26.10.12
Kooperation der Uni Heidelberg mit dem Vatikan:
Virtuelle Rekonstruktion der einst berühmtesten Bibliothek
nördlich
der Alpen
Eine der wertvollsten Sammlungen von Handschriften
des Mittelalters und der Frühen Neuzeit – die Bibliotheca
Palatina – soll virtuell wieder vereint werden: Nach den
deutschsprachigen Handschriften in ihrem eigenen Bestand digitalisiert
die Universitätsbibliothek Heidelberg nun auch die lateinischen
Codices der ehemals Pfalzgräflichen Bibliothek, die sich
seit fast 400 Jahren hinter den Mauern des Vatikans in der Biblioteca
Apostolica Vaticana in Rom befinden. Mit diesem Schritt begründen
der Vatikan und die Universität Heidelberg mit ihrer Universitätsbibliothek
eine auf mehrere Jahre angelegte Kooperation. Dieses für die
wissenschaftliche Forschung bedeutende Vorhaben wird in erheblichem
Umfang durch die Manfred-Lautenschläger-Stiftung gefördert.
Vertreter der beteiligten Institutionen – unter ihnen der
Präfekt der Vatikanischen Bibliothek – haben das Projekt
gemeinsam mit dem Förderer am heutigen Freitag (26. Oktober
2012) der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Ursprünge der Bibliotheca Palatina reichen zurück
bis zur Gründung der Universität Heidelberg im Jahr
1386. Indem sie im Laufe der Zeit die universitären und
pfalzgräflich-fürstlichen Sammlungen vereinte, repräsentierte
die Palatina quasi das komplette Wissen des Mittelalters und
der Frühen Neuzeit. Zu ihrer Blütezeit, Anfang des
17. Jahrhunderts, galt die Bibliothek als „optimus Germaniae
literatae thesaurus“, als der größte Schatz
aller Gebildeten in Deutschland. Ihr vorläufiges
Ende fand sie mit der Eroberung Heidelbergs durch katholische
Truppen während des Dreißigjährigen Krieges.
Papst Gregor XV. verlangte nun die gesamte Bibliothek, die
geistige Rüstkammer der Protestanten, als Kriegsbeute.
Nach einer halbjährigen Reise trafen 3.700 mittelalterliche
Handschriften und 13.000 Druckwerke im August 1623 in der Biblioteca
Vaticana ein. Erst im Jahr 1816 konnten – aufgrund von
Vereinbarungen während des Wiener Kongresses – zumindest
die 847 deutschsprachigen Handschriften wieder in ihre alte
Bibliotheksheimat zurückkehren. Bis auf einige wenige
griechische und lateinische Codices liegen alle übrigen,
nicht deutschsprachigen Handschriften und sämtliche Drucke
noch heute in den Tresoren der Vatikanischen Bibliothek
in Rom.
Stellten
das Digitalisierungsprojekt vor (von links nach rechts): Dr.
Veit Probst, Direktor der Universitätsbibliothek
Heidelberg, Monsignore Cesare Pasini, Präfekt der Biblioteca
Apostolica Vaticana, Dr. Adalbert Roth, Direktor der Sammlung
Druckschriften in der Vatikanischen Bibliothek, Dr. h.c.
Manfred Lautenschläger, Förderer des Projekts,
und Prof. Dr. Bernhard Eitel, Rektor der Universität
Heidelberg
„Dank der großzügigen Finanzierung durch
Dr. h.c. Manfred Lautenschläger und seine Stiftung können
wir jetzt die Voraussetzung dafür schaffen, dass Forscher
ebenso wie die interessierte Öffentlichkeit unabhängig
von Ort und Zeit Einblick in die digitalisierte Bibliothek
nehmen können, während die kostbaren Originale unter
konservatorisch besten Bedingungen in den klimatisierten
Tresoren verbleiben“, betonte der Rektor der Universität
Heidelberg, Prof. Dr. Bernhard Eitel. Er dankte dabei
dem Präfekten der Biblioteca Apostolica Vaticana, Monsignore
Cesare Pasini, für die Bereitschaft, die lateinischen
Handschriften durch die Digitalisierung zugänglich zu
machen. Über die Vorgeschichte und die Realisierung dieser
Digitalisierungsarbeiten informierte der Direktor der Universitätsbibliothek
Heidelberg, Dr. Veit Probst, gemeinsam mit dem Direktor der
Sammlung Druckschriften in der Vatikanischen Bibliothek, Dr.
Adalbert Roth.

Falkenbuch, Pal. lat. 1071, Bl. 93r.
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1071
Kaiser Friedrich II. (1194-1250), Über
die Kunst mit Vögeln zu jagen.
Süditalien, 1258-1266
Photo: Biblioteca Apostolica Vaticana
Schon im Jahr 2001 hat die Universitätsbibliothek Heidelberg
damit begonnen, erste Bände der herausragenden Büchersammlung
mit modernen digitalen Techniken im Internet zugänglich
zu machen. Seitdem arbeitet sie im Rahmen mehrerer Projekte,
die die Digitalisierung von Teilen dieser Sammlung zum Ziel
haben, an der virtuellen Rekonstruktion des einmaligen Bücherschatzes.
Bereits im November 2010 wurde in Räumlichkeiten der Vatikanischen
Bibliothek eine „Außenstelle“ des Heidelberger
Digitalisierungszentrums eingerichtet. Ziel war zunächst
die Digitalisierung der 133 mittelalterlichen Handschriften
der Bibliotheca Palatina, die einst Pfalzgraf Ottheinrich aus
dem Kloster Lorsch nach Heidelberg geholt hatte. Seit Januar
2012 digitalisiert die Universitätsbibliothek nun in einem
langfristig angelegten Projekt auch die übrigen rund 1.900
lateinischen Codices.
Einmal pro Woche werden je nach Größe und Umfang
vier bis sieben Handschriften aus den vatikanischen Tresoren
in den klimatisierten und abgedunkelten Aufnahmeraum des Heidelberger
Digitalisierungsstudios transportiert, wo sie mit Hilfe einer
hochauflösenden Kamera fotografiert werden. Ein spezieller
Kameratisch ermöglicht die kontaktlose und schonende Direktdigitalisierung
dieser fragilen Objekte. Um einen reibungslosen und übersichtlichen
Arbeitsablauf zu gewährleisten, hat die Universitätsbibliothek
Heidelberg eine eigene Software entwickelt. Das Programm „DWork – Heidelberger
Digitalisierungsworkflow“ ermöglicht die automatische
Abwicklung sämtlicher Einzelschritte von der Metadatenerstellung über
die Generierung der Internetpräsentation bis hin
zur Langzeitarchivierung. Eine Nachbearbeitung mit professionellen
Bildbearbeitungsprogrammen gewährleistet, dass das digitale
Faksimile so weit wie möglich dem Original entspricht. |