27.10.16
LA8 Kulturhaus in Baden-Baden
Technische Paradiese.
Die Zukunft in der Karikatur des 19. Jahrhunderts
(la8) Im 19. Jahrhundert bekam die Karikatur ein Thema zu fassen,
mit dem sich die anderen Künste, zumal die Historien- und
Salonmalerei, schwer taten: die technische Revolution mit all ihren
Triumphen und Überraschungen. Die Karikatur war das ideale
Medium, um die ungläubige Bewunderung, die Begeisterung und
die Befürchtungen der Zeitgenossen für die neue Technik
im Alltag auszudrucken.
Als Kunst für das Aktuelle und für ein großes
Publikum begleitete die Karikatur den revolutionären Aufstieg
der Maschine von Nahem. Seit dem 24. September zeigt das Museum
LA8 in Baden-Baden die Ausstellung „Technische Paradiese.
Die Zukunft in der Karikatur des 19. Jahrhunderts“ Die Ausstellung
(ent-)führt die Besucher in damals neuartige „Technische
Paradiese“, so wie die großen Namen der europäischen
Karikatur des 19. Jahrhunderts die maschinelle Erlosung von aller
körperlicher Mühsal wahrnahmen: George Cruikshank, William
Heath, Grandville, Honore Daumier, Albert Robida, Wilhelm Busch,
Heinrich Kley und andere mehr. Zu sehen sind über zweihundert
Einzelblätter aus bedeutenden privaten und öffentlichen
Sammlungen sowie historische Technikobjekte, etwa eines der ersten
Automobile – aus
Holz. Die Besucher durchleben die spannenden, ironischen, euphorischen,
grotesken, skeptischen, lachhaften Etappen mehrdeutiger Annäherungen.
George Cruikshank: The railway dragon, in: George Cruikshank’s
Table book. Holzstich, London 1845
Gesucht war ein wie auch immer angemessener Umgang mit der neuen,
ebenso hilfreichen wie beunruhigenden Mitspielerin im Alltag, die
den Menschen entlastete, indem sie ihn immer auch ein wenig enteignete:
mit der Maschine.
Der Triumph der Maschinen war unübersehbar und doch in seiner
tieferen Bedeutung schwer zu fassen. Es tat sich ein Spalt auf
zwischen der rasanten Technikentwicklung einerseits und der tastenden
kulturellen Deutung andererseits. Die Menschen wussten oft nicht,
wie sie den weltgeschichtlichen Neuankömmling Maschine einordnen
sollten: als eine Art Tier („Dampfross“), als halbmenschlichen
Automaten, als himmlische (oder frühsozialistische) Erlosung
von körperlicher Arbeit, als Frevel an der Natur oder mythischen
Fluch? In dieser Lage vollbrachte die Karikatur eine paradoxe kulturelle
Integrationsleistung: Annäherung durch Ablehnung. Durch Spott
und mutwillig schräge Vergleiche eignete sie sich die epochale
Neuheit Maschine als feuerspeienden Drachen, Dampfross, eiserne
Spinne oder schnaufenden Stier an.
Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Museums LA8 mit
dem Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover,
und dem Historischen Zentrum Wuppertal. Sie ist bis zum 5. März
2017 in Baden-Baden zu sehen, bevor sie dann zunächst ab April
2017 nach Hannover und anschließend nach Wuppertal zieht.
Ein umfangreicher Katalog begleitet die Ausstellung.

Honoré Daumier: „Schaffner! Schaffner! Halten Sie
in Gottes Namen an. Ich habe eine Kolik! – Unmöglich?…?Die
Verwaltung verbietet das!?… aber in zweieinhalb Stunden sind
wir in Orléans!“
in: Le Charivari, 1843, Lithografie, Honoré-Daumier-Gesellschaft

Albert Robida: Le journal téléphonoscopique, in:
Le vingtième siècle. Holzstich, Paris 1883
Die seinerzeit als Karikatur verstandene Zeichnung nimmt die modernen
Medien vorweg, ohne dass man ihr eine Vorahnung unterstellen könnte.

Heinrich Kley: Die Krupp’schen Teufel, Öl auf Leinwand,
1912/13, LWL-Industriemuseum, Westfälisches Landesmuseum für
Industriekultur, Dortmund
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