Reise in die Ukraine 2003 |
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Nach der vom Paul-Klee-Gymnasium organisierten Benefizveranstaltung mit Dieter Hildebrandt, die im ausverkauften Barbarasaal in Augsburg stattfand und einen Reingewinn von über 10 000 Euro erbrachte, reiste Dr. Bernhard Lehmann vom 5. bis 9. März in die Ukraine und besuchte dort 8 ehemalige Zwangsarbeiter, die vor mehr als 58 Jahren in Gersthofen und Umgebung gearbeitet hatten. Eine wahrhaft anstrengende Reise! Willst Du das auf Dich nehmen, fragte mich Lubov Sochka im Vorfeld der Reise. Wenn Du wirklich alle Frauen besuchen willst, dann müssen wir drei Mal im Zug übernachten. Ich willigte ein und mutete ihr ungefragt das Gleiche zu! Ankunft am Aschermittwoch in Kiew, dann zur Partnerorganisation der deutschen Stiftung. Dort ein Treffen mit Frau Slesarewa, einer Vertreterin der Opferverbände: „Bitte finden Sie in Deutschland starke Partnerorganisationen, Herr Lehmann, damit wir den kranken Zwangsarbeitern hier helfen können.“ Ich kann nicht nein sagen, werde die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt um Mithilfe bitten müssen, alleine ist das nicht zu schaffen. München und andere deutsche Städte haben diesbezüglich schon vorbildlich gearbeitet und eine medizinische Brücke eingerichtet. Deutsche Zivildienstleistende und Freiwillige helfen den kranken Menschen vor Ort und übernehmen die Betreuung, bieten eine medizinische Grundversorgung an. |
Ankunft in Chmelnitzki (Westukraine) Gegen 22.30 dann Abfahrt von Kiew mit dem Zug in die Westukraine, in den Oblast Chmelnizki, von wo prozentual die meisten der ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiter kamen. Ankunft 5.30 morgens, es ist bitter kalt. Nach Rasur und Frühstück staune ich nicht schlecht, dass bei der örtlichen Stiftung um sieben Uhr morgens bereits an die 30 Menschen darauf warten, vorgelassen zu werden. „Ist das Geld schon da, ist mein Antrag schon entschieden, ich habe kein Geld, um Holz zu kaufen, können Sie mir ein Hemd besorgen, aber bitte mit Knöpfen.“ All diese Bitten und Fragen sind alltäglich von den 7 Mitarbeitern zu beantworten. Die landwirtschaftlichen Arbeiter erhalten von der Stiftung in der ersten Rate 498 Euro, diejenigen, die in der Industrie arbeiteten, erhalten einen Abschlag von € 1350 Euro, da kann man keine großen Sprünge machen, aber das Geld ist den Menschen doch so bedeutsam, dass manche von ihnen fast wöchentlich herkommen. Wer von ihnen wird die zweite Rate erleben, mit welcher erst nach vollständiger Ausbezahlung der ersten Rate (65%) begonnen wird? Die Lebenshaltungskosten der Rentner belaufen sich auf € 70, aber ihre Rente nur auf €20. Nur die Kriegsveteranen, wissenschaftliche Mitarbeiter, Beamte und Professoren erhalten eine höhere Rente. |
Philipp, der
einzige Junge aus der Ukraine, arbeitete nicht mit ihnen, sondern auf dem
Hof. Ende 1944 mussten sie die Ziegelei verlassen und wurden im Kukalager
untergebracht. Die älteren Mädchen besuchten die zivilen Ostarbeiter
im Lager, aber dafür sei sie selbst zu jung gewesen. Aber sie erinnert
sich daran, dass sie einige Male nach Augsburg transportiert worden sei,
als nach Bombenangriffen Trümmer zu beseitigen waren. Ob sie denn eine abgeschlossene Schulbildung absolviert habe? Zum ersten Male schießen Frau Radschenko die Tränen in die Augen. Nein, wie denn auch, wenn sie bei der Deportation ganze 15 Jahre gewesen sei! Nach ihrer Rückkehr in die Heimat konnte sie keine Arbeit finden, nur im Bergwerk hier im Donetzkbecken. Schwerste Arbeit. Die beiden Eltern hatte sie im Krieg verloren, nur die Großmutter kümmerte sich noch um sie. Alexandra weint bitterlich, ich habe ihre Erinnerungen aufgewühlt, aber sie fasst sich schnell wieder, erzählt anhand unserer Broschüre über die anderen Mädchen, die sie nach dem Krieg noch getroffen habe. Viele seien aus dem gleichen Ort aus Krasnodon gekommen. Vor 30 Jahren dann holten sie ihre Kinder von Krasnodon nach Donezk. Ganz unvermittelt sprudelt es dann wieder aus ihr heraus. Die Schramlfabrik sei an einer belebten Straße gewesen mit Fruchtbäumen entlang der Straße, aber ihr Bewacher, ein älterer Herr, vermutlich Herr Skworzow, ein Russe, habe ihnen nicht erlaubt, diese Früchte auf ihrem Weg von der Ziegelei zur Fabrik zu pflücken. Auch an den Jungen von Herrn Schraml erinnert sie sich, der sei ca. 10 Jahre gewesen, habe Sommersprossen gehabt und sei ganz und gar kein braves Kind gewesen. Wir nehmen Abschied. Alexandra bedankt sich wiederholt bei mir und betont, dass sie diese Geste von Deutschen nicht vergessen werde, ihr Leben lang nicht. Mit dem Geld, das ich mitgebracht habe, werde sie sich jetzt eine Spültoilette im Haus einbauen lassen, denn gehen könne sie nicht mehr und komme ohnehin nirgendwohin. Möge Gott ihre Schüler und Sie beschützen, Herr Lehmann! Wir verlassen ihr Haus und machen einen 30-minütigen Fußmarsch, denn die Taxis haben sich geweigert, in diese Gegend zu kommen, also fahren wir mit den privaten Kleinbussen, die es überall in der Ukraine gibt. |
Wir eilen hinaus und winken zurück,
Lubo von der ukrainischen Stiftung ist genauso zufrieden wie ich auch. Mit
vergleichsweise wenig Geld konnten wir 8 Menschen zu einem menschenwürdigen
Lebensabend verhelfen. Es waren nicht so sehr die Geldzahlungen, welche diese
Menschen in einen Zustand innerer Zufriedenheit versetzten als vielmehr die
Tatsache, dass sich nach über 58 Jahren junge Menschen mit ihrem Schicksal
auseinandergesetzt haben und versuchten, ihnen ein Stück ihrer Würde
wiederzugeben. |