Matthias Schmitt

Gruppe Expertensysteme

17. März 1999

 

 

Expertensysteme in der Medizin

 

 

 

Einleitung

Probleme

Einsatzmöglichkeiten

Einsatzbeispiele

Fazit

 

 

mschmitt_b1.gif (84 Byte) Einleitung
Expertensysteme dienen der medizinischen Diagnostik und Therapie in hohem Maße. Mit ihnen
erreicht man
mschmitt_b2.gif (67 Byte) Verbesserungen in der Genauigkeit medizinischer Entscheidungen,
mschmitt_b2.gif (67 Byte) eine schnellere Verfügbarkeit von medizinischem Wissen für den praktischen Arzt,
mschmitt_b2.gif (67 Byte) eine Verbesserung der Kosteneffizienz medizinischer Untersuchungen,
mschmitt_b2.gif (67 Byte) eine Kontrolle medizinischer Leistungen.
Die ersten Ansätze zur medizinischen Entscheidungshilfe durch Computer basierten auf algorithmischen Verfahren, u.a. dem Theorem von Bayes. Dabei gab es in geeigneten Anwendungsgebieten durchaus Erfolge, z.B. ein Bayes-Programm zur Differenzialdiagnose (Methode der abgrenzenden Diagnose zwischen Krankheiten mit ähnlichen Symptomen) des akuten Bauchschmerzes, bei dem sieben Diagnosen unterschieden werden und das in einem einjährigen klinischen Test eine Trefferquote von über 90% richtiger Diagnosen (Ärzte lagen bei 65 bis 80%!) hatte. Insgesamt stellte sich jedoch heraus, daß die konventionellen Ansätze zu
starr sind und nur einen kleinen Teil des verfügbaren Wissens über ein Anwendungsgebiet repräsentieren können.
Deshalb wandte man sich Anfang der siebziger Jahre den "wissensbasierten" Ansätzen zur medizinischen Entscheidungsunterstützung zu. Hieraus entstanden Mitte der siebziger Jahre die "klassischen" medizinischen Expertensysteme MYCIN, CASNET, INTERNIST und PIP, die gleichzeitig auch Vorzeigebeispiele der Expertensystemtechnologie insgesamt waren. Das Ziel, menschliche Experten simulieren zu können, schien aufgrund der beachtlichen Leistungsfähigkeit der Programme in greifbare Nähe zu rücken.

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mschmitt_b1.gif (84 Byte) Probleme
Der Sprung in die Praxis ist mit Ausnahme von hochspezialisierten Systemen wie PUFF und ONCOCIN nicht gelungen. Gründe dafür sind:
mschmitt_b2.gif (67 Byte) zu aufwendiger Dialog
Obwohl ein gutes Design der Benutzerschnittstelle den Dialog mit dem System erheblich verkürzen kann, bleibt der Dialog ein grundsätzliches Problem, da Computer weder hinreichend gut sehen noch gesprochene Sprache verstehen können. Daher wird ein Arzt nur dann die Zeit für die Eingabe von Symptomen und Befunden über einen Bildschirm investieren, wenn er durch andere Vorteile entschädigt wird, d.h. daß das Expertensystem kompetente Vorschläge mit Erklärung geben kann vor allem auch die Dokumentation der Daten übernimmt. PUFF ist in dieser Hinsicht sehr komfortabel, da es seine Daten direkt von Meßgeräten übernimmt und als Ausgabe eine Interpretation auf einem Formular liefert, das der Arzt nur noch abzeichnen muß, falls die Interpretation richtig ist. Dadurch wird der begrenzte diagnostische Nutzen  dieses Expertensystems, der sich aufgrund der geringen zu verarbeitenden Datenmenge ergibt, kompensiert. In ONCOCIN läßt sich dagegen der Dialog mit dem Benutzer nicht umgehen. Jedoch wurde hier die Benutzeroberfläche sehr aufwendig gestaltet, so daß der Arzt zum größten Teil Formulare ausfüllen muß und deshalb weitgehend die Eingabe eines freien Textes vermieden wird.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) zu hohe Spezialisierung der Systeme
Ein spezialisiertes Expertensystem ist stark beschränkt, da es zum einen keine Mehrfacherkrankungen berücksichtigen kann, die außerhalb seines engen Kompetenzbereichs liegen, und zum anderen der Arzt aufgrund dieses engen Kompetenzbereichs bereits eine Vorauswahl treffen muß. MYCIN, CASNET und INTERNIST wurden mit bereits vorausgewählten Fällen zum Testen konfrontiert, bei denen die tatsächlichen Diagnosen in der Wissensbasis vorhanden waren. Die Erklärung, warum diese klassischen Expertensysteme nicht in die Praxis übernommen wurden, ist daher einfach: Man weiß zunächst noch nicht, ob das System die korrekte Diagnose überhaupt kennt. Der Aufbau einer für praktische Zwecke ausreichend großen Wissensbasis erfordert einen so hohen Aufwand, daß er die finanziellen Möglichkeiten von einzelnen Forschungsinstituten weit übersteigt.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) einseitige Wissensrepräsentation
Die klassischen medizinischen Expertensysteme benutzen jeweils verschiedene Wissensrepräsentationen mit unterschiedlichen Vorzügen und Schwächen. Ein für ein größeres System taugliches Expertensystemwerkzeug müßte jedoch die wechselseitigen Stärken kombinieren. Offene Forschungsprobleme sind vor allem die Auswertung und Darstellung von zeitlichem, funktionalem, und anatomischem Wissen. Die Bedeutung dieser Mängel zeigt die Auswertung von INTERNIST, bei der ca. 2/3 der falschen Diagnosen auf Schwächen der Wissensrepräsentation und nur 1/3 auf Fehler in der Wissensbasis zurückgeführt wurden.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) Trennung von Symptomerfassung und Symptominterpretation
Die heutigen Expertensysteme sind auf eine verbalisierte Symptomeingabe angewiesen und können die Daten nur interpretieren. Obwohl in der medizinischen Ausbildung großer Wert auf eine objektive und interpretationsunabhängige Symptomerfassung gelegt wird, bleibt die Trennung ein grundsätzliches Problem, da Unsicherheiten bei der Symptomerhebung die Interpretation beeinflussen. Die Bedeutung, die Ärzte dem Erreichen einer höchstmöglichen Sicherheit bei der Symptomerhebung beimessen, zeigten psychologische Studien: bis zu 50% der Fragen an den Patienten zielten auf die Bestätigung von subjektiven Symptomen ab. Dies gilt vor allem für diagnostisch entscheidende Symptome. Das Mißtrauen von Ärzten gegenüber verbalisierten Beschreibungen zeigt sich auch bei der Ablehnung einer "Telefondiagnose", über die ein Expertensystem derzeitig nicht hinauskommen kann.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) Akzeptanzprobleme
Das Hauptproblem für den Einsatz von medizinischen Expertensystemen in der Praxis zur Entscheidungsunterstützung stellt die geringe Akzeptanz durch die medizinische Gemeinschaft dar. Sie ist am klarsten in der geringen Motivation zur effektiven Mitarbeit in medizinischen Expertensystemprojekten zu beobachten; die typische Haltung ist passiv abwartend. Diese Haltung steht in starkem Kontrast zum industriellen Interesse an Expertensystemen.

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mschmitt_b1.gif (84 Byte) Einsatzmöglichkeiten
mschmitt_b2.gif (67 Byte) in der Wissenschaft
Medizinische Expertensysteme sind ein gutes Beispiel für die von vielen Forschern angestrebte Verbindung von dem Studium menschlicher Problemlösungsprozesse mit der Künstlichen Intelligenz. Nicht zuletzt wegen der Bedeutung der Erklärungsfähigkeit medizinischer Expertensysteme ist eine Ähnlichkeit ihrer Wissensrepräsentation und Problemlösungs- strategien mit der von Ärzten zu erkennen. Weiterhin dienen Expertensysteme zur experimentellen Überprüfung von Theorien über die medizinische Entscheidungsfindung.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) in der Technik
Die Interpretation automatisch erfaßter Daten ist zur Zeit das attraktivste Einsatzgebiet von Expertensystemen. Es ist daher anzunehmen, daß der Einsatz medizinischer Expertensysteme zur automatischen Auswertung numerischer Daten - Beispiel: PUFF - stark zunehmen wird. Der nächste Schritt wäre die Auswertung von Verlaufskurven wie dem EKG. Allerdings ist der Nutzen solcher Laborsysteme begrenzt, da technische Daten allein noch nicht sehr aussagekräftig sind. Ein ähnlicher und sehr großer Bereich ist die Auswertung von bildgebenden Verfahren, wie z.B. Röntgenbildern, Computertomographien, etc., mit Expertensystemen. Das Hauptproblem hierbei ist jedoch weniger die diagnostische Interpretation extrahierender Merkmale, sondern die Identifikation der Merkmale auf der Ebene der Mustererkennung.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) in der Ausbildung
Expertensysteme haben im Vergleich zu Lehrbüchern mehrere Vorteile für die Ausbildung:
Die Unsicherheiten und Ausnahmen bei diagnostischen oder therapeutischen Regeln müssen sehr viel präziser angegeben werden als es in Büchern der Fall ist, die Qualität des Wissens von Expertensystemen ist nachprüfbar und das Lernen anhand von Fallstudien wird begünstigt. Wichtig dabei ist eine gute Strukturierung der Wissensbasis.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) in der Praxis
Im praktischen Einsatz von medizinischen Expertensystemen werden folgende Stufen mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad unterschieden:
1. Schutz vor Fehlern durch Übersehen - Stand der Technik -
Expertensysteme, die bei einer Liste von eingegebenen Symptomen ein nach Wahrscheinlichkeit geordnete Liste möglicher Diagnosen ausgeben, wurden 1986 in Washington vorgeführt und werden derzeit intensiv getestet. Da aber die Liste der ausgegebenen Diagnosen zu groß ist, um bei der Einengung der möglichen Diagnosen nützlich zu sein, beschränkt sich das Expertensystem darauf, ob der Arzt auch an alle relevanten Diagnosen gedacht hat.
2. Konsultationsmöglichkeiten in Spezialgebieten - erreichbar -
Nicht-spezialisierte Ärzte können ihre Kompetenz erweitern, indem sie Expertensysteme für Spezialgebiete konsultieren. Damit würde der vielfach kritisierten, immer weitergehenden Spezialisierung in der Medizin entgegengewirkt werden. So ist es z.B. das Ziel von ONCOCIN, Kliniken die Durchführung komplexerer Krebstherapien zu ermöglichen, die bisher dazu nicht in der Lage waren.
3. Kritik getroffener Entscheidungen - erreichbar -
Während bei der Konsultation eines Expertensystems (siehe 2.) der Dialog den Erfolg von Expertensystemen maßgeblich beeinflussen wird, setzt die Kritik getroffener Entscheidungen eine allgemeine Dokumentation medizinischer Daten in einem klinischen Informationssystem voraus. Ein Expertensystem kann dessen Funktionalität erweitern, indem es automatisch die Symptome auswertet, seine Schlußfolgerungen mit denen des Arztes vergleicht und bei großen Abweichungen Kritik übt. Vergleichbare Arzneimittelinformationssysteme sind bereits im Einsatz; sie melden sich, wenn ein Patient eine bekannte Allergie gegen ein ihm verschriebenes Medikament hat.
4. Ersatz von Experten - nicht erreichbar -
Expertensysteme können nur einen Minimalstandard medizinischer Qualität sicherstellen. Zu ihren grundlegenden Beschränkungen gehören außer der problematischen ´Trennung zwischen Symptomerfassung und -interpretation auch das Fehlen von Allgemeinwissen und die Beschränkung auf ein vorgegebenes Vokabular zur Symptombeschreibung, die im Einzelfall die Eingabe wichtiger Symptome ausschließen kann.

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mschmitt_b1.gif (84 Byte) im Einsatz befindliche medizinische Expertensysteme
mschmitt_b2.gif (67 Byte) PUFF wertet seit 1979 im Pacific Medical Center in San Francisco Lungenfunktionstests aus. Das System enthält ca. 75 Symptome und Diagnosen und 400 Regeln (Stand 1991). Die Symptome werden automatisch von Meßgeräten über eine Datei eingelesen. Als Ergebnis liefert PUFF eine übersichtliche Tabelle der Meßwerte und eine verbale Interpretation, die der Arzt nur noch abzeichnen muß. Bei einer Studie mit 144 Fällen erreichte es eine Übereinstimmung von 96% mit dem Arzt, der die Wissensbasis aufgebaut hat, 89% mit einem anderen Arzt, wobei beide Ärzte untereinander in 92% aller Fälle übereinstimmen. Der Nutzen für den Arzt liegt darin, daß er in korrekt diagnostizierten Fällen den von PUFF erstellten Arztbrief nicht selbst schreiben muß.
mschmitt_b2.gif (67 Byte) ONCOCIN ist seit 1981 experimentell an der Universitätsklinik in Stanford im Einsatz und gibt Ratschläge zur Durchführung einer protokollgesteuerten Chemotherapie bei bösartigen Tumoren. In einer Blindstudie konnten vier Experten keine signifikanten Unterschiede zwischen den tatsächlichen Therapien von Ärzten und den Ratschlägen von ONCOCIN feststellen. ONCOCIN bekommt etwa 30 Daten pro Patientenvisite als Eingabe, die manuell über ein Bildschirmformular eingegeben werden, und liefert als Ausgabe einen Vorschlag zur Fortsetzung der Therapie. Das Ziel des ONCOCIN-Projektes, auch an anderen Kliniken eingesetzt zu werden, war 1991 noch nicht erreicht.

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mschmitt_b1.gif (84 Byte) Fazit
Die Entwicklung von medizinischen Expertensystemen stellte sich als weitaus schwieriger heraus, als ursprünglich angenommen wurde. Es ist klar, daß das Verständnis der Entscheidungsfindung und die Einbindung experimenteller Programme, die zumindest Teile menschlichen Expertenwissens enthalten,  in ein Computersystem weit vorangeschritten sind. Auf der anderen Seite ist deutlich geworden, daß zuerst größere wirtschaftliche und technische Probleme gelöst werden müssen, bevor wirklich zuverlässige Beratungsprogramme entwickelt werden können.

Ich möchte mich bei all denen bedanken, die meine Ausarbeitung bis hierher gelesen haben und hoffe, daß ich einen kleinen Einblick in medizinische Expertensysteme vermitteln konnte. Ich denke, diese Expertensysteme tragen wesentlich zu einer globalen Zusammenarbeit im Bereich der Medizin - sowohl im Alltag als auch in der Forschung -  bei.

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verwendete Literatur:  Puppe, Frank: Einführung in Expertensysteme, Springer-Verlag, Berlin, 1991, 2.Auflage
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