3.10.14
Volltreffer bei Grabung in Gernsheim: Lang gesuchtes Römerkastell
entdeckt
(guf)
Frankfurter Uni-Archäologen haben im Rahmen einer studentischen
Lehrgrabung in Gernsheim im Hessischen Ried das seit Langem
gesuchte Römerkastell entdeckt: Zwischen 70/80 und 110/120
n. Chr. war dort eine Truppeneinheit mit etwa 500 Soldaten
(Kohorte) stationiert. Nachgewiesen wurden diesen Sommer zwei
für
entsprechende Kastelle typische Spitzgräben,
die Pfostenlöcher eines hölzernen Turms der Umwehrung
sowie weitere Befunde aus der Zeit nach der Auflassung des
Kastells.

Die Ausgrabung stieß in der Öffentlichkeit auf reges
Interesse. Szene vom „Nachmittag der offenen Grabung“ (27.
August): Ein Student erläutert die Grabungssituation (hinten);
währenddessen geht im Vordergrund die alltägliche Arbeit
weiter.
Ungewöhnlich zahlreich sind die Funde. Denn die römische
Truppe legte bei ihrem Abzug das Kastell nieder und verfüllte
die Gräben. Dabei wurde vor allem im inneren Spitzgraben viel
Abfall entsorgt – „ein Glücksfall für uns“ – so
Prof. Dr. Hans-Markus von Kaenel vom Institut für Archäologische
Wissenschaften der Goethe-Universität – „wir haben
Kiste um Kiste mit Scherben von Fein-, Grob- und Transportkeramik
gefüllt; ihre Bestimmung wird es erlauben, das Ende des Kastells
zeitlich genauer einzugrenzen als bislang möglich“.
Über das römische Gernsheim war bisher wenig bekannt,
obwohl hier seit dem 19. Jahrhundert immer wieder römische
Funde zutage treten. „Sicher schien aufgrund der Funde bisher
nur, dass hier vom 1. bis 3. Jahrhundert eine bedeutende dorfartige
Siedlung, ein ‚vicus‘, gelegen haben muss, vergleichbar
etwa mit ähnlichen Dörfern, die bereits in Groß-Gerau,
Dieburg oder Ladenburg nachgewiesen werden konnten“, erläutert
Grabungsleiter Dr. Thomas Maurer, der seit Jahren von Frankfurt
aus nach Südhessen auf Spurensuche geht und seine Ergebnisse
in einer großen Publikation über das nördliche
Hessische Ried in der römischen Kaiserzeit veröffentlich
hat.
„Angenommen wurde“ – so Maurer weiter –, „dass
diese Siedlung aus einem Kastell hervorgegangen sein müsse,
war es doch üblich, dass die Angehörigen der Soldaten
vor dem Kastell in einer dorfartigen Siedlung lebten.“ „Diese
Grabungskampagne ist ein echter Volltreffer“, freut sich
Prof. Dr. Hans-Markus von Kaenel, „die Ergebnisse stellen
einen Meilenstein in der Rekonstruktion der Geschichte des Hessischen
Ried in der römischen Zeit dar.“ Seit bald 20 Jahren
kümmert sich von Kaenel zusammen mit seinen Mitarbeitern und
Studierenden im Rahmen von Surveys, Ausgrabungen, Materialaufarbeitungen
und Auswertungen um diesen Raum; die Ergebnisse sind in über
50 Beiträgen publiziert worden.
Die Römer errichteten das Kastell in Gernsheim, um in den
70er Jahren des 1. Jh. n. Chr. den rechtsrheinischen Raum großflächig
in Besitz zu nehmen und die Verkehrsinfrastruktur vom und zum Zentrum
Mainz-Mogontiacum auszubauen. Für die große Bedeutung
von Gernsheim am Rhein in römischer Zeit spricht seine verkehrsgünstige
Lage, hier zweigte eine Straße an den Mainlimes von der Fernstraße
Mainz – Ladenburg – Augsburg ab. Auch die Existenz
eines Rheinhafens wird vermutet, was durch diese Grabung allerdings
nicht bestätigt werden konnte – „das war schon
durch die Auswahl des Areals nicht zu erwarten“, so Maurer.
Gernsheim hat sich im 20. Jahrhundert immer stärker ausgedehnt,
was die archäologischen Spuren mehr und mehr zu verwischen
drohte. Lagen die römischen Überreste um 1900 größtenteils
noch unter Äckern und Gärten, so wurden sie peu à peu überbaut
und gingen damit der planmäßigen archäologischen
Forschung verloren. Das letzte größere Areal, in dem
mit römischen Funden zu rechnen war, war ein Gebiet im Südwesten
der Stadt zwischen der B 44 und dem Winkelbach. Doch 1971 rückten
auch hier die Bagger an. Maurer ergänzt: „Nur notdürftig
konnten damals einige römische Funde von ehrenamtlichen
Helfern der Denkmalpflege geborgen werden.“
Bild: Einer der beiden entdeckten Spitzgräben im Profil.
Solche Spitzgräben dienten als Annäherungshindernisse
und waren charakteristische Bestandteile römischer Kastelle.
Der Gernsheimer Spitzgraben wurde nach der Auflassung des Kastells
von den Bewohnern des römischen Dorfes als Abfallgrube benutzt.
An dieser Stelle stand in geringer Tiefe die betonharte geologische
Schicht des
sog. „Rheinweiß“ an, das die römischen Pioniere
bei der Erstellung der Grabenspitze durchstoßen mussten (unten).
Beide Bilder: © Dr. Thomas Maurer, Goethe-Universität
Frankfurt/M., Institut für Archäologische Wissenschaften,
Abt. II
Am 4. August dieses Jahres startete auf einem der wenigen noch
unbebauten Grundstücke, ein Doppelgrundstück an der Nibelungenstraße
10-12, die diesjährige Lehrgrabung des Instituts für
Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität. „Nach
meiner Kartierung der lokalisierbaren Gernsheimer Fundstellen befinden
wir uns ganz am westlichen Rand der Fundkonzentration, unmittelbar
am Rand der Niederterrasse, denn der nicht weit entfernte Winkelbach
verläuft bereits in der Rheinniederung“, erklärt
Grabungsleiter Maurer. Auf fast allen benachbarten Grundstücken
wurden in den 1970er und 80er Jahren vereinzelt römische Funde
notiert. „Der Platz erschien daher als lohnenswertes Grabungsziel,
was sich voll bestätigt hat.“
15 Studierende des Faches „Archäologie und Geschichte
der römischen Provinzen“ sorgten während fünf Sommerwochen
dafür, dass das Erdreich sorgsam
abgetragen, die Befunde vermessen und dokumentiert sowie die Funde
nach Befundeinheiten
geborgen und verpackt wurden. Unterstützt wird die Tätigkeit
der Frankfurter Archäologen vom Landesamt für Denkmalpflege
Hessen (hessenARCHÄOLOGIE, Außenstelle Darmstadt) sowie
vom Kunst- und Kulturhistorischen Verein der Schöfferstadt
Gernsheim. Einige Mitglieder dieses Vereins, der auch das Heimatmuseum
betreibt, standen dem Grabungsteam täglich mit Rat und Tat
zur Seite. Die Dokumentation und das Fundmaterial aus dieser Grabungskampagne
bildet die Grundlage einer universitären Abschlussarbeit,
die im kommenden Wintersemester in Angriff genommen wird.
Ulrike Jaspers Marketing und Kommunikation
Goethe-Universität Frankfurt am Main |