12.3.13
Mit Stachelschweinpinsel und Rabenkiel: Schreibwerkstatt des
mittelalterlichen Nibelungenlieds rekonstruiert
Im Restaurierungszentrum der Bayerischen Schlösserverwaltung
entsteht die Abschrift einer Doppelseite des Prunner Codex
Wie in einer mittelalterlichen Schreibstube wird zurzeit im Restaurierungszentrum
der Bayerischen Schlösserverwaltung gearbeitet. Buchstabe
für Buchstabe kopiert Papierrestaurator Jan Braun eine Doppelseite
des berühmten Prunner Codex, einer der ältesten überlieferten
Handschriften des mittelalterlichen Nibelungenlieds. Die Abschrift
des wertvollen, heute in der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrten
Codex wird ab Ende März 2013 auf der Burg Prunn im Altmühltal,
dem ursprünglichen Fundort der Handschrift, präsentiert.

Papierrestaurator Jan Braun bei der Abschrift des Prunner
Codex. Bild © Bayerische Schlösserverwaltung
Um ein möglichst authentisches Erscheinungsbild der Kopie
zu erreichen, wurden im Vorfeld Farben und Schreibutensilien der
mittelalterlichen Werkstatt genau analysiert. "Auf diese Weise
haben wir ein überaus anschauliches Bild vom Herstellungsprozess
des Prunner Codex gewonnen", sagte Papierrestaurator Jan Braun
am Dienstag (5. März) in München.
Nach dem Anspitzen der Feder, der Linierung des Pergaments und
dem Auftragen des Blattgolds wird derzeit der einfarbige Fließtext
niedergeschrieben. Dazu verwendeten die mittelalterlichen Schreiber
eine schwarze, aus verkohlten Getreideresten hergestellte Rußtusche,
deren Zusammensetzung Braun experimentell nachgeprüft hat.
Gleiches gilt für die reichere Farbpalette der Initialen.
Gebraucht wurden unterschiedliche mineralische, tierische und pflanzliche
Pigmente, etwa für das helle Blau Färberwaid, eine bereits
im Mittelalter eigens zur Farbgewinnung angebauten Pflanze, deren
Farbstoff – Indigo – bis heute zum Färben von
Jeans-Stoff dient.
Überraschend vielfältig waren die Materialien, die zur
Rekonstruktion der mittelalterlichen Schreibutensilien besorgt
werden mussten. In Brauns "Schreibstube" lagern neben
einem Eichhörnchenschwanz die Borsten eines Stachelschweins
und der Federkiel eines Raben.
"Eichhörnchenhaare brauchen wir für besonders feine
Pinsel, als deren Stiel in einem Malerhandbuch des 16. Jahrhunderts
die Borsten von Stachelschweinen empfohlen werden. Der Rabenkiel
ist für feine Kalligraphie geeigneter als die Gänsefeder",
erläutert Jan Braun. Die rekonstruierten Schreibgeräte
werden ab Ende März auf der Burg Prunn neben der kopierten
Doppelseite des Prunner Codex als Höhepunkt der neu eingerichteten
Dauerausstellung "Burg Prunn und das Nibelungenlied" zu
sehen sein.

Vorbereitung der Schreibfeder. Bild © Bayerische Schlösserverwaltung
Der Prunner Codex gehört zu den wertvollsten Zeugnissen deutscher
Literatur im Mittelalter. Darin überliefert ist die viertälteste
Fassung des mittelhochdeutschen Nibelungenlieds. Die um 1330 entstandene
Handschrift wurde von Wiguläus Hund, Geschichtsschreiber und
Hofrat Herzog Albrechts V., nach 1566 auf der Burg Prunn entdeckt
und in der Folge der Hofbibliothek in München, der späteren
Bayerischen Staatsbibliothek, eingegliedert. Für acht Wochen
war die rare Handschrift im vergangenen Sommer als Leihgabe der
Bayerischen Staatsbibliothek auf der Burg Prunn in der Sonderausstellung "Ritter,
Recken, Edle Frauen – Burg Prunn und das Nibelungenlied" ausgestellt.
Nun kommt die fast ebenso prunkvolle Kopie, die den Entstehungsprozess
der Handschrift genau dokumentiert, dauerhaft nach Prunn. |