Am Freiburger Münster
sind die Glocken und die Weltgerichtsposaunen grossartige Beispiele
für die magisch-zauberisch-numinose Seite der Musik.
Hier fällt die reale und symbolische Bedeutung zusammen.
Das Läuten gibt nicht nur die Stunden und die Tageseinteilung an oder
ruft die Gläubigen zum Gottesdienst, es hat auch einen magischen Sinn:
Die Abwehr des Bösen, Vertreibung böser Geister, Dämonen,
Teufel, schlechten Wetters sowie das Beschwören und Herbeirufen Christi
und der Engel. Der Glockenklang assoziiert somit auch die himmlische Musik
der Engel.
Im 19. Jahrhundert wurde dieser magische Glockenzauber durch eine biedermeierlich idyllisierte Glockenpoesie verdrängt.
Die vier Posaunenengel am Turm
blasen Instrumente arabisch-sarazenischen Ursprungs. In Europa waren sie
Attribute königlicher Herrschaft. Hier repräsentieren die "Businen"
Macht und Glanz des himmlischen Königs Christus. Sie stellen den Wächterruf
dar und haben ausserdem auch eine abwehrende Wirkung gegenüber
Dämonen.Hier seien auch die vier Engel im grossen Tympanon des
Hauptportals genannt, die sich durch ihr Alter (13. Jh. - Turmengel 14.
Jh.), aber besonders durch ihre Instrumente von den erstgenannten unterscheiden:
sie spielen altertümliche Heerhörner, die schon zu germanischen
Zeiten bekannt waren. Deren Klang war der lauteste und rauhste in dieser
Zeit. Die Turmengel hatten die Aufgabe, durch ihr Blasen über die
Stadt und den nahegelegenen Friedhof das Jüngste Gericht zu verkünden.
Im Mittelalter wurde die Dreiteilung der Musik gelehrt: die musica mundana (himmlische Musik) steht über der musica humana (menschliche Musik), diese wiederum über der musica instrumentalis (gespielte Musik). Die Weite ihres Geltungsbereiches macht sie würdig, in die Freien Künste eingereiht zu werden. Als reine Kunstfertigkeit von Singen und Spielen hätte sie diesen Rang nie erreicht. Musik ist der Mathematik, der Philosophie und der Kosmologie zugeordnet.Der Rang der Musik gründet auf der Pythagoras zugeschriebenen Entdeckung der harmonischen Konsonanzen. Er soll an proportional gespannten Saiten die musikalischen Grundintervalle mit ihren mathematischen Berechnungen gefunden haben: Oktave 1:2, Quinte 2:3, Quarte 3:4.
In mittelalterlichen Bilddarstellungen findet man diese Zusammenhänge immer, gleich ob man Pythagoras selbst oder König David oder eine andere Figur nimmt. Die Instrumente weisen immer auf das zahlenmässige Ordnungsprinzip der Musik hin: Glocke oder Glockenspiel mit Hammer oder auch die Harfe, die durch ihre Stimmbarkeit ebenfalls dieses Ordnungsprinzip verkörpert.
So sind auch der Pythagoras-Hammer und die Glocke in der Hand der Freiburger Musica nicht im Sinne eines realen Musikinstruments zu verstehen: sie repräsentieren vielmehr die akustisch-mathematisch-harmonikale Seite der Musik. In ihr offenbart sich die Bewältigung der musikalischen Phänomene aus der Kraft des Geistes. Der Musicus ist ein Wissender geworden; die geistige Seite der Musik (Logos) wird über ihrer magischen Gewalt sichtbar. Die musikalischen Erscheinungen sind beherrscht und aus chaotischer Unberechenbarkeit geordnet, ihr Zauber ist gebannt, ihre bedrohlichen Kräfte sind entdämonisiert und dem geistigen Dasein ein- und untergeordnet. Dieses Musikverständnis setzt sich im Mittelalter fort und wurde eine der Leitideen der Musik bis in unsere Zeit.
König David, dargestellt
mit einer Harfe, ist das häufigste musiklkonographische Thema des
Mittelalters. In seiner Gestalt sind verschiedene Sinngehalte vereinigt:
Die magisch-apotropäische (heilende) Kraft der Musik. Durch sein Spiel
vertreibt David Schwermut und böse Geister vom kranken Saul. Dies
lässt ihn im Mittelalter zu einer Art Vorläufer des Heilands
werden. Das Instrument Davids wird gern symbolisch als "corpus Christi"
gedeutet, die gespannten Saiten als die ausgespannten Glieder des Heilands.
Zweitens ist David Gründer und Ordner der Kirchenmusik. Nach biblischen
Berichten schuf er die Einrichtung der ständigen kultischen Musik
vor dem Heiligtum. Schliesslich verkörpert David als Dichter
und Sänger der Psalmen die spezifisch christliche Idee der Kirchenmusik.
Er gilt als Repräsentant des kultischen Lobgesanges, er ist Sinnbild
des Lobpreises Gottes. In dieser Richtung wird aus dem autonomen Sphärenklang
die funktionale Weltliturgie mit den Engeln an der Spitze der Hierarchie.
Alles liturgische Singen der Kirche hat Ursprung, Sinn und Begründung
im Gesang der Engel.
Diese dringen überall
in die literarische und künstlerische Sphäre ein. Mit der auflebenden
Marienverehrung umgeben Scharen musizierender Engel die Lebensstationen
Mariens.
Auch als Seelengeleiter (Psychpompen) gehören singende und spielende Engel zum festen Vorstellungkreis des Mittelalters. In Legenden und Bildern fuhren imme wieder musizierende Engel die Seelen zum Himmel. In diesen musizierenden Geleitengeln lebt ein uraltes Jenseitswissen fort.
Denn diese Engel sind nicht biblischen Ursprungs, sondern aus der griechischen
Antike in die christliche Kunst übernommen worden.
Der christliche Lobgesang
umfasst selbst die Dissonanzen der Hölle. Die Zerrmusik des Teufels
ist noch Gotteslob "ex contrario", aus dem Gegensatz heraus.
Am Freiburger Münster befindet sich hierfür nur ein
einzelnes Beispiel an der Konsole einer der klugen Jungfrauen: ein Untier,
dessen Nase zu einer Trompete verlängert und erweitert ist.