geländemodell des Pfalzbereichs
von der Römerzeit bis heute." In dem Plan wird auch der
Schmelzofen verortet sein, in dem allen Anschein nach die Messingtüren
der Marienkirche gegossen worden sind. "Die Schmelze auf dem
Katschhof wurde schon 1910/11 ansatzweise ausgegraben ", so
Müller.
Im Jubiläumsjahr 2014 wird Professor Müller darüber
hinaus den wiederum interdisziplinär erarbeiteten Beitrag
zur Karolinger-Zeit im zweiten Band der Aachener Stadtgeschichte
vorlegen. Und soviel verrät er schon heute: "Die Vorstellung
vom karolingischen Aachen, wie sie vor allem das von Leo Hugot
gebaute Modell der Pfalz aus den 60er Jahren geprägt hat,
müssen wir wohl in Teilen revidieren." Es gilt, die Schriftquellen
vor dem Hintergrund der jüngsten Forschungen noch einmal neu
zu analysieren. Ein kleines Beispiel hierfür ist der hölzerne
Verbindungsgang zwischen Aula und Marienkirche. Er ist nur in diesen
Quellen erwähnt, archäologische Spuren fehlen. Über
seine Funktion, seine Lokalisierung in der Pfalz und sein Aussehen
ist neu nachzudenken. "Wir werden insgesamt in Wort und Bild
vor allem klar unterscheiden, was als gesichert gelten kann, was
plausibel oder allenfalls wahrscheinlich ist", so Müller.
Was Professor Müller und seine Mitarbeiter wohl erst nach
2014 vorlegen können, ist der Band Aachen im „Repertorium
der deutschen Königspfalzen“. In diesem Repertorium
werden die mittelalterlichen Herrschersitze auf dem Gebiet der
Bundesrepublik ausführlich behandelt, Gemeinsamkeiten und
Unterschiede aufgezeigt. Aachen ist aufgrund seiner herausragenden
Rolle in der Karolingerzeit und später als Ort der Königskrönungen
das noch unbearbeitete Herzstück des Unternehmens. Die eng
koordinierten interdisziplinären Forschungsarbeiten der nächsten
Jahre werden die Grundlagen für diesen Band liefern.
Im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2014, in dem an den 1200.
Todestag Karls des Großen erinnert wird, sind also durchaus
noch einige Überraschungen zu erwarten. Die Leiterin der Abteilung
für Denkmalpflege und Stadtarchäologie Monika Krücken
freut sich schon jetzt auf die Ergebnisse der Forschungen über "eine
der bedeutendsten Herrscherstätten des Mittelalters in Europa",
die seitens der Stadt Aachen angestoßen und beauftragt wurden.
Toni Wimmer |