13.5.13
Schloss Urach mehr als eine Generation älter als bislang
angenommen
Wissenschaftliche Tagung bringt neue Datierung
(ssg) Das Uracher Schloss ist mehr als eine Generation älter
als bislang immer angenommen: Diese Erkenntnis ist die größte
Sensation unter den Ergebnissen der „Öffentlichen Vortragstage“ in
Schloss Urach. Die Staatlichen Schlösser und Gärten luden
zu dieser wissenschaftlichen Tagung Fachleute und Laien – und
an drei Tagen war die einstige Residenz der Grafen und Herzöge
von Württemberg ein Treffpunkt für alle historische Interessierten.
Der Dachstuhl birgt den Beweis
Schloss Urach ist ein beeindruckender Bau. Gelegen ist das mächtige
Fachwerkensemble in touristischer Top-Lage, in Bad Urach, das als
idyllische historische Kleinstadt in einem romantischen Tal der
Schwäbischen Alb immer wieder die typisch südwestdeutsche
Kulisse für Filme und Fernsehserien hergibt. Was nur wenige
wissen: Das Uracher Schloss war im späten Mittelalter nicht
irgendein Schloss, sondern Residenz. Damals war die Grafschaft
Württemberg aufgeteilt, ein Regierungssitz des Landes lag
hier im beschaulichen Ermstal. Mit dieser wichtigen Funktion erklärte
man lange die Größe des Schlosses.
Dendrochronologie stürzt bisherige Thesen um
Eine wissenschaftliche Tagung der Staatlichen Schlösser und
Gärten in Schloss Urach Anfang Mai enthüllte jetzt allerdings:
So einfach war es nicht. Dem Bauforscher Tilmann Marstaller ist
es gelungen, das Schloss mit einem neuen Fertigstellungsdatum zu
versehen. Die Technik des Wissenschaftlers: die Dendrochronologie.
Dabei wird ermittelt, wann das verwendete Bauholz gefällt
wurde. Für Urach war die historische Forschung bislang immer
davon ausgegangen, dass es ab 1442, im Zuge der Aufteilung der
Grafschaft, als Residenz erbaut wurde. Jetzt aber weiß man:
Das Schloss bzw. sein Dachwerk waren bereits 1400 vollendet – und
damit mehr als eine Generation früher. Zu dieser Zeit residierte
der Hof von Eberhard III. von Württemberg noch in Stuttgart.

Gesamtansicht von Schloss Urach. Bild: Achim Mende/SSG
War das Schloss aus der Visconti-Mitgift finanziert?
Warum also der riesige Schlossneubau? Dr. Patricia Peschel, als
Konservatorin der Staatlichen Schlösser und Gärten
für Schloss Urach zuständig, weist darauf hin, dass
es mehr als außergewöhnlich sei, ein so großes
Schloss nur als Jagd- und Lustschloss zu errichten. Eine mögliche
Erklärung aus der historischen Situation sei vielleicht
der der Einfluss der vornehmen italienischen Ehefrau des damaligen
württembergischen Grafen. Nicht zuletzt könne man die üppige
Mitgift der Gräfin Antonia aus dem reichen Geschlecht der
Visconti dahinter vermuten. „Die Forschungen dazu stecken
allerdings noch in den Anfängen“, sagt Peschel. Fürs
erste haben aber jetzt die Staatlichen Schlösser und Gärten
und die Schlossverwaltung von Urach eine ganz konkrete Aufgabe:
Sie müssen die historischen Daten auf der Beschilderung
am Schloss korrigieren.
Die Vorträge brachten noch weitere neue Erkenntnisse. Etwa,
dass das Schloss, entgegen der bisherigen Annahmen, im gesamten
18. und bis ins frühe 19. Jahrhundert permanent von den württembergischen
Herrschern genutzt wurde. Dafür wurde es auch regelmäßig
nach der Mode der Zeit luxuriös eingerichtet. Bisher war immer
davon ausgegangen worden, dass es nur von Herzog Carl-Eugen genutzt
wurde. Jetzt weiß man, dass auch Herzog Eberhard Ludwig im
frühen 18. und die Könige Friedrich und Wilhelm I. im
frühen 19. Jahrhundert das Schloss nutzten. Neue Funde in
den alten Schlossinventaren und in den Archiven machen es jetzt
möglich, die Einrichtung des Schlosses lückenlos über
die Herrschergenerationen zu dokumentieren!
Dialog zwischen Wissenschaftlern und Laien
Die Tagung in Schloss Urach veranstalteten die Staatlichen Schlösser
und Gärten in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Institut
der Universität Kiel und seinem Leiter Prof. Klaus Gereon
Beuckers. Solche „Öffentlichen Vortragstage“ fanden
auch bereits in Kloster Bebenhausen statt. In Urach kamen an drei
Tagen Anfang Mai renommierte Wissenschaftler zu Wort: Sie trugen
aktuellsten Forschungen zu Schloss, Stadt und den Regenten von
Urach vor. Diskussionsrunden und Rundgänge vor Ort mit den
Referenten gehörten ebenfalls zum Programm.
Das Interesse war groß – und die Vorträge zogen
Fachpublikum und Laien gleichermaßen an. „Das macht
den besonderen Reiz der Veranstaltung aus“, sagt Dr. Peschel.
Das Gespräch zwischen Fachwissenschaftlern, Hobbyhistorikern
und Laien sei immer außerordentlich fruchtbar, „spannende
Diskussionen“ entwickelten sich, so die junge Kunsthistorikerin.
In Urach waren es etwa 200 Zuhörerinnen und Zuhörer,
die an drei Tagen an den Vorträgen teilnahmen. Für die
Staatlichen Schlösser und Gärten gehört die wissenschafltliche
Erschließung der Monumente zu den zentralen Aufgaben. Patricia
Peschel gibt der Forschung einen ganz konkrete Nutzanwendung für
die Schlösser und Gärten: „Die aktuellen Ergebnisse
der Forschung fließen immer unmittelbar in unsere Arbeit
ein und finden beispielsweise direkt ihren Niederschlag bei den
Publikumsführungen“.
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